Der Werbebetrug der Atheisten
Tod – das unentdeckte Land,
von des Bezirk kein Wandrer wiederkehrt.1
Shakespeare, Hamlet
Am 7. Juli 1776 besuchte der Schriftsteller James Boswell den Philosophen David Hume, der im Sterben lag. Boswell hat die beste Biografie in englischer Sprache geschrieben: über das Leben des Samuel Johnson. Wie Boswell selbst berichtet, diente sein Besuch bei Hume der Befriedigung einer »perversen Neugier«. Boswell hatte oft gehört, im Schützengraben gebe es keine Atheisten – mit anderen Worten, im Angesicht des Todes würden wir alle zu Gläubigen – , und er wollte sehen, ob der große Skeptiker Hume auf seinem Totenbett konvertierte. Er tat es nicht. Und damit nicht genug, Boswell fand ihn »gelassen und sogar heiter«. Der Ökonom Adam Smith schreibt in seinem Bericht über Humes Tod, der Sterbende habe über seinen Streit mit dem Tod sinniert, bei dem er den Tod gebeten hatte, ihm noch ein wenig Zeit zu lassen, damit er ein Manuskript überarbeiten könne. Der Tod hatte listig erwidert, Manuskripte bedürften stets einer weiteren Überarbeitung, hatte ihn einen »herumtrödelnden Gauner« genannt und ihn aufgefordert, ins Boot zu steigen. Im Gespräch mit Boswell sagte Hume, seit seiner Kindheit habe er die Vorstellung der Unsterblichkeit niemals ernst genommen. Als Christ fühlte sich Boswell durch diese Aussage verunsichert, aber er war zugleich seltsam beeindruckt davon, wie Hume seinem Ende ruhig und getrost entgegensah.2
Hume scheint einige unserer atheistischen Zeitgenossen inspiriert zu haben. Kürzlich erklärte Richard Dawkins in Bill Mahers Fernsehshow, er wolle sein eigenes Sterben auf Video aufgenommen haben. Auf die Frage nach dem Grund für diesen seltsamen Wunsch antwortete Dawkins, religiöse Menschen würden wahrscheinlich Gerüchte darüber verbreiten, er sei auf seinem Totenbett konvertiert, und die Aufzeichnung solle der Beweis für das Gegenteil sein. Auch der Philosoph Daniel Dennett beharrt darauf, er werde im Angesicht des Todes bei seinem Unglauben bleiben. Vor einigen Jahren musste sich Dennett einer lebensgefährlichen, neun Stunden dauernden Herzoperation unterziehen. Er räumt ein, das sei eine »grauenvolle Erfahrung« gewesen, die seinen Atheismus auf die Probe gestellt habe. In einem Essay unter dem Titel »Thank Goodness!« erklärte er nach seiner Genesung, sein Atheismus sei unterdessen völlig intakt geblieben und in gewisser Weise sogar gestärkt worden. Sein Überleben sei nicht Gottes Verdienst, sondern das der Mediziner, und ihnen gelte folglich all seine Dankbarkeit. Dass ein Teil seiner Verwandten und Freunde Gott ins Spiel gebracht hatten, wusste er überhaupt nicht zu schätzen. Als er von anderen erfuhr, dass sie für ihn beteten, ließ er sie wissen, er »vergebe ihnen bereitwillig« diese Torheit. Dennett sagt, er habe sich die Antwort verkniffen, dass sie genauso gut eine Ziege hätten opfern oder einen Voodoo-Priester beauftragen können, seine Genesung mit Hilfe von Zaubersprüchen herbeizuführen.3
Wenn ich über diese Episoden nachdenke, widerstrebt mir die Arroganz von Dawkins und Dennett, die Umgänglichkeit Humes dagegen finde ich durchaus reizvoll. Worauf es mir hier jedoch ankommt, ist das, was diese Vorfälle gemeinsam haben. Alle drei Atheisten sind ofenbar bereit, in den Tod zu gehen, ohne die Möglichkeit eines Lebens danach ernsthaft in Betracht zu ziehen. Mit anderen Worten: Sie tun so, als wüssten sie, dass es ein solches Leben nicht gibt. Und genau dieses »Wissen« ist es, das Dawkins und Dennett in unserer Gesellschaft und in unseren Klassenzimmern verbreiten. Was also wissen sie, das uns unbekannt ist, und wie sind sie zu ihrem Wissen gekommen?
