Zionismus, Islamismus und arabischer Nationalismus

Ende des 19. Jahrhunderts erfasste die Welle des zunehmenden Nationalismus auch die arabische Welt. Dort brachte sie zwei Bewegungen hervor, die später zu Erzfeinden wurden und das Schicksal des Nahen Ostens über hundert Jahre hinweg bis heute wesentlich mitgeprägt haben: der Zionismus und der Panarabismus. Beide Bewegungen entsprangen einem Gefühl der Unterdrückung, beide waren nationalistisch geprägt, beide hatten das gleiche Ziel. Man wollte sich von etwas befreien.

Die jüdisch-nationalistische Bewegung wollte dem zunehmenden Antisemitismus in Europa entkommen und einen freien Nationalstaat für alle Juden gründen. Die arabischen Nationalisten wollten die europäische Kolonialherrschaft abschütteln und einen Staat für alle Araber ins Leben rufen – nach dem Vorbild der 1871 unter Bismarck erfolgten Gründung des Deutschen Reiches. Es dauerte nicht lange, bis der moderne Islamismus die Bühne betrat und forderte, dieser Staat für alle Muslime solle nach den Gesetzen der Scharia regiert werden.

Der Nahe Osten sollte zum Schlachtfeld werden, auf dem diese beiden Bewegungen aufeinanderprallten.

Es hätte ein Heimspiel für die Araber werden sollen, das sie aber auf – in ihren Augen – demütigende Art und Weise verloren. Immer und immer wieder. Zum ersten Mal in der Geschichte standen ihnen die Juden nicht nur als ebenbürtige, sondern sogar als überlegene Kontrahenten gegenüber. Ein Schock, eine Wunde, die bis heute schwärt.

Schon vor der Gründung Israels waren die Araber von der Organisation und Effektivität der Zionisten gleichermaßen beeindruckt und gekränkt. Interessant ist die Frage, weshalb es den Zionisten, die zunächst außerhalb des Nahen Ostens agierten und sich damit in einer vermeintlich schlechteren Ausgangslage befanden, gelang, einen funktionierenden demokratischen Staat zu errichten, während das parallel gestartete Experiment der Araber scheiterte.

Nun, der arabische Nationalismus baute auf Mythen und Personenkult auf, der Zionismus dagegen verfolgte als Bewegung mehrere Strategien parallel. Der zionistische Gedanke wurde sowohl in den Schriften orthodoxer Juden wie Nathan Birnbaum als auch säkularer Denker wie Theodor Herzl entwickelt. An zionistischen Kongressen beteiligten sich Journalisten und Rechtsanwälte, Studenten und etablierte Köpfe, Männer und Frauen, was die Vielfalt des zu gründenden Staates von Anfang an betonte. In Ägypten, Syrien, der Türkei und auch in Iran bestimmten dagegen nur Männer, die meist im Westen studiert hatten, im Stile eines erleuchteten Führers den nationalistischen Diskurs.

Die jüdisch-nationalistische Bewegung agierte auf zwei Ebenen. Zum einen auf der Ebene des politischen Zionismus, der durch Verhandlungen mit Politikern der Großmächte die zionistische Idee auf die internationale politische Tagesordnung setzte. Nicht nur Österreich-Ungarn, Deutschland, Frankreich und Großbritannien wollte man vom Recht der Juden auf einen Nationalstaat überzeugen, sondern auch das Osmanische Reich. Herzl besuchte sogar den osmanischen Kalifen in Istanbul, um ihn zu überreden, den Juden ein Stück Land in Palästina zur Verfügung zu stellen. Zum anderen gab es den praktischen Zionismus, der die Auswanderung der Juden nach Palästina organisierte und Kibbuze gründete, in denen sozialistische Ideen in die Tat umgesetzt werden sollten. Ferner existierte als vitale Strömung ein kultureller Zionismus, der dafür sorgte, dass nicht nur die jüdischen Traditionen nach Palästina importiert wurden, sondern auch die Gedanken der Aufklärung.

In Palästina kamen alle zusammen – Intellektuelle, Bauern, Arbeiter und Guerillakämpfer. Als Ben Gurion im Mai 1948 den Staat Israel ausrief, ordneten sich alle der Staatsgewalt unter. Bereits vor der Gründung des Staates hatte Ben Gurion ein Schiff im Meer versenken lassen, mit dem Untergrundkämpfer Waffen ins Land zu schmuggeln versucht hatten. Trotz zahlreicher Konflikte und einer permanenten Bedrohung durch die arabischen Nachbarn entschied man sich für eine demokratische Grundordnung. Es war die erste Demokratie in der Region. Israel schaffte es, zum Melting Pot für alle jüdischen Einwanderer zu werden, die aus allen Ecken der Welt zusammenkamen. Die anfängliche Diskriminierung von orientalischen und afrikanischen Juden wurde im Laufe der Zeit schwächer.

Auf der anderen Seite verlief das Projekt der Vereinigung aller Araber im Sande, da es von Anfang an ohne Konzept war – sieht man einmal vom Kampf gegen Israel ab. Die Existenz Israels wurde zum beständig wiederholten Argument, man müsse aufrüsten und die Macht der arabischen Anführer stärken. »Keine Stimme darf sich über die Stimme der Schlacht erheben«, sagte Präsident Nasser einmal, um kritisch-pazifistische Stimmen in Ägypten zum Schweigen zu bringen. Die Herrscher wurden zu unantastbaren Despoten, unterdrückten Minderheiten und Gegner ihrer Politik und verhinderten jede gesellschaftliche Dynamik. Ein perfekter Nährboden für islamistischen Fundamentalismus und Antisemitismus, der keineswegs ein neues Phänomen ist. Wenn man den Bogen von Abraham zur Gegenwart schlägt, wird offensichtlich, dass es sich um eine »genuin islamische Krankheit« handelt, wie der tunesich-französische Historiker Abdel-Wahab Meddeb das formuliert.