Kapitel 5

Die Physik der Unsterblichkeit

Multiple Universen und unbekannte Welten

 

Die zentrale Botschaft, die uns die
naturwissenschaftliche Forschung der letzten
hundert Jahre vermittelt hat, lautet, dass die
menschliche Erfahrung häufig ein unzuverlässiger
Wegweiser ist, wenn wir die wahre Natur der
Wirklichkeit suchen.
1

Brian Greene, Der Stoff, aus dem der Kosmos ist

 

 

Nahtoderfahrungen beweisen zwar nicht, dass es ein Leben nach dem Tod gibt, aber sie legen die Möglichkeit nahe. In diesem Kapitel werden wir die relevanten Ergebnisse der modernen Physik überprüfen. Atheisten führen immer wieder die Physik ins Feld, wenn sie argumentieren, dass wir rein materielle Geschöpfe sind, die lediglich aus Atomen und Molekülen bestehen. Das Verhalten der Materie folgt den Naturgesetzen, und diese Gesetze sind den Wissenschaftlern heute bekannt. Angesichts der Eigenschaften der Materie haben wir keine Chancen auf ein Leben nach dem Tod, weil die Funktionen des menschlichen Körpers dann zusammenbrechen und er sich auflöst. Außerdem erklären Atheisten, dass die religiöse Vorstellung der Ewigkeit die Existenz exotischer Orte wie Himmel und Hölle voraussetzt. Das Problem besteht darin, dass wir in einem materiellen Universum leben und diese alternativen Welten nirgendwo zu existieren scheinen, außer vielleicht in der Einbildung der Gläubigen. Folglich sei der Gedanke, dass Menschen über den Tod hinaus leben könnten, einfach lächerlich. Ich werde in diesem Kapitel zeigen, dass das atheistische Argument falsch ist. Die moderne Physik untergräbt nicht etwa die Chancen für ein Leben nach dem Tod, sondern vielmehr die Voraussetzungen des Materialismus. Außerdem eröffnen neue Entdeckungen in der Physik Szenarios, in denen Materie mit anderen Eigenschaften in Welten außerhalb unseres Universums überleben kann. So fantastisch das klingen mag, die moderne Physik hat die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod legitimiert.

Beginnen wir mit der Frage, was wahr sein muss, damit es ein Leben nach dem Tod geben kann. Zunächst einmal erfordert das Leben nach dem Tod eine fortdauernde Existenz. Wie wir gesehen haben, gibt es für die Unsterblichkeit zwei wesentliche Grundideen: das Überleben der Seele oder der gesamten wiederhergestellten Person. Auf den ersten Blick erkennt man, dass ziemlich viele Voraussetzungen erfüllt sein müssten, wenn diese Vorstellungen realistisch sein sollen. Alle Prämissen reichen weit über die menschliche Erfahrungswelt hinaus. Die buddhistische Idee einer Wiedergeburt in anderen Welten macht die Existenz ebensolcher Welten erforderlich. Im Christentum sind Himmel und Hölle ewige Reiche, die sich nicht nur jenseits des Universums, sondern auch außerhalb von Raum und Zeit befinden. Folglich braucht man Welten oder Universen jenseits von Raum und Zeit. Die abrahamitischen Religionen versichern ebenfalls, dass wir alle nach dem Jüngsten Gericht wieder einen Körper haben werden, der in gewisser Weise materiell, aber doch unvergänglich ist. Das setzt voraus, dass die Materie über Eigenschaften verfügt, die sich radikal von den Qualitäten jeder uns bisher bekannten Materie unterscheiden. Was sagt die moderne Physik dazu? Sind solche Dinge überhaupt möglich – und ist es sinnvoll, daran zu glauben?

Der Philosoph Bertrand Russell hat darüber intensiv nachgedacht und die Fragen mit einem entschiedenen Nein beantwortet. Russell argumentiert, dass all unsere Erfahrungen an Raum, Zeit und Materie gebunden sind. Es gibt nachweislich Naturgesetze, die zeigen, was Materie ist und wie sie sich verhält. Da wir Erfahrung auf diese Weise definieren, ist es sinnlos, von andersgearteten Erfahrungen zu sprechen, die nach dem Tod kommen. »Jede Erfahrung«, so argumentiert Russell, »gleicht wahrscheinlich den Erfahrungen, die wir kennen.« Und wenn wir uns nicht einmal vorstellen können, dass unsere Art von Erfahrung nach dem Tod weiterbesteht, nun, dann müssen wir sagen, dass es kein Leben nach dem Tod gibt.2 Sogar Mitte des 20. Jahrhunderts, als Russell diese Worte schrieb, war seine Argumentation sehr fragwürdig. Er hätte wissen sollen, dass in den vorangegangenen Jahrzehnten eine wissenschaftliche Revolution stattgefunden hatte, die nicht weniger epochal war als die kopernikanische. Diese Revolution, die den Übergang von der klassischen zur modernen Physik repräsentiert, implizierte eine vollständige Neuformulierung der Gesetze von Raum, Zeit und Materie, wie man sie bis dahin verstanden hatte und wie sie uns heute noch in unserer Alltagserfahrung erscheinen. Ich meine hier natürlich Einsteins spezielle und allgemeine Relativitätstheorie sowie die Gesetze der Quantenmechanik. Diese Gesetze sind so überraschend, unerwartet und jeder Intuition widersprechend, dass die Physiker, die sie entdeckten, endlos darüber debattierten, ob die Natur sich tatsächlich so verhalten konnte. Einer der herausragenden Vertreter der Quantenphysik, Niels Bohr, sagte seinen Studenten manchmal: »Das Problem bei Ihrer Idee ist nicht, dass sie verrückt ist, sondern dass sie nicht verrückt genug ist.« Bohr ging es darum, dass die Wirklichkeit sich als merkwürdiger erwiesen hatte als jede Art von Science-Fiction, und sie ist tatsächlich manchmal so bizarr, dass sie unsere Vorstellungskraft übersteigt. Diese seltsame neue Welt eröffnet uns Möglichkeiten, an die wir vorher nie gedacht haben.