Der atheistischen Überzeugung, dass es kein Leben nach dem Tod gibt, entspricht natürlich eine gleich starke gegenteilige Überzeugung der religiös Gläubigen. Fragt man einen Christen, ob es ein Leben jenseits des Grabes gibt, wird er antworten: »Aber sicher.« Und schon bald erfährt man in allen Einzelheiten, wie ein solches Leben im Himmel und in der Hölle aussieht. Fragt man dann nach den Quellen für einen so genauen Bericht, wird die Bibel genannt: das Alte Testament, die Evangelien, die Offenbarung. Als ich mit einem Mitglied meiner Kirche über dieses Thema sprach, wies er auf einen Sticker hin, den er auf dem Parkplatz gesehen hatte: »Die Bibel sagt es. Ich glaube es. Das genügt.«
Begründungen dieser Art bringen Atheisten auf die Palme. In seinem Buch Das Ende des Glaubens schreibt Sam Harris: »Sag einem gläubigen Christen, dass seine Frau ihn betrügt oder dass gefrorener Joghurt einen Menschen unsichtbar machen kann, dann wird er wahrscheinlich wie jeder andere Mensch Beweise fordern und die Behauptung nur glauben, wenn ihn diese Beweise überzeugen. Sag ihm, dass das Buch auf seinem Nachttisch von einer unsichtbaren Gottheit geschrieben wurde, die ihn mit ewigem Feuer bestrafen wird, wenn er nicht jede darin enthaltene unglaubliche Behauptung über das Universum glaubt, dann braucht er dafür anscheinend nicht den geringsten Beweis.« Harris behauptet standhaft, man könne sich »kaum irgendwelche Überzeugungen vorstellen, die stärker auf eine Geisteskrankheit hindeuten«.4
Wir sollten nicht übersehen, dass Harris, ungeachtet seines verdrießlichen Tonfalls, bis zu einem gewissen Grad dem gesunden Menschenverstand Ausdruck verleiht. Ihm geht es darum, dass der Christ hier eine Art hausinterner Logik anwendet. Woher wissen wir, dass es ein Leben nach dem Tod gibt? Weil die Bibel das sagt. Woher wissen wir, dass die Bibel recht hat? Weil Gott sie geschrieben hat. Woher wissen wir, dass Gott sie geschrieben hat? Weil das in der Bibel steht. Ja, wir müssen zugeben, dass es sich hier um einen Zirkelschluss handelt, den außerhalb des Zirkels Stehende wahrscheinlich nicht akzeptieren werden. Der Atheist Michael Shermer, Herausgeber des Magazins Skeptic, geht sogar noch weiter. Niemand, so schreibt er, habe je einen Toten getroffen, der zurückgekommen sei, um über das Leben nach dem Tod zu berichten. Jede Menge Leute seien gestorben, und keiner habe irgendwelche Formulare ausgefüllt oder im Fernsehen Interviews gegeben, um uns fesselnde Details darüber zu berichten, was uns auf der anderen Seite erwartet.5 Shermer vertritt den Standpunkt, der Gläubige habe keine guten Argumente, wenn er uns versichere, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Der Gläubige hat für seine Ansicht nicht den geringsten Beweis, und seine Versicherung beruht nicht auf Vernunft, sondern allein auf Glauben.
Mit diesem Argument kann Shermer zwar punkten, aber es lässt sich genauso gut umkehren. Was weiß der Atheist, was der Gläubige nicht weiß? Gar nichts. Atheisten haben ebenso wenig mit Toten gesprochen wie Gläubige. Auch gibt es keine Atheisten, die selbst auf der anderen Seite waren, um in Erfahrung zu bringen, was es dort gibt. Der Tod bleibt, wie Hamlet uns sagt, ein unentdecktes Land, und wir haben nicht einmal den Geist von Hamlets Vater, der uns irgendwelche Hinweise geben könnte. Und sogar dieser Geist, obwohl er eine gute Story zu erzählen hätte, erklärt Hamlet, es sei ihm »untersagt, das Innre meines Kerkers zu enthüllen«. Also kein Wort darüber von der anderen Seite, und das müssen Atheisten ebenso wie Gläubige akzeptieren. Der Atheist kann die Nichtexistenz eines Lebens nach dem Tod ebenso wenig beweisen wie der Gläubige dessen Existenz. Beide behaupten, sie besäßen ein Wissen, über das keiner von ihnen wirklich verfügt. Es ist alles eine Sache des Glaubens – für den Atheisten ebenso wie für die Gläubigen.
Dieses Gleichgewicht zwischen Atheismus und religiösem Glauben könnte für beide Positionen gleich schädlich erscheinen, doch tatsächlich stellt es für den Atheismus ein sehr viel größeres Problem dar. Erstens hat die Überzeugung des Gläubigen zumindest eine plausible Quelle. Diese Quelle ist die göttliche Offenbarung, wie sie in einem heiligen Text ausgeführt wird. Also vertraut der Gläubige auf etwas, was als unanfechtbare Quelle gilt, nämlich Gott. Worauf gründet der Atheist im Gegensatz dazu seinen Glauben? Wer oder was ist seine Legitimation? Darauf antwortet der Atheist gewöhnlich, dass er auf die Vernunft vertraut. Sam Harris schreibt, dass der wirklich rationale Mensch »bei religiösen Fragen dieselben Beweise fordert wie bei allen anderen«.6Richard Dawkins schreibt, er glaube nicht, weil er »ein heiliges Buch gelesen hätte, sondern weil ich die Belege untersucht habe«.7 In diesem Fall haben Harris und Dawkins die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod ausgeschlossen, ohne dass es die geringsten Beweise dafür gibt. Hier finden wir also einen zweiten Unterschied zwischen einem religiös Gläubigen und einem Atheisten. Der Gläubige ist meist ehrlich und selbstbewusst genug, um anzuerkennen, dass sich seine Überzeugung auf Glauben gründet, während der Atheist sich der irrigen Vorstellung hingibt, seine Position basierte auf Vernunft und Beweisen.
