Das Leben als Spiegel
Ich möchte jetzt ein wenig von meinem eigenen Entwicklungsgang erzählen. Wir haben über den Weg vom vorübergehenden Erwachen zum bleibenden oder dauerhaften Erwachen gesprochen. Bei mir war es wie bei den meisten anderen so, dass sich an das erste große Erwachen mit fünfundzwanzig eine Entwicklungsphase anschloss, die in meinem Fall ungefähr sieben Jahre dauerte. Manches von dem, was ich da erlebte, habe ich bereits erzählt. Jetzt möchte ich etwas ansprechen, wovon in spirituellen Gesprächen nicht oft die Rede ist, nämlich wie das Leben selbst, das alltägliche Leben, unser wichtigster Lehrer sein kann. Das erläutere ich sicher am besten anhand meiner eigenen Erfahrung.
So weit ich zurückdenken kann, bin ich immer sehr konkurrenzbewusst gewesen. Das äußerte sich über weite Strecken meines Lebens in Form von Wettkampfsportarten. Mit dreizehn nahm ich an Radrennen teil, später sogar auf relativ hohem Niveau. Training, Wettkampf, das war ein beträchtlicher Teil meines Lebens. Der Augenblick des Erwachens mit fünfundzwanzig, der ein ganz anderes Leben einleitete, traf mich völlig unvorbereitet.
Ich bekam danach den Eindruck, dass mein Erwachen noch unvollständig war, und dieser Eindruck verstärkte sich mit der Zeit. Zu deutlich war zu sehen, dass es in meiner Ich-Person weiterhin Anteile gab, die nicht ganz zu dem passten, was ich erkannt hatte und wusste. Mit diesem Missverhältnis setzte ich mich in meiner spirituellen Praxis auseinander, die damals vorwiegend aus Meditation und der bereits beschriebenen schriftlichen Selbsterforschung bestand.
Rings um unsere spirituelle Praxis erstreckt sich das Leben. Irgendwann geriet ich in dem auf mein Erwachen folgenden Jahr in den Strudel einer ganzen Serie von Krankheiten, die mich richtig schachmatt setzten. Das war nicht nur körperlich aufreibend, sondern wurde auch von den Resten meines Ich-Gebäudes als schwierig empfunden. Sportler – das war die vergangenen fünfzehn Jahre ein wesentlicher Anteil meiner Identität gewesen, und zu dieser gehörte auch, dass ich fit war, fitter als die meisten, die ich kannte.
Ich hatte, wie es wohl unsere Neigung ist, die körperliche Überlegenheit zum Kernbestand meines Ich-Gefühls gemacht. »Körperliche Überlegenheit« heißt natürlich nicht, dass ich von besonders imposanter körperlicher Erscheinung wäre. Nein, ich bin eher klein und drahtig, und im Radsport kann das die körperliche Überlegenheit sichern. Es gab keine gewaltigen körperlichen Kräfte, auf die ich mir etwas hätte einbilden können, aber Fitness und überlegene Ausdauer, ja, das waren die Dinge, auf die ich mein Ich-Gefühl baute.
Die erwähnten Krankheiten tilgten diese Identität ganz einfach. Was fängt man mit einer Sportler-Identität an, zumal mit der eines führenden Sportlers, wenn man im Bett vor sich hin welkt?
In den Anfangsstadien dieser Maläse saß ich jedes Mal, wenn es ein bisschen besserging, sofort wieder auf dem Rennrad. Damit überforderte ich meinen Körper natürlich und bekam einen Rückfall. Das ging ein paar Monate so, dass ich in Krankheitspausen wieder fit zu werden versuchte, aber alles in allem ging es mir immer schlechter. Zuletzt war ich so krank, dass ich ein halbes Jahr im Bett bleiben musste.
Am Ende dieses halben Jahres fiel es mir auf einmal wie Schuppen von den Augen. Es war keine Erleuchtung, es war kein Erwachen, aber es war doch eine ganz wichtige Erkenntnis. Mir ging irgendwann plötzlich auf, dass ich kein Sportler mehr war. Ich entsprach einfach den Kriterien nicht mehr: Ich war nicht stark und fit, ich besaß keine besondere Ausdauer, ich machte einfach nicht mehr viel her als Wettkampfsportler. Die Identität »Sportler« war nicht mehr meine.