Beginnen wir unsere Untersuchung der modernen Physik mit Einsteins revolutionären Entdeckungen über Raum und Zeit. Einstein entwickelte seine spezielle Relativitätstheorie beim Nachdenken über eine faszinierende Frage: Angenommen, Sie reisen in Ihrem Raumschiff mit halber Lichtgeschwindigkeit neben einem Lichtstrahl her. Würden Sie vom Raumschiff aus die Lichtgeschwindigkeit messen, wie sähe das Ergebnis aus? In Wirklichkeit gibt es kein Raumschiff, das so schnell fliegt, aber wir können die Frage aufgrund von Erfahrungen beantworten. Wenn ich mich in einem Zug befinde, der mit einer Geschwindigkeit von 60 Kilometern pro Stunde fährt, und neben mir fährt ein Zug mit einer Geschwindigkeit von 120 Kilometern pro Stunde, dann würde mir der Tacho anzeigen, dass der benachbarte Zug von meiner Position aus gesehen 60 Kilometer pro Stunde zurücklegt. Da wir wissen, dass die Lichtgeschwindigkeit etwa 300 000 Kilometer pro Sekunde beträgt, könnte man erwarten, dass ein Raumschif, das mit zirka 150 000 Kilometern pro Sekunde parallel zu einem Lichtstrahl fliegt, die Geschwindigkeit dieses Lichtstrahls mit 150 000 Kilometern pro Sekunde messen würde. Das könnten wir aufgrund unserer Erfahrung erwarten, aber die Erfahrung ist falsch. Die Gesetze der Physik, wie sie aus den berühmten Gleichungen von James Clerk Maxwell hervorgehen, erfordern, dass die Lichtgeschwindigkeit immer und überall gleich ist. Wenn Sie also auf der Erde stehen, während ich in meinem Raumschif mit halber Lichtgeschwindigkeit unterwegs wäre, dann würden wir beide die Lichtgeschwindigkeit von etwa 300 000 Kilometern pro Sekunde messen.

Wie kann das sein? Einsteins Genie zeigte sich in der Erkenntnis, dass die Regeln von Raum und Zeit bei so hohen Geschwindigkeiten andere sein müssen. Das bedeutet nicht, dass das Licht unter bestimmten Bedingungen anfängt zu spinnen, sondern dass die universellen Gesetze von Raum und Zeit anders sein müssen, als wir seit Newton angenommen haben. Einstein entwickelte die radikale Idee, dass Raum und Zeit nicht absolut sind, sondern für jeden Beobachter relativ. Je nachdem, wie wir uns bewegen, haben Sie und ich jeweils unseren eigenen Raum und unsere eigene Zeit. Es ist verlockend, darin das Ergebnis einer falschen Messung zu sehen: Vielleicht sind unsere Uhren nicht richtig synchronisiert, oder sie funktionieren bei sehr hohen Geschwindigkeiten nicht richtig. Aber mit unseren Uhren hat die Sache nichts zu tun. Relativität bedeutet, dass unsere Uhren in verschiedenen Situationen auch dann unterschiedliche Zeiten anzeigen werden, wenn sie hervorragend arbeiten und exakt messen. Wenn Sie mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs wären, würde Ihre Uhr sogar zu ticken aufhören, nicht etwa, weil Uhren bei so hohen Geschwindigkeiten nicht mehr funktionierten, sondern weil die Zeit für Sie stillstünde. Das ist schwer zu glauben, aber wir müssen uns einfach daran gewöhnen.

Einstein hat auf diesen unserer Intuition widersprechenden Vorstellungen der speziellen Relativitätstheorie aufgebaut und sie mit seiner allgemeinen Relativitätstheorie erweitert. Manche Geistes- und Sozialwissenschaftler haben die naturwissenschaftliche Debatte über Relativität zum Anlass genommen, einen kulturellen und moralischen Relativismus einzuführen: Alles ist irgendwie relativ. Aber das ist Unsinn. Für Einstein ist nicht alles relativ. Die Lichtgeschwindigkeit ist nicht relativ, sondern sie steht fest. Und auch wenn Raum und Zeit nicht absolut sind, ist etwas anderes absolut – die von Einstein so genannte Raumzeit. Diese Vorstellung hat radikale Folgen: Die Schwerkraft zum Beispiel ist die »Krümmung« der Raumzeit und kann mit Hilfe einer nichteuklidischen Geometrie, der neuen Geometrie der Raumzeit, gemessen werden. Wir erleben den Raum als dreidimensional und die Zeit als eindimensional – Einstein hat beide in der neuen, vierdimensionalen Raumzeit verbunden. Bei alldem kommt es darauf an, dass Raum und Zeit in Wirklichkeit ganz anders sind, als wir sie wahrnehmen: Unsere normale Erfahrung ist bei diesen Phänomenen nicht unter allen Umständen eine zuverlässige Orientierungshilfe.