Aber wie überzeugen sich Atheisten dann selbst davon, dass sie etwas wissen, wovon sie in Wirklichkeit keine Ahnung haben? Die Antwort hat erstaunlicherweise mit einem gründlichen Missverständnis von Wissenschaft zu tun. Eine berühmte Begebenheit ist typisch dafür: Vor einigen Jahrzehnten kehrte eine Gruppe sowjetischer Kosmonauten von einer Weltraummission zurück, und sie verkündeten triumphierend, sie hätten dort draußen überall nach Gott gesucht, ihn aber nicht gefunden. Auf dieser Basis »bestätigten« die Kosmonauten die kommunistische Doktrin, dass es keinen Gott gibt. Auf derselben Grundlage hätten sie wahrscheinlich auch erklären können, dass es keinen Himmel gibt. Als ich den Vorfall bei einem Drink im Gespräch mit Christopher Hitchens erwähnte, lachte er und sagte: »Es ist schwer, zu glauben, dass diese Jungs wirklich so naiv waren.« Hitchens verstand natürlich sofort, dass die Sowjets an den völlig falschen Orten nach Gott gesucht hatten. Sie waren immer noch in der mittelalterlichen Vorstellung gefangen, dass der Himmel »dort oben« und die Hölle »tief unten« ist. Aber gläubige Menschen versichern uns nun schon seit Jahrhunderten, dass man Gott und den Himmel nur jenseits des Universums finden kann. Stellen Sie sich vor, wie der arme Hamlet durch das Schloss rennt und sagt: »Ich habe überall gesucht, aber ich kann Shakespeare nirgendwo finden. Also muss ich daraus schließen, dass Shakespeare nicht existiert.«
In seinem Buch God: The Failed Hypothesis beharrt der Physiker Victor Stenger darauf, dass die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gebe, eine wissenschaftliche ist. Das Problem sei jedoch, das »keine behauptete Verbindung mit dem Jenseits jemals … in kontrollierten wissenschaftlichen Experimenten nachgewiesen werden konnte«.8Der Biologe Francis Crick fragt, wenn religiös Gläubige »wirklich an ein Leben nach dem Tod glauben, warum führen sie dann keine aussagekräftigen Experimente zum Beweis durch?«.9 Die Antwort auf Cricks Frage lautet, dass die meisten Gläubigen nicht auf der Grundlage wissenschaftlicher Tests an ein Leben nach dem Tod glauben. Deshalb werden sie auch kaum derartige Experimente ersinnen. Man hätte vielleicht erwarten dürfen, dass Wissenschaftler wie Crick und Stenger einige Tests vorschlagen würden, die bei der Entscheidung der Frage hilfreich wären. Wenn die Behauptung, dass »es ein Leben nach dem Tod gibt«, eine wissenschaftliche Hypothese ist, dann erscheint es grob fahrlässig, sie ohne den Versuch einer empirischen Widerlegung abzulehnen. Da Crick und Stenger aber genau das tun, frage ich mich, ob diese Herren routinemäßig Positionen übernehmen, die nicht durch Fakten bestätigt sind.
Eine derartige Kritik ist jedoch ein wenig unfair, denn viele Atheisten sind sich bewusst, dass es keine kontrollierten empirischen Experimente gibt, mit deren Hilfe sich die Frage auf die eine oder andere Weise beantworten ließe. Folglich versuchen Atheisten, die Rationalität ihrer Position auf einem anderen Weg zu bestätigen. Sie berufen sich auf ein Argument, das Ende des 19. Jahrhunderts von William Clifford vorgetragen wurde. In seinem berühmten Essay »The Ethics of Belief« argumentierte Clifford, es sei »falsch, immer, überall und für jeden, irgendetwas ohne ausreichende Beweise zu glauben«. Clifford führte als Beispiel einen Schiffseigner an, der ein Schiff ohne die nötigen Sicherheitsüberprüfungen auf See schickte. Er wünschte den Passagieren alles Gute, aber als das Schiff sank, strich er ungerührt die Versicherungssumme ein. Der Schiffseigner empfand keine Reue, denn er wusste nicht, dass sein Schiff unsicher war. Clifford geht es darum, dass der Mann ein Halunke war. Er hätte es wissen müssen! Er hatte nicht das Recht, sein Schiff ohne die entsprechenden Nachweise für seetüchtig zu erklären. Clifford zieht daraus den Schluss, dass wir nur das für wahr halten sollten, was hinlänglich bewiesen ist; alles andere sollten wir als falsch ablehnen. Diesen Standpunkt kann man in dem beliebten atheistischen Slogan »Das Fehlen von Beweisen ist der Beweis des Fehlens« zusammenfassen.10 Bei aller Bewunderung für Cliffords heldenhaftes Festhalten an der Wahrheit habe ich diesem Prinzip lange misstraut, ohne sagen zu können, was daran nicht in Ordnung ist. Jetzt glaube ich, es zu wissen: Es verwechselt das, »was eine bestimmte Person unter den vorliegenden Umständen weiß«, mit dem, »was der Fall ist oder nicht der Fall ist«. Stellen Sie sich einen Menschen vor, der im 5. Jahrhundert v. Chr. in Griechenland lebte. Ihm sind nach aller Erfahrung und allen ihm vorliegenden Beweisen nur drei Kontinente auf diesem Planeten bekannt, keine anderen Planeten in der Galaxie und nur eine Handvoll Sterne im Universum. Was sagt uns das über die Zahl der tatsächlich existierenden Kontinente, Planeten oder Sterne? Absolut nichts. Es sagt uns lediglich, dass die alten Griechen über sehr begrenzte Informationen verfügten. Oder denken Sie daran, wie sich ein Teil unserer zeitgenössischen Wissenschaftler darum bemüht, Leben auf anderen Planeten zu entdecken. Bisher wurde nichts gefunden. Sollten wir uns deshalb weigern zu glauben, dass es Leben auf anderen Planeten gibt, und unsere Weigerung damit begründen, dass das Fehlen von Beweisen der Beweis des Fehlens ist? Das wäre gewiss voreilig. Das Fehlen von Beweisen kann nur ein Hinweis darauf sein, dass wir noch nicht entdeckt haben, wie man das aufspürt, wonach wir suchen. »Nicht gefunden« bedeutet nicht dasselbe wie »gefunden, dass es nicht existiert«.