Als es mir dann allmählich besserging, empfand ich eine gewaltige Erleichterung, ja, eine Leichtigkeit, die sich mit dem Gefühl verband, nicht mehr körperlich überlegen sein zu müssen. Sicher, mein Moment des Erwachens mit fünfundzwanzig hatte mir bereits vor Augen geführt, dass ich dieser Mensch eigentlich nicht war, aber mir ging es wie so vielen anderen nach einem Erleuchtungserlebnis: Das Ego gibt nicht kampflos auf. Deshalb sah ich meine Krankheit, als es langsam wieder aufwärtsging, als ein echtes Geschenk, eine Gnade. Sie machte mich klein und schwach wie ein Hündchen und entband mich von dem Ego-Auftrag, ein Sportler zu sein. Wie wunderbar, niemand sein zu müssen, welche Erleichterung! Ich begann jetzt mehr von innen heraus zu spüren, was mein kurzes Erwachen mir bereits deutlich gemacht hatte: dass ich kein Jemand bin, dass ich ungeboren, unsterblich, unerschaffen bin. Es war wunderbar, das auf so unmittelbar menschliche Weise zu erleben: nichts und niemand zu sein.
Schön wäre es, wenn ich jetzt verkünden könnte, dieses Platzen der Seifenblase Ego sei endgültig gewesen. Aber als es mir nach und nach besserging, fing ich wieder an zu trainieren. Ich war immer schon jemand, dem es eine Wonne ist, sich körperlich zu bewegen und anzustrengen. Dieser Körper liebt es einfach, betätigt zu werden, und mir macht es große Freude, wenn ich körperlich aktiv bin. Wie schön das war, wieder auf meinem Rad zu sitzen und durch die Berge und Wälder meiner Heimat zu fahren. Eigentlich war es sogar noch schöner als früher, denn jetzt durfte ich es einfach genießen und musste mich nicht mehr für Rennen fit machen. Ich musste nicht mehr körperlich überlegen sein, ich konnte einfach durch die Gegend fahren.
Bis mir auffiel, dass ich nicht mehr einfach Vergnügungstouren machte, sondern unmerklich ins Trainingsbewusstsein zurückgefallen war, als wäre ich schon wieder Rennfahrer. Doch das war ich nicht mehr, ich hatte vor Jahren bewusst damit aufgehört. Dennoch, aus irgendeinem Grund trainierte ich wie für einen Wettkampf. Ich merkte es sogar, ich sah es. Ich konnte es sogar formulieren: »Ich weiß, dass ich nur trainiere, um mein altes Ego wieder zusammenzusetzen.« Ich wusste, was da lief, aber ich wusste es nicht gut genug, um davon zu lassen. Ich war noch nicht so weit, mich nicht mehr rekonstruieren zu wollen. Und so trainierte ich, als wollte ich an der Olympiade teilnehmen. Ein Jahr ging das so, dann wurde ich wieder krank und musste in zermürbender körperlicher Verfassung erneut ein halbes Jahr das Bett hüten. Noch einmal wurde mir die Identität als körperlich überlegener Sportler gewaltsam entrissen, und auch diesmal überwog am Ende die Erleichterung darüber, dass ich kein Jemand sein und mich nicht als etwas Bestimmtes sehen musste.
Es kam dann nicht wieder vor, dass ich meine alte Identität zurückhaben wollte. Es war mir nach wie vor ein Hochgenuss, mich zu bewegen, meinen Körper zu benutzen, aber die zweite Krankheitsphase räumte endlich mit dieser Ego-Tendenz auf, meine Identität in einem Körper-Selbstbild zu finden. Ich war sehr erleichtert und froh.
Ich würde wirklich gern sagen können, ich sei durch spirituelle Praxis, durch Selbsterforschung, durch Meditation dorthin gekommen. Aber so war es nicht, sondern als größtes »Ego-Lösungsmittel« erwies sich das Leben selbst, und ich glaube, so ist es für viele. Unser Dasein als solches muss so angelegt sein, dass letztlich das handfeste Geschehen im Alltag für unseren Schliff sorgt.
