Kapitel 7

Das spirituelle Gehirn

Die Seele im Körper finden

 

Wir, unsere Freuden und Leiden, unsere
Erinnerungen und Ziele, unser Sinn für die eigene
Identität und Willensfreiheit – bei alldem handelt
es sich in Wirklichkeit nur um das Verhalten einer
riesigen Ansammlung von Nervenzellen und
dazugehörigen Molekülen.
1

Francis Crick, The Astonishing Hypothesis

 

 

Nachdem wir den evolutionären Übergang von der Materie zum Geist verfolgt haben, wollen wir uns nun den Geist selbst genauer ansehen. In diesem und im nächsten Kapitel beschäftigen wir uns mit den Ergebnissen der Psychologie und der Hirnforschung. Hier greifen wir den Kern des reduktionistischen Materialismus an. In diesem Kapitel wollen wir die Frage untersuchen, ob unser Geist sich auf die Aktivitäten der Neuronen im Gehirn reduzieren lässt. Anders ausgedrückt, lautet die Frage: Ist die immaterielle Welt lediglich ein Teilbereich der materiellen? Ich werde die stärksten Argumente des Materialismus abwägen und zeigen, dass sie zu kurz greifen. Wir können das Wirken unseres Geistes nicht einfach nur mit den Aktivitäten von Neuronen erklären. Und wir werden dabei feststellen, dass die Wissenschaft ein noch tiefer reichendes Problem hat: Sie kann objektive Gegebenheiten wie Neuronen verstehen, nicht jedoch subjektive wie Gedanken.

Beginnen wir mit einer grundlegenden Unterscheidung menschlicher Erfahrungen. Wir haben Erfahrungen mit materiellen Objekten wie Zügen, Seen, Kieselsteinen und Heftmaschinen. Wir haben auch solche mit geistigen Phänomenen wie Gedanken, Ideen, Gefühlen, Entscheidungen und Wahrnehmungen. Materielle Erfahrungen ergeben sich aus dem, was in der Außenwelt geschieht. Dort befinden sich Dinge, die Masse, Gewicht und Dimension haben und von anderen Menschen ebenso beobachtet und erfahren werden können. Wenn wir unser geistiges Auge nach innen wenden, entdecken wir jedoch eine völlig andere Welt. Das ist die Welt der »inneren« Erfahrung, und sie wird ständig durch neue Gedanken und Gefühle aufgewühlt. »Heute ist es ganz schön langweilig … Ob ich vielleicht ins Kino gehen sollte …? Na ja, es gibt nichts Sehenswertes. « Derartige Ideen und Stimmungen gehören ganz allein uns – solange wir sie für uns behalten, sind sie für andere unsichtbar –, und doch erleben wir sie genauso stark und direkt wie die äußere Welt.

Die Vorstellung, dass Menschen zwei getrennte, unterschiedliche Welten bewohnen – die materielle und die mentale – , bezeichnet man als »Dualismus«. Platon war Dualist, aber der berühmteste Vertreter des Dualismus ist der Philosoph René Descartes, der die Menschen für eine seltsame Verbindung aus materiellem Körper und immateriellem Geist hielt. Unser Körper, so sagte er, sei etwas Materielles und unterliege folglich den Gesetzen der Physik, die alle materiellen Objekte beherrschen. Unser Geist sei dagegen nichtmateriell und deshalb von diesen Gesetzen ausgenommen. Der kartesianische Dualismus geht davon aus, dass wir unser Geist sind, aber einen materiellen Körper besitzen. Bis in die jüngste Zeit hat der Dualismus im Westen unangefochten geherrscht, und die Väter der modernen Neurowissenschaften – Charles Sherrington, Wilder Penfield und John Eccles – waren sämtlich Dualisten. Die meisten Menschen in der Welt sind und waren stets instinktive Dualisten, weil der Dualismus exakt unsere Alltagserfahrung zu beschreiben scheint.

Wenn der Dualismus wahr ist, dann ist ein Leben nach dem Tod nicht nur möglich, sondern plausibel, weil unser immaterieller Geist sich vom materiellen Körper unterscheidet und die Sterblichkeit des Körpers in keiner Weise den Tod des Geistes impliziert. Mehr noch, der Tod des Körpers wird zu einer Art Befreiung für den Geist, weil dieser während des Lebens untrennbar mit dem Körper verbunden ist. Denken Sie an Dämpfe oder Gase, die in eine Flasche eingeschlossen sind. Wenn Sie die Flasche zerschlagen, haben Sie den Dampf nicht zerstört, sondern freigesetzt. Sein Schicksal ist nicht an das Schicksal der Flasche gebunden, weil Flasche und Inhalt verschiedenartig sind. Platon und Descartes haben in diesem Sinne für die Unsterblichkeit der Seele argumentiert, und angesichts ihrer Grundannahme sind die Argumente überzeugend.

Aber stimmt die Prämisse? Der Dualismus birgt ein Problem, das die meisten heutigen Philosophen veranlasst hat, ihn aufzugeben. Dieses Problem wird deutlich, wenn wir eine ganz einfache Frage stellen: Wie wirkt ein Geist auf einen Körper? Oder spezifischer: Wie verursacht ein Gedanke die Bewegung eines Fingers oder einer Hand? Auf den ersten Blick wirken diese Fragen ungeheuer dumm. Schau her, ich denke, dass ich meinen Finger bewegen will, und schon habe ich es getan. So funktioniert das. Aber das ist keine angemessene Erklärung. Sie haben es getan, also muss es möglich sein, aber wie ist es möglich? Bedenken Sie: Die materielle Welt folgt den Gesetzen der Physik. Wenn man einen Gegenstand bewegen will, dann muss eine Kraft auf ihn wirken. Nehmen wir an, eine Billardkugel liegt auf einem Tisch. Sie können sich neben diesen Tisch stellen, aber egal, wie sehr Sie denken und hoffen und wünschen, Sie können die Kugel nicht durch reine Gedankenkraft in Bewegung versetzen. »Beweg dich, Kugel, na, komm schon, du kannst das!« Sorry, und glauben Sie nicht, dass Ihre medial veranlagte Tante das besser könnte. Um einen Ball zu bewegen, braucht man die Einwirkung oder Kraft eines anderen materiellen Objekts, beispielsweise eines zweiten Billardballs.

