Hisbollah und Hamas

Inspiriert von der islamischen Revolution 1979 im Iran, importierten schiitische Geistliche wie Mohamed Hussein Fadlallah das Prinzip des velayat-e faqih, also die Herrschaft der Geistlichkeit, in den Libanon. Nach dem Modell der Revolutionären Garden im Iran wurden im Südlibanon schiitische Milizen gebildet, die nach dem israelischen Einmarsch ihre militärischen Einflussgebiete ausbauten. Dies erfolgte nach einer Fatwa des Ayatollah Khomeini, die der Hisbollah erlaubte, in den libanesischen Bürgerkrieg einzugreifen. Und so, wie Khomeini Selbstmordkommandos für den Krieg gegen den Irak ausbilden ließ, führte die Hisbollah die ersten »erfolgreichen« muslimischen Selbstmordanschläge gegen westliche Einrichtungen durch. Am 23. Oktober 1983 wurden zwei mit Sprengstoff beladene Lkws von Hisbollah-Selbstmordattentätern in den amerikanischen Stützpunkt in Beirut gelenkt, der nach dem Ausbruch des Bürgerkriegs 1982 errichtet worden war. Die Lkws explodierten, zerstörten das Gebäude vollständig, 305 Menschen kamen ums Leben, darunter 241 US-Marines, 58 französische Fallschirmjäger und sechs Zivilisten.

Der Anschlag inspirierte Islamisten weltweit, nicht nur wegen seiner gewaltigen Zerstörungskraft, sondern weil sich die USA danach aus dem Libanon zurückzogen. Das war letztlich auch ein Erfolg des Mullah-Regimes im Iran, das Amerika als »großen Satan« bezeichnete. Nach diesem Anschlag wurde Hisbollah in der arabischen Welt als der »Bezwinger von Amerika« berühmt.

Wenige Jahre später trat in den besetzten palästinensischen Gebieten die Hamas in Erscheinung. Sie übernahm nicht nur die faschistoide Ideologie und die Strukturen von Hisbollah, sondern auch ihre Taktik: Selbstmordanschläge als Mittel der Politik. Dieses Konzept machte überall in der islamischen Welt Schule. Busse in Tel Aviv, die U-Bahn in London, Touristen in Luxor und Scharm El-Scheich, eine Bar auf Bali, westliche Botschaften in Kenia und Tansania, ein jüdischer Tempel im tunesischen Djerba, das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington: Alle wurden zu Zielen von Selbstmordanschlägen, die das Hasspotenzial und die Zerstörungskraft des Islamismus belegen. Dazu kommen Tausende von Anschlägen im Irak, in Afghanistan, Pakistan, Marokko und Ägypten, denen Muslime selbst zum Opfer fielen.

 

Der Einfluss des Iran auf die Hisbollah ist enorm. Die Bewegung ist in ihrer Finanzierung und Aufrüstung hauptsächlich auf den Iran angewiesen. Ayatollah Ali Khamenei gilt als geistliches Oberhaupt von Hisbollah, Hassan Nasrallah fungiert als Generalsekretär des politischen Arms. Der Name der Partei bedeutet auf Arabisch »Partei Gottes«. Seit 1992 ist die Partei mit mehreren Abgeordneten im libanesischen Parlament vertreten.

Die Hisbollah genießt nicht nur bei den schiitischen Gruppen im Libanon hohes Ansehen, auch außerhalb des Landes sind die Sympathien groß, nicht zuletzt dank des Satelliten-TV-Senders Al-Manar, der seine Propaganda mittlerweile weltweit ausstrahlt. Das Ansehen von Hisbollah in der arabischen Welt nahm noch einmal deutlich zu, als es 2000 und 2006 zu einer militärischen Auseinandersetzung des Libanon mit Israel kam. Den Rückzug der israelischen Truppen aus dem Süden Libanons verkaufte die Hisbollah als großen Sieg und gerierte sich zum Hauptgaranten für die Verteidigung des Libanon.

Einige dieser Sympathien verspielte die Hisbollah allerdings 2008 wieder, als die Schwarzhemd-Milizen der Bewegung zum ersten Mal in Down Town Beirut aufmarschierten und damit drohten, die ganze Stadt zu besetzen. Anlass für diesen radikalen Schritt war eine Maßnahme gewesen, die der Hisbollah den Besitz eines eigenen Telekommunikationsnetzwerks untersagte. Die konfliktmüden Libanesen bestraften die Hisbollah bei den nächsten Wahlen mit deutlichen Stimmverlusten.

