Kapitel 13

Unvergängliches Leben

Ewigkeit im Jetzt

 

Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?

1. Korinther 15, 55

 

 

Wir sind zu einem überraschenden Ergebnis gelangt. Wir haben die atheistischen Einwände gegen den Glauben abgewehrt. Die Atheisten haben jeden Speer, den sie besitzen, gegen die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod geschleudert, aber keiner hat getroffen. Und wir haben sogar noch mehr erreicht: Wir verfügen jetzt auch über starke positive Argumente für das Leben nach dem Tod, die aus verschiedenen Bereichen stammen. Indem wir die Begründungen für und gegen ein Leben nach dem Tod genau untersucht haben, sind wir zu dem Schluss gelangt, dass sowohl unter intellektuellen als auch unter praktischen Aspekten viel für den Glauben spricht. Schauen wir uns noch einmal an, was wir bisher entdeckt haben.

Nahtoderfahrungen zeigen, dass der klinische Tod vielleicht nicht das Ende bedeutet. Es könnte noch »etwas mehr« kommen. Die Universalität und Uniformität von Nahtoderfahrungen legt nahe, dass unser Bewusstsein den Zusammenbruch des Körpers überdauern kann. Diese Erfahrungen lassen sich nicht als Effekte von körpereigenen Drogen oder dem Absterben des Gehirns wegdiskutieren. Nahtoderfahrungen sagen zwar nicht viel darüber aus, wie das Leben nach dem Tod sein könnte, aber sie weisen auf die reale Möglichkeit eines solchen Lebens hin.

Die moderne Physik zeigt, dass es eine Art von Materie gibt, deren Eigenschaften sich von denen der bisher bekannten Materie radikal unterscheiden. Die Physik zeigt auch, dass es jenseits unseres Universums Welten und Existenzweisen geben könnte, die nicht durch unsere physikalischen Gesetze begrenzt werden. Folglich widerspricht nichts in der Physik der Vorstellung, dass wir jenseits des Todes in einer anderen Welt mit einem Körper leben könnten, der sich von unserem derzeitigen Leib unterscheidet.

Die moderne Biologie zeigt einen evolutionären Übergang von Materie zu Geist, der ofenbar nicht zufällig, sondern im Buch der Natur festgeschrieben ist. Diese natürliche Teleologie von toter Materie zu Lebewesen und weiter zu kontemplativen Geistwesen ist ein entscheidender Hinweis darauf, dass wir uns vielleicht wie die Natur vom Materiellen zum Immateriellen und vom Vergänglichen zum Unvergänglichen weiterentwickeln können. Wie die Natur selbst befinden wir uns möglicherweise in einem natürlichen Übergang von Lebewesen, die aus Materie gemacht sind, zu Geistwesen, die nicht mehr den Beschränkungen der materiellen Welt unterliegen.

Die Neurowissenschaften ofenbaren, dass sich der Geist nicht auf das Gehirn reduzieren lässt und der reduktionistische Materialismus eine Sackgasse ist. Das gesamte Reich der subjektiven Erfahrung liegt jenseits davon und vollständig außerhalb des Herrschaftsgebietes der objektiven Wissenschaft. Zwei Eigenschaften des Geistes – das Bewusstsein und der freie Wille – definieren die menschliche Seele. Diese Eigenschaften scheinen außerhalb der Naturgesetze zu wirken und unterliegen deshalb auch nicht den Gesetzen, welche die Sterblichkeit des Körpers bestimmen. Der Körper stirbt, aber die Seele lebt weiter.

Die moderne Philosophie macht einen zentralen Unterschied zwischen Erfahrung und Realität. Empirische Realisten scheinen chronisch unfähig zu sein, diesen Unterschied nachzuvollziehen, und das ist ihr folgenschwerer Fehler. Sobald wir den empirischen Realismus aufgeben, lassen uns ausgereifte philosophische Überlegungen nach der Art von Kant und Schopenhauer entdecken, dass es eine noumenale oder andere Welt gibt. Menschen bewohnen beide Welten, und wenn wir sterben, endet die irreale Welt der Erfahrung für uns, aber ein Teil von uns lebt ewig in der realen Welt.