Descartes hat erkannt, dass das »Billardkugelproblem« eine gewaltige Herausforderung für den Dualismus darstellt. Er verstand die Überzeugungskraft des wissenschaftlichen Weltbildes, nach dem alles im Einklang mit festen Gesetzen funktioniert. Wenn der menschliche Geist regelmäßig in dieser Weise auf materielle Körper einwirkt, dann, so räumte Descartes ein, dann muss es eine materielle Verbindung zwischen beiden geben, die diese Interaktion vermittelt. Descartes spekulierte, die Epiphyse könnte der Ort im Gehirn sein, wo sich das geheime Rendezvous zwischen immateriellem Geist und materiellem Körper abspielt. Heute wissen wir, dass sich Descartes im Hinblick auf die Funktion der Zirbeldrüse geirrt hat. Aber das eigentliche Problem für die Philosophen ist nicht die Frage, wo die Interaktion zwischen Körper und Geist stattfindet, sondern wie sie überhaupt stattfinden kann. Unser Geist ist wie ein Gespenst und unser Körper wie eine Mauer; wie also kann ein Gespenst eine Mauer bewegen, wenn es eigentlich seiner Natur entspricht, durch Mauern hindurchzugehen?

Dieses ofensichtlich unlösbare Problem hat die meisten zeitgenössischen Philosophen und Wissenschaftler dazu gebracht, den Materialismus zu übernehmen, der die Hauptalternative zum Dualismus ist. Der Neurowissenschaftler Vilayanur S. Ramachandran formuliert seine materialistische Weltsicht sehr direkt: »Der gesamte Reichtum unseres mentalen Lebens – all unsere Gefühle, Emotionen, Gedanken, unser Streben, unser Liebesleben, unsere religiösen Ansichten und sogar das, was jeder von uns als eigenes, intimes, privates Selbst betrachtet – ist schlicht die Aktivität dieser kleinen Geleefleckchen in unserem Kopf, in unserem Gehirn. Darüber hinaus gibt es nichts.«2 Aus dieser Beschreibung sollte deutlich werden, dass der Materialismus ein ernstes Hindernis für die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod darstellt. Niemand bestreitet, dass der materielle Körper nach unserem Tod zerfällt. Wenn der Tod des Körpers also der Tod des ganzen Menschen ist, dann gibt es keine Möglichkeit, wie ein Teil von uns unseren Körper überleben könnte. Vom materialistischen Standpunkt aus bleibt nichts für ein Weiterleben übrig.

Wie wir gesehen haben, halten Atheisten den Materialismus für eine passende Philosophie, und viele Hirnforscher sehen das ähnlich. Atheisten gefällt sie aus folgendem Grund: Wenn Menschen durch und durch materielle Wesen sind, dann, so hat es der Philosoph Owen Flanagan formuliert, »gibt es keinen Platz mehr, an dem sich die Seele verstecken könnte«, und wir haben »keine Aussicht auf ein Leben nach dem Tod«. Der Philosoph Paul Churchland hat erklärt, wir seien nicht mehr als »angemessen organisierte Materie« oder, wie Carl Sagan es ausgedrückt hat, »ein besonders komplexes Arrangement von Atomen, und nicht ein Hauch von Göttlichkeit«.3 Aber auch Neurowissenschaftler tendieren zum Materialismus, denn das ist zum Teil in ihrer Aufgabe so angelegt. Sie untersuchen das materielle Gehirn, und doch wollen sie auch den immateriellen Geist verstehen. Wenn sich der Geist auf die Funktionen des Gehirns reduzieren lässt, dann hat die Neurowissenschaft die Chance, beide Ziele zu erreichen. Deshalb versuchen Neurowissenschaftler routinemäßig, mentale Transaktionen auf materielle zu reduzieren, und das ist natürlich die Essenz des reduktionistischen Materialismus. Die vorherrschende Einstellung in diesem Forschungszweig hat der deutsch-schweizerische Physiologe Karl Vogt im 19. Jahrhundert mit seiner Erklärung ausgedrückt, der Gedanke verhalte sich zum Gehirn wie die Galle zur Leber, die Seele zum Gehirn wie der Urin zur Niere.

Gedanken können jedoch nicht wie Urin oder ein Sekret in einem Gefäß gesammelt werden, und man kann sie auch nicht wiegen, messen oder riechen. Wissenschaftlern ist das klar, aber sie versuchen, eine direkte Kausalbeziehung zwischen Gehirn und Geist aufzuspüren, und das schon seit mehr als einem Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert wurden Sprachzentren identifiziert, die wir heute »Broca-« und »Wernicke-Areal« nennen. Ungefähr um dieselbe Zeit haben die Wissenschaftler auch entdeckt, dass die Schädigung einer Seite des visuellen Kortex Blindheit auf der gegenüberliegenden Seite hervorruft. Unterstützt durch bildgebende Verfahren wie Positronenemissions- (PET) und Magnetresonanztomografie (MRI), können die Forscher seit den letzten Jahrzehnten in Echtzeit beobachten, was im Gehirn geschieht, während bestimmte mentale Funktionen erfüllt werden. Der präfrontale Kortex ist das Denkzentrum des Gehirns, wo Ideen erzeugt und Entscheidungen verarbeitet werden. Heute weiß man auch, dass das limbische System das emotionale Zentrum des Gehirns ist, wobei ein Gebilde, das man als »Amygdala« bezeichnet, den Eingang darstellt. Der Hippocampus ist für das Gedächtnis zuständig, und wenn er geschädigt wird, kann die Information vom Kurzzeitgedächtnis nicht mehr in das Langzeitgedächtnis überführt werden.

