Was also tun in dieser Phase der schwankenden Realisation, in der das Wachsein an- und ausgeht, als würde jemand einen Schalter hin und her knipsen und wir hätten keinerlei Einfluss darauf?
Nun, erst einmal sagt ihr euch, dass gar nichts falsch läuft, sondern es sich einfach um den nächsten Abschnitt der Reise handelt. Versucht diesem Dilemma nicht auszuweichen, geht nicht zurück, um euer Erwachen wiederzufinden, damit würdet ihr nur diesem Teil der Reise den Rücken kehren. Sagt euch, dass alles ist, wie es sein soll, dann wird es zwar vielleicht immer noch schmerzliche Unklarheit geben – und dieses Schwanken kann wirklich unangenehm sein –, aber es macht nichts mehr. Gegen unser eigenes Wahrheitsempfinden zu handeln, das wird noch schmerzhafter, wenn wir die Wahrheit einmal klar und deutlich gesehen haben. Vielleicht hat in unserem Handeln vorher schon die Wahrhaftigkeit gefehlt, aber wir wussten es nicht, so sehr waren wir im Traum befangen. Im Traumzustand wissen wir einfach nicht, was wir tun, deshalb sagte Jesus: »Vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.« Wir agieren dann gemäß einer Programmierung. Aber wenn uns der universale Geist einmal die Augen geöffnet hat und wir das wahre Wesen der Dinge erkennen, wissen wir auf einmal, was wir tun. Wir spüren sehr viel deutlicher, wann wir in unserem Tun, Sprechen und Denken wahrhaftig sind und wann nicht. Handeln wir dann trotzdem anders, als es der Wahrhaftigkeit entsprechen würde, verletzen wir uns selbst damit weitaus mehr als in der Zeit, in der wir es noch nicht wussten. Wenn wir dann etwas sagen, was nach unserer eigenen Einsicht einfach nicht stimmt, spalten wir uns damit innerlich in einer Weise, die richtig weh tut.
Nach dem Erwachen steht also mehr auf dem Spiel. Und je wacher wir werden, desto mehr steht auf dem Spiel. Ich habe einmal eine Zeitlang in einem buddhistischen Kloster gelebt. Die Äbtissin des Klosters, eine wunderbare Frau, verglich das Erwachen mit dem Steigen auf einer Leiter. Mit jeder nächsten Sprosse wird die Neigung, nach unten zu blicken, geringer: Man neigt immer weniger zu unwahrhaftigem Handeln, man mag nicht mehr die Unwahrheit sagen. Man spürt, dass die Folgen immer schneller und deutlicher eintreten. Je wacher wir sind, desto deutlicher die Folgen. Schließlich zieht jeder Verstoß gegen unsere Wahrhaftigkeit gewaltige Folgen nach sich, die kleinste Abweichung im Denken, Sprechen oder Handeln wird unerträglich.
Diese Art »Rechenschaft« schwebt uns beim Gedanken an das Erwachen wohl nicht so sehr vor. Wir sehen das Erwachen eher als eine Art Entlassungsschein aus dem Gefängnis. Anfangs haben wir zur spirituellen Freiheit des Erwachens ein etwas unreifes Verhältnis. Wir sehen diese Freiheit als etwas Persönliches, wir stellen uns vor, dass wir uns darin nur noch unwahrscheinlich frei und gut fühlen werden. Aber Freiheit besitzt weitaus mehr Facetten. Freiheit ist nichts Persönliches, nichts, was wir uns verschaffen könnten.
Mit wachsender Bewusstheit erkennen wir, dass alles seine Folgen hat. Und diese Folgen werden umso größer, je mehr unser Handeln gegen das verstößt, was wir selbst als wahr erkannt haben. Und das ist eine wunderbare Sache. Ich bezeichne es als »brennende Gnade«. Das ist keine milde Gnade, die einfach nur wohltut – aber es ist doch Gnade. Wir wissen, dass wir uns nur selbst weh tun, wenn wir anders als wahrhaftig handeln. Das zu wissen ist eine Gnade.
Die Wirklichkeit stimmt immer mit sich selbst überein, und wer mit ihr im Einklang bleibt, ist glücklich. Sobald wir aus diesem Einklang herausfallen, wird es unangenehm. Das ist das Gesetz des Universums, es beschreibt, wie die Dinge liegen. Niemand entgeht diesem Gesetz. Und ich empfinde es als Gnade, das zu wissen. Die Wirklichkeit ist sich selbst treu, sie ist verlässlich immer die Wirklichkeit. Widersetze dich ihr, und es wird weh tun, immer wieder. Es tut euch selbst weh, es tut anderen weh, es schürt die bestehende allgemeine Konfliktbereitschaft.
Diese Bedingungslosigkeit hat auch ihre schöne Seite. Sie unterstützt uns darin, uns immer tiefer auf unser wahres Wesen auszurichten. Sie macht uns klar, wie sehr wir uns schaden, wenn wir nicht von unserem wahren Wesen her handeln – und nicht nur uns selbst, sondern auch anderen und der Welt. Und je klarer wir das erkennen, desto eher fangen wir uns wieder, wenn wir einmal vom Kurs abkommen.