Wenn schon Einsteins Schlussfolgerungen über Realität, Raumzeit und die gekrümmte Schwerkraft bizarr wirken, dann zeigen uns die Entdeckungen der Quantenmechanik, dass wir noch gar nichts gesehen haben … Einstein hatte die Extreme der makroskopischen Welt untersucht – Objekte, die sehr groß sind oder sich sehr schnell bewegen –, während es in der Quantenphysik um die Welt des sehr, sehr Kleinen geht. Und hier stellen wir fest, dass wir uns nicht mehr diesseits unseres Erfahrungshorizonts befinden. Ist Licht nun Welle oder Teilchen? Im Grunde beides. Man könnte darin eine seltsame Eigenschaft elektromagnetischer Strahlung sehen, die sich nicht auf feste Materie anwenden lässt. Aber wie zum Beispiel der französische Physiker Louis de Broglie Anfang des 20. Jahrhunderts nachgewiesen hat, ist das Wesen der Materie auch dual. Er wollte wissen, ob Materie Teilchen oder Welle ist, und Experimente zeigten, dass sie ebenfalls beides ist. Noch seltsamer wird die Geschichte, wenn wir zwei sehr kleine Teilchen an entgegengesetzte Enden des Universums schicken. Wir wollen wissen, ob das Verhalten des einen Teilchens das des anderen beeinflussen kann, ohne dass irgendein Austausch oder eine Kommunikation zwischen ihnen stattfindet. Erstaunlicherweise haben Experimente gezeigt, dass eine solche Beeinflussung möglich ist.3 Außerdem gelten die Regeln der Quantenmechanik nicht nur für subatomare Teilchen. Sie werden auf dieser Ebene gemessen, gelten jedoch für alle Arten von Materie und Energie, von Steinen über Stühle, Bäume und den menschlichen Körper bis zum gesamten Planeten Erde. Die verblüffende Schlussfolgerung aus der Quantenmechanik lautet: Das Verhalten von Materie wird nicht vollständig von festen Gesetzen und vorhersagbaren Ergebnissen beherrscht.

Jetzt ist es Zeit zu erkennen, warum sogar unsere vierdimensionale Welt von Raum und Zeit Teil einer größeren, multidimensionalen Welt sein könnte, deren weitere Dimensionen uns verborgen bleiben. Die Vorstellung zahlreicher Dimensionen ist Teil eines neuen physikalischen Ansatzes, den man »Stringtheorie« nennt. Viele Wissenschaftler sehen in der Stringtheorie die besten Chancen, Einsteins Relativitätstheorie mit der Quantenmechanik zu verbinden. In ihrer berühmtesten Form, der sogenannten M-Theorie, lautet die Behauptung der Wissenschaftler, dass die Wirklichkeit nicht in vier, sondern in elf Dimensionen aufgeteilt ist, zehn räumliche und eine zeitliche.4 Aber wo sind diese anderen Dimensionen? Die Stringtheoretiker sprechen von verborgenen Dimensionen, die so angeordnet sind, dass wir sie nicht sehen und keinen Zugang zu ihnen finden können. Aber obwohl wir sie nicht sehen können, helfen sie uns, Phänomene zu erklären, die für uns sichtbar sind. Die Physikerin Lisa Randall drückt es so aus: »Wir befinden uns in diesem dreidimensionalen Flachland … Unsere Welt steckt in diesem dreidimensionalen Universum fest, obwohl weitere Dimensionen existieren. Wir leben also auf einer dreidimensionalen Scheibe einer höherdimensionalen Welt.«5 Hmm, multiple Dimensionen! Ich frage mich, was Bertrand Russell dazu gesagt hätte.

Russell wäre wahrscheinlich völlig verblüfft gewesen angesichts der neuesten Entdeckungen in der Physik, die zeigen, dass Materie und Energie so grundlegend anders sind, als wir sie gewöhnlich wahrnehmen. Der größte Teil dessen, was wir »Materie« nennen, besteht in Wirklichkeit aus leerem Raum. Stützen Sie Ihre Hand auf einen Tisch; Sie werden ihn als fest empfinden und einen Gegendruck spüren, aber in Wirklichkeit ist da praktisch nichts. Woher wissen die Physiker das? Weil sie die Struktur des Atoms untersucht haben. Der Atomkern enthält fast die gesamte Masse, aber dieser Kern bildet nur einen winzigen Teil des gesamten Atoms. Wenn Sie sich den Kern als einen Ball im Zentrum eines Stadions vorstellen, haben Sie in etwa die Größenverhältnisse, um die es hier geht. Um den Kern herum schwirren nur ein paar Elektronen. Wenn Sie den Kern noch weiter untersuchen, werden Sie feststellen, dass er sich aus Quarks zusammensetzt. Das Atom ist demnach viel leerer Raum mit einigen Quarks und Elektronen. Aber noch niemand hat je ein Quark oder ein Elektron gesehen; ihre Eigenschaften wurden aus komplexen Experimenten abgeleitet. Quarks und Elektronen werden oft als winzige Objekte dargestellt, aber es wäre besser, sie als mathematische Begriffe oder Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu interpretieren. Fazit: Wir halten Materie für einen festen, schweren Stoff, aber sie besteht überwiegend aus nichts. Wie unangenehm muss es für Materialisten sein, das zuzugeben, wo sie doch immer wieder versichern, dass alles aus Materie besteht.