Neurowissenschaftler wie Ramachandran und Antonio Damasio haben Bestseller geschrieben, in denen sie zeigen, wie die Schädigung bestimmter Teile des Gehirns seltene Krankheiten wie das Cotard-Syndrom (nihilistischer Wahn) hervorrufen können, bei dem lebende Patienten davon überzeugt sind, sie seien tot; oder das Capgras-Syndrom, bei dem die Patienten ihre engsten Angehörigen für identisch aussehende Doppelgänger halten; oder Schmerzasymbolie, die sich darin äußert, dass Schmerzen als vergnüglich empfunden werden, sodass die Patienten auf Schläge tatsächlich mit Kichern und Lachen reagieren. Ramachandran hat erfolgreich Patienten mit Phantomschmerzen behandelt, denen Gliedmaßen amputiert worden waren und die Schmerzen empfanden, als ob diese Extremitäten noch vorhanden wären. In diesen Fällen, so erklärt er, empfängt das Gehirn immer noch Schmerzsignale aus der Umgebung, die irgendwie so interpretiert werden, als würden sie von den fehlenden Körperteilen kommen. Also schmerzt der Arm oder das Bein, obwohl der Patient weiß, dass sie gar nicht mehr existieren. Mit Hilfe von Spiegeln und Illusionen lässt Ramachandran die Patienten sehen, dass die fehlenden Gliedmaßen wieder da sind und nun behandelt werden können; erstaunlicherweise verschwindet der Schmerz daraufhin. Alle diese Beispiele scheinen mit überzeugenden Einzelheiten zu zeigen, dass sich unser mentales Leben auf materielle Transaktionen reduzieren lässt und dass das Gehirn den Geist auf dieselbe Weise produziert wie der Magen die Verdauung.4

Niemand stellt den aktuellen und potenziellen medizinischen Nutzen dieser Art von Forschung in Frage, aber die damit verbundene generelle Aussage ist nicht wirklich neu, sondern war schon in der klassischen Antike bekannt. Der römische Dichter und Philosoph Lukrez hat im 1. Jahrhundert v. Chr. erklärt, dass der Geist schwächer wird, wenn der Körper altert, und dass Krankheiten und Verletzungen die geistigen Funktionen stören können. Hippokrates erkannte, dass der Verfall des Gehirns die geistige Gesundheit zerstört. Galen entdeckte, dass Verletzungen und Einschnitte im Gehirn von Tieren in manchen Fällen Blindheit und in anderen Lähmungen erzeugen können. Die Ergebnisse der modernen Wissenschaft findet jeder bestätigt, der sich nach einer üppigen Mahlzeit müde fühlt oder nach mehreren Gläsern Wein nicht mehr klar denken kann. Ohne selbst Neurowissenschaftler zu sein und irgendwelche Experimente durchzuführen, kann ich kühn vorhersagen, dass ein Mensch, dem man das Gehirn entfernt, damit auch seine Denkfähigkeit verliert.

All das zeigt ganz eindeutig eine Korrelation zwischen bestimmten Zuständen des Gehirns und bestimmten mentalen Erfahrungen. Es zeigt auch, dass mentale Erfahrungen in vielen Fällen von Zuständen des Gehirns abhängig sind. Aber ist damit bewiesen, dass Zustände des Gehirns mentale Zustände verursachen? Um diese Frage zu beantworten, wollen wir uns einige Analogien vornehmen. Wenn ich Mozart hören will, dann brauche ich ein Radio oder einen Tonträger und ein Abspielgerät. Ohne sie könnte ich mir eine bestimmte Sinfonie nicht anhören. Wenn man das Gerät zerstört, kann es keine Musik mehr erklingen lassen. Aber folgt daraus, dass mein Radio oder der CD-Spieler die Musik selbst verursachen? Natürlich nicht. Sie sind lediglich Instrumente, die Schallwellen empfangen und ausstrahlen. Wenn das Gerät tot ist, kann man die Musik problemlos auf einem anderen oder live in einem Konzert hören. Ähnliches gilt für Softwareprogramme, die eine Computer-Hardware benötigen; auch daraus folgt nicht, dass die Hardware das Programm verursacht. Die Software unterscheidet sich von der Hardware, doch braucht sie die Hardware, um zu funktionieren. Außerdem kann eine bestimmte Software mit verschiedenen Typen von Computer-Hardware kompatibel sein. Man braucht feine Pinsel, um detaillierte Gemälde herzustellen; wenn der Pinsel beschädigt ist, wird das Gemälde ruiniert. Gleichwohl ist nicht der Pinsel die Ursache für das Gemälde, sondern der Künstler, der ihn benutzt. Olympische Laufbahnen weisen eine starke Korrelation mit Sprints und Hürdenläufen auf; ohne solche Bahnen gibt es derartige Rennen nicht. Trotzdem sind die Bahnen nicht die Ursache dieser Ereignisse, sondern lediglich der Veranstaltungsort, wo sie sich abspielen.

Es gibt noch mehr Beispiele. Wir können nicht annehmen, dass Hirnzustände mentale Aktivitäten verursachen, weil eine zweite Möglichkeit existiert: Das Gehirn könnte eine Art Einfallstor oder Empfänger für den Geist sein. William James, der Begründer der modernen Psychologie, hat diese Vorstellung in einem wichtigen Essay unter dem Titel »Human Immortality« untersucht. James argumentiert, dass unser Gehirn den Geist nicht verursacht, sondern ihm als Übertragungsmittel dient. So wie ein Prisma oder eine Linse das Licht durchlassen, so wie die Klappen einer Orgel die Luft in verschiedene Richtungen lenken, so ist das Gehirn ein Instrument zur Kanalisierung von Gefühlen und Gedanken. Und natürlich, so räumte James ein, können diese Gefühle und Gedanken und das ihnen zugrunde liegende Bewusstsein nicht mehr auf diese Weise ausgedrückt werden, wenn das Gehirn stirbt. »Aber die Sphäre des Seins, die das Bewusstsein mit Informationen versorgt hat, wäre immer noch intakt.« James hat also die Hypothese aufgestellt, dass es ein immaterielles kosmisches Reich gibt, welches uns, sogar zu unseren Lebzeiten, durch unser Gehirn mit Bewusstsein versorgt. Wenn unser Gehirn stirbt, existiert dieses Bewusstsein weiter, aber es führt nicht etwa ein Leben nach dem Tod, sondern es ist nie gestorben. Wir sterben, doch unser Bewusstsein lebt weiter, vielleicht ganz allein, vielleicht auch in anderen Verkörperungen. Es gibt nichts in der Wissenschaft, so argumentierte James, was diese alternative Möglichkeit ausschließt.5