Moral versteht man am besten unter der Voraussetzung, dass es eine kosmische Gerechtigkeit in einer Welt jenseits der unseren gibt. Das würde erklären, warum wir sogar jetzt in zwei Welten leben; die eine umfasst die »Dinge, wie sie sind«, die andere umfasst die »Dinge, wie sie sein sollten«. Versuche, die Moral als darwinistische Überlebensstrategie zu erklären, sind nicht nur unzulänglich, sondern gehen an der Sache vorbei: Moral hat nichts damit zu tun, wie wir handeln, sondern wie wir handeln sollten. Dieser normative Aspekt ergibt nur einen Sinn, wenn wir davon ausgehen, dass er den legislativen Standard repräsentiert, der von einer jenseitigen Existenz abgeleitet ist. Das Postulat eines Lebens nach dem Tod eröffnet uns die Möglichkeit, unser diesseitiges Leben zu verstehen.

Und schließlich verhilft uns die praktische Vernunft zu der Erkenntnis, dass der Glaube an die Unsterblichkeit gut für unsere Gesellschaft und gut für unser eigenes Leben ist. Solche Überzeugungen bilden die wesentlichen Grundlagen für Gleichberechtigung und Menschenwürde. Es bleibt eine ofene Frage, ob wir uns diese Werte ohne ihre ursprüngliche Grundlage erhalten können. Als Individuen haben wir wenig zu verlieren, wenn wir glauben, setzen jedoch alles aufs Spiel, wenn wir nicht glauben. Außerdem gibt uns der Glaube ein zusätzliches Motiv für moralisches Verhalten, eine Möglichkeit, unseren Kindern den Unterschied zwischen Recht und Unrecht zu erklären, vermittelt uns eine bessere Art des Umgangs mit dem Tod und auch ein Gefühl von Hoffnung und Sinnhaftigkeit, das wir in unserem Leben sonst nicht hätten.

Vernunft und Wissenschaft sind weit davon entfernt, ein Leben nach dem Tod zu widerlegen, sondern liefern starke Argumente dafür. Bei diesem für alle Weltreligionen zentralen Thema hat die Wissenschaft sich als Verbündeter des Glaubens erwiesen. Vernunft und Offenbarung widersprechen sich nicht, sondern bestärken sich gegenseitig. Als Gläubige erwarten wir, dass Wissen und Glaube miteinander vereinbar sind. Das ist kein echter Schocker. Der echte Schocker ist die Behauptung, die wir in diesem Kapitel näher untersuchen werden, dass nämlich jemand wirklich gestorben und ins Leben zurückgekehrt ist. Wir reden hier nicht über nächtliche Erscheinungen oder die Besuche von Geistwesen, sondern über die körperliche Auferstehung als vollständiger Mensch. Das behauptet allein das Christentum über seinen Begründer Jesus Christus. Niemand sagt über Moses oder Mohammed, dass sie nach ihrem Tod jemandem in Fleisch und Blut erschienen sind. Wenn die christliche Behauptung also stimmt, dann steht das Christentum damit über allen anderen Religionen. Im Grunde verweist es damit alle anderen Jenseitstheorien unter »ferner liefen«. Hier untersuchen wir nun die Glaubwürdigkeit dieser Behauptung, beschäftigen uns aber auch mit der Frage, was daraus folgt, wenn wir die historische Wahrheit der Auferstehung bestätigen können. Ein Ereignis wie dieses kann das menschliche Schicksal verändern, eine völlig neue Phase der Geschichte einläuten und uns ein neues Verständnis der Wirklichkeit vermitteln. Ich beschließe dieses Buch mit der erstaunlichen christlichen Sichtweise, dass wir die Ewigkeit nicht erst im Jenseits, sondern schon im Diesseits erleben können. Mit anderen Worten: Die Einzigartigkeit der christlichen Botschaft bezieht sich nicht auf das Leben nach dem Tod, sondern auf das ewige Leben im Hier und Jetzt.

Beginnen wir mit der Auferstehung Christi, die wir als historische Behauptung wie jede andere auch behandeln wollen. Ich werde die Auferstehung nicht im Sinne eines heiligen Ereignisses bevorzugt behandeln, mich aber andererseits auch nicht dem Vorurteil anschließen, dass sie sich nicht ereignet haben kann, weil so etwas unmöglich ist. Einige wenige Gelehrte können der ersten Versuchung nicht widerstehen; zahlreiche andere unterliegen der zweiten. Gerd Lüdemanns Buch Die Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie ist ein typisches Beispiel. Der Autor wendet das, was er für ein anerkanntes wissenschaftliches Prinzip hält, auf Christus an: Da niemand stirbt und wiederaufersteht, kann auch Christus nicht gestorben und wiederauferstanden sein. Einen ähnlichen Ansatz finden wir in den Büchern von Marcus Borg, John Dominic Crossan und auch im Werk des sogenannten Jesus-Seminars.1 Diese Gelehrten sind hauptsächlich Theologen und Historiker, die wenig Ahnung von den Naturwissenschaften haben, doch sie beharren voller Selbstvertrauen darauf, dass die Wissenschaft die Möglichkeit eines Lebens nach dem Tod widerlegt hat. Wir wissen natürlich inzwischen, wie unhaltbar diese Behauptung ist. Man kann die Auferstehung auf den Prüfstand stellen, aber man darf sie nicht a priori ablehnen, sondern muss die konkreten Umstände näher untersuchen.