Noch bemerkenswerter als Materie, die sich seltsam benimmt, ist die Existenz von Materie, die man überhaupt nicht aufspüren kann. Ja, hier geht es um unheimliche, unsichtbare Materie, wie sie auch in der Science-Fiction-Literatur beschrieben wird. Die meisten Physiker akzeptieren heute, dass der größte Teil des Universums aus Materie und Energie besteht, die man »dunkle Materie« und »dunkle Energie« nennt. Auf die Existenz von dunkler Materie schließt man, weil die Galaxien in Clustern zusammengehalten werden, die Schwerkraft der gewöhnlichen Materie dazu aber nicht stark genug ist. Deshalb, so sagen die Wissenschaftler, muss es eine andere Art von Materie geben, die wir nicht sehen können. Dunkle Energie wurde auf ähnliche Weise »entdeckt«. Das Universum dehnt sich mit zunehmender Geschwindigkeit aus. Die ursprüngliche Explosion, der sogenannte Urknall, kann zwar für die Ausdehnung verantwortlich sein, nicht jedoch für die Beschleunigung. Um das zu verstehen, stellen Sie sich eine gewaltige Explosion vor, die einen Stein in die Luft schleudert. So schnell er auch fliegen mag, wird er doch im Lauf der Zeit langsamer werden. Aber was ist, wenn er immer schneller und schneller fliegt? Nun, dafür muss dann eine andere Kraft verantwortlich sein. Die Wissenschaftler behaupten, dass »dunkle Energie« die Kraft ist, die man braucht, um die wachsende Geschwindigkeit bei der Ausdehnung des Universums zu erklären. Und wie groß ist der Anteil der dunklen Materie und dunklen Energie an der gesamten Materie und Energie im Universum? Er beträgt erstaunliche 95 Prozent. Gewöhnliche Materie und Energie hat nur einen Anteil von fünf Prozent an der gesamten Materie und Energie im Universum. Den größten Teil der existierenden Materie und Energie kann man also mit den uns zur Verfügung stehenden Instrumenten nicht beobachten oder ausfindig machen. Dunkle Materie und dunkle Energie haben Eigenschaften, die sich von denen der beobachtbaren und messbaren Materie und Energie grundlegend unterscheiden.6

Diese neueren Entdeckungen zeigen uns, warum die erfahrungsbezogenen Einwände von Russell gegen ein Leben nach dem Tod völlig bedeutungslos sind. Sie basieren auf einer Art von gesundem Menschenverstand, der sich seinerseits auf die Physik früherer Generationen gründet, und von dieser Physik wissen wir inzwischen, dass sie keine brauchbare Orientierungshilfe für die Wirklichkeit als Ganzes ist. Dunkle Materie und dunkle Energie machen außerdem so ziemlich alle Verallgemeinerungen über Materie und Energie irrelevant. Wie kann man Aussagen über etwas trefen, von dem man lediglich fünf Prozent versteht?

Konzentrieren wir uns nun auf die beiden wichtigsten Entdeckungen über das Universum: Es hat einen spezifischen Anfang, und es ist optimal für die Existenz des Lebens eingerichtet. Religiöse Denker haben diese Aspekte als Gottesbeweise interpretiert, und in meinem Buch What’s so great about Christianity gehe ich genauer auf ihre Argumente ein. Aber hier will ich zeigen, wie einige der faszinierendsten Schlussfolgerungen der modernen Wissenschaft aus dem Bedürfnis entstehen, die theologischen und übernatürlichen Implikationen dieser Entdeckungen auszuklammern. Wir werden der Frage nachgehen, warum Wissenschaftler so allergisch auf die Vorstellung des Übernatürlichen reagieren. Im Zentrum meiner Überlegungen stehen jedoch die angebotenen Alternativen zur göttlichen Schöpfung; denn sie haben wichtige Auswirkungen auf unsere Forschungen über das Leben nach dem Tod.

Die eigentliche Bedeutung des Urknalls liegt nicht in der Vorstellung, dass das Universum einen Anfang hatte. Ja, damit wird bestätigt, was die Autoren des Alten Testaments vor über dreitausend Jahren versichert haben – entgegen den Behauptungen der alten Religion wie auch des Hinduismus und Buddhismus, die besagen, das Universum habe schon immer existiert. Die Schöpfungsgeschichte erklärt stattdessen: Gott schuf das Universum aus dem Nichts. Ursprünglich gab es nichts, und dann gab es das Universum. Die Autoren der Bibel haben das nicht aus irgendwelchen wissenschaftlichen Forschungsergebnissen abgeleitet, sondern im Grunde erklärt: »Gott hat uns das gesagt.« Und im Kern hatten sie recht. Das ist ein Punkt für diese vorherwissenden Juden.

Als noch beachtlichere Folgerung ergibt sich aus dem Urknall auch, dass Raum und Zeit einen Anfang hatten. Das ist keine umstrittene Spekulation, sondern eine direkte Konsequenz des Urknalls und wird gewöhnlich in Einführungsvorlesungen zur Physik gelehrt. Aus dem Urknall können wir schlussfolgern, dass das Universum nicht in, sondern mit Raum und Zeit begann. »Vor« unserem Universum gab es keine Zeit. »Jenseits« unseres Universums gibt es keinen Raum. Das Universum begann mit dem, was Wissenschaftler eine ursprüngliche »Singularität« nennen, einen Punkt, an dem alle Masse im Universum in einen Zustand unendlicher Dichte zusammengepresst war.7 Dann bekamen wir – im vielleicht größten »Peng!« aller Zeiten! – das Universum samt Raum und Zeit auf einmal.