Wie entscheiden wir uns nun zwischen diesen beiden Möglichkeiten? Wenn wir das materialistische Argument konsequent zu Ende denken, stoßen wir auf ein ernstes Problem, ähnlich wie wir es beim Dualismus erlebt haben. Das Problem des Dualismus bestand darin, dass er nicht erklären kann, wie immaterielle Gedanken materielle Objekte bewegen. Das ist ein gravierendes Problem, doch nun stellt uns der Materialismus vor eine vergleichbare Herausforderung: Wie können materielle Objekte wie Neuronen mit ihren Axonen und Dendriten immaterielle Ergebnisse wie Empfindungen, Emotionen und Ideen hervorbringen? Descartes wird heute oft belächelt wegen seiner Vorstellung, eine einzige Drüse im Gehirn könnte die geheimnisvolle Verbindung zwischen so radikal verschiedenen Bereichen wie dem Materiellen und dem Mentalen herstellen. Doch nun will der Materialismus ofenbar behaupten, das Gehirn selbst würde eine Art Zirbeldrüse darstellen. Der Materialismus geht von der Annahme aus, dass unser Gehirn das gesamte Repertoire unseres mentalen Lebens hervorbringt. Wie können wir wissen, ob das stimmt? Wie können wir sicher sein, dass unser Gehirn eine Produktionsanlage für den Geist ist und nicht nur ein Einfallstor oder ein Transmissionsriemen?

Materialisten ergehen sich in hektischen Spekulationen und unternehmen immer neue Versuche, Geistes- auf Gehirnzustände zu reduzieren. Ein Vorschlag besagt, dass der Geist eine Begleiterscheinung des Gehirns ist. Das bedeutet, dass er sich wie eine Art Schatten neben dem Gehirn bewegt. Das Gehirn produziert den Geist auf dieselbe Weise, wie Feuer Rauch produziert. Aber diese Vorstellung bedeutet, dass der Geist wie Schatten und Rauch als reine Begleiterscheinung selbst nichts tut. Im 19. Jahrhundert war diese Annahme weit verbreitet – Thomas Huxley war einer ihrer Fürsprecher –, doch heute wird sie nur noch selten vertreten und ist in Misskredit geraten. Der hauptsächliche Einwand ist ein evolutionärer: Wenn der Geist ein Schatten ist, der selbst nichts tut, warum haben wir ihn dann überhaupt? Die Evolution stattet uns mit Körperfunktionen aus, damit wir in der Welt überleben und gedeihen können; deshalb dürfte es mehr als unwahrscheinlich sein, dass sie uns mentale Funktionen zur Verfügung stellt, die irrelevant sind.

Eine zweite Position, der sogenannte eliminative Materialismus, behauptet, dass die gesamte mentale Welt gar nicht existiert. Es gibt keine mentalen Zustände, sondern nur körperliche. Das scheint ziemlich verrückt, wird jedoch von den Neurowissenschaftlern Paul und Patricia Churchland vehement verfochten.6 Wir stellen uns zwar vor, dass wir Gedanken und Gefühle haben, aber, so argumentieren die Churchlands, unsere Vorfahren haben sich auch vorgestellt, auf einer unbeweglichen Erde zu leben. Die Churchlands nennen solche Überzeugungen »Volkspsychologie«. Sie sagen, die Wissenschaft habe nun gezeigt, dass die Erde sich bewegt, auch wenn wir das anders empfinden. Und genauso werde die Wissenschaft eines Tages zeigen, dass unsere gesamte mentale Welt eine Illusion ist. Sie rechnen damit, dass es eine sehr viel bessere wissenschaftliche Erklärung für die tatsächlichen Vorgänge geben wird.

Ich habe solche Versprechungen der Materialisten wie »Eines Tages wird die Wissenschaft alles herausfinden« nie besonders überzeugend gefunden. Aber davon abgesehen ist der eliminative Materialismus eine Theorie, die sich selbst das Wasser abgräbt. Denn wenn alle Gedanken und Überzeugungen Illusionen sind, was sagt das im Hinblick auf die Gedanken und Überzeugungen der Churchlands? Sogar die Analogie zwischen der unbeweglichen Erde und einer Überzeugung oder Empfindung ist falsch. Was die Sonne oder meine Umwelt angeht, mag ich mich täuschen, aber ich täusche mich gewiss nicht, wenn ich empfinde, dass es mich juckt. Oder haben Sie schon einmal gedacht: »Das juckt aber wirklich – nein, Moment mal, ich hab mich getäuscht, das hat überhaupt nicht gejuckt«? Jeder Mensch ist ein unanfechtbarer Experte für die Frage, ob es ihn juckt. Sogar eine wissenschaftliche Beschreibung des Juckens würde nicht erklären, warum ich mich kratze, und wäre auch kein Beleg dafür, dass das Jucken selbst eine Illusion ist. Und wenn es das wäre, nun, dann würden die meisten Leute den Churchlands wohl sagen: »Was juckt mich eure Wissenschaft!« Wie Samuel Johnson einst zu Boswell sprach: »Wenn mir jemand mit Argumenten kommt, die ich nicht einsehe, auch wenn ich sie nicht widerlegen kann, soll ich dann etwa glauben, was ich nicht einsehe?«7 Ich bin zu dem Schluss gelangt, dass die Churchlands, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst sind, ihren Verstand verloren haben. Das sollte sie jedoch nicht besonders stören, denn sie glauben ja ohnehin nicht, dass sie einen solchen besitzen.

