Nach dem Überfall der Mongolen auf die islamische Welt im 13. Jahrhundert erlebte die Orthodoxie erneut einen massiven Aufschwung. Die konservative Schule der Hanbaliten wurde durch einen Gelehrten namens Ibn Taymiyya wiederbelebt, der als geistiger Vater der modernen Salafisten und Wahhabiten gilt. Auch Osama Bin Laden berief sich oft auf ihn, vor allem wenn es um die Interpretation des Dschihad ging.
Ibn Taymiyya (1263–1328) sah die Hauptaufgabe eines Herrschers darin, die Gesetze der Scharia uneingeschränkt einzuführen und deren Einhaltung zu kontrollieren. Ein Herrscher, der sich nicht an die Scharia halte, verdiene von seinen Untertanen keinen Gehorsam. Ibn Taymiyya legte auch tauhid, den Glauben an die Einheit und Einzigkeit Gottes, eng aus. Den muslimischen Sufis warf er vor, sie seien keine Monotheisten, da sie nicht Allah allein verehrten, sondern auch Heilige, deren Gräber sie regelmäßig besuchten. Das Schmücken dieser Gräber war für ihn nichts anderes als ein Zeichen von Heidentum, kufr. Ebenso hielt er die schiitische Lehre für eine Verfälschung des Islam, da die Schia den Imamen Attribute der Unfehlbarkeit verlieh. Die syrischen Alawiten bezeichnete er als Abtrünnige, die mit dem Tod bestraft werden sollten. Die islamische Philosophie des Mittelalters lehnte er strikt ab: man könne mit Logik nicht zur Erkenntnis gelangen, sondern allein durch den Glauben an die wahre Lehre des Islam.
Die Haltung Ibn Taymiyyas ist auch eine Folge der historischen Ereignisse jener Zeit. Damaskus war Ende des 13. Jahrhunderts von den Mongolen eingenommen, Ibn Taymiyya selbst von den neuen Herren verhaftet und gefoltert worden. Er verließ Damaskus und bereiste Ägypten und die arabische Halbinsel, mit dem Ziel, die muslimischen Herrscher dieser Gebiete zum Dschihad aufzurufen. Den Dschihad sah er nicht nur als Mittel, die Ungläubigen zu vertreiben, sondern als Gottesdienst, als eine permanente Haltung, die ein Gläubiger gegenüber den Nicht-Muslimen einnehmen solle.
Es gelang ihm, Ägyptens Herrscher Ibn Qalawoon zum Kampf gegen die Mongolen zu überreden, die sich daraufhin aus Damaskus zurückziehen mussten. Ibn Taymiyya predigte den Dschihad nicht nur, sondern beteiligte sich aktiv am bewaffneten Kampf. Seine theologischen Lehren hingegen blieben relativ unbekannt, bis mehrere Jahrhunderte später ein neuer Prediger auf der arabischen Halbinsel seine Gedanken wiederbelebte. Im 18. Jahrhundert wollte Muhammad Ibn Abd al-Wahhab die islamische Welt nach dem Konzept von Ibn Taymiyya von allem säubern, was unislamisch war. Er begann mit der Zerstörung der Sufi-Gräber auf der arabischen Halbinsel und forderte, der Dschihad müsse zur Dauerbeschäftigung der Muslime werde. Die Lehre von Ibn Abd al-Wahhab – letztlich eine schlechte Kopie der Konzepte von Ibn Hanbal und Ibn Taymiyya – bildet heute die Grundlage für das Rechtssystem in Saudi-Arabien. Und sie ist die Basis für das Dschihad-Verständnis des modernen Islamismus.