Ich frage Fahs, ob eine Reform innerhalb des Mullah-Regimes möglich sei. Er hat wenig Hoffnung und sagt: »Was will man da reformieren? Man beruft sich auf Gott, und Gott kann sich nicht geirrt haben. Die Mullahs können nicht einmal sagen, dass Khomeinis Ansichten über Staat und Gesetz nicht zeitgemäß sind. Die Idee der velayat-e faqih, der Herrschaft der Kleriker, kann man nicht reformieren. Aber man kann die Kleriker stürzen!«
Bei aller Euphorie über die versöhnlichen Töne von Präsident Rohani – er sei nicht der wirkliche Kopf des Mullah-Regimes, sondern lediglich das schöne Gesicht, das so viel freundlicher und netter erscheint, verglichen mit Ahmadinedschad. Auch ich halte die Charmeoffensive des sympathischen Rohani für kontraproduktiv und gefährlich. Denn sie vermittelt die Illusion einer Veränderung, während im Hintergrund alles beim Alten bleibt. Es mag sein, dass die Mullahs ihre Atomambitionen für ein paar Jahre nach hinten schieben, um eine Lockerung der Sanktionen zu erwirken. Dadurch wird es wirtschaftlich etwas bessergehen, und sie können einen Teil der Bevölkerung mit Geld ruhigstellen. Aber an den Zielen an sich werden sie dennoch festhalten.
Die Sowjetunion konnte sich nicht wirklich von innen reformieren. Als Gorbatschow dies versuchte, brach das ganze Gebilde zusammen. Papst Franziskus kann die Einstellung seiner Kirche zu bestimmten Themen verändern (was mühsam genug sein wird), aber die katholische Kirche als Ganzes wird auch er nicht wirklich reformieren können. Denn jede Reform wird zu einer anderen Reform führen, bis man sich vielleicht fragen wird, wozu man die Kirche im 21. Jahrhundert noch braucht. Und so weit kann kein Reformer gehen.
Hani Fahs unterstützte 2009 die Jugendbewegung gegen Ahmadinedschad. Er war nicht der einzige Mullah, der auf der Seite der Jugend stand. Ich frage ihn, ob die Grüne Revolution den Anfang vom Ende der islamischen Revolution markiere. »Es kann sein, aber das wird noch eine Zeitlang dauern. Was vom Khomeini-Regime übrig geblieben ist, sind das Geld, die Soldaten und die Sicherheitsapparate. Das ist nicht so einfach zu beseitigen. Aber junge Menschen glauben kaum noch an die Ideen der islamischen Revolution. Das macht das Regime hartnäckig und selbstzerstörerisch.«
Hani Fahs begrüßt, dass viele junge Theologen außerhalb des Regimes anders denken als die alte Garde, und weiß, dass das die Alten unter Druck setzen kann. »Die Mullahs müssen spüren dass sie alleine stehen. Erst dann kommt die Veränderung. Und dabei muss der Druck nicht nur von innen kommen, sondern auch von außen.«
Ich hake nach und will wissen, wie eine Trennung von Islam und Staat im Mullah-Regime möglich sein soll.
»Viele Gelehrte sagen, der Islam sei eine Religion und ein Staat zugleich. Doch der Islam hat nicht das Zeug, einen Staat aufzubauen, zumindest nicht einen modernen funktionierenden Staat. Das mag im siebten Jahrhundert unter bestimmten Umständen noch funktioniert haben. Grundsätzlich kann ein auf Religion aufgebauter Staat nicht für alle seine Bürger da sein, sondern nur für diejenigen, die der Konfession der Machthaber folgen. Und wenn man sich die Geschichte genauer ansieht, stellt man fest: Wann immer die Religion sich in die Angelegenheiten des Staates eingemischt hat, mündete dies in Katastrophen: die Dominanz der Kirche im Mittelalter, die Taliban, die Muslimbrüder …«
Fahs glaubt nicht an einen islamischen Staat. Den könne es niemals geben. Denn die Schiiten wollen, dass der Staat nach ihren Überzeugungen geführt wird, die Sunniten wollen es aber anders, die Sufis haben wieder andere Vorstellungen. Und am Ende wird man keinen islamischen, sondern einen sektiererischen Staat haben wie im Iran, wo nicht nur Juden und Bahai unterdrückt werden, sondern auch sunnitische Muslime. In Ägypten wiederum sind die schiitischen Muslime verhasster als die Juden. Dass man hier kaum noch durchblickt, auch das liegt laut Fahs in der Natur des sektiererischen Staates: Er schottet sich nicht nur gegen Angehörige anderer Religionen ab, sondern auch gegen die anderen Richtungen innerhalb des gleichen Glaubens. In Europa mündete dies im Dreißigjährigen Krieg.
Stundenlang redet der Islamgelehrte, ohne den Propheten oder den Koran zu zitieren. Dafür fallen Namen wie Thomas von Aquin, Kant und Max Weber. »Ja, ich bin für Nachahmung. Europa ist ein Erfolgsmodell. Und die Aufklärung hat dem Christentum nicht geschadet, sondern es gerettet. Genau das brauchen wir, egal, ob Schiiten oder Sunniten. Wir müssen endlich begreifen, dass die Aufklärung sich nicht gegen die Religion wendet, sondern für die Vernunft einsetzt. Wer etwas gegen die Vernunft hat, hat ein ernsthaftes Problem.«