Das wird in spirituellen Zusammenhängen gern übersehen. Viele möchten mit ihrem spirituellen Engagement gerade dem Leben ausweichen, sie möchten die Dinge nicht sehen, die dringend angeschaut werden müssten, sie möchten nicht mit ihren Missverständnissen und Illusionen konfrontiert werden. Aber oft ist das Leben selbst unser größter Lehrer, und es ist wirklich gut, das zu wissen. Das Leben ist voller Gnaden, die wunderbar, schön, beseligend, beglückend sein können, aber sie können eben auch von der eher heftigen oder drastischen Art sein, denken wir an Krankheiten, Trennungen, Arbeitslosigkeit und den Verlust geliebter Menschen. Manch einem gelingen die wirklich großen Bewusstseinssprünge erst, wenn er beispielsweise durch eine Sucht in die Knie gezwungen wird und dann merkt, dass er eigentlich ein ganz anderes Leben führen möchte. Das Leben selbst weiß sehr gut, wie es uns die Wahrheit vor Augen führen, wie es uns aufwecken kann. Und so viele versuchen, sich dem Leben zu entziehen – gerade wenn es dabei ist, sie zu wecken.
Das Göttliche zeigt sich als Leben in Bewegung, es nutzt die Situationen unseres Lebens, um sein Ziel zu erreichen, nämlich uns aufzuwecken – und da sind manchmal einfach schwierige Situationen nötig.
Zu seltsam, dass die meisten Menschen ihr Leben lang schmerzlichen Situationen auszuweichen versuchen. Es gelingt uns zwar nicht, aber wir sind immer auf Schmerzvermeidung bedacht. Unbewusst glauben wir wohl, dass schöne Augenblicke unser Bewusstsein am meisten fördern. Sicher, auch das Schöne kann sich sehr fördernd auswirken, aber mir scheint doch, dass die meisten Menschen ihre größten Bewusstseinssprünge in schwierigen Zeiten machen.
Sehr viele möchten das nicht so sehen, sie möchten Schwierigkeiten, Leid und Schmerz nicht als energische Form der Gnade sehen. Jedenfalls können sie unser Erwachen ganz entscheidend fördern, wenn wir so weit sind. Dann nämlich haben wir die Chance, uns zu stellen und ihren möglichen Nutzen zu erkennen – auch wenn wir sicher manchmal das Gefühl haben, dass wir nicht groß gefragt werden, ob wir solche Geschenke annehmen möchten. Wir können das Gute an Krankheiten, Trennungen, dem Tod geliebter Menschen, Sucht oder Problemen bei der Arbeit nur sehen, wenn wir nicht mehr ausweichen.
Und was mich angeht, ich würde wie gesagt gern erzählen können, dass die beiden Krankheitsphasen mein Ego gänzlich abgebaut hätten und ich nie wieder versucht habe, es zu rekonstruieren, sondern seither stets und unter allen Umständen im klaren Licht des Seins existiere. Doch ach, mein Karma gibt eine so elegante Lösung offenbar nicht her. Es stand mir noch einiges bevor. Mehr sogar, als ich mir je hätte träumen lassen.
Nach meinem ersten Erwachen war ich bei einer Lehrerin, die etwas zu mir sagte, was für mich damals recht merkwürdig klang. Einerseits freute sie sich mit mir über das, was mir widerfahren war. Aber sie sprach eben auch von Dingen, vor denen ich mich hüten sollte. Grundsätzlich enthielten ihre Worte den Hinweis, dass ich das Erkannte auf alle möglichen Arten zunichtemachen und der Wahrheit doch wieder ausweichen konnte. Sie nannte mir etwas, womit ich mich, wie sie es ausdrückte, »wieder einschläfern« konnte.
Wenn ich davon erzähle, möchten die Leute immer gern wissen, was denn das gewesen sei, was genau meine Lehrerin angesprochen habe. Mir scheint aber, dass ihre Worte genau auf meinen Fall zugeschnitten und nicht unbedingt übertragbar waren. Witzig war an der ganzen Sache jedenfalls, dass meine Lehrerin mich vor vier oder fünf sehr konkreten möglichen Fallgruben warnte und mir Jahre später aufging, dass ich in jede einzelne zielsicher hineingetappt war.
Ich habe sie alle überlebt, wie man sieht. Es war auch nicht unbedingt falsch, in diese Fallen zu tappen. Ich durchlebte diese Phasen, und dabei stellte sich heraus, dass diese Fehler durchaus ihren Platz hatten, ja notwendig waren.