Wir sollten uns einmal klarmachen, wie sehr das unserer Intuition widerspricht. Stellen Sie sich vor, jemand erzählt Ihnen, der Raum würde an der Wand dort drüben enden. Das wäre natürlich lächerlich, denn auf der anderen Seite der Wand gibt es ebenfalls Raum. Oder stellen Sie sich vor, jemand sagt Ihnen, die Zeit habe vor einer Million Jahren begonnen. Das ist ebenfalls Unsinn, denn wenn wir weiter zurückrechnen, landen wir bei 1,1 Millionen Jahren. Weder Raum noch Zeit als solche deuten auf einen Anfang hin. In der Newton’schen Physik nimmt man an, dass sich der Raum in alle Richtungen ausdehnt und die Zeit endlos in Vergangenheit und Zukunft reicht. Die moderne Wissenschaft hat bewiesen, dass diese Annahmen falsch sind.

Es hat sich herausgestellt, dass Raum und Zeit Eigenschaften unseres Universums sind. Das besagen die Gesetze der Physik. Am besten stellen wir uns diese Gesetze als eine Art Grammatik des Universums vor. So wie die Grammatik die Handhabung von Sprache beschreibt, beschreiben die Gesetze der Physik, wie sich die Objekte in unserem Universum verhalten. Können wir eine Grammatik ohne Sprache haben? Natürlich nicht. Genauso können wir ohne das Universum, dessen Verhalten sie beschreiben, keine Gesetze der Physik haben.

Aber wenn Raum, Zeit und die Gesetze der Physik sich auf unser Universum beziehen, dann könnten Welten, die jenseits von ihm liegen – falls solche Welten existieren –, unabhängig von unseren Vorstellungen über Raum und Zeit oder sogar völlig ohne Raum und Zeit funktionieren. Jetzt erkennen wir plötzlich, wie stimmig die christliche Vorstellung der Ewigkeit ist, ein Reich jenseits von Raum und Zeit und den bekannten Gesetzen der Wissenschaft. Über Jahrhunderte hinweg war diese Vorstellung die Domäne päpstlicher Enzykliken und sonntäglicher Predigten, ohne dass irgendwelche Erfahrungswerte oder wissenschaftlichen Erkenntnisse sie gestützt hätten. Aber in den letzten Jahrzehnten, seit der Urknall von der wissenschaftlichen Gemeinschaft weitgehend akzeptiert wird, ist die Ewigkeit zu einem stimmigen Konzept geworden. Damit will ich nicht sagen, dass diese anderen Welten jenseits von Raum, Zeit und den Gesetzen der Physik tatsächlich existieren, wohl aber, dass sie nach dem Verständnis der modernen Physik möglich sind.

Warum der Urknall den Atheisten Sorgen bereitet, hat der Physiker Steven Weinberg so begründet: »Das Gewicht wissenschaftlicher Beweise spricht für einen Anfang und bedeutet damit einen gewissen Trost für jene, die an eine übernatürliche Schöpfung glauben.«8 Bemerkenswert ist jedoch, dass nicht nur Atheisten, sondern auch moderne Physiker besorgt sind. Die Wissenschaftler suchen händeringend nach einer Erklärung für den Urknall, die ohne einen Schöpfer auskommt. Anders als die Atheisten sind die Wissenschaftler dabei nicht zwangsläufig durch antireligiöse Vorurteile motiviert. Viele von ihnen tun vielmehr das, was die Wissenschaft fordert, und machen sich auf die Suche nach natürlichen Erklärungen für natürliche Phänomene. Das entspricht der Arbeitsplatzbeschreibung eines Wissenschaftlers, so wie es der Arbeitsplatzbeschreibung eines Baseballschiedsrichters entspricht, die Regeln nicht zu machen, sondern sie in bestimmten Situationen anzuwenden. Stephen Hawking hat die Herausforderung angenommen und ein Szenario vorgeschlagen, bei dem das Universum ohne eine ursprüngliche Singularität hätte entstehen können. Hawkings Vorschlag impliziert die sogenannte imaginäre Zeit, ein mathematisches Konzept, das sich auf die Quadratwurzel einer negativen Zahl bezieht. Wir kennen nichts in der Welt, das in imaginärer Zeit funktioniert. In realer Zeit, so räumt Hawking ein, habe das Universum einen Anfang. Zudem kann Hawking keine empirischen Beweise für seine Alternative anführen. Er gibt zu, dass sie, nun ja, rein imaginär ist. Eine andere, plausiblere Vorstellung ist die, dass das Universum einfach als Ergebnis einer Quantenfluktuation entstanden ist. Das einzige Problem dabei: Sogar Quantenfluktuationen ereignen sich in Raum und Zeit, aber »vor« dem Urknall gab es weder Raum noch Zeit. Wie wir gesehen haben, existierten »vor« dem Urknall überhaupt keine Gesetze der Physik, und das bedeutet, dass auch die Gesetze der Quantenfluktuation nicht existierten. Sogar wenn Hawkings Vorschlag oder die Idee der Quantenfluktuation sich als richtig erweisen sollten, braucht man jedenfalls mehr als Gesetze, um ein Universum ins Leben zu rufen. Wenn man den Bauplan für ein Auto hat, wird dadurch allein noch kein Auto gebaut. Wie Hawking einräumt, wissen wir immer noch nicht, wer oder was das Feuer in die Gleichungen eingefügt hat.9