Wir kommen nun zu den am weitesten verbreiteten zeitgenössischen Theorien des Materialismus. Die erste formuliert der Philosoph Daniel Dennett sehr direkt: »Der Geist … ist das Gehirn.«8 Dies ist wohl der klassische Fall von reduktionistischem Materialismus und wird als »Identitätstheorie« bezeichnet. Zwei Dinge – Gehirn und Geist – erscheinen verschieden, sind in Wirklichkeit aber identisch. Typische Beispiele: Licht wird nicht durch elektromagnetische Wellen verursacht, sondern ist einfach eine elektromagnetische Welle. Der Morgen- und der Abendstern erscheinen uns verschieden und galten jahrhundertelang als unterschiedliche Himmelskörper, aber nun wissen wir, dass es nur verschiedene Bezeichnungen für dasselbe Gestirn sind. Und genauso versteht man Geisteszustände einfach als Zustände des Gehirns. Die Identitätstheorie ist gegenüber den früher erwähnten Theorien insofern eine Optimierung, als sie nicht versucht, mentale Phänomene herabzusetzen oder zu leugnen. Sie erkennt sie an, unterstellt jedoch, dass sie lediglich körperliche Ereignisse sind. Ihre Gedanken über ein Gedicht von Edna Millay oder Ihre Empfindungen beim Verzehr einer delikaten Mahlzeit werden nicht durch bestimmte Zustände des Gehirns verursacht, sondern sind einfach diese Zustände. Ihre Schmerzen werden nicht dadurch verursacht, dass C-Fasern in Ihrem Gehirn feuern, sondern sie sind das Feuern der C-Fasern. Psychologie wäre demzufolge dasselbe wie Neurobiologie.

Die Identitätstheorie kann man mit Hilfe eines berühmten Prinzips testen, das der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz vorgeschlagen hat. Das Prinzip der »Identität des Ununterscheidbaren« besagt einfach: Wenn zwei Dinge identisch sind, dann gilt alles, was für die eine Sache wahr ist, auch für die andere. Das scheint ofensichtlich. Wenn vor Ihrer Tür ein Mann steht, der behauptet, er sei Barack Obama, dann muss alles, was für Obama wahr ist, auch auf diesen Mann zutreffen. Und wenn Sie etwas finden, was für Obama stimmt, aber nicht für diesen Mann, dann ist er eindeutig nicht Obama. Wir wollen diesen Test nun anwenden, um festzustellen, ob Geisteszustände tatsächlich dasselbe sind wie Zustände des Gehirns. Stellen Sie sich vor, ich befände mich in einem Geisteszustand, in dem ich denke, dass George Washington der größte amerikanische Präsident war. Die Identitätstheorie besagt, dieser mentale Zustand sei dasselbe wie mein aktueller Gehirnzustand. Aber mein Geisteszustand ist ein persönlicher, den nur ich allein kenne. Der Zustand meines Gehirns kann dagegen beobachtet und mit bildgebenden Verfahren aufgezeichnet werden. Außerdem beziehen sich meine mentalen Zustände auf irgendetwas; sie sind absichtlich auf etwas gerichtet, was außerhalb von ihnen selbst liegt. Für Zustände des Gehirns gilt das nicht; sie beziehen sich nicht auf »etwas«, sondern existieren einfach. Und schließlich sind wir im Hinblick auf mentale Zustände in gewisser Weise unfehlbar; wir können uns dabei nicht wirklich täuschen. Wenn ich denke, George Washington sei der größte amerikanische Präsident gewesen, mag ich mich bezüglich der Fakten täuschen, nicht jedoch bezüglich meiner eigenen Gedanken. Aber natürlich könnte ich mich im Hinblick auf die Zustände meines Gehirns sehr leicht irren, denn ein Neurowissenschaftler weiß darüber mehr als ich. Damit haben wir also vier Unterschiede – den Privatbereich, das Fehlen einer Verortung, die Intentionalität und die Unfehlbarkeit – zwischen mentalen Zuständen und Zuständen des Gehirns identifiziert. Die Identitätstheorie hat den Leibniz-Test also nicht bestanden.

Denken Sie außerdem an meinen Freund Harry Crocker, der Washington ebenfalls für den größten amerikanischen Präsidenten hält. Wenn mentale Zustände identisch mit den Zuständen des Gehirns wären, dann würde daraus folgen, dass sich unsere Gehirne in einem identischen Zustand befänden. Im Grunde müssten sich alle Leute, die denken, Washington sei der größte amerikanische Präsident gewesen, im selben Gehirnzustand befinden. Aber die Neurowissenschaft selbst erklärt uns, dass diese Vorstellung absurd ist, weil menschliche Gehirne individuell unterschiedlich verschaltet sind. Oder stellen Sie sich vor, mein Neffe Warren kommt zum Abendessen zu mir und bringt eine Freundin mit, die ein Marsmensch ist. (Das ist keine reale Situation, aber nah dran.) Mein Hund, der keine Marsmenschen leiden kann, beißt sie ins Bein. Sie schreit: »O mein Gott, ich habe solche Schmerzen! Bringt mich ins Krankenhaus!« Wenn Warren und ich Anhänger der Identitätstheorie wären, würden wir sagen: »Du hast keine Schmerzen. Schmerzen sind das Feuern von C-Fasern, und da du keine C-Fasern hast, kannst du eindeutig keine Schmerzen haben.« Eine solche Reaktion wäre nicht nur grausam, sondern auch dumm. Ganz gewiss ist es möglich, dass Geschöpfe, ob von der Erde oder vom Mars, deren Gehirnzustände sich von unseren unterscheiden, ebenfalls Schmerzen empfinden.