Einer der besonders nachdrücklichen Ermahnungen meiner Lehrerin klang damals wirklich sonderbar. Sie sagte, dass sich Leute in dem Stadium, in dem ich mich befand, gern verlieben und dann mit dem neuen Partner auf Reisen gehen und alles nur, um sich selbst auszuweichen. »Was mag das wohl heißen?«, dachte ich damals. Es kam mir ein bisschen abwegig vor und ging viel zu sehr in Einzelheiten, als dass es auf mich zutreffen könnte – jemanden kennenlernen, mich verlieben und dann auch noch auf Tour gehen.
Aber was soll ich sagen? Es geschah tatsächlich, wenn auch erst viereinhalb Jahre später. Es war so ein typischer Fall, wo man sich von jetzt auf gleich kopflos verknallt. Alles Ungesunde in mir – der Mangel, die Suchtneigung – passte perfekt zu dieser Frau und allem Ungesunden in ihr. Es war eine Beziehung, die auf der Basis einiger höchst unbewusster Muster Gestalt annahm.
Ich will hier nicht die ganze unschöne Geschichte zum Besten geben, aber es lief tatsächlich darauf hinaus, dass wir Auslandsreisen unternahmen und die Beziehung sich als unglaublich schwierig erwies. Sie traf buchstäblich jeden wunden Punkt, den ich hatte, sie setzte mich mehr unter Druck, als ich es je für möglich gehalten hätte, und ich litt wie nie zuvor.
Es war eine einzige Katastrophe, die mich in ein seelisches Wrack verwandelte. Irgendwann wurde mir klar, wie krank und verrückt das Ganze war. Ich dachte: »Was mache ich hier? Wie bin ich da reingeraten? Und wie komme ich wieder raus?« An dieser Stelle begann mir etwas sehr Wichtiges zu dämmern, nämlich dass ich mich wieder mal in eine unhaltbare Lage gebracht hatte, weil ich mir selbst gegenüber nicht aufrichtig gewesen war. Ich hatte mich von Wünschen und der Neigung zu klammern mitreißen lassen und mir nicht eingestanden, was da ablief.
So wurde auch klar, dass ich mich nur auf eine Art aus der Affäre ziehen konnte, nämlich durch rückhaltlose Ehrlichkeit mir selbst gegenüber: Ich musste die volle Verantwortung für die Lage übernehmen, in die ich mich gebracht hatte. Und das war ganz offensichtlich nur möglich, wenn ich das Bild, das ich von mir gehabt hatte, endlich ablegte. Wie dieses Bild auch jeweils aussehen mochte – der gute Mensch, der Hilfsbereite, der Nette, der Erwachte, der Kluge, der Dumme –, es war ein wesentlicher Bestandteil dessen, womit ich mich unbewusst in diese Lage gebracht hatte.
Ich konnte mich aus dieser Beziehung nur befreien, wenn ich mich von allem löste, was sie hatte entstehen lassen. Und das bestand ganz einfach darin, dass ich mich immer noch unter Ego-Gesichtspunkten betrachtete und etwas zu sein versuchte, was ich nicht war. Damit musste jetzt Schluss sein.
Es kam im weiteren Verlauf, den ich wie gesagt nicht im Einzelnen wiedergeben möchte, zu einer sehr viel weiter reichenden Auflösung des Ego-Ichs, als ich sie je erlebt hatte. Das war nicht wie bei der Meditation, wo man sich so schön in diese wunderbare Präsenz hinein auflöst. Es war, als würde ich mir selbst Schicht um Schicht entrissen. Es hatte so gar nichts Erhebendes, und es war überhaupt nicht schön, es war nicht nett und schon gar nicht »easy«. Der Gang der Ereignisse hielt mir einen Spiegel vor, und es war mir keinen Augenblick gestattet, den Blick abzuwenden.
Kurz, es war die schwierigste Zeit meines Lebens. Aber ich konnte mich schließlich dazu durchringen, mich von allem zu lösen, was ich zu sein geglaubt hatte. Ich legte jegliche Ich-Vorstellungen ab, ansehnliche ebenso wie unschöne, hilfreiche ebenso wie unnütze. Die Ernüchterung über mich selbst war endlich tief genug, um loslassen zu können. Die Beziehung selbst war wirklich schlimm, ihr Ende furchtbar. Ich fühlte mich wie ein ausgewrungener Putzlumpen, als wäre keinerlei Ich mehr in mir. Zugleich kam aber auch etwas anderes in Gang, etwas Erstaunliches, ein zunehmendes Gefühl von Freiheit. So muss es wohl sein, wenn uns karmische Prägungen verlassen.