Die Wissenschaft könnte also tatsächlich gezwungen sein, sich mit dem »G-Wort« auseinanderzusetzen. Und hier folgt ein noch größeres Problem, hervorgegangen aus der zweiten spektakulären Erkenntnis der modernen Wissenschaft, die ich schon erwähnt habe. Das ist die Entdeckung, dass unser Universum sehr fein abgestimmt ist, in der Fachsprache als anthropisches Prinzip bekannt. Wie John Barrow und Frank Tipler in ihrem Lehrbuch The Anthropic Cosmological Principle hervorheben, funktioniert unser Universum nach Maßgabe einer ganzen Reihe spezifischer numerischer Werte, die sehr präzise eingestellt sind. Diese ursprünglich so überraschende Vorstellung gehört inzwischen zum konventionellen Wissen der Physik. »Das Leben, wie wir es kennen«, schreibt der Physiker Steven Weinberg, »wäre nicht möglich, wenn eine von mehreren physikalischen Einheiten einen auch nur geringfügig anderen Wert hätte.« Weinberg weist auf eine Zahl hin, die man als »kosmologische Konstante« bezeichnet. Sie steht für die Energiedichte des leeren Raums. Damit Leben möglich ist, so schreibt Weinberg, müsse diese »unglaublich genau auf ungefähr 120 Dezimalstellen eingestellt« sein. Hawking nennt ein anderes Beispiel in seinem Buch Eine kurze Geschichte der Zeit: Wäre die Expansionsgeschwindigkeit eine Sekunde nach dem Urknall nur um ein hunderttausendmillionstel Millionstel kleiner gewesen, so wäre das Universum wieder in sich zusammengefallen, bevor es seine gegenwärtige Größe erreicht hätte. Der Astronom Martin Rees fasst die Situation so zusammen: »Unser Universum reagiert erstaunlich sensibel auf diese Zahlen. Wenn Sie sich vorstellen, dass Sie ein Universum gestalten, indem Sie lediglich sechs Wählscheiben einstellen, dann muss die Abstimmung präzise sein, damit in diesem Universum Leben existieren kann.«10

Die Bedeutung des anthropischen Prinzips ist führenden Atheisten nicht entgangen, und so versuchen sie verzweifelt, das ofensichtliche Eingreifen eines Schöpfers wegzudiskutieren. Richard Dawkins beispielsweise bestreitet zwar nicht die Feinabstimmung, argumentiert jedoch: »Das muss nicht bedeuten, dass das Universum gezielt gestaltet wurde, damit es uns geben kann. Es kann auch einfach heißen, dass wir da sind, und in einem Universum, das uns nicht hervorbringen könnte, wären wir eben nicht da.« In der Wissenschaft bezeichnet man das als »Selektionseffekt«. Die Schwierigkeit bei Dawkins’ Argument verdeutlicht der Philosoph John Leslie mit der Annahme, Terroristen würden eine gefährliche Bombe ein paar Meter entfernt von Ihnen hochgehen lassen. Würden Sie angesichts der extrem geringen Überlebenswahrscheinlichkeit nicht darüber staunen, dass Sie nicht tot sind? Und wie beeindruckt wären Sie erst, wenn Dawkins Ihnen sagte, dass Sie gar keinen Grund zum Staunen haben; ofensichtlich mussten Sie überleben, denn anderenfalls wären Sie nicht hier, um das Thema zu diskutieren. Leslie geht es darum, dass Ihr Überleben unter diesen Umständen extrem unwahrscheinlich bleibt und einer Erklärung bedarf.11 Die Feinabstimmung des Universums ist sogar noch unwahrscheinlicher als die Möglichkeit, dass ich in allen fünfzig Staaten der USA ein Lotterielos kaufe und jedes Mal gewinne. Wie unbedarft muss man sein, um nicht zu erkennen, dass hier etwas sehr Seltsames vorgeht?

Den Wissenschaftlern ist das klar. Seit das anthropische Prinzip erstmals vor über einem halben Jahrhundert von dem Astronomen Brandon Carter formuliert wurde, haben Wissenschaftler versucht, seine theistischen Implikationen zu unterlaufen. Der Urknall war schon übel genug, und nun auch noch das! Der Physiker Leonard Susskind schreibt in seinem Buch The Cosmic Landscape, das anthropische Prinzip sei eine »gewaltige Peinlichkeit« und eine Vorstellung, die »den meisten Physikern verhasst« sei. Den Grund dafür sieht Susskind darin, dass dieses Prinzip auf einen Schöpfer hinweist. Auch Susskind will davon nichts wissen. Er weist den »falschen Trost eines kreationistischen Mythos« zurück und schreibt, dass »die echte Wissenschaft Erklärungen verlangt, die keine übernatürlichen Akteure erfordern«.12 Auch hier folgen die Wissenschaftler wieder den Atheisten und entscheiden sich für die Gangart der Gottesvermeidung, was gar nicht so einfach ist, denn es gibt starke Beweise dafür, dass das Universum für ein Leben auf der Erde zugeschnitten ist. Wie kommt man also um die ofensichtliche Schlussfolgerung herum, die der Astronom Fred Hoyle ausdrücklich so formuliert hat, dass ein »Super-Intellekt an den Gesetzen der Physik herumgefummelt haben muss«?13

