»Wir haben die Gläubigen in ihrem Zuhause besiegt«

Sein Name bedeutet eigentlich das Gegenteil seiner Gesinnung. Momen heißt auf Arabisch »gläubig«. Doch Momen ist seit vier Jahren Atheist. Er ist 21 Jahre alt und studiert Ingenieurwesen an der religiösen Universität al-Azhar in Kairo, die als Zentrum des sunnitischen Islam gilt. Zwei Jahre lang behielt er seine Abkehr vom islamischen Glauben für sich. Erst nach dem Sturz Mubaraks nahm er all seinen Mut zusammen und teilte seiner Familie und engen Freunden mit, dass er nicht mehr an Gott glaube. Viele in seiner Umgebung waren schockiert. Doch Momen stellte fest, dass er nicht der Einzige war, viele seiner Freunde hatten eine ähnliche Einstellung. Aber sie trauten sich nicht, sich zu outen.

Momen gründete mit ein paar Freunden eine Facebook-Seite, sie nannten sie »Vereinigung ägyptischer Atheisten«. Binnen weniger Monate hatte die Seite mehrere tausend Follower, die meisten von ihnen sind mit Klarnamen und echtem Profilbild zu sehen. Ein Novum in der arabischen Welt. »Die Ägypter sind nicht von Natur aus so religiös, wie uns die Islamisten weismachen. Ich vermute in jeder ägyptischen Familie einen Atheisten oder zumindest einen islamkritischen Menschen, der nur aus Angst vor seiner Umgebung schweigt«, sagt Momen.

Eine Begegnung mit Islamisten in einer Moschee in Altkairo Mitte Februar 2013 war für ihn ein Schlüsselerlebnis. Ein Gelehrter der Muslimbrüder hatte zu einem Vortrag geladen. Das Thema: »Wie denkt ein Atheist?«

Momen und drei seiner Freunde nahmen in der überfüllten Moschee Platz. Achtzig Minuten lang, so berichtet Momen, habe der Scheich sinnloses Zeug über den Atheismus und die Evolutionstheorie erzählt. Als im Anschluss die Diskussion eröffnet wurde, stellte Momen fest, dass die Mehrheit der Anwesenden Atheisten waren, die über soziale Netzwerke von dem Vortrag erfahren hatten. Auch Frauen, die Kopftücher trugen, hätten keine Hemmungen gehabt, sich als Atheistinnen zu bezeichnen. Die meisten der Anwesenden waren gebildete Ex-Muslime, die den Vortragenden wegen seiner falschen Theorien regelrecht vorführten.

»Wir haben die Gläubigen in ihrem Zuhause besiegt«, sagt Momen stolz.

Der Verlauf dieses Abends bestärkte ihn darin, eine weitere Bewegung zu gründen, mit der er noch mehr Ägypter erreichen wollte. »Die Säkularen« sind inzwischen in Kairo, Alexandria und drei weiteren ägyptischen Provinzen aktiv. Dort organisieren sie Diskussionsveranstaltungen, um über die Prinzipien des Säkularismus aufzuklären. Denn der Begriff hat – fast so sehr wie »Atheismus« – für viele Muslime einen negativen Beigeschmack.

Eigentlich hatte Momen nicht vor, seinen Atheismus politisch zu thematisieren. »Aber wenn der Glaube politisch ist, ist mein Nichtglaube automatisch auch politisch. Solange Ungläubige verfolgt werden, solange die Religion sich in die privaten Angelegenheiten der Menschen einmischt, kann meine Abwendung von der Religion keine Privatsache bleiben«, sagt er.

Höchst politisch wird es an jenem Abend, als Momen mich zu einem Vortrag einlädt. Ich ergreife das Wort zum Thema religiöser Faschismus. »Die faschistoiden Züge des Islam sind nicht erst mit dem Aufstieg der Muslimbrüder entstanden, sondern in der Urgeschichte des Islam begründet«, lautet meine zentrale These. Das Video der Veranstaltung verbreitete sich rasch im Internet. Einige Tage später ruft der Anführer der Terrorbewegung al-Dschamaa al-Islamiyya, Assem Abdel-Maged, nicht nur zu meiner Ermordung auf, sondern droht auch Momen, der während des Vortrags neben mir gesessen hatte. Wie es weiterging, habe ich ja bereits im Vorwort erzählt.

Der Vortrag und die ganze unsägliche Affäre, die er auslöste, haben auch den Säkularen um Momen viel Kritik und Drohungen eingebracht, aber auch viele tausend neue Anhänger. »Im Kampf gegen den Islamismus haben viele von uns anfangs gezögert, aufs Ganze zu gehen. Sie verharrten am Rand des Schlachtfelds und hatten Angst, sich am Kampf zu beteiligen. Dieser Vortrag hat uns gezwungen, zu offenbaren, was wir wirklich denken«, sagt Momen.

Ich bin wie er der Meinung, dass Säkularismus in Ägypten mehr als nur eine Option ist. Er ist eine Bestimmung. Unklar ist nur, zu welchem Preis. Blut, würde die Geschichte sagen. Viel Blut. Die Islamisten haben sowohl eine pragmatische als auch eine selbstmörderische Tendenz. Es ist nicht abzusehen, welche der beiden am Ende die Oberhand behalten wird. In beiden Fällen werden die Radikalen auf lange Sicht verlieren, weil sie den Menschen nur leere Versprechen machen können.