Bei meinem Erwachen mit fünfundzwanzig war mir bewusst geworden, dass ich nicht mein Körper oder meine Persönlichkeit bin, ich sah, dass es alles ein Traum war. Eines jedoch hatte ich damals noch nicht verstanden, nämlich dass wir uns mit allen Dingen auseinanderzusetzen haben, auch wenn sie »nur Traum« sind. Wenn Körper, Denken und Persönlichkeit noch gespalten sind, wenn in der Tiefe noch Konflikte schwelen, um die du dich nicht gekümmert hast, wird dein Bewusstsein ins Leiden zurückfallen.
Mir wurde klar, dass man sich letztlich nicht ausweichen kann. Man muss sich mit allem befassen, man muss sich damit auseinandersetzen. Es muss gänzlich durchschaut werden, und was man dabei erkennt, muss dann integriert, muss im Leben umgesetzt werden. Es war sehr schwierig, aber auch einer der wichtigsten Schritte in meinem Leben. Es war wie bei diesen Krankheitsphasen, von denen ich erzählt habe: Hinterher war mir wieder so, als wäre ich niemand und nichts. Und ich spreche nicht nur von der Ebene der höheren Einsicht, des Erwachens, sondern es war im ganz handfesten, menschlichen Sinn so. Ich fühlte in mir, als Mensch, wie das ist, niemand zu sein, nichts zu sein. Das mag negativ klingen, aber wenn es ganz bei dir angekommen ist, erweist es sich als höchst positiv, als demütigend in einem sehr guten Sinn.
Jeder hat seine Geschichte, und darum erzähle ich auch meine. Jedem hält das Leben auf die genau für ihn richtige Weise den Spiegel vor, jedem treibt es das konditionierte Ich aus, jedem entwindet es sein Haben und Halten, seine Überzeugungen, Ideen, Vorstellungen und Ich-Bildnisse.
Wenn wir nur hinsähen, würden wir merken, dass das Leben immer dabei ist, uns aufzuwecken. Und wenn wir nicht im Einklang mit ihm sind, sondern gegen es angehen, kann der Weg sehr steinig werden – wie er es bei mir war.
Das Leben zeigt uns, was wir sehen müssen, und wenn wir stur wegblicken, muss es uns die Dinge immer nachdrücklicher vor Augen führen, bis wir uns schließlich doch bereitfinden. Darin ist das Leben dann unser größter Verbündeter. Auch wenn es abgedroschen klingt, es ist unser bester Lehrer. Manch einer mag bei dieser Feststellung nicken, als wüsste er, was sie beinhaltet, aber wir wissen es erst wirklich, wenn wir diese Schulung genossen haben, wenn wir einwilligen, uns vom Leben den Spiegel vorhalten zu lassen, um uns endlich einmal klar zu sehen.
Wer meint, Erleuchtung könne uns nur als etwas ganz Wunderbares zuteilwerden, der macht sich etwas vor. Sicher, das gibt es auch, dass jemand zu einem spontanen Erwachen kommt und dann nicht mehr viel an karmischen Tendenzen zu durchschauen und aufzuarbeiten hat. Aber es ist selten. Für die meisten von uns ist der Pfad zur Erleuchtung nicht mit Rosen bestreut. Machen wir uns das ruhig einmal klar, denn sonst besteht die Gefahr, dass wir einfach dem folgen, was sich gut anfühlt und unserer Vorstellung vom Weg zur Erleuchtung entspricht. Bei den meisten ist das nicht einfach ein Weg der profunden, wunderbaren Erkenntnisse, sondern hat auch seinen lästigen Kleinkram. Es ist nicht das, was wir meist im Sinn haben, wenn wir uns auf die Suche nach Erleuchtung machen. Tatsächlich ist es oft so, dass wir gar nicht wirklich aufwachen wollen. Wir möchten nur unsere Vorstellung vom Erwachen verwirklicht sehen. Genau betrachtet möchten wir eigentlich nur in unserem Traum glücklich sein. Und das ist natürlich vollkommen in Ordnung, wenn man eben auf dieser Entwicklungsstufe ist.