Diese Beispiele zeigen die Grenzen des Prinzips der »fehlenden Beweise«, aber die Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, birgt ein sogar noch tieferes Problem. Ich will versuchen, das mit einer Analogie zwischen dem Leben nach dem Tod und einem großen Geldbetrag auf einem schweizerischen Bankkonto zu verdeutlichen. Stellen Sie sich vor, ich würde Sie fragen, ob ich ein solches Konto habe oder nicht. Sie erklären Ihre feste Überzeugung, dass ich es nicht habe. Als Beweis führen Sie an, Sie hätten noch nie gesehen, wie ich die Bank aufsuche. Außerdem hätten Sie mich beim Einkauf beobachtet und festgestellt, dass mein Portemonnaie dünner wird, wenn ich Geld ausgebe. Sie schließen daraus, dass meine Geldbörse irgendwann leer und ich pleite sein werde. Also ist ganz klar, dass ich kein Bankkonto habe. Dann frage ich Sie, ob Sie Zugang zu den internen Aufzeichnungen der Bank haben. Die Antwort ist ein Nein. Sind Sie jemals bei dieser Bank gewesen? Nein, Sie waren bisher noch nicht einmal in der Schweiz. Haben Sie dafür gesorgt, dass die Bank rund um die Uhr überwacht wird, damit ich sie nicht unbemerkt betreten kann? Natürlich nicht. Ganz ofensichtlich ist Ihre Schlussfolgerung also äußerst unvernünftig. Sie haben viel zu wenig Informationen, um die eine oder andere Entscheidung zu treffen. Und genau in dieser Situation steckt auch der Atheist bei der Frage, ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Angesichts der verfügbaren Fakten hat er nicht nur keine Ahnung, was nach dem Tod geschieht, sondern er kann es überhaupt nicht wissen. Das Fehlen von Beweisen beweist gar nichts.
Und wie reagieren die Atheisten? Im Grunde sagen sie, der Verzicht auf Vernunft und Beweise, sogar in Situationen, die anscheinend außerhalb der Grenzen von Vernunft und Beweisen liegen, bedeute, die Tür für alle möglichen wahnwitzigen Vorstellungen zu öffnen. Sollten wir jetzt etwa an Einhörner und Zentauren glauben, nur weil man deren Existenz nicht widerlegen kann? Der Philosoph Bertrand Russell hat das Beispiel einer himmlischen Teekanne in die Debatte geworfen, die angeblich im Sonnensystem kreist, aber von keinem wissenschaftlichen Instrument ausfindig gemacht werden kann. Sollen wir an eine solche Absurdität glauben, nur weil sie nicht widerlegt werden kann? Mit einiger Schadenfreude beschwört Richard Dawkins das Beispiel eines unsichtbaren fliegenden Spaghettimonsters, das die Abläufe des Universums kontrolliert. Diese weit hergeholten Beispiele können nicht widerlegt werden, schreibt Dawkins, »und doch glaubt niemand, die Hypothese ihrer Existenz stehe auf der gleichen Stufe wie die Hypothese ihrer Nichtexistenz«.11 Mit anderen Worten: Die Wahrscheinlichkeit, die zu ihren Gunsten spricht, ist geringer als die Wahrscheinlichkeit, die zu ihren Ungunsten spricht.
