Ayatollah bedeutet »Wunder« oder auch »Zeichen Gottes«. Im Jahr 1943 war der Mann, um den es im Folgenden gehen wird, allerdings noch kein Ayatollah, er hieß schlicht Mullah Ruhollah Musawi. Doch schon in jenem Jahr veröffentlichte er eine Art politisches Manifest, in dem er seine Vorstellungen von einem Gottesstaat niederschrieb. Die Schrift hieß kashf al-asrar, was auf Arabisch »Die Enthüllung der Geheimnisse« bedeutet.
Darin schreibt Musawi: »Die islamische Regierung ist die Regierung des göttlichen Rechts, und ihre Gesetze können weder geändert noch angefochten werden.« Drei Jahre später gründete er eine Gruppe namens Fedajin-e Islam, was so viel bedeutet wie »Die, die sich für den Islam opfern«. Die Gruppe aus Theologiestudenten sollte die iranische Gesellschaft darauf vorbereiten, eines Tages die Gesetze der Scharia anzunehmen. Und sie sollten die Ideologie des Dschihad und des Märtyrertums verbreiten.
1963 hieß der Mullah dann schon Ayatollah Khomeini und leistete als bedeutender Geistlicher in der Stadt Ghom massiven Widerstand gegen die Weiße Revolution, mit der das Land reformiert werden und auch die Frauenrechte verankert werden sollten. Khomeini sah in diesen Reformen einen klaren Verstoß gegen die Gesetze des Islam. Er ärgerte sich besonders über ein neues Gesetz, das die Verheiratung minderjähriger Mädchen verbot – das sei ein klarer Eingriff in das islamische Familienrecht.
Die Reformpläne waren sehr fortschrittlich und sozial und umfassten unter anderem die folgenen Punkte:
Abschaffung des Feudalsystems und Verteilung des Ackerlandes von Großgrundbesitzern an Bauern
Verstaatlichung aller Wälder und Weideflächen
Privatisierung staatlicher Industrieunternehmen zur Finanzierung der Entschädigungszahlungen an die Großgrundbesitzer
Gewinnbeteiligung für Arbeiter und Angestellte von Unternehmen
Allgemeines aktives und passives Wahlrecht für Frauen
Bekämpfung des Analphabetentums durch den Aufbau eines Hilfslehrerkorps.
1963 wurden die Reformen durch ein Referendum vom Volk angenommen.
Zwei Jahre später löste Asadollah Alam Ali Amini als Premierminister ab. Alam entstammte einer Bahai-Familie. Theologisch betrachtet, gelten die Bahai im orthodoxen Islam als Abtrünnige. Sie betrachten Mohamed entgegen der Auffassung des islamischen Klerus nicht als den letzten Propheten. Im Iran sind sie auch heute noch – anders als Christen und Juden – nicht als geschützte religiöse Minderheit anerkannt. Khomeini sah in der Ernennung Alams zum Regierungschef eine Gefahr für die muslimische Identität des Landes. Denn er vertrat die Ansicht, dass ein Muslim unter keinen Umständen unter der Herrschaft eines Nichtmuslims leben dürfe. Abtrünnige wie die Bahai hatten den gleichen Stellenwert wie andere Ungläubige. Khomeini sah in der Regentschaft des Geistlichen, velayat-e faqih, die Rettung der islamischen Welt. In einer Brandrede in Ghom rief er die Iraner zum Aufstand gegen den Schah und seine Regierung auf: »Erhebt euch zu Revolution, Dschihad und Reform, denn wir wollen nicht unter der Herrschaft der Verbrecher leben. Wir haben es verdient, dem Vorbild unseres Propheten und unserer Imame zu folgen, auf dass sie unsere Fürsprecher am Tage des Gerichts sein mögen.«[6]
Nach dieser Rede wurde er zunächst festgenommen, später erst ins türkische, dann ins irakische Exil geschickt, wo er 1970 sein zweites und wichtigstes Manifest niederschrieb: das Buch Hokumat-e islam (»Der islamische Staat«), in dem er das Konzept von velayat-e faqih und die Regeln und Eckpfeiler des Gottesstaates festlegte.
