Die Muslimbrüder und die Nazis – eine Liebesaffäre mit Folgen

Im Jahr 1946 hielt der Gründer der Muslimbruderschaft, Hassan Al-Banna, in Kairo eine Laudatio auf den Mufti von Jerusalem. Amin al-Husseini, der nach Ende des Zweiten Weltkriegs als Kriegsverbrecher und Kollaborateur des NS-Regimes gesucht wurde, hatte nach einem kurzen Intermezzo in einem französischen Gefängnis Asyl in Ägypten erhalten und dort Zuflucht bei den Muslimbrüdern gefunden. Al-Banna sagte in seiner Rede: »Der Mufti ist so viel wert wie eine ganze Nation. Der Mufti ist Palästina, und Palästina ist der Mufti. O Amin! Was bist du doch für ein großer, unbeugsamer, großartiger Mann. Hitlers und Mussolinis Niederlage hat dich nicht geschreckt. Was für ein Held, was für ein Wunder von Mann. Wir wollen wissen, was die arabische Jugend, Kabinettsminister, reiche Leute und die Fürsten von Palästina, Syrien, Irak, Tunesien, Marokko und Tripolis tun werden, um dieses Helden würdig zu sein, ja dieses Helden, der mit der Hilfe Hitlers und Deutschlands ein Empire herausforderte und gegen den Zionismus kämpfte. Deutschland und Hitler sind nicht mehr, aber Amin al-Husseini wird den Kampf fortsetzen.«[1]

Hassan Al-Banna hat seinen Freund Al-Husseini nicht erst nach dessen Flucht aus Deutschland kennengelernt. Dort hatte Al-Husseini nach dem Scheitern des pro-deutschen Putschversuchs im Irak seit 1941 als persönlicher Gast Hitlers residiert. Ein Brief aus dem Jahr 1927 belegt, dass schon früher eine Verbindung zwischen dem jungen Lehrer Hassan Al-Banna und Amin al-Husseini bestand. In diesem Brief teilt Al-Banna dem Mufti mit, er beabsichtige, eine Bewegung mit dem Namen »Die Muslimbruderschaft« zu gründen. Al-Husseini reagierte begeistert und segnete dieses Vorhaben ab. Auch ein altes Bild aus dem Archiv der Muslimbrüder zeigt die beiden Herren einträchtig nebeneinander.

Die Beziehungen zwischen Amin al-Husseini und dem Naziregime sind bestens dokumentiert. Mit Ribbentrop und Eichmann debattierte er über die »Lösung des Weltjudenproblems«, von Hitler erhoffte er sich Unterstützung bei der Errichtung eines arabischen Staates in Palästina nach deutschem Vorbild und, und, und. Doch bislang gibt es wenige Indizien dafür, dass auch Al-Banna ähnlich weitreichende Verbindungen hatte. Britische Geheimdienstdokumente belegen zwar, dass es Verbindungen gab zwischen dem NS-Geheimdienst und Vertretern der Bruderschaft in Ägypten, um die Engländer während des Zweiten Weltkriegs in Nordafrika zu schwächen. Das Ausmaß dieser Zusammenarbeit liegt jedoch nach wie vor im Dunkeln.

Zweifelsfrei lässt sich aber belegen, dass Hassan Al-Banna ein großer Bewunderer Mussolinis und Hitlers war. Er sah in ihnen fähige Führer, die ihre Länder in eine neue Zeit geführt hätten. Wenn er von den beiden sprach, verwendete er das italienische Wort Duce beziehungsweise den deutschen Begriff Führer, um sie zu würdigen. Sich selbst bedachte Al-Banna nicht etwa mit den Bezeichnungen »Imam« oder »Qaid«, die die religiösen oder politischen Anführer in der arabischen Welt gemeinhin tragen, sondern nannte sich »Al-Murshid«, zu Deutsch »Wegweiser«. Ein Titel, den vor ihm noch keiner benutzt hatte. Später ließ sich Ayatollah Khomeini so nennen.

