Das Geschenk der Freiheit

Ein echtes Erwachen ist das Geschenk der Freiheit an die ganze Welt. Wenn wir erwacht sind, machen wir dieses Geschenk. »Ich bin frei« genügt uns nicht mehr. »Alles ist frei« lautet jetzt die Devise. Alle Menschen haben die Freiheit, genau so zu sein, wie sie sind, gleich ob sie wach oder nicht wach, verblendet oder nicht verblendet sind.

Freiheit liegt in der unmittelbaren Erkenntnis, dass alle Dinge und Wesen so gemeint sind, wie sie sind. Solange wir da noch nicht sind und nicht sehen, dass es nur so sein kann, gehören wir noch zu denen, die der Welt ihre Freiheit vorenthalten möchten. Dann sehen wir Freiheit als persönlichen Besitz und sind nur an uns selbst interessiert. Wie gut kann es mir gehen? Wie frei kann ich mich fühlen? Wahre Freiheit ist ein Geschenk an alles und alle.

Nach seinem Erwachen sagte der Buddha: »Ich und alle Wesen überall haben alle zugleich die Befreiung erlangt.« Das kann der gewöhnliche Verstand natürlich überhaupt nicht nachvollziehen. Folglich wird manch einer sagen: »Wenn alle erwacht sind, weshalb bin ich dann nicht wach? Wenn es stimmt, was der Buddha sagt, dass alle Welt mit ihm erwachte, weshalb bin ich dann nicht erwacht?« Dem gewöhnlichen Verstand kann man die Worte des Buddha eigentlich nicht erklären. Der Buddha gab zu verstehen, dass nicht er als diese bestimmte Person erwacht war, sondern die Gesamtheit des Seins. Das Erwachen des Ganzen fand Ausdruck im Erwachen des Buddha.

Gestehen wir der ganzen Welt ihr Erwachen zu. Dazu gehört, dass wir der Welt ihre Freiheit zugestehen – jeder soll die Freiheit haben, so zu sein, wie er ist. Solange die Welt in deinen Augen nicht die Freiheit besitzt, dir zuzustimmen oder zu widersprechen, solange du nicht jedem die Freiheit einräumen kannst, dich zu mögen oder nicht zu mögen, dich zu lieben oder zu hassen, die Dinge wie du zu sehen oder anders, solange du nicht die ganze Welt in die Freiheit entlässt, kannst du selbst auch keine Freiheit haben.

Das ist ein sehr wichtiger Aspekt des Erwachens und leicht zu übersehen. Für vollkommen Erwachte ist er nicht mehr zu übersehen, aber wie gesagt, die meisten Menschen erwachen nach und nach. Der Gedanke der Freiheit ist aber auf jeden Fall sehr wichtig. Wir alle sind so, wie wir nun mal geworden sind, und nur wenn jeder sein darf, wie er ist, nur wenn ihr allen diese Freiheit einräumt, die sie eigentlich schon haben, könnt ihr aufrichtig, echt und wahrhaftig sein.

Wir können es nicht, solange wir von anderen erwarten, dass sie uns zustimmen. Dann werden wir übervorsichtig, denn es könnte ja sein, dass sie an dem, was ich sage, etwas auszusetzen finden, es könnte sein, dass sie widersprechen, es könnte sein, dass sie mich nicht mögen. Wir glauben, uns schützen zu müssen, und solange wir das glauben, können wir keinem anderen wirklich Freiheit zugestehen. Haben wir jedoch erfasst, dass wir der eine universale Geist sind, der sich als alle Dinge und Wesen manifestiert, ist uns von da an klar, dass alle vollkommen frei sind.

Es verlangt Furchtlosigkeit. Manch einer kommt zu mir und sagt: »Also da ist immer noch etwas in mir, das sich scheut, all das, was ich als wahr erkannt habe, einfach zu leben.« Es ist dann oft festzustellen, dass es sich da um irgendetwas aus der Kindheit handelt. Ich sage dann: »Sieh es dir an. Sieh dir an, wie du aus irgendetwas, das einmal passiert ist, eine Überzeugung gemacht hast. Vergewissere dich, ob diese Überzeugung tatsächlich zutrifft, ob die Dinge wirklich so liegen, wie du glaubst.« Darüber hinaus müssen wir uns mit dem Gedanken anfreunden, dass wir nicht wissen oder vorhersehen können, wie die Welt uns aufnehmen wird. Wach zu sein, das heißt unter anderem, dass wir auch bereit sind, uns kreuzigen zu lassen. Wer glaubt, wach sein bedeute, dass die ganze Welt eines Sinnes mit ihm ist, der unterliegt einem Wahn. An Jesus wurde das sehr deutlich. Er war ein Erwachter, der Sohn Gottes, wie man im Christentum sagt. Und wie erging es Gottes Sohn? Er wurde ans Kreuz genagelt, weil er das von ihm als wahr Erkannte auszusprechen wagte.

Es scheint im menschlichen Bewusstsein ein Grund-Tabu gegen die Erkenntnis der letzten Wahrheit zu geben. Sie muss nicht einmal gepredigt werden, es genügt, dass man sie lebt. Das Tabu sagt dann: »Das geht so nicht. Dafür wirst du gekreuzigt, du wirst umgebracht.« Die Geschichte verzeichnet viele solche Tode. Immer wieder kam es vor, dass die wahrhaft Erleuchteten beseitigt wurden, weil sich echtes Erwachen so gar nicht mit dem Traum verträgt. Die Träumenden nehmen Anstoß an der Erleuchtung, sie fühlen sich bedroht, denn ein wahrhaft Erleuchteter entzieht sich jeglicher Kontrolle. Auch die Todesdrohung beeindruckt ihn nicht. Sie machte auch Jesus nicht gefügig. Er wich nicht davon ab, sein Leben so zu leben, wie es ihm bestimmt war, mochte es Leben oder Tod für ihn bedeuten.

Bilden wir uns also gar nicht erst ein, dass Erleuchtung uns zum Liebling aller machen wird. Das ist zwar nicht ausgeschlossen, aber nach dem Erwachen wird es eher so sein, dass manche euch mögen und andere nicht. Entlasst die ganze Welt in die Freiheit, und ihr tut eine Menge für eure eigene Freiheit. Die beiden Seiten sind nicht voneinander zu trennen.