Hier sind nun die vier historischen Fakten, die wir berücksichtigen müssen. Erstens wurde Christus von seinen Feinden vor Gericht gestellt, verurteilt und ans Kreuz geschlagen, wo er starb. Zweitens fand man das Grab Christi kurz nach seiner Beisetzung leer. Drittens haben viele seiner Jünger, aber auch ein oder zwei Skeptiker behauptet, sie hätten Jesus nach seinem Tod in Fleisch und Blut lebend gesehen und mit ihm gesprochen. Viertens haben die Jünger, inspiriert durch den Glauben an die körperliche Auferstehung Christi, eine Bewegung ins Leben gerufen, die trotz aller Verfolgungen und Märtyrertode Millionen von Menschen zu einer neuen Lebensweise bekehrt hat, welche auf dem Beispiel und den Lehren Christi basiert. Diese Fakten werden von den meisten modernen Historikern bestätigt. Sie sind genauso gesichert wie andere Fakten über die antike Welt, die wir für selbstverständlich halten, beispielsweise dass Sokrates auf dem Marktplatz in Athen lehrte, dass Cäsar den Rubikon überquerte oder Alexander der Große die Schlacht von Gaugamela gewann.

Die Geschichtswissenschaft geht von bekannten Fakten aus und versucht, sie sinnvoll zu erklären. In einer Mammutstudie argumentiert der Theologe N. T. Wright, die Hypothese, dass Christus tatsächlich von den Toten auferstanden ist, klinge zwar intuitiv nicht plausibel, habe aber dennoch eine große Erklärungskraft. Anders ausgedrückt: Die Auferstehung ist glaubhaft, weil sie alle anderen obengenannten Fakten sinnvoll begreiflich zu machen vermag. Wenn Christus wirklich von den Toten auferstanden ist, dann würde uns das helfen zu begründen, warum das Grab leer war, warum die Jünger glaubten, sie hätten Christus nach seinem Tod gesehen, und warum diese Erkenntnis sie zur Evangelisation motivierte und ihnen die Kraft verlieh, Verfolgung zu ertragen und dem Märtyrertod ins Auge zu sehen, ohne ihre neuen Überzeugungen zu widerrufen. Wright geht aber noch sehr viel weiter und erklärt, die Auferstehung sei nicht nur eine ausreichende, sondern auch eine notwendige Hypothese, weil keine alternative Hypothese die Fakten auch nur annähernd so plausibel erklären könne.2 Da Skeptiker seit zweitausend Jahren alternative Theorien entwickeln, ist das eine kühne Behauptung. Deshalb wollen wir uns die Alternativen kurz ansehen.

Die zumindest seit der Aufklärung vielleicht populärste These lautet, dass die Auferstehung ein Mythos ist, den die Jünger sich ausgedacht haben. »Der Mythos der Auferstehung«, schreibt Corliss Lamont in The Illusion of Immortality, »ist genau die Art von Fabel, die man von einer primitiven, vorwissenschaftlichen Gesellschaft wie jener der alten Hebräer erwarten kann.«3 Die Jünger rechneten damit, dass ihr Anführer zurückkehren würde, und so brüteten sie die Geschichte aus, sie hätten ihn nach seinem Tod lebend gesehen. Zwar wird diese Sichtweise von vielen modernen Skeptikern geteilt, aber sie ist im Grunde der schwächste Versuch, die Fakten sinnvoll zu erklären. Wie Wright zeigt, war die Vorstellung, dass Tote nicht mehr zum Leben erwachen, keine Entdeckung der Aufklärung. Die alten Hebräer wussten das so gut wie wir. Zweitens erwarteten die jüdischen Anhänger Jesu nicht, dass er ins Leben zurückkehren würde. Die Juden glaubten an eine körperliche Auferstehung, aber nicht vor dem Ende der Welt. Die Jünger waren völlig verblüfft, als sie Christus in Fleisch und Blut vor sich sahen, und einige wollten es zunächst gar nicht glauben. Drittens ist es eine Sache, eine Geschichte zu erfinden, aber eine ganz andere, dafür Verfolgung und Tod in Kauf zu nehmen. Warum hätten die Jünger bereit sein sollen, für etwas zu sterben, von dem sie wussten, dass es eine Lüge war?