Die Probleme mit der Identitätstheorie wie auch anderen Versuchen, das Mentale auf das Körperliche zu reduzieren, haben viele Materialisten dem Funktionalismus in die Arme getrieben, der ihre letzte Zuflucht ist. Auch bei den Arbeiten der Churchlands und Dennetts kann man eine Tendenz zu funktionalistischen Argumenten beobachten. Die Funktionalisten wollen weg von den problematischen Bemühungen, mentale Zuständige völlig abzulehnen oder mit körperlichen Zuständen gleichzusetzen. Also geben sie sich mit einer Beschreibung des Mentalen zufrieden und argumentieren, mentale Zustände könnten durch ihren funktionalen Zweck verstanden werden. Eine Mausefalle wird beispielsweise durch das definiert, was sie tut; sie ist ein Gerät, das Mäuse fängt. Eine Faust ist nichts, was man der Hand hinzufügt; sie ist eine besondere Haltung der Hand, die bestimmten Zwecken dient. In diesem Sinne argumentieren Funktionalisten, man könne mentale Zustände wie »Verliebtheit« am besten verstehen, wenn man sich das betreffende Verhalten anschaut: Gedichte schreiben, Blumen schicken und so weiter. Der Funktionalismus ist auch eine Art von materialistischem Reduktionismus: Das Mentale wird auf seine materiellen Konsequenzen reduziert. Das funktionalistische Credo lautet: Das Mentale ist das, was es uns tun lässt.

Der Mangel dieser Theorie liegt auf der Hand: Es gelingt ihr nicht, mentale Zustände zu erklären. Das Gefühl, verliebt zu sein, lässt sich nicht allein durch entsprechendes Verhalten erklären, denn das Gefühl bleibt auch dann, wenn wir das Verhalten ausblenden, und es wäre gelinde gesagt naiv zu behaupten: »Du bist ofensichtlich nicht verliebt, weil du keine Gedichte schreibst und keine Blumen verschickst.« Jeder weiß, wie es sich anfühlt, verliebt zu sein, so wie wohl die meisten wissen, wie es sich anfühlt, einen Sonnenuntergang am Meer zu beobachten oder frisch aufgebrühten Kaffee zu riechen. Philosophen nennen solche Empfindungen »Qualia« (phänomenales Bewusstsein), ein Ausdruck, der sich auf den subjektiven Erlebnisgehalt eines mentalen Zustandes bezieht.

Anscheinend kann noch so viel wissenschaftliche und funktionale Analyse diese innere Qualität, diesen »subjektiven Aspekt« einer bestimmten Empfindung nicht erfassen. Um das zu demonstrieren, schrieb der Philosoph Thomas Nagel 1974 einen berühmten Essay unter dem provozierenden Titel »What Is It Like to Be a Bat?« (»Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?«).9 Das mag wie ein Armutszeugnis dafür erscheinen, wie Philosophen ihre Zeit verbringen, aber Nagel hat nicht nur dagesessen und gedacht: »Wie würde es sich für mich, Thomas Nagel, anfühlen, eine Fledermaus zu sein? Ich frage mich, wie ich mich fühlen würde, wenn ich Flügel hätte und mich mit Hilfe der Echolotung bewegen könnte.« Vielmehr hat er die Frage gestellt, wie es sich für eine Fledermaus anfühlt, diese Dinge zu tun; wie es sich für eine Fledermaus anfühlt, eine Fledermaus zu sein. Nagel wollte darauf hinaus, dass es etwas gibt, was sich so anfühlt, wie ein Mensch, ein Mann oder ein Hund zu sein, und dass es in diesem Sinne auch etwas geben muss, was sich so anfühlt, wie eine Fledermaus zu sein. Aber so viel wir auch über die Physiologie, das Gehirn und die Echolotung der Fledermaus lernen mögen, können wir je voll verstehen, wie es sich anfühlt, eine Fledermaus zu sein? Nagel hält das nicht für möglich, und wenn er recht hat, dann ist das ein großes Problem für jede Theorie des Mentalen, die Physiologie mit mentalen Zuständen gleichsetzt. Hier haben wir den Fall, wo das volle Verständnis der Physiologie des Fledermausgehirns praktisch keinen Hinweis auf die Inhalte des mentalen Zustands einer Fledermaus gibt.

Im Jahr 1986 hat der australische Philosoph Frank Cameron Jackson Nagels Argument so erweitert, dass damit nicht nur der Funktionalismus, sondern jeder Versuch, mentale Zustände rein materiell zu erklären, angefochten wird. In seinem Gedankenexperiment »Marys Zimmer« stellte Jackson sich eine brillante Wissenschaftlerin namens Mary vor, die seit ihrer Geburt in einem Labor eingesperrt ist, das nur aus Schwarzweißtönen besteht. In diesem Raum untersucht sie die Welt mit Hilfe eines Schwarzweißmonitors. Als Spezialistin für die Neurophysiologie des Sehens weiß Mary alles über Farben. Sie versteht, wie die verschiedenen Wellenlängen des Lichts die Retina stimulieren und in das Sehzentrum des Gehirns geleitet werden, wo sie Eindrücke hervorrufen wie »Der Himmel ist blau« oder »Tomaten sind rot«. Und nun stellt Jackson die Frage: Angenommen, Mary bekommt schließlich einen Farbmonitor oder darf ihren schwarzweißen Raum verlassen. Wird sie dann etwas lernen, was sie vorher nicht wusste? Ofensichtlich ja, behauptet Jackson. Sie würde zum ersten Mal wissen, wie es sich anfühlt, einen blauen Himmel oder rote Tomaten zu sehen. Diese Erfahrungen würden sie etwas über Farben lehren, was all ihr bisheriges Wissen ihr nicht vermitteln konnte.10