In einem seiner Artikel aus den vierziger Jahren schreibt Al-Banna: »Hitler und Mussolini führten ihre Länder Richtung Einheit, Disziplin, Fortschritt und Macht. Sie setzten Reformen im Inneren durch und verhalfen ihren Ländern zu großem Ansehen nach außen. Sie erweckten Hoffnung in den Seelen und zeigten Mut und Ausdauer. Sie vereinigten die Zerstrittenen unter einer Fahne, unter einem Herrscher. Und wann immer der Führer oder der Duce sprachen, horchte die Menschheit, ja das Universum, in Ehrfurcht.«[2]

Besonders begeistert war er von Mussolinis und Hitlers Hang zum Militarismus und von deren Wirkung auf die Massen. Um die Massen zu erreichen, gründete er eine Wochenzeitung mit dem Namen al-nathir, also »der Ermahner« oder »der Weckrufer«. Den gleichen Namen trug das erste nationalsozialistische Wochenblatt, das 1926 in Coburg ins Leben gerufen wurde. In mehreren Artikeln seiner neuen Zeitschrift attackierte Al-Banna die Demokratie und wünschte sich für die islamische Welt einen Führer wie Hitler oder Mussolini. In einem Beitrag mit dem Titel »Signor Mussolini erklärt ein Prinzip des Islam«, zeigt sich Al-Banna berauscht von einer Rede, die Mussolini 1935 auf einem Panzer stehend gehalten und in der er Italien auf einen langen Kampf eingeschworen hatte: »Italien muss von nun an ein militarisierter Staat werden, der vom Kampfgeist lebt. Ich habe in der letzten Kabinettssitzung eine Reihe von Entscheidungen getroffen, die den Militarismus zum Hauptmerkmal des italienischen Volkes machen sollen. Von nun an wird die italienische Staatsbürgerschaft und der Militarismus eine Einheit. Jeder Italiener zwischen acht und fünfundfünfzig muss von diesem Geist erfasst werden. Das ist eine neue Idee, die keiner zuvor in der Menschheitsgeschichte realisieren konnte. Und es gibt in der Tat genug Gründe, warum diese Idee bei einem anderen Volk schwer durchsetzbar ist. Denn aus geschichtlichen und moralischen Gründen eignet sich kein anderes Volk außer Italien dafür, ein Volk von Soldaten zu sein.« Al-Banna listet im Folgenden die Gründe auf, warum Nationen zerfallen – und nimmt als Beispiel das römische Imperium. »Die früheren Reiche sind zugrunde gegangen, als sie nach Komfort und Wohlstand strebten und den Kampfgeist vernachlässigten. Denn in ihrer Umgebung sind andere Nationen in Erscheinung getreten, die weniger zivilisiert, dafür aber stärker und kampfbereiter waren als sie.«

Der interessanteste – und entlarvendste – Punkt kommt nun. Al-Banna korrigiert Mussolini, indem er ihn daran erinnert, dass die Idee der totalen Militarisierung einer Gesellschaft nicht erst mit dem Faschismus begonnen habe, sondern bereits vor mehr als 13 Jahrhunderten mit dem Islam eingeführt worden sei! Denn der Islam, so Al-Banna, huldige dem militärischen Geist und wolle diesen in die Seele jedes Muslims einpflanzen: »Es gibt kaum eine Sure im Koran, wo der Muslim nicht aufgefordert wird, Mut, Ausdauer und Kampfgeist zu zeigen und den Dschihad für die Sache Gottes zu führen.« Im Anschluss zitiert Al-Banna mehrere Verse des Koran und Aussagen des Propheten, um zu belegen, dass der Islam eine militaristische Religion sei. Mit einem kleinen, aber entscheidenden Unterschied zum Faschismus: Faschisten wollten durch den Kampf lediglich weltliche Ziele, »während der Islam darauf abzielt, das Erbe Gottes auf Erden zu bewahren«.