Eine zweite Theorie besagt, die Jünger hätten den Leichnam gestohlen. Diese Theorie ist sehr alt; sie wurde schon von den jüdischen Gegnern Christi vorgebracht, um das leere Grab zu erklären. Jüdische Polemik gegen das Christentum hat dieses Argument zwei Jahrhunderte lang immer wieder vorgebracht, aber die Theorie hat gleich mehrere Haken. Das Grab Christi wurde durch einen Stein verschlossen und von römischen Soldaten bewacht. Wie hätten die Jünger an diesen Wachen vorbeikommen sollen? Und wenn sie tatsächlich den Leichnam gestohlen hätten, dann hätten sie doch gewusst, dass Christus nicht von den Toten auferstanden war. Das führt uns zurück zum Problem der vorherigen Theorie: Warum hätte sich die Trauer der Jünger in Freude verwandeln sollen? Warum hätten sie in die Welt hinausziehen und missionieren sollen? Warum hätten sie sich sogar unter Todesqualen weigern sollen, ihren Glauben zu widerrufen? Was hier wirklich einer Erklärung bedarf, ist die Frage, warum die Gegner Christi eine so wenig plausible These so beharrlich vertreten haben. Die Antwort scheint auf der Hand zu liegen: Sie brauchten eine Erklärung für das leere Grab. Dieses leere Grab ist entscheidend, weil wir wissen, dass die Anhänger Christi seine Auferstehung in Jerusalem fast sofort nach seinem Tod verkündeten. Hätten sie die Geschichte nur erfunden, dann wäre es ein Leichtes gewesen, ihre Behauptung zu widerlegen, indem man den Leichnam Christi vorzeigte. Das ist nicht geschehen, und die naheliegende Erklärung lautet, dass weder die Juden noch die Römer dazu in der Lage waren.

Eine dritte Theorie, in mehreren populären Büchern nachzulesen, besagt, dass Christus nicht wirklich tot war, sondern nur bewusstlos oder in Trance.4 Im Grab kam er wieder zu sich, machte sich davon und tauchte bei seinen Jüngern auf. Aber auch diese Theorie ist mit mehreren Problemen behaftet: Zunächst unterstellt sie, dass die römischen Soldaten nicht wussten, wie man Menschen tötet. Bei einer Kreuzigung tritt der Tod typischerweise durch Ersticken ein, und wenn die römischen Soldaten nicht sicher waren, ob das Opfer noch lebte, brachen sie ihm die Beine. Die Beine Christi waren nicht gebrochen, sodass die Soldaten ofenbar von seinem Tod überzeugt waren. Demnach ist die Vorstellung, dass Christus im Grab wieder zu sich kam, ziemlich weit hergeholt. Aber selbst wenn es so gewesen wäre, hätte er dem Tod nahe sein müssen. Stellen Sie sich vor, wie ein Mensch in diesem Zustand den Stein beiseiterollt, die Wachen täuscht und sich dann seinen Jüngern präsentiert. Man müsste wohl davon ausgehen, dass sie ihn schleunigst zu einem Arzt gebracht hätten. Aber nichts dergleichen. Die Jünger, untröstlich über den Tod Christi, haben nicht behauptet, ihnen sei ein Halbtoter erschienen, der kaum bei Bewusstsein war. Sie sagten vielmehr, sie hätten einen Mann gesehen, der über den Tod triumphiert hatte und wieder lebendig und gesund war. Die Theorie, Jesus sei nicht wirklich tot gewesen, passt so schlecht zu den historischen Fakten, dass sogar der Historiker David Strauss sie ablehnt, obwohl er der Auferstehung sehr skeptisch gegenübersteht.5