Kehren wir zu Leslies Beispiel mit der Bombe zurück. Würde eine einzige Bombe direkt neben jemandem explodieren und der betreffende Mensch überleben, dann wäre das wirklich erstaunlich. Aber nehmen wir einmal an, wir hielten uns in einem Kriegsgebiet auf. Überall fallen Bomben und töten Menschen. Als die Bombardierung endet, berichtet ein Mann, dass er eine Explosion ganz in seiner Nähe überlebt hat. Wäre das so überraschend? Nein, denn es ist gut möglich, dass von vielen tödlichen Bomben eine oder zwei ihr Ziel verfehlen. Gewiss hat dieser Mann großes Glück gehabt zu überleben. Es hätte genauso gut jemand anders sein können. Und in solchen Situationen gibt es einen Selektionseffekt: Ofensichtlich hören wir von diesem einen Überlebenden, weil alle anderen bei den Explosionen getötet wurden. Aber das Überleben dieses einen Menschen ist als solches nicht überraschend. Die Regeln der Wahrscheinlichkeit besagen, dass bei einer großen Zahl von Versuchen viele ihr Ziel treffen und wenige es verfehlen werden.

Diese Überlegungen zeigen, dass eine natürliche Erklärung für die Feinabstimmung des Universums durchaus denkbar ist; und es überrascht kaum, dass einige führende Wissenschaftler sich intensiv damit beschäftigen und auch die Atheisten ein großes Interesse daran zeigen. Der Lösungsvorschlag lautet: multiple Universen. Sie sollen einen Weg aus dem Problem der Feinabstimmung weisen. Und die Logik ist nicht zu bestreiten: Wenn es eine endlose Zahl von Universen gibt, dann wäre es nicht verwunderlich, wenn in einigen davon günstige Bedingungen für das Leben herrschten. Bei einer sehr großen Auswahl und einer sehr hohen Anzahl von Versuchen stellen sich sogar sehr unwahrscheinliche Ergebnisse ein. Und dann müssen wir den Selektionseffekt einkalkulieren: Wenn nur ein oder zwei Universen das Leben ermöglichen, ist es vollkommen klar, dass wir etwas über die Lebewesen erfahren, die dort existieren, denn in den anderen Universen gibt es ja niemanden, von dem wir etwas erfahren könnten.

Und wo sind nun die empirischen Belege für multiple Universen? Haben wir auch nur die geringsten wissenschaftlichen Beweise für die Existenz eines einzigen Universums außer unserem eigenen? Nein. Und jetzt sind wir in einer wirklich komischen Situation. Im Grunde genommen befinden wir uns in einem fein abgestimmten Universum, das so aussieht, als sei es von einem Schöpfer genau so eingestellt worden, aber die Wissenschaft kann das Offensichtliche nicht zugeben, und deshalb müssen die Wissenschaftler viele Universen postulieren, für die sie nicht den geringsten Beweis haben, um zu erklären, warum wir das eine fein abgestimmte Universum haben, in dem wir leben. Um nachzuvollziehen, wie weit die Wissenschaft zu gehen bereit ist, brauchen Sie nur an die Thesen über multiple Universen zu denken. Vergessen Sie dabei nicht, dass diese Universen vollständig erfunden sind und ihre Existenz durch nichts bewiesen ist.

Ein Vorschlag postuliert ein einziges »Multiversum« mit Billionen von Tochteruniversen, von denen eins unseres ist. Eine andere Annahme lautet, dass es unendlich viele Universen gibt, die jeweils ihre eigenen Gesetze haben. Ein Physiker, Lee Smolin, geht davon aus, dass es eine Art darwinistischer natürlicher Auslese unter den Universen gibt, bei der die »am meisten angepassten« bzw. »fittesten« Universen überleben und andere untergehen. Der vielleicht verrückteste Vorschlag lautet: Wann immer irgendjemand eine Entscheidung trifft, spaltet sich das Universum in zwei Hälften. Wenn Sie beispielsweise beschließen, Ihren Urlaub auf Bali statt in Saint-Tropez zu verbringen – s’il vous plaît! Das Universum bricht in zwei Universen auseinander. In dem einen reisen Sie nach Bali, in dem anderen macht sich ein identischer Klon von Ihnen auf den Weg an die Côte d’Azur.14 Nein, die Physiker, die so etwas sagen, stehen nicht unter Drogen. Sie kochen solche Szenarien aus, weil es nur auf diesem Weg möglich ist, Gott aus ihren Gleichungen herauszuhalten. Der Kosmologe Bernard Carr bringt das Dilemma auf den Punkt: »Wenn es nur ein einziges Universum gibt, dann würde man vielleicht jemanden brauchen, der die Feinabstimmung bewirkt hat. Falls Sie Gott nicht wollen, dann ist ein Multiversum günstiger.«15

Ich glaube im Grunde nicht, dass all diese Rollen rückwärts das Gottesproblem wirklich beseitigen können. Multiple Universen mögen zwar hilfreich sein, aber trotzdem bleibt die Frage: Ja, aber wer hat denn diese Universen geschaffen? Der Physiker Stephen Barr schreibt, dass auch die Möglichkeit multipler Universen nicht gegen die Gotteshypothese spricht.16 Aber darauf will ich hier gar nicht hinaus. Mir geht es vielmehr um die Frage, welche Eigenschaften man von diesen Universen erwartet. Erinnern wir uns daran, was wir zuvor über die Gesetze der Physik gelernt haben: Sie gelten nur für unser Universum. Für Carl Sagan bedeutet das: Falls es andere Universen gibt, »dann könnten in diesen Universen andere Naturgesetze herrschen, und es könnte dort andere Arten von Materie geben«. Beispielsweise läuft die Zeit in unserem Universum vorwärts – die Wissenschaftler sprechen vom »Zeitpfeil« –, aber vielleicht fließt die Zeit in einem anderen Universum anders oder gar nicht. Und da andere Universen nicht nach unseren Gesetzen der Physik funktionieren, kommt Sagan zu dem Schluss: »Wir könnten vielleicht nie fähig sein, ihre Geheimnisse zu ergründen, und sie erst recht nicht besuchen. «17