In seiner eigenen Bewegung war die Idee des bewaffneten Kampfes von Anfang an fest verankert. Das wird allein schon mit dem Logo offensichtlich, das Hassan Al-Banna selbst entworfen hat: zwei gekreuzte Schwerter, darüber ein Bild des Koran, darunter der Beginn eines Koranverses: »Und rüstet auf.« Dieser Vers aus Sure 8 geht so weiter: »Und rüstet gegen sie [die Ungläubigen] auf, soviel ihr an Streitmacht und Schlachtrossen aufbieten könnt, damit ihr Allahs Feind und euren Feind – und andere außer ihnen, die ihr nicht kennt – abschreckt; Allah kennt sie. Und was ihr auch für Allahs Sache aufwendet, es wird euch voll zurückgezahlt werden, und es soll euch kein Unrecht geschehen.«

Über den Zeitpunkt, wann genau dieses Logo entstanden ist, gibt es widersprüchliche Angaben. Manche behaupten sogar, es sei eine islamische Version des Hakenkreuzes. Unstrittig dürfte aber die Botschaft sein, die am Anfang des Manifests dieser Bewegung steht: »Der Koran ist unsere Verfassung, der Phrophet ist unser Führer, der Dschihad ist unser Weg, und der Tod für Allah ist unser höchstes Ziel.« Eine klare Kampfansage, die bis heute gilt – nur der historische Kontext hat sich gewandelt.

Damals richtete sich diese Kampfansage sowohl gegen die britische Kolonialherrschaft als auch gegen demokratische Kräfte in Ägypten, die 1922 eine weltliche Verfassung installiert hatten. In jenem Jahr hatte Ägypten offiziell seine Unabhängigkeit erlangt, war aber unter britischem Mandat geblieben. Eine Gruppe im Westen ausgebildeter ägyptischer Juristen und Politiker hatte eine – in den Augen der Muslimbruderschaft – viel zu westlich orientierte freiheitlich-demokratische Verfassung verabschiedet, die viel fortschrittlicher war als alle Verfassungen, die später in Ägypten Gültigkeit haben sollten. In ihr waren unter anderem die Gleichberechtigung von Mann und Frau, Meinungs-, Presse- und Glaubensfreiheit uneingeschränkt garantiert. Ein Mitglied dieser Verfassungskommission war Youssef Qattawi, ein Jude, der später Finanzminister des Landes und Mitbegründer der ersten Bank in der arabischen Welt war. Als die Muslimbruderschaft gegründet wurde, war der Kopte Wesa Wasef Präsident des Parlaments. Die Muslimbrüder lehnten es ab, dass Kopten und Juden Schlüsselpositionen im Land bekleideten. Muslime dürften nur von Muslimen beherrscht werden, und diese Herrscher müssten die Scharia einführen, um sich der Loyalität ihrer Untertanen sicher zu sein, so ihre Überzeugung. Heute leben die Enkel von Qattawi im Exil. Und die Enkel von Wasef müssen sich keine Gedanken mehr darüber machen, ob ein Kopte der nächste Regierungschef oder Parlamentspräsident wird – sondern darüber, wann die Fundamentalisten wieder einmal eine ihrer Kirchen und christlichen Schulen in die Luft jagen.

Es ist bemerkenswert, dass trotz der anfänglichen Skepsis gegenüber der Idee eines demokratischen Staates damals in Ägypten Wahlen stattgefunden haben, die liberale und linke Parteien für sich entscheiden konnten. Radikalen Nationalisten und Islamisten war es nicht gelungen, das Wahlvolk zu mobilisieren.

In den dreißiger Jahren versuchte König Farouk dann, die demokratische Entwicklung des Landes zu bremsen und die Macht des Parlaments zu beschneiden. Es hatte angekündigt, dem König einige Befugnisse und Privilegien wegnehmen zu wollen. Die linken und liberalen Parteien, die die Mehrheit im »Rat der Nation« bildeten, wehrten sich gegen den machtbewussten Farouk. Massen von Arbeitern und Studenten gingen auf die Straße und demonstrierten zum ersten Mal in der ägyptischen Geschichte gegen einen König. Die Muslimbruderschaft witterte ihre Chance, ein Gegengewicht zu den Unruhestiftern zu schaffen. Die Bruderschaft, die zu dieser Zeit noch keine offizielle politische Partei war, verbündete sich mit den Ultranationalisten von Misr Al-Fatah (Junges Ägypten), einer Partei, die nach dem Modell der NSDAP im Oktober 1933 gegründet worden war und den Hitlergruß als offizielle Begrüßung verwendete. In dieser Partei engagierten sich auch zwei junge Offiziere, die später das Schicksal Ägyptens lenken würden: Gamal Abdel-Nasser und Anwar al-Sadat. Beide befürworteten eine enge Zusammenarbeit mit der Muslimbruderschaft.