Die letzte Hypothese besagt, die Jünger hätten Halluzinationen gehabt. Das ist Gerd Lüdemanns bevorzugte Erklärung dafür, warum es überhaupt eine Auferstehungsgeschichte gibt. Lüdemann verweist darauf, dass sogar heute noch Menschen behaupten, »Visionen« von der Jungfrau Maria zu haben. Genauso hätten die Jünger »Visionen« gehabt, die sich als ansteckend erwiesen und »zu weiteren Visionen geführt« hätten. Am Ende hätte fast jeder berichtet, er habe Jesus gesehen.6 Lüdemanns Halluzinationstheorie hat in den letzten Jahren an Glaubwürdigkeit gewonnen, seit ziemlich viele Leute behaupten, sie hätten UFOs gesehen oder Elvis sei ins Leben zurückgekehrt. Aber das große Problem besteht darin, dass Halluzinationen fast immer individueller Natur sind. Von sehr seltenen Fällen abgesehen, haben niemals zwei oder mehr Personen dieselbe Halluzination. Wenn zehn Leute berichten, sie hätten etwas sehr Unwahrscheinliches gesehen, dann ist es nicht besonders überzeugend zu sagen, sie hätten das einfach nur geträumt oder imaginiert, denn dann müsste man erklären, warum sie alle denselben Traum oder dieselbe Vision hatten. Der Historiker Gary Habermas fordert uns auf, uns eine Gruppe von Leuten vorzustellen, deren Schiff gesunken ist und die nun auf einem Floß im Meer treiben. Plötzlich zeigt ein Mann auf den Horizont und ruft aus: »Ich sehe ein Schiff!« Das könnte natürlich eine Halluzination sein, doch dann würde niemand sonst dieses Schiff sehen. Wenn die anderen Leute auf dem Floß das Schiff aber ebenfalls sehen, dann sollte man die Halluzinationstheorie vergessen und lieber anfangen, um Hilfe zu rufen, weil sich dann dort draußen wirklich ein Schiff befände.7

Wenden wir diese Überlegung nun auf die Erscheinungen von Elvis an, dann dürfte ziemlich klar sein: Wenn mehrere geistig gesunde Leute behaupten, sie hätten Elvis in Las Vegas gesichtet, dann ist das wahrscheinlich nicht erfunden, sondern sie haben wohl eher einen der zahllosen Elvis-Darsteller gesehen, die dort regelmäßig in den Nachtklubs und Kasinos auftreten. Ähnliches gilt, wenn mehrere Leute berichten, sie hätten ein UFO erblickt. Auch sie hatten wahrscheinlich keine Halluzinationen, sondern haben tatsächlich etwas am Himmel gesehen, wussten aber nicht, was es war. In den meisten Fällen handelt es sich nicht um Halluzinationen, sondern um Fehlinterpretationen. Nun heißt es, Christus sei seinen Jüngern mehrmals erschienen. Paulus behauptet sogar, bei einer Gelegenheit hätten ihn über fünf hundert Menschen gesehen. Viele von ihnen lebten noch, als Paulus darüber schrieb, und hätten die Wahrheit seines Berichts bestätigen oder bestreiten können. Jakobus, der dem Wirken Jesu skeptisch gegenüberstand, gelangte angeblich zu der Überzeugung, dass Christus der Messias war, nachdem er seinen auferstandenen Körper gesehen hatte. Genauso ging es dem Apostel Thomas, dem berühmten Zweifler, der von der Auferstehung erst überzeugt war, nachdem er die Wunden Jesu berührt hatte. Paulus selbst war nach eigener Aussage ein Verfolger der Christen, bis Christus ihm auf der Straße nach Damaskus erschien. Noch nie in der Geschichte haben so viele verschiedene Menschen bei unterschiedlichen Gelegenheiten über dieselbe Halluzination berichtet. Halluzinationen können weder das leere Grab erklären noch die Frage beantworten, warum die Juden und Römer den Streit nicht einfach dadurch beigelegt haben, dass sie den Leichnam Jesu vorzeigten.

Die bemerkenswerte Schlussfolgerung lautet, dass keine der ofensichtlich so ausgeklügelten alternativen Theorien die historischen Fakten befriedigend erklären kann. Oberflächlich wirken diese Theorien durchdacht, aber bei genauerem Hinsehen entpuppen sie sich als ziemlich geistlos. Die Auferstehungshypothese, so fantastisch sie einem anfangs vorkommt, erweist sich bei genauerer Prüfung als die denkbar beste Erklärung. Ich versuche hier nicht, die Auferstehung zu beweisen. Zu den verblüffendsten Entdeckungen der historischen Forschung gehört die Erkenntnis, wie wenig wir definitiv über die Vergangenheit wissen. Aber ich will auf der Grundlage allgemeiner wissenschaftlicher Standards zu zeigen versuchen, dass die Auferstehung einer genauen historischen Prüfung standhält.