Der materialistische Philosoph Daniel Dennett weiß, wohin das führt, und hat versucht, Jacksons Interpretation zu bestreiten. Wenn Mary wirklich alles über Farben wüsste, einschließlich, wie Dennett es ausdrückt, »zehn Milliarden wissenschaftlicher Abhandlungen« über das Thema, dann, so argumentiert er, würde sie wirklich wissen, wie es sich anfühlt, den blauen Himmel und rote Tomaten zu sehen. Dennett ist klar, dass das unserer Intuition widerspricht, aber er behauptet, Intuition sei nicht immer unser bester Ratgeber.11 Darin stimme ich ihm zwar zu, aber zum Ausgleich muss ich Jackson in einem anderen Punkt folgen: Es widerspricht nicht nur der Intuition, sondern auch der Vernunft, zu sagen, Mary würde jenseits ihrer schwarzweißen Welt nichts Neues entdecken, und ihre extrinsischen Informationen über Farben würden nicht durch intrinsisches Wissen ergänzt werden. Doch wenn das so ist, dann kann man sich nur schwer Jacksons Schlussfolgerung entziehen, dass alle Versuche, mentale Zustände auf körperliche zu reduzieren, zum Scheitern verurteilt sind, weil Mary alle relevanten Daten kannte, ihr früheres Wissen aber trotzdem unvollständig war.

Trotz seiner Probleme bleibt der Funktionalismus der führende Ansatz in den Neurowissenschaften, und das hat vor allem mit den Computern zu tun. Computer werden, wie Mausefallen, durch ihre Funktion definiert, durch das, was sie tun. Funktionalisten haben das, was unser Geist tut, mit dem gleichgesetzt, was Computer tun, und sagen damit letzten Endes, dass der Geist eine Art Computer auf Kohlenstoffbasis ist. In seinem Buch How the Mind Works gibt der Kognitionspsychologe Steven Pinker diesem Argument einen evolutionären Tenor. Weil »Denken eine Art Rechnerleistung ist«, so schreibt er, können wir den Geist als »ein System von Computerbauteilen verstehen, die durch die natürliche Auslese gestaltet wurden, um Probleme zu lösen, mit denen unsere Vorfahren in ihrem Leben als Jäger und Sammler konfrontiert wurden«.12 Wenn das aber so ist, dann sollte es zumindest im Prinzip möglich sein, Computer zu bauen, deren Leistungen unseren mentalen Fähigkeiten entsprechen. Ein Computer sollte also beispielsweise in der Lage sein zu denken. Der Funktionalist behauptet demnach, dass Computer nicht nur in bestimmter Hinsicht an den Geist erinnern, sondern tatsächlich mit ihm identisch sind. Falls das stimmt, wäre es eine nachdrückliche Bestätigung des Materialismus, weil ein materielles Objekt, nämlich ein Computer, sich als funktionales Äquivalent des immateriellen Geistes erweisen würde.

Seltsamerweise schließt der Materialismus in dieser Form die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod nicht vollständig aus. Denken Sie sich den Geist als ein Softwareprogramm und den Körper als Hardware, in dem sich die Software inkarniert. Es gibt keinen Grund, warum die Software nicht neue Möglichkeiten zur Verkörperung finden sollte, wenn die Hardware zusammenbricht. Futuristen argumentieren, dass Menschen eines Tages Unsterblichkeit auf Erden erlangen könnten, indem sie ihren Geist auf einen Computer »downloaden«, ihn mit neuer Software updaten und auf diese Weise unendlich weitermachen. Der Physiker Frank Tipler formuliert entsprechende Vorstellungen in seinem Buch The Physics of Immortality. Gleichwohl impliziert der Funktionalismus, dass der Geist nichts weiter als eine Ansammlung von Computerprogrammen ist. Gewiss ist es innerhalb dieses vorgegebenen Rahmens schwierig, sich das Leben nach dem Tod in irgendeinem der konventionellen philosophischen und religiösen Szenarios vorzustellen, die ich in diesem Buch umrissen habe. Wir müssen also ohne Vorurteile die Behauptung untersuchen, dass Computer so intelligent und denkfähig sind wie Menschen.

Die Annahme, dass Computer intelligent denken können, ist Richtschnur für eine ganze Schule der künstlichen Intelligenz unter der Bezeichnung »strong AI«. Diese Gruppe schien auf verblüffende Weise bestätigt zu werden, als dem IBM-Computer »Deep Blue« im Jahr 1997 in sechs Partien ein 3,5-zu-2,5-Sieg gegen Schachweltmeister Garri Kasparow gelang. Computer scheinen dabei zu sein, den legendären Turing-Test zu bestehen, den der Logiker, Mathematiker und Kryptoanalytiker Alan Mathison Turing zum Nachweis künstlicher Intelligenz vorgeschlagen hat. Turing fragte: Woran erkennen wir, ob menschliche Wesen intelligent denken? Wir reden mit ihnen. Also schlug er vor, das auch mit dem Computer zu versuchen. Ein Mensch und ein Computer sollten sich in einem Zimmer befinden und für die Fragesteller nicht sichtbar sein. Die Prüfung sollte so aussehen, dass der Mensch und der Computer die gestellten Fragen indirekt beantworteten, beispielsweise über einen Fernschreiber. Turing schrieb, wenn die Fragesteller nicht zwischen den Antworten des Menschen und des Computers unterscheiden könnten, dann dürfe mit Fug und Recht behauptet werden, dass Computer auf die gleiche Weise denken können wie Menschen. Natürlich war ihm klar, dass der Computer damit kein menschliches Bewusstsein haben würde. Aber, was soll’s, argumentierte er. Wenn wir mit anderen Menschen umgehen, können wir auch nicht sicher sein, dass sie ein Bewusstsein haben. Wir sehen ihr inneres Bewusstsein nicht, sondern nehmen nur wahr, was sie sagen und tun. Turing kam zu dem Schluss, intelligentes Denken könne für Computer wie für Menschen durch einen funktionalen Test beurteilt werden.13