Wenn wir uns diese Beispiele etwas näher ansehen, zeigt sich schnell, dass der Wahnwitz ganz bei den Atheisten liegt. Wir haben die Erde erfolglos nach Einhörnern abgesucht, und deshalb scheint die Behauptung gerechtfertigt, dass es keine gibt. Die Wissenschaftler sind überzeugt, dass Zentauren ein biologisches Unding sind. In diesen Fällen tendiert die Wahrscheinlichkeit also gegen null. Auch himmlische Teekannen sind ebenso unwahrscheinlich wie fliegende Spaghettimonster, aber unser Spott wird durch die gewählten Beispiele geradezu herausgefordert. Teekannen fliegen nicht, und Pasta scheint keine geeignete Zutat bei der Herstellung fliegender Monster. Wenn wir die Beispiele aber etwas modifizieren und auf Materie und Energie beziehen, die sich mit wissenschaftlichen Instrumenten nicht nachweisen lässt, vermutlich aber dennoch existiert und für die Bewegungen der Galaxien verantwortlich ist, dann haben wir gerade »dunkle Materie« und »dunkle Energie« beschrieben, die von den Wissenschaftlern heute weitgehend akzeptiert werden. In diesem Fall ist die Wahrscheinlichkeit also sehr groß, auch wenn die fraglichen Phänomene merkwürdig sind und nicht gut verstanden werden.
Ich bin mit Russell und Dawkins der Meinung, dass es auch dann, wenn bestimmte Theorien nicht verifizierbar sind, keinen Grund gibt, die Vernunft außen vor zu lassen. Aber ich bin ebenso der Meinung, wir sollten uns stets bewusst sein, was uns die Vernunft in einer bestimmten Situation sagt oder nicht sagt. Außerdem kann es Dinge geben, die sich unserer Erfahrung entziehen und anders sind als alles, was wir kennen, und wir sollten derartigen Möglichkeiten gegenüber aufgeschlossen sein und sie nicht von vornherein ablehnen. Denken Sie an die Möglichkeit, dass es in irgendeiner weit entfernten Galaxie Außerirdische geben könnte. Gäbe es irgendetwas über sie zu sagen, was nicht automatisch absurd klingen würde? Können wir beispielsweise die Möglichkeit ausschließen, dass Außerirdische zehn Augen haben? Nein. Können wir ausschließen, dass sie weniger als ein Staubkorn wiegen oder mehr als ein Wolkenkratzer? Nein. Können wir die Vorstellung als lächerlich abtun, dass sie kein Herz haben, dass sie sich durch Telepathie verständigen oder dass sie Metall verspeisen? Immer wieder nein. Das heißt also im Endefekt, dass wir im Hinblick auf die mögliche Existenz von Außerirdischen nichts ausschließen können. Vielleicht sieht einer von ihnen sogar wie ein fliegendes Spaghettimonster aus! Wenn die Atheisten sich über das Leben auf anderen Planeten so äußerten, wie sie sich über religiöse Behauptungen auslassen, dann würden wir ihren Spott sofort als das ignorante Vorurteil erkennen, das er ist.
Aber die Atheisten haben noch ein weiteres Argument, um ihren Ruf zu retten, dass sie nur Positionen akzeptieren, die sich auf Vernunft gründen. Dieses Argument wurde mir kürzlich bei einer Debatte entgegengeschleudert, die ich mit Daniel Dennett an der Tufts University führte, wo er lehrt. Dennett ist ein stämmiger Typ, der wie Santa Claus aussieht, und er ist die intellektuelle Inspiration für die Atheistengemeinde von Tufts. Ich wollte ihn vor seinen eigenen bewundernden Studenten herausfordern. Welchen Einfluss er auf sie hat, zeigte sich schon daran, dass im Publikum verstreut mehrere kleine Nikoläuse saßen. Während des Frage-und-Antwort-Teils stand einer von ihnen auf und argumentierte folgendermaßen: »Ich möchte Sie«, so sagte er, »mit dem Parsimony-Prinzip bekannt machen. Nach diesem Prinzip kann eine Behauptung nur auf zwei Arten wahr sein. Die eine Möglichkeit besteht darin, dass sie definitionsgemäß wahr ist. Wenn Sie sagen: ›Alle Junggesellen sind Singles‹, dann wissen wir, dass diese Behauptung wahr ist, weil Single Teil der Definition des Wortes ›Junggeselle‹ ist. Zweitens kann eine Behauptung wahr sein, wenn sie sich empirisch verifizieren lässt. Wenn Sie sagen: ›Walter ist ein Junggeselle‹, dann sagen Sie damit gleichzeitig, dass Walter nicht verheiratet ist, und das können wir nur durch eine Überprüfung der Eheregister nachweisen.« Der Student beharrte darauf, dass eine beliebige Behauptung nur auf die eine oder andere Weise wahr sein kann. Wenn sie keinem dieser beiden Kriterien entspricht, dann ist sie nicht einmal unwahr, sondern einfach sinnlos. »Und nun«, so fuhr der Student fort, »wollen wir diesen zweiteiligen Test auf Gott und die Unsterblichkeit anwenden. Sind diese Behauptungen definitionsgemäß wahr? Nein. Oder können wir sie empirisch überprüfen? Nein. Und deshalb«, so schloss er triumphierend, »sind diese Vorstellungen nicht nur falsch, sondern sinnlos.«
Das ist nun ein ziemlich cleveres Argument, und mir war klar, dass es aus den Schriften des skeptischen Philosophen Hume stammte. Der Student bezeichnete es als »Parsimony-Prinzip«, aber eigentlich nennt man es »Humes Verifikationsprinzip«. Hume nutzte es für seine Argumentation, alle metaphysischen Behauptungen seien sinnlos. Er schrieb: »Nimmt man zum Beispiel ein theologisches oder streng metaphysisches Werk in die Hand, so darf man nur fragen: Enthält es eine dem reinen Denken entstammende Untersuchung über Größe und Zahl? Nein. Enthält es eine auf Erfahrung sich stützende Untersuchung über Tatsachen und Dasein? Nein. Nun, so werfe man es ins Feuer; denn es kann nur Spitzfindigkeiten und Blendwerk enthalten. «12 Humes Verifikationsprinzip wurde die Grundlage des »Logischen Positivismus«, einer philosophischen Bewegung des 20. Jahrhunderts, die verifizierbare wissenschaftliche Gesetze als Wissen würdigte, nichtverifizierbare metaphysische Vorstellungen jedoch als Unsinn abtat. Diese intellektuelle Geschichte halte ich für wichtig, weil sich hier das Gedankengut entwickelt hat, das die Grundlage dessen bildet, was viele gebildete Menschen im Westen in den letzten Jahrhunderten geglaubt haben.