Aber das echte Verlangen nach Erleuchtung geht weit über diesen Wunsch nach Verschönerung des Traums hinaus. Es beinhaltet den Drang und das Einverständnis, uns allem zu unterziehen, was zum Aufwachen erforderlich ist, was es auch sei. Das wahre Verlangen nach Erleuchtung ist eigentlich eine stumme Bitte um das, was uns wirklich aufweckt, sei es wunderbar oder schrecklich. Wir stellen keine Bedingungen.
Dieser echte Drang kann ein wenig beängstigend sein, denn wenn er sich meldet, wissen wir, dass er echt und ernst ist. Und wer keinerlei Bedingungen mehr stellt, wer nicht mehr vorgibt, wie das Erwachen zu sein hat und wie die Reise verlaufen soll, der gibt eigentlich die Illusion der Kontrolle auf.
Ich will damit aber nicht sagen, dass das Erwachen schwierig sein muss. Auch das wäre nur eine Vorstellung und damit auch wieder eine Illusion. Das Erwachen selbst muss nicht schwierig sein, aber der Weg vom vorübergehenden zum dauerhaften Erwachen verlangt uns manchmal mehr ab, als wir uns hätten träumen lassen.
Es setzt die Bereitschaft voraus, unsere ganze bisherige Welt preiszugeben. Das klingt vielleicht erst einmal nach Abenteuer – »Au ja, da bin ich dabei, meine Welt preisgeben …« Aber wenn deine Welt dann tatsächlich bröckelt und die unglaubliche Tiefe deiner Realitätsblindheit offenbar wird, sieht die Sache doch ganz anders aus. Viel zu real, viel zu hautnah. Manche lassen sich darauf ein, andere nicht.
Wir brauchen überhaupt keine Vorstellungen von dem, was zum Erwachen nötig sein wird und ob es einfach oder schwierig ist. Vielleicht ist es leicht. Vielleicht schwer. Oder beides. Es kann alles sein, was ihr euch vorstellt, und es kann in mancher Hinsicht unvorstellbar sein. Das ist eine Gefahr, die in solchen Vorträgen liegt, wenn ich etwa meine Geschichte erzähle oder Dinge anführe, die einem unterwegs passieren können. Der Kopf greift so etwas gern auf und sagt sich dann: »Aha, das Leben wird also richtig schwierig, wenn ich mal erwache. Da werde ich einiges durchzustehen haben.« Es muss aber nicht unbedingt so sein. Ihr müsst nur einfach bereit sein, euch selbst zu begegnen und euch dem Ungewissen zu stellen. Aber wie viele von uns geben gern ihre Sicherheit auf, um sich ins Unbekannte und Unbeherrschbare vorzuwagen?
Nun, vielleicht sind es gar nicht so wenige. Ich begegne jedenfalls immer mehr Menschen, die sich auf diese Reise einlassen möchten, auf diesen Weg dorthin, wo wir eigentlich schon immer gewesen sind.
Es ist kein Weg, auf dem wir etwas werden. Vielmehr legen wir hier alles ab, was wir nie wirklich gewesen sind, wir legen die Selbsttäuschung ab. Eigentlich ist es ein schlechter Scherz: Am Ende kommen wir genau da an, wo wir schon immer waren, nur dass wir es jetzt ganz anders wahrnehmen. Der Himmel, den alle suchen, ist da, wo wir sind.
Es ist leicht gesagt, dass alles bereits Himmel ist und alle schon wach sind, Geist sind. Es trifft zu, aber wie ein weiser Zen-Meister vor langer Zeit sagte: »Was hast du davon, wenn du es nicht wirklich weißt?«
Es bedarf einer gewissen Ehrlichkeit. Alles ist schon in sich ganz, schon ganz und gar Geist. Wir sind bereits alles, was wir nur je sein können. Aber wissen wir es? Haben wir es realisiert? Falls nicht, weshalb sehen wir die Dinge dann anders? Und wenn wir es wissen, leben wir es dann auch? Wird es unsere Realität? Wirkt es in unserem Leben?
Es ist also ein ganz wichtiger Schritt, so weit in Einklang mit eurem Leben zu kommen, dass ihr euch nicht mehr von euch selbst abwendet. Und das Wunderbare: Sobald wir uns nicht mehr von uns abwenden, fließt uns große Energie zu, wir finden zu Klarheit und Weisheit und sehen folglich die Dinge, die wir sehen müssen.