Bei genauerer Betrachtung erweist sich die Angst als das, was unser emotionales Ich zusammenhält. Warum haben wir so viel Angst? Weil wir eine so beschränkte Vorstellung von uns selbst haben und uns als isolierten Einzelkämpfer sehen, als jemanden, der gekränkt und geschädigt werden kann, dem man zu nahe treten kann.
Wir müssen durch eigene Nachforschungen darauf kommen, dass dieses Ich-Gefühl, das uns als vereinzeltes Wesen beschreibt, falsch ist. Es entspricht nicht der Wahrheit. Es ist eine Unwahrheit, die wir uns selbst erzählen. Und diese Sicht der Dinge – dass ich wirklich die Person bin, für die ich mich halte – gibt mich der Angst preis. Die Person, für die wir uns halten, bildet sich ein, sie könne jeden Moment verletzt werden, und sieht das Leben als etwas sehr Gefährliches. Da muss nur jemand daherkommen und etwas Unfreundliches sagen, schon sieht sich dieses bloß eingebildete Ich in Konflikte gestürzt und leidet. Wir sind verunsichert, weil unser Ich-Gefühl so leicht zu beschädigen ist.
Dass wir uns für ein gesondertes Ich halten, liegt an einem speziellen Mix von Gedanken und Gefühlen. Die meisten unserer Gefühlsregungen leiten sich von unseren Gedanken ab. Unser Körper ist eigentlich ein Kopiergerät für das, was wir denken. Körper und Geist sind so eng miteinander verbunden wie die beiden Seiten einer Münze. Wir fühlen, was wir denken. Eine Gefühlsregung ist eigentlich der Ausdruck eines Gedankens, doch dieser Gedanke ist oft nicht bewusst. Das ist das Erstaunliche an unserem inneren Schaltplan: Unser Gefühlszentrum, das Herz, übersetzt Gedanken in Gefühle, in sehr reale und lebendige Empfindungen.
Wenn ich von der Ebene des Geistes und der des Herzens spreche, könnte man meinen, es sei von verschiedenen Dingen die Rede. Es sind aber eigentlich zwei Aspekte desselben.
Wenn wir geistig und seelisch von unseren Fixierungen und Identifikationen erwachen, geht uns auf, dass da niemand ist, der gekränkt und verletzt werden könnte. Nichts und niemand kann vom Leben bedroht werden, denn in Wahrheit sind wir das Leben. Sobald wir sehen, dass wir das Ganze des Lebens sind, fürchten wir es nicht mehr, wir haben keine Angst mehr vor Geburt, Leben und Tod. Aber bis dahin sehen wir das Leben als bedrohlich, als Hinderniskurs, den wir irgendwie überwinden müssen.
Das Erwachen auf der Gefühlsebene befreit unsere angstbedingten Fixierungen. Wir gestatten uns, die Welt tiefer zu empfinden, und wir sehen ganz neue Möglichkeiten. Der emotionale Körper rings um sein Zentrum, das Herz, ist von unglaublicher Sensibilität. Er ist das Sinnesorgan des Unmanifestierten. Das Unmanifestierte spürt, erlebt und erkennt sich selbst durch das Herz – aber ganz anders, als sich das kleine Ich über Gefühle und Empfindungen findet und spürt. Je wacher wir werden, desto deutlicher erleben wir das Ganze von Körper und Geist als das »Sinnesorgan« des absoluten Einen, des universalen Ichs.
Man könnte sagen, dass der emotionale Körper umso wacher wird, je mehr wir von unseren Emotionen erwachen. Er wird umso offener, je weniger widerstreitende Gefühlsregungen wir in uns haben. Es liegt daran, dass wir dann immer weniger zu beschützen haben, weil uns aufgeht, dass die Gedanken und Überzeugungen, die uns in eine emotionale Abwehrhaltung bringen, gegenstandslos sind.
Erwachen bedeutet auf dieser Ebene, dass sich das spirituelle Herz öffnet. Sicher habt ihr schon Christus-Darstellungen gesehen, auf denen er sich in die eigene Brust greift, um dieses wunderbar strahlende Herz zu zeigen. Darin ist dieses Aufgehen des spirituellen Herzens abgebildet. Ein Erwachter ist von höchster emotionaler Präsenz, er braucht keine intellektuelle oder emotionale Abwehr. Das geschieht beim Erwachen auf der Ebene des Herzens: Wir können vollkommen ungeschützt bleiben. Die Schutzlosigkeit bewirkt, dass die Liebe in uns zu ihrem natürlichen Fluss zurückfindet und wir sie als bedingungslose Liebe ausstrahlen.
Die Wirklichkeit macht letzten Endes keine Unterschiede, Realität ist einfach das, was ist. Und das klarste Zeichen des erwachten Herzens ist darin zu sehen, dass es keine Unterschiede macht und alles liebt. Es liebt alles, weil es alles als das erkennt, was es selbst ist. Das ist die Geburt der bedingungslose Liebe. Als diese bedingungslose Liebe bringt sich die Realität durch uns zum Ausdruck, wenn wir erwacht sind. Das erwachte Herz ist der Ort, an dem die Realität sich selbst liebt. Es ist nichts Persönliches. Im erwachten Herzen liebt das Sein als nicht unterscheidender Liebender sich selbst. Alles und alle haben Platz in dieser Liebe, sogar alles und alle, die ihr auf der persönlichen Ebene vielleicht nicht lieben würdet. Das ist wirklich verblüffend, wenn man merkt, dass man sogar die Vorkommnisse und Leute liebt, die man nicht liebt. Man erkennt, dass es auf das Persönliche nicht ankommt. Wenn die Wahrheit geweckt wird, liebt sie alles. Sie liebt die Menschen, die man als Person mag, und sie liebt Menschen, die man als Peron nicht mag. Das erwachte Herz liebt die Welt, wie sie ist, nicht wie sie sein könnte oder sollte. Je weiter wir auf der Ebene des Herzens erwachen, desto mehr wachsen wir in die bedingungslose Liebe hinein – und das ist der Ruf, der an uns ergeht.