Als ich die Frage des Studenten hörte, war mein erster Gedanke, dass sein sogenanntes Parsimony-Prinzip nicht nur alle religiösen Behauptungen auslöschte, sondern auch den Atheismus. Denken Sie über die Aussagen »Gott existiert nicht« und »Es gibt kein Leben nach dem Tod« nach. Sind diese Aussagen inhärent wahr? Nein. Und sie können auch nicht durch experimentelle Verifikation bewiesen werden. Folglich sind auch sie, gemessen an diesem Standard, nicht schlüssig. Das habe ich dem Studenten aber nicht geantwortet, sondern ich habe mir genau das von ihm genannte Prinzip vorgenommen: Wenn es nur zwei Möglichkeiten gibt festzustellen, ob etwas wahr ist, dann wollen wir das auf den zweiteiligen Test des Parsimony-Prinzips anwenden. Ist das Prinzip definitionsgemäß wahr? Nein. Also dann, kann es empirisch bestätigt werden? Ebenfalls nein. »Demnach«, so lautete meine Schlussfolgerung, »ist das Prinzip nach Ihren eigenen Kriterien sinnlos. Wir können es vergessen und brauchen uns nicht weiter darum zu kümmern.«
Es war mir eine Genugtuung, gezeigt zu haben, dass Humes Verifikationsprinzip selbst nicht verifiziert werden konnte. Aber dabei hatte ich noch nicht einmal das stärkste Argument vorgebracht, das man gegen den Logischen Positivismus ins Feld führen kann. In Wirklichkeit erklärt Humes Prinzip nicht nur alle metaphysischen Behauptungen für irrelevant, sondern die gesamte Wissenschaft. Kein wissenschaftliches Gesetz kann Humes Test bestehen. Denken Sie an eins der grundlegendsten wissenschaftlichen Gesetze: Licht bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von knapp 300 000 Kilometern in der Sekunde durch ein Vakuum. Woher wissen wir das? Natürlich können wir die Lichtgeschwindigkeit immer wieder messen. Aber wie Hume selbst hervorgehoben hat, können wir aus noch so vielen empirischen Beobachtungen keine allgemeine Schlussfolgerung ableiten, die der logischen Wahrheit entspricht. Woher wissen wir, dass die Lichtgeschwindigkeit in einer fernen Galaxie knapp 300 000 Kilometer pro Sekunde beträgt? Wir wissen es nicht. Wir nehmen an, dass die Lichtgeschwindigkeit dort dieselbe ist wie hier. Wir nehmen sogar an, dass die Lichtgeschwindigkeit in den Milliarden von Jahren, die das Universum existiert, immer und überall dieselbe war. Aber natürlich gibt es keine Möglichkeit, das zu verifizieren. Wie der Philosoph Karl Popper angemerkt hat, gilt das für alle wissenschaftlichen Gesetze. Wissenschaftliche Behauptungen sind allgemeine Aussagen, die nicht eindeutig bewiesen werden können.13 Wir können bestenfalls sagen: »Dies ist etwas, was wir aufgrund früherer Versuche für wahr halten.«
Vielen Leuten ist zwar klar, dass Poppers Aussagen stichhaltig sind, aber sie gestehen wissenschaftlichen Behauptungen trotzdem eine hohe Wahrscheinlichkeit zu. Auch wenn wir nicht ganz sicher wissen können, dass sich Licht immer und überall mit einer bestimmten Geschwindigkeit bewegt, können wir dessen dennoch zu 99,9 Prozent gewiss sein. Diese Behauptung ist jedoch falsch. Auch wenn Sie die Lichtgeschwindigkeit auf der Erde eine Million Mal gemessen hätten, könnten Sie nicht einmal zu einem Prozent sicher sein, dass sie auf einem anderen Planeten, wo Sie sie nicht gemessen haben, genauso ist. Und wieder ist es Hume, der den Grund dafür nennt. »Wahrscheinlichkeit«, so schreibt er, »gründet sich auf die angenommene Ähnlichkeit zwischen Objekten, mit denen wir Erfahrung haben, und solchen, mit denen wir keine Erfahrung haben.«14 Hume stellte fest: Wenn wir zwischen dem, was wir kennen, und dem, was wir nicht kennen, eine Ähnlichkeit annehmen, dann folgen wir damit einer Gewohnheit; die Vernunft liefert uns keinen Grund, daran festzuhalten.