Viele linke Oppositionelle waren von Khomeinis revolutionärem Geist begeistert, obwohl seine antidemokratischen und antimenschlichen Konzepte eindeutig waren. Das lag daran, dass Khomeini extrem antiwestlich eingestellt war und die Re-Verstaatlichung der iranischen Erdölförderung forderte. Nicht einmal seine Ansichten über das islamische Recht schienen die Linken damals zu ängstigen. In seinem Buch »Der islamische Staat« sagt er über die Scharia: »Die Behauptung, dass man die Gesetze des Islam außer Kraft setzen kann oder dass sie an Zeit und Raum gebunden sind, widerspricht dem islamischen Geist. Daher ist die Anwendung der Gesetze nach dem erhabenen Propheten eine ewige Pflicht. Waren die Gesetze, deren Verbreitung und Durchsetzung den Propheten 23 Jahre harte Arbeit kostete, nur für eine begrenzte Zeit gedacht? Hat Gott die Zeit der Anwendung seiner Gesetze auf zweihundert Jahre beschränkt?«[7]
Khomeini lehnte das Prinzip der Volkssouveränität klar ab und betonte, dass die Souveränität nur von Gott ausgehen könne und dass die Gesetze dazu dienten, Gottes Willen auf Erden zu vollstrecken.
Vier Jahre zuvor, 1966, hatte der junge Mullah Ali Khamenei (er führte nach dem Tod Khomeinis im Jahr 1989 das Mullah-Regime an), ein Buch aus dem Arabischen übersetzt. Es trug den Titel »Die Zukunft dieser Religion«, der Verfasser war Sayyid Qutb, der Vordenker der Muslimbruderschaft in Ägypten. In diesem Buch finden sich einige der Gedanken, die Khomeini später aufgriff, wie Hakimiyyatullah, die Herrschaft Gottes auf Erden. Qutb hatte ebenfalls eine islamische Revolution gefordert, die die islamischen Gesellschaften in die glorreiche Zeit des Propheten zurückführen und sie von allem, was unislamisch ist, säubern sollte.
Trotz der gravierenden theologischen Unterschiede zwischen den schiitischen Mullahs und der sunnitischen Muslimbruderschaft verbreitete sich Qutbs Buch im Iran mit rasender Geschwindigkeit. Khomeini las die Schriften Qutbs (im Original, er sprach fließend Arabisch) und war begeistert von dessen revolutionären Gedanken.
Es ist doch bemerkenswert, dass die Unterschiede zwischen Schia und Sunna so minimal sind, wenn es um Staatsform und Gesetzlichkeit des Koran geht. Zwar hat die Schia einen Klerus und die Sunna nicht, doch die faschistoide Vorstellung eines totalitären islamischen Staates teilen beide ohne Widerspruch: Gott ist der Gesetzgeber, seine Gesetze haben ewige Gültigkeit, sie sind unveränderbar und unverhandelbar. Wer dagegen ist, ist ungläubig und muss beseitigt werden.
Im Jahr 1978 nahmen die Proteste gegen den Schah zu. Nach einer Fatwa des Ayatollah Khomeini gegen westliche Filme wurden 25 Kinos in ganz Iran in die Luft gejagt. Allein in der Stadt Abadan starben bei einem Anschlag über 400 Kinobesucher. Khomeini suchte aus dem Pariser Exil den Schulterschluss mit den Linken und den Bürgerlichen. Die Proteste wurden intensiviert, bis der Schah im Januar 1979 das Land verließ. Der säkulare Mehdi Bazargan wurde Übergangs-Premierminister, um die Neutralität der Armee und des Westens zu garantieren.
Am 1. Februar kehrte Khomeini in den Iran zurück und sprach von »Freiheit für alle Iraner«. Im April lud er zu einem Referendum ein, das den Iran in eine islamische Republik umwandeln soll. Die Mehrheit der Iraner, darunter Linke und Bürgerliche, stimmte mit »ja«, als hätte niemand Khomeinis Buch »Der islamische Staat« gelesen. Nach dem Referendum bestimmte allein er, wie diese islamische Republik Iran aussehen sollte. Linke und Liberale, die bei der Revolution gegen den Schah eine weitaus aktivere Rolle als die Islamisten gespielt hatten und damit letztlich Khomeinis Rückkehr überhaupt erst ermöglicht hatten, wurden hingerichtet oder ins Exil geschickt, sofern sie die Richtlinien des islamischen Regimes nicht akzeptierten. Allein in den ersten zwei Jahren nach der Revolution wurden 12000 Menschen hingerichtet. Millionen Iraner gingen ins Exil, darunter ein Großteil der Bildungselite des Landes. 35 Jahre nach der Revolution hat die Zahl der Ermordeten die Hunderttausendergrenze deutlich überschritten.