Ich war verabredet mit einem Hisbollah-Funktionär, doch am gleichen Tag sagte mir ein anderer Interviewpartner kurzfristig zu, der mir wichtiger erschien. Außerdem glaubte ich ziemlich genau zu wissen, was mir ein Hisbollah-Mann über den Islam, den Dschihad und den ehrenhaften Widerstand sagen würde. Ich verfolge schließlich seit Jahren aufmerksam die Sendungen von Al-Manar, jenem TV-Kanal, über den solche Funktionäre mehrmals täglich ihre immer gleichen Botschaften verbreiten. Die Begegnung mit dem schiitischen Theologen Hani Fahs schien mir dagegen sehr bereichernd. Denn seine Thesen sind verblüffend und überraschend. Fahs ist eine der wichtigsten und umstrittensten schiitischen Stimmen im Libanon. Als junger Mullah war er mit Jassir Arafat befreundet, als der noch mit seiner PLO in Beirut angesiedelt war. Heute sagt Fahs über Arafat: »Er war ein großer Narzisst, der immer einen Fehler mit einem noch größeren Fehler korrigieren wollte.« Den ersten Brief, den Arafat an Ayatollah Khomeini schickte, hat Hani Fahs verfasst; er feilte an Arafats Formulierungen und übergab Khomeini den Brief persönlich in der Stadt Nadschaf, in Khomeinis irakischem Exil. Hani Fahs hat Khomeini 1978 auch in Paris besucht und war ihm nach der islamischen Revolution nach Teheran gefolgt. Doch aus ihm ist kein islamischer Che Guevara geworden. Er wollte keine Karriere im Mullah-Staat machen und verließ den Iran nach einigen Jahren enttäuscht. Er sah, wie die Revolution nicht nur die eigenen Kinder, sondern das ganze Land zu fressen begann.

Fahs sitzt entspannt in seinem großen Wohnzimmer in einer Wohnung in Südbeirut, hinter ihm an der Wand hängen mehrere Bilder, die ihn mit Khomeini, Arafat und weiteren Politikern des Nahen Ostens zeigen. Ein Bild von Mahmud Ahmadinedschad ist auch darunter: der Ex-Präsident umarmt die trauernde Mutter des verstorbenen venezuelanischen Präsidenten Hugo Chavez. Fahs bemerkt, dass ich an diesem Bild hängenbleibe. »Ahmadinedschad ist der beste Beweis für das grandiose Scheitern der islamischen Revolution. Und dieses Bild ist der beste Beweis dafür, dass etwas nicht in Ordnung ist im Mullah-Regime. Denn das Land bestraft Frauen, wenn ihre Kopfbedeckung verrutscht, während das Staatsoberhaupt eine Frau ohne Kopftuch umarmt«, sagt er lächelnd. »Dieses Bild ist eigentlich schön, aber dieser Idiot macht es kaputt«, sagt er, auf Ahmadinedschad deutend.

Fahs’ Haltung zu Hisbollah ist ebenfalls eindeutig: »Hisbollah hat den Faschismus sogar übertroffen. Die Ideologie, die Struktur – alles faschistisch. Aber was die Partei gerade in Syrien betreibt, ist Faschismus, der noch in der Pubertät steckt. Hisbollah lässt sich zum bezahlten Profikiller des Assad-Regimes machen. Jede Partei, die sich auf Basis der Religion aufbaut, wird despotisch. Hisbollah begeht aber eine weitere Sünde. Sie macht sich von zwei weiteren Diktaturen abhängig: Iran und Syrien. Und so schadet sie sich nicht nur selbst, sondern auch dem Libanon sehr«, sagt er, als säßen wir in einem Café in Berlin, nicht mitten in der Hochburg der Hisbollah.

Ich frage ihn, ob die islamische Revolution im Iran auch eine faschistische war. Auch da wird er mehr als deutlich: »Jede Revolution trägt am Anfang faschistoide Züge, das ist vielleicht unvermeidbar. Doch eine Revolution, die sich auf Gott beruft und behauptet, den Willen Gottes zu vollenden, geht noch einen Schritt weiter. Denn aus Mördern werden plötzlich Männer Gottes, aus Oppositionellen werden Feinde Gottes. Hinrichtungen werden zu alltäglichen religiösen Ritualen. Dagegen hast du keine Chance!«

Der Iran habe die eigene Gesellschaft in Geiselhaft genommen. Das sei gelungen, weil man zunächst den Krieg gegen den Irak und dann den ideologischen Krieg gegen den Westen instrumentalisiert habe, um den Zusammenhalt der Gesellschaft zu festigen. »Auch das ist Faschismus«, so Fahs. Der Rechtsgelehrte glaubt, dass das strikte Festhalten an religiöser Gesetzlichkeit und der Idee der Herrschaft Gottes auf Erden die Gesellschaften der islamischen Welt lähmt und sie seelenlos macht. Egal, ob diese Gesellschaften von Schiiten oder Sunniten geführt würden.