Am Anfang ist das Wort

Einige Salafisten behaupten, der Begriff kafir sei harmlos, denn er bedeute nur, dass jemand nicht an das Gleiche glaubt wie ein anderer. So gesehen seien auch Muslime aus der Sicht der Christen und Juden kuffar, weil sie nicht an die Kreuzigung Jesu oder die jüdischen Gesetze glaubten. Also alles nicht so schlimm?

Wenn man hört, was der Lehrer und Mentor von Pierre Vogel über die kuffar sagt, begreift man erst, wie gefährlich diese Bezeichnung ist: Der einflussreiche ägyptische Prediger Abu Ishaq Al-Huwayni meint, »ein kafir ist schlimmer als ein Tier«. Auch er beruft sich auf den Koran. »Und was macht man mit einem Tier?«, fragt er. »Man reitet darauf, man führt es zum Markt und verkauft es, man schlachtet und verzehrt es!«

Wer das Wort kafir im Mund führt, betritt die erste Stufe zur Gewalt. Wer Andersgläubige und Andersdenkende zu Tieren macht, ebnet den Weg für Terror und Mord. Das Internet ist voll mit Enthauptungsvideos, Filmen, die zeigen, wie Islamisten ihren Opfern die Kehle durchschneiden und dabei allahu akbar, Gott ist groß, rufen. Genau das rufen muslimische Schächter auch, wenn sie ein Tier nach islamischem Ritus töten.

Prediger wie Pierre Vogel mögen nicht direkt zu Gewalt aufrufen, aber ihr Menschen- und Gesellschaftsbild legitimiert Gewalt und schafft die geistige Infrastruktur für den Terrorismus. Aus meiner Sicht gehören deshalb salafistische Vereine in Europa – genau wie rechtsextreme Vereinigungen – ohne Wenn und Aber verboten.

Denn Gewalt beginnt nun einmal mit dem Wort, das zeigt auch die Geschichte des Faschismus. Und was ist faschistoider, als einen Menschen als Tier zu bezeichnen, das man schlachten darf?

Das übliche Argument, dass ein Verbot solche Gruppierungen eher glorifiziere, ist meines Erachtens nicht haltbar. Viele junge Muslime finden den Weg zu diesen Salafisten, gerade weil dieser Weg offen und legal ist. Wären diese Vereine verboten, wüsste jeder, der ihre Nähe sucht, dass er sich damit strafbar macht. Vorbestrafte wie die fünf Schüler wollen sich in der Regel rehabilitieren, wenn sie sich den Salafisten anschließen, nicht aber eine zweite kriminelle Karriere starten. Sie werden sich überlegen, ob sie an diese Tür klopfen. Wenn sie die Schwelle erst einmal überschritten haben und tief in die salafistischen Strukturen hineingeraten sind, ist es ihnen egal, ob die Gesellschaft Salafisten mag oder nicht. Wenn sie noch an der Tür stehen, mag es für einige durchaus eine Rolle spielen, ob Salafisten legal oder illegal arbeiten. Das mag nicht für alle gelten, aber jeder Einzelne, den ein Verbot schrecken würde, zählt.

 

Scheich Abu Ishaq Al-Huwayni präsentiert seinen Jüngern auch gerne kreative Lösungen für die stagnierende Wirtschaft in der islamischen Welt. Man solle wieder Eroberungskriege gegen die Ungläubigen führen, deren Vermögen beschlagnahmen, Frauen und Kinder gefangen nehmen und als Sklaven verkaufen. Die islamische Welt sei arm und schwach geworden, seitdem sie den Dschihad nicht mehr konsequent praktiziere, so der vermeintlich »moderate« Salafist. Wenn man die Ungläubigen ein- oder zweimal pro Jahr überfalle, dann werde die Armut endgültig aus den muslimischen Staaten verschwinden.

Videos, auf denen Al-Huwayni und andere Prediger solche Botschaften verkünden, gehören zum Lehrmaterial für neu rekrutierte Salafisten. Ebenfalls zum Programm gehören brutale Filmaufnahmen von Muslimen, die im Kampf – etwa in Syrien – gefallen sind. Selbst im Tod scheinen sie zu lächeln. »Junge Menschen, die von der politischen Lage in der Region keine Ahnung haben, glauben nach so einem Film, hier würden Muslime unterdrückt und dagegen müsse man ankämpfen. Es ist das ewig gleiche Bild, das hier beschworen wird: Der Muslim ist immer unterdrückt, egal wo er sich befindet. Und der Kampf ist das probate Mittel«, meint Lamya Kaddor.

Die fatale Mischung aus Opferhaltung und Rachegelüsten ist zum wichtigsten Motor für den Islamismus geworden. Die klassischen Konflikte in der Region zwischen Israelis und Arabern, der ewige Konflikt zwischen dem Westen und der islamischen Welt, die Brandherde in Bosnien, Tschetschenien oder jüngst Syrien – es gibt viele Beispiele, die zu belegen scheinen, dass die Muslime unterdrückt werden. Allerdings hat die Radikalisierung im Laufe der Zeit eine neue Dimension und vor allem breitere Schichten erreicht.