Dieses Argument hat eine besondere Kraft, wenn es um das Leben nach dem Tod geht. Wie kann ein Atheist sich auf die Erfahrungen dieses Lebens berufen, um zuverlässige oder auch nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zutreffende Behauptungen über das Jenseits aufzustellen? Wir alle stehen hier vor einem Horizontproblem, denn unserem Wissen sind an dieser Stelle Grenzen gesetzt. In der Physik bezieht sich der Horizont auf das »beobachtbare Universum«, das ebenjener Teil des Alls ist, über den wir etwas wissen können. Da es schätzungsweise 13,5 Milliarden Jahre alt ist und keine Information schneller sein kann als die Lichtgeschwindigkeit, ist es unmöglich, irgendeinen Teil des Weltalls zu erforschen, der weiter als 13,5 Milliarden Lichtjahre von uns entfernt ist. Unser Wissen ist auf einen großen Kreis mit einem Radius von 13,5 Milliarden Lichtjahren beschränkt, dessen Mittelpunkt wir selbst bilden. Was jenseits des Horizonts liegt, befindet sich außerhalb unserer Reichweite. Auf der Basis dessen, was wir wissen, können wir zwar Vermutungen anstellen, aber dabei handelt es sich um reine Spekulationen.15 Genauso können wir uns auch das Leben nach dem Tod als etwas vorstellen, was jenseits des Lebenshorizonts liegt. Ausgehend von unserem Wissen über das Innere des Kreises, können wir spekulieren, aber wir müssen gleichzeitig erkennen, dass die Regeln im Kreisinneren vielleicht andere sind als außerhalb.
An dieser Stelle gilt es, einen letzten verzweifelten Versuch zu bedenken, mit dem die Atheisten ihre intellektuelle Überlegenheit im Hinblick auf das Leben nach dem Tod darstellen wollen. Sie erklären oft, das ganze Thema sei keiner Diskussion würdig, weil es sich beim Glauben an ein Leben nach dem Tod ofensichtlich um einen Fall von Wunschdenken handele. Der Philosoph Richard Rorty schreibt einen solchen Glauben »dem infantilen Bedürfnis nach Sicherheit zu, der kindischen Hoffnung, Zeit und Zufall zu entrinnen«. Richard Dawkins führt aus: »Der Gedanke an Unsterblichkeit überlebt und verbreitet sich, weil er das Wunschdenken bedient.«16
Hier nun die klassische Analyse von Sigmund Freud in seinem Buch Die Zukunft einer Illusion: Freud unterscheidet zwischen einem Irrtum und einer Illusion. Ein Irrtum ist falsch, die Illusion spiegelt dagegen Wunschdenken wider. Wenn ein Dienstmädchen meint, ein Prinz würde sie heiraten, dann ist das kein Irrtum, denn so unwahrscheinlich es auch sein mag, könnte es dennoch geschehen. Ein solcher Glaube ist jedoch eine Illusion, denn er ist mehr das Produkt von Hoffnung als von Realität. Freud argumentierte, weil der Glaube an ein Leben nach dem Tod ofensichtlich eine Illusion sei, »sehen wir dabei von seinem Verhältnis zur Wirklichkeit ab«. Aber warum kommen solche Illusionen dann auf? Freud zufolge haben wir ein kindliches Gefühl von Hilflosigkeit angesichts der Härte der Natur und der Unvermeidlichkeit des Todes. Deshalb projizieren wir unseren Wunsch nach einer schützenden Vaterfigur auf einen imaginären Gott. Wir statten ihn mit übernatürlichen Kräften aus, damit er uns das zuerkennen kann, was uns die Natur versagt, nämlich eine andauernde, sichere und glückliche Existenz nach dem Tod. Freud kam zu dem Schluss, die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod zeige die allgemein menschliche Zwangsneurose, die nur die Wissenschaft diagnostizieren und heilen kann.17
Was fangen wir nun mit Freuds berühmter Analyse an? Erstens: Mein bloßer Wunsch nach etwas sagt nichts darüber aus, ob dieses Etwas wahr oder falsch ist. Ich wünsche mir ein paar gute Freunde; wird die Vorstellung, gute Freunde zu haben, dadurch zur Illusion? Der Gefangene wünscht sich, seinen Bewachern zu entkommen; das bedeutet nicht zwangsläufig, dass er keine Möglichkeit dazu hat. Ein Bauer wünscht sich Regen, und dieser Wunsch mag sich erfüllen oder nicht, aber es ist nichts Irrationales an einem solchen Wunsch. Freud hat ofenbar seine medizinische Diagnose gestellt, ohne vorher nachzuweisen, dass der Patient ein Problem hat. Er belegt keineswegs, dass es kein Leben nach dem Tod gibt, sondern er hat es anscheinend nur angenommen.