Viele Leser haben sich an dieser Stelle vielleicht längst von den multiplen Universen verabschiedet, aber ich kann nicht bestreiten, dass sie möglich sind, und ich gestehe, dass ich sie faszinierend finde. Vor allem die Vorstellung von Universen mit jeweils eigenen Gesetzen ist nicht nur interessant, sondern wissenschaftlich auch einigermaßen plausibel. Sie erscheint zunächst absurd, weil sie sämtlichen Erfahrungen widerspricht. Die Erfahrung sagt uns beispielsweise, dass sich die Zeit nur vorwärts auf die Zukunft hinbewegt und gar keine andere Richtung einschlagen kann. Erinnern wir uns jedoch, dass unsere Erfahrung bei solchen Angelegenheiten keine sehr zuverlässige Orientierungshilfe ist, die uns schon hinsichtlich der Regeln in unserem eigenen Universum auf der Ebene des sehr Schnellen und sehr Kleinen in die Irre führt. Gewiss können wir uns nicht auf sie berufen, wenn es um fremde Universen geht.

Wir haben dieses Kapitel mit der Frage nach alternativen Jenseitswelten begonnen, Welten jenseits von Raum und Zeit und gewöhnlicher Materie. Lassen sich solche Vorstellungen vom Leben nach dem Tod nur rechtfertigen, wenn man an das Übernatürliche glaubt, oder passen sie auch in den Rahmen unserer besten wissenschaftlichen Theorien? Nun können wir den Schluss ziehen, dass die vorgeschlagenen Szenarios für ein Leben nach dem Tod der modernen Naturwissenschaft in keiner Weise widersprechen. Vielmehr stehen sie perfekt im Einklang mit den wichtigsten aktuellen Ideen und Entdeckungen, von der Relativitätstheorie über die Quantenmechanik bis zu dunkler Materie und multiplen Universen. Atheisten können die Vorstellung einer Ewigkeit jenseits der Zeit oder unsichtbarer Materie, die sich von unserer gewöhnlichen Materie unterscheidet, oder Welten, die ihren eigenen Gesetzen folgen und ihre eigene Existenzweise haben, nicht mehr als unwissenschaftlich belächeln.

Der Astronom Owen Gingerich denkt in diesem Zusammenhang über die christliche Vorstellung des Himmels nach. »Christen malen sich schon lange einen Himmel aus, zu dem sie keinen körperlichen Kontakt haben, nicht den Himmel über der Erde, sondern den empyreischen Himmel. Das ist ein völlig anderer Ort, wo es nichts Böses und kein Leiden gibt und dessen Bewohner niemals altern. Er kann also kein umgestaltetes Bild unserer gegenwärtigen Welt sein, denn die Umgestaltung würde den innersten Kern unseres physikalischen Wissens treffen. Die Regeln unseres Kosmos aufzuheben wäre dasselbe, als würden wir in einem anderen Universum leben.«18 Gingerich geht es um Folgendes: Wäre unser Universum das einzige, dann würde die christliche Vorstellung des Himmels unmöglich erscheinen, oder sie wäre nur dann möglich, wenn man sich auf ein Wunder beruft. Gibt es jedoch multiple Universen, dann ist es durchaus denkbar, dass eines davon genauso funktioniert, wie wir uns den christlichen Himmel vorstellen. »Es ist nicht automatisch absurd, sich andere Orte mit ungewohnten physikalischen Gesetzen vorzustellen. « Der Himmel wird damit zu einer realen Möglichkeit unter der vorhandenen Vielfalt von Gesetzen, die in multiplen Universen herrschen. Ganz gewiss steht er nicht im Widerspruch zu irgendwelchen Erkenntnissen der modernen Naturwissenschaft. Die Schönheit von Gingerichs Szenario liegt darin, dass es den wissenschaftlichen Fluchtweg nutzt. Viele Wissenschaftler haben diese Denkrichtung eingeschlagen, um der Begegnung mit Gott aus dem Weg zu gehen, und ausgerechnet dabei haben sie plausible Szenarios für Jenseitswelten wie Himmel und Hölle entworfen.

Was hat die moderne Physik also über die östlichen und westlichen Vorstellungen eines Lebens nach dem Tod zu sagen? In Newtons Zeit war ihr Urteil eindeutig negativ. Heute ist die Situation jedoch völlig anders. Die moderne Physik hat unseren Horizont erweitert und zeigt uns nun, wie das Leben nach dem Tod innerhalb des vorgegebenen Rahmens der physikalischen Realität möglich ist. Der materialistische Einwand hat sich als Blindgänger erwiesen; ja, die moderne Physik stellt sogar den Materialismus selbst in Frage. In einem entscheidenden Bereich und manchmal gegen die Absichten der Wissenschaftler hat die moderne Wissenschaft sich nicht als Feind der religiös Gläubigen, sondern als ein unerwarteter Verbündeter erwiesen.