Nach dem Vorbild der SA beziehungsweise der SS wurden Milizen gebildet, die neben Armee und Geheimdienst die Bevölkerung einschüchtern sollten. Die Sepah-e Pasdaran, die Organisation der Revolutionswächter, wurde bereits im Mai 1979 gegründet. Kurz danach folgte die Bassidsch-Miliz, die wie einst Hitlers Schlägerbanden auf der Straße jeden züchtigten, der es wagte, das Regime zu kritisieren. Sepah und Bassidsch können, was ihre Struktur und ihre Funktion angeht, mit der Waffen-SS verglichen werden. Denn beide Trupps entwickelten sich während des Krieges mit dem Irak zu Parallelarmeen, wie der Politologe Behrouz Khosrozadeh in einem am 27. November 2009 veröffentlichten Artikel auf heise.de feststellte. Heute hat die Sepah laut Khosrozadeh 130000 Mitglieder und verfügt über ein größeres Budget als die reguläre iranische Armee Artesh. Wie einst bei der SS werden Sepah-Mitglieder nach ihrer Weltanschauung und Loyalität zum Führer ausgesucht und müssen sich strengeren körperlichen und psychischen Übungen unterziehen als die normalen Soldaten. Die Sepah-Mannschaften haben eigene Gefängnisse, wo an der Justiz vorbei Gefangene festgehalten und gefoltert werden. Die Brutalität der Sepah- und Bassidsch-Milizen gegen die Zivilbevölkerung wurde während der Grünen Revolution 2009 deutlich, als mehrere tausend Menschen verhaftet, gefoltert und vergewaltigt wurden, nur weil sie friedlich gegen Ahmadinedschad demonstriert hatten.
Eine weitere Parallele zum Nationalsozialismus ist der aggressive Antisemitismus im Iran, der auf den ersten Blick unerklärlich erscheint. Denn der Iran hat weder gemeinsame Grenzen, noch einen territorialen Konflikt mit Israel. Schon seit über 2500 Jahren leben Juden in Persien. Im Unterschied zu anderen Teilen der arabischen Welt hat der Iran keine koloniale Demütigung erlebt und auch keine Kriege gegen den Westen oder Israel verloren. Der Antisemitismus im Iran speist sich aus drei anderen Quellen: Der Iran war seit den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts politisch und wirtschaftlich eng mit Deutschland verbunden. 80 Prozent der Maschinen, die die Industrialisierung im Iran vorangetrieben haben, kamen aus Deutschland. Aber nicht nur die Maschinen wurden aus Deutschland importiert, sondern auch die NS-Ideologie, die via Radio während des Zweiten Weltkriegs auf Persisch im Iran verbreitet wurde. Die Nazis hatten in Zeesen bei Berlin einen eigenen Sender eingerichtet, von dem aus ihre Propaganda auf Persisch, Arabisch, Türkisch und Hindi in die islamische Welt gesandt wurde. Der Politikwissenschaftler Matthias Küntzel legt in einem Artikel[8] in der Zeitschrift Tribüne dar, dass in Teheran die Männer regelmäßig in Teehäusern zusammengekommen seien, um dem beliebten deutschen Sender zu lauschen. Für Deutschland wiederum war der Iran wegen seines Rohstoffreichtums wichtig. Und auch die Tatsache, dass die Perser anders als die Araber keine Semiten sind, machte eine Annäherung reizvoll. Die Perser sehen sich als »indogermanische Arier« und erfüllten insofern die »Rassenvorgaben« weitgehend. Im Zweiten Weltkrieg drückte die Mehrheit der Iraner einschließlich der Mullahs Deutschland die Daumen.
Die zweite Quelle für die antijüdische Stimmung im Iran waren die Schriften von Sayyid Qutb, der den Kampf der Muslime gegen die Juden als göttliche Bestimmung sah, die mit dem Propheten Mohamed begonnen hat und erst mit dem Ende der Welt aufhören wird.
Die dritte und wichtigste Quelle war aber die Hauptschrift des Islam, der Koran, in dem die Juden in einigen Passagen als Verräter und Nachfahren von Affen beschrieben werden.
Schon im ersten Jahr der islamischen Revolution rief Ayatollah Khomeini den al-Quds-Tag aus, um seine Solidarität mit den Palästinensern kundzutun. Am zweiten al-Quds-Tag 1980 sagt er: »Israel, diese Quelle des Übels, ist von jeher ein Stützpunkt Amerikas. Seit über zwanzig Jahren warne ich vor der israelischen Gefahr. Wir müssen uns alle erheben, den Staat Israel auflösen und das Volk Palästinas an seine Stelle setzen.« Nichtsdestotrotz soll es zu israelischen Waffenlieferungen an den Iran während des Krieges mit dem Irak gekommen sein.
Andere Ayatollahs und spätere iranische Staatschefs waren noch deutlicher in ihrem Judenhass. Der schlimmste von allen war Ahmadinedschad, der den Holocaust leugnete und Israel als »Krebsgeschwür« bezeichnete, das bald von der Weltkarte verschwinden müsse. Der jetzige Präsident Rohani schlägt andere Töne an. Den Holocaust nennt er ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das über die Juden und viele andere Menschen viel Leid gebracht habe.