Zweitens: Die gesamte Vorstellung von Wunscherfüllung basiert auf der Prämisse, die Religion würde uns ein schöneres Leben versprechen als das, was wir jetzt haben. Aber der Anthropologe Pascal Boyer stellt fest, dass bei den von ihm untersuchten Stämmen »eine religiöse Welt oft genauso schreckenerregend ist wie eine Welt ohne übernatürliche Wesen«. In Kamerun beispielsweise glauben die Angehörigen des Fang-Stammes an ein Jenseits, das von Hexen und bösen Geistern beherrscht wird, die Menschenfresser sind. Die Altertumswissenschaftlerin Mary Lefkowitz schreibt in Greek Gods, Human Lives, dass die heidnischen Religionen des klassischen Altertums keine himmlische Glückseligkeit versprachen, sondern im Gegenteil »eine Welt, die erfüllt war von bösen Mächten, unvorhersehbaren Veränderungen, schwierigen Umständen, unvermeidbaren Niederlagen und dem Tod«. Man kann den Glauben in der griechischen Religion also nicht als Wunschdenken bezeichnen.18
Soweit es das Judentum, den Islam und das Christentum betrifft, kann ich nachvollziehen, dass die Vorstellung des Himmels das Kriterium des Wunschdenkens erfüllt. Hier hält man den Himmel für einen Ort, an dem es kein Leiden und keinen Tod gibt. Ein Atheist bezeichnete ihn während einer Debatte mit mir als »Disneyland für Erwachsene«, und ich verstehe, wie er darauf gekommen ist. Aber wie steht es mit der Hölle? Immerhin gehört sie ebenfalls zum jüdischen, christlichen und islamischen Gedankengut. Und die Hölle wird als weitaus schlimmer dargestellt als alles, was wir im Leben ertragen müssen. Die Hölle ist sogar noch schrecklicher als der Tod, denn während Letzterer nur das Ende darstellt, bedeutet Erstere ewige Verdammnis und unwiderrufliche Trennung von Gott. Die Hölle ist ein gewaltiges Problem bei der Analyse des Wunschdenkens.
Und schließlich: Wunscherfüllung ist mit einer Schwierigkeit verbunden, auf die uns Biologen aufmerksam gemacht haben. »Aus evolutionärer Sicht«, schreibt Lewis Wolpert in Six Impossible Things before Breakfast, »sollte der Glaube dem Einzelnen helfen, zu überleben.«19 Die Evolutionstheorie ist die Lehre vom Überleben der bestangepassten Individuen. Um zu überleben, muss man eine genaue Vorstellung davon haben, was in der Welt geschieht, vor allem wenn es darum geht, Nahrung zu finden und sich vor Raubtieren zu schützen. Entsprechend dieser Logik wird es ein Geschöpf, das routinemäßig falsche Überzeugungen entwickelt und entsprechend handelt, wahrscheinlich nicht lange machen. Stellen Sie sich ein Reh vor, das sich wünscht, Wölfe wären freundlich, und sich ihnen seinerseits freundlich nähert. Bald darauf gäbe es ein Reh weniger im Wald. Der Kognitionspsychologe Steven Pinker schreibt, Wunscherfüllungstheorien könnten nicht erklären, warum sich Denkweisen entwickeln, die Trost in falschen Überzeugungen suchen. »Wer friert, findet keinen Trost darin zu glauben, dass ihm warm ist. Wer einem Löwen gegenübersteht, wird nicht durch die Überzeugung beruhigt, dass es sich um ein Kaninchen handelt.«20 Pinker geht davon aus, dass sich dieselbe Überlegung auch auf den Glauben an ein Jenseits anwenden lässt. Wenn Menschen ihre Zeit und Energie in eine künftige imaginäre Welt investieren, haben sie weniger freie Ressourcen für das Überleben und den Erfolg in dieser Welt. Evolutionär gesehen, ist das nicht sinnvoll. Pinker und andere schließen daraus, dass Wunschdenken nicht mit natürlicher Auslese übereinstimmt, und auch wenn viele Christen darin vielleicht kein Problem sehen, stellt es ein gewaltiges Problem für Atheisten dar, die der Evolution ihre Treue geschworen haben.
Ich wollte in diesem Kapitel zeigen, wie anmaßend die Atheisten sind, wenn sie behaupten, die Wahrheit zu wissen. Die Atheisten sagen, sie hätten vernünftige Gründe für die Überzeugung, dass es kein Leben nach dem Tod gibt. Jetzt erkennen wir, dass sie dafür nicht den geringsten Grund haben. Gewiss, viele Christen können wahrscheinlich ebenfalls keine rationale Basis für ihre Position benennen, aber diesen Christen ist klar, dass ihre Einstellung im Glauben wurzelt. In einer Hinsicht ist das Spiel zwischen Atheisten und Gläubigen also ausgeglichen: Keiner von ihnen kann seinen eigenen Standpunkt rational rechtfertigen. In anderer Hinsicht ist die christliche Position jedoch eine aufrichtige, während die atheistische einen Werbebetrug darstellt. Atheisten im Klassenzimmer und in der Gesellschaft geben sich als Apostel von Wissenschaft und Rationalität, aber in Wirklichkeit verkaufen sie nur Schall und Rauch. An dieser Stelle sollten wir alle zugeben, dass unser Wissen begrenzt ist, und offen dafür sein, etwas Neues zu lernen. Bleiben wir aufgeschlossen.