Sowohl die Misr Al-Fatah als auch die Muslimbruderschaft gründeten just zu dieser Zeit paramilitärische Einheiten nach dem Modell ihrer faschistischen Vorbilder in Deutschland und Italien. Sie bewaffneten sich und bildeten ihre Truppen in geheimen Lagern aus. Von nun an trug die Jugend der Muslimbrüder (al-gawwala) braune Hemden und rief während des Trainings »Kampf, Gehorsam, Schweigen« in Anlehnung an die Schwarzhemd-Milizen Mussolinis. Die Anhänger der Partei Junges Ägypten kleideten sich in grüne Hemden, trugen Fackeln durch die Straßen Kairos und riefen – in Anlehnung an »Deutschland, Deutschland über alles« – Parolen wie »Ägypten über alles«.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Offizier Anwar al-Sadat verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil er Kontakte zu deutschen Geheimdienstoffizieren unterhielt und ein deutsches Kommunikationsgerät bei sich hatte. Denn die ägyptische Armee wollte sich nicht in den Krieg reinziehen lassen. Doch König Farouk sah sich den Mächten der Achse Berlin–Rom näher als London und suchte gezielt Kontakt zum NS-Regime. Hitler wusste um die Bedeutung Ägyptens für die Engländer und nahm die Annäherungsversuche König Farouks dankend an. Unterstützt wurde der König dabei von der Muslimbruderschaft und der Partei Junges Ägypten.

Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war die Zahl der Anhänger der Muslimbruderschaft überschaubar. Das änderte sich, als die NS-Propaganda gezielt auch in Ägypten verbreitet wurde und die antisemitische Stimmung am Nil zunahm. Hassan Al-Banna sorgte mit seiner Zeitschrift dafür, dass der Funke des Antisemitismus am Glühen gehalten wurde. Er schrieb, die Länder der Achse Berlin–Rom–Tokio stünden dem Islam sehr nahe. Er forderte die religiöse Al-Azhar-Institution dazu auf, islamische Gelehrte in diese drei vorbildlichen Länder zu schicken, um diese intensiver über den Islam zu unterrichten und im Gegenzug mehr von der straffen Organisation und der dahinterstehenden Ideologie zu lernen. In anderen Zeitschriften ließen Muslimbrüder sogar das Gerücht verbreiten, Hitler sei zum Islam übergetreten und habe eine geheime Pilgerfahrt nach Mekka unternommen. Er nenne sich nun »Hadsch Mohamed Hitler«. Man wollte offenbar mit aller Macht Sympathien für die Nazis in der ägyptischen Bevölkerung wecken, vordergründig, um die Engländer zu schwächen. Im Falle eines Angriffs Hitlers auf Ägypten würden nur britische Einrichtungen in Mitleidenschaft gezogen. Moscheen und islamische Einrichtungen würde der gottesfürchtige Führer verschonen, hieß es in den Blättern der Muslimbrüder.

Unklar ist, ob die Muslimbrüder diese Propagandaarbeit für die Nazis als verlängerter Arm von König Farouk, aufgrund direkter Kontakte zu NS-Deutschland oder aus eigenem Antrieb leisteten. Einer der wichtigsten ägyptischen Literaten, der damalige Bildungsminister Taha Hussein, kritisierte König Farouk und die Muslimbrüder für ihre prodeutsche Haltung öffentlich. Abbas Al-Aqqad, ebenfalls Autor und Parlamentsmitglied, warf den Muslimbrüdern vor, sie würden vom NS-Geheimdienst dafür bezahlt, dass sie faschistisches Gedankengut in Ägypten verbreiteten. Eine These, die Jeffry Herf in dem 2009 erschienenen Buch »Nazi Propaganda for the Arab World« bekräftigt. Den Nazis sei es, so Herf, nicht nur um potenzielle Kriegspartner im Nahen Osten gegangen, sondern auch um die weltweite Verbreitung ihrer antisemitischen Grundhaltung.