Bis heute kann kein Computer den Turing-Test bestehen. Aber das ist nicht wirklich entscheidend, weil Computer immer schneller und besser werden. Und ich vermute, dass wir ihnen in nicht allzu ferner Zukunft »Turing-Medaillen« verleihen werden. Aber würde ein Computer, der den Turing-Test besteht, wirklich denken? Der Philosoph John Searle meint, wir könnten diese Frage beantworten, indem wir in seinem chinesischen Raum ein sehr interessantes Spiel spielen. In diesem chinesischen Raum befindet sich ein einziger Mensch – nehmen wir an, das sind Sie – und ein Bündel Karten mit chinesischen Ideogrammen darauf. Nehmen wir weiterhin an, Sie könnten kein Chinesisch und würden die Zeichen nicht einmal erkennen, wenn Sie sie sehen. Jemand reicht Ihnen neue Karten, auf denen Sie weitere unverständliche Ideogramme vorfinden. Zum Glück haben Sie ein Wörterbuch zur Hand, das Ihnen in Ihrer eigenen Sprache genaue Anweisungen gibt, die etwa so lauten: Wenn Sie diese Art von Symbol in Korrelation mit dieser Art von Symbol sehen, dann suchen Sie nach dem folgenden Symbolsatz. Sie halten sich an diese Regeln und geben für die Karten, die Sie bekommen haben, die passenden Karten von Ihrem Stapel zurück. Sie wissen nicht, dass die Leute, die das Experiment durchführen, ihre Karten als »Fragen« bezeichnen und die Karten, die Sie zurückgeben, »Antworten« nennen. Letztlich beantworten Sie die Fragen, die Ihnen gestellt werden, nach den detaillierten Regeln in Ihrem Buch. Nehmen wir an, Sie machen Ihre Sache nach einer Weile so gut, dass sich Ihre Antworten nicht mehr von denen chinesischer Muttersprachler unterscheiden lassen. Kurzum, Sie bestehen den Turing-Test. Aber, so fragt Searl, verstehen Sie Chinesisch? Eindeutig nicht! Auch wenn Sie die richtigen Antworten geben! Doch was Sie gerade getan haben, so schreibt Searle, ist genau das, was Computer tun. Sie manipulieren einfach nur Symbole. Folglich können sie die passenden Antworten geben, aber sie verstehen nichts von dem, was sie tun. Computer können überhaupt nichts verstehen, nicht einmal ihre eigene Software.14

In seiner Analyse unterscheidet Searle zwischen Syntax und Semantik. Die Syntax bezieht sich auf Grammatik oder funktionale Regeln, die Semantik auf Inhalt und Bedeutung. Searle geht es darum, dass ein Computer zwar die Syntax, aber nicht die Semantik beherrscht. Natürlich benutzen wir Computer nicht anders als Rechenschieber und Taschenrechner, um mentale Aufgaben zu bearbeiten. Aber es sind nicht die Taschenrechner, die mathematisch denken, sondern wir tun es mit Hilfe der Taschenrechner. Genauso wenig denken oder verstehen Computer irgendetwas; wir tun es mit Hilfe der Symbolmanipulation, die Computer leisten können. Und sogar diese Symbolmanipulation wurde von menschlichen Wesen in den Computer programmiert. Wenn ein Computer intelligent wirkt, dann ist das kein Wunder, weil die menschliche Intelligenz ihn geschaffen hat. So gesehen war es kein Computer, der Kasparow besiegte; in Wirklichkeit hat er gegen eine ganze Gruppe von Programmierern und Schachgroßmeistern gespielt, deren kollektiver Scharfsinn durch eine Maschine unterstützt wurde, die Millionen von Symbolmanipulationen pro Sekunde leistet. Die Stärke von Searles Argument liegt in seinem weiten Geltungsbereich: Es geht hier nicht nur um die Grenzen dieses oder jenes Computers, sondern hier wird deutlich, dass kein noch so komplexer Computer jemals wird denken können. Und wenn Computer nicht denken können, dann verliert der Funktionalismus sein bestes Argument und viel von seinem Reiz.

Wo stehen wir mit dieser Erkenntnis? Wir haben das Kapitel mit der Frage begonnen, ob es einen Unterschied zwischen dem Mentalen und dem Materiellen gibt oder ob alles materiell ist. Wir haben das Problem des Dualismus angesprochen – wie können mentale Zustände materielle Zustände verursachen? – und es vorläufig verlassen, um uns mit dem Materialismus als Alternative zu beschäftigen. Wir haben jedoch gesehen, dass der Materialismus sich auch mit den ausgeklügeltsten Überlegungen nicht aufrechterhalten lässt. Im Grunde wirkt das materialistische Argument wie ein Bumerang: Es begann mit dem Versuch, den Geist auf das Gehirn zu reduzieren, und konnte doch nur seine eigenen Begrenzungen aufzeigen. Die Wissenschaft selbst hat ihren »blinden Fleck« offenbart: Sie ist nur für einen eingeschränkten Bereich tauglich. Die moderne Wissenschaft funktioniert entsprechend dem vom Biologen Jacques Monod so benannten »Postulat der Objektivität«. 15 Das bedeutet, dass die Wissenschaft auf die Untersuchung materieller Dinge begrenzt ist, die objektiv und öffentlich beobachtet werden können. Die subjektive Domäne jedoch, also die Domäne des Mentalen, entzieht sich nach Monods Kriterium weitgehend dem Zugriff der Wissenschaft. Folglich brechen wissenschaftliche Einwände gegen die Seele zusammen, weil die Seele weder materiell noch objektiv ist. Die wissenschaftliche Suche nach der Seele wird zu einem weiteren kläglichen Beispiel dafür, dass man verlorene Schlüssel nur unter der Laterne sucht. Wird das Leben nach dem Tod dadurch zu einer realistischen Vorstellung? Noch nicht, wohl aber zu einer plausiblen. Die modernen Neurowissenschaften lassen keinen Zweifel daran, dass man den Geist nicht mit dem Gehirn gleichsetzen kann. Und auch wenn Schädigungen des Gehirns sich auf mentale Funktionen auswirken können, sind beide doch getrennt. Dadurch wird es möglich, dass unser immaterieller Geist und unser Bewusstsein das Ende unserer körperlichen Existenz überleben.