Noch wichtiger als die historische Wahrheit der Auferstehung ist mir ihre Bedeutung. Ich will zeigen, dass die Auferstehung ein revolutionäres neues Verständnis der Geschichte wie auch der Wirklichkeit eröffnet. Vorher möchte ich jedoch die ebenso revolutionären Lehren Christi über Himmel und Hölle vermitteln. Sie dürfen nicht mit einigen der im Laufe der Jahrhunderte entstandenen metaphorischen Redewendungen und Lehren des volkstümlichen Christentums verwechselt werden. Seltsamerweise war es der Atheist Nietzsche, der den Unterschied voll erkannte. Nietzsche empfand gegenüber der Institution des Christentums nichts als Abneigung, behandelte Christus selbst jedoch sehr freundlich. Zeitweise war er geradezu hingerissen von ihm, und die härteste Anklage, zu der er sich versteigt, besteht darin, Christus einen »Idioten« zu nennen. Aber selbst damit meint er nicht, Jesus sei ein Dummkopf gewesen, sondern die Bezeichnung ist eher im Sinne von absoluter Naivität wie in Dostojewskis Roman Der Idiot zu verstehen. Nietzsche wirft Christus vor, er sei eine reine, schlichte Seele gewesen und damit völlig fehl am Platze in einer habgierigen und zynischen Welt.8 Wir werden sehen, dass dieses Bild der Wahrheit ziemlich nahekommt.

Christus verbreitet eine neue Lehre über die Erlösung, die jeden Bezug auf persönliche Verdienste völlig ablehnt. Das ist erstaunlich, weil solche Überlegungen in allen anderen religiösen Vorstellungen von kosmischer Gerechtigkeit eine zentrale Rolle spielen. Im Hinduismus und Buddhismus ist unser Schicksal im nächsten Leben beispielsweise die direkte Konsequenz unseres Verhaltens in diesem Leben. Im Judentum und Islam muss man sich an die religiösen Gesetze halten, um in den Himmel zu kommen. Wer oft genug dagegen verstößt, muss damit rechnen, zur Hölle zu fahren. Aber Christus hebt dieses System auf und erklärt von Anfang an, dass niemand gut genug ist, um in den Himmel zu kommen. Manche Menschen mögen besser sein als andere, aber die Unterschiede sind nicht wirklich überzeugend. Der Himmel ist das reine Reich Gottes, und wer dorthin gelangt, muss genauso rein sein wie Gott.

Christus definiert auch die Tugend neu, sodass sie nicht mehr nur besagt, was wir tun sollten, sondern auch, wie wir sein sollten. Echte Tugend ist für Christus die Reinheit des Herzens. Das meint er, wenn er sagt, um in den Himmel zu kommen, müssten wir werden wie die Kinder. Das bedeutet nicht, dass wir intellektuell naiv werden sollten, sondern gemeint ist eher eine moralische Unschuld. Deshalb erklärt Christus immer wieder, dass wir im Grunde schon gesündigt haben, wenn wir die Sünde nur gedanklich in Erwägung ziehen. Was wir brauchen, ist eine innere Erneuerung, eine Art innerer Reinigung. Das ist ein radikales Anheben der moralischen Norm. Nun wird klar, dass wir, gemessen an diesem höheren Standard, alle Sünder und des Himmels unwürdig sind.

Doch wir brauchen nicht zu verzweifeln, denn Christus bietet uns eine Lösung an. Im Vergleich zu unserer schwierigen Situation ist diese Lösung atemberaubend einfach. Wir müssen dem hohen moralischen Anspruch gar nicht genügen. Niemand verlangt von uns das Unmögliche. Christus fordert stattdessen, wir sollen anerkennen, dass wir Sünder sind, und Gottes Gnade durch sein Opfer am Kreuz annehmen. Wir erfahren, dass die Sünde zwar bestraft wird, dass aber Christus diese Strafe bereits auf sich genommen hat. Mit anderen Worten: Der eine Mensch, der von den Toten auferstanden ist, hat für alle anderen den Weg zum ewigen Glück freigemacht. Deshalb ist unsere Aufgabe fast peinlich einfach: Wir müssen uns nur schuldig bekennen, um Vergebung zu erlangen. Ist das eine Ausrede, um uns der moralischen Verantwortung zu entziehen? Keineswegs. Indem wir das Opfer Christi akzeptieren, bereuen wir unsere Sünden und versuchen, seinem Beispiel zu folgen, indem wir nach der Reinheit des Herzens streben. In diesem Leben werden wir das Ziel vielleicht nie ganz erreichen, aber wir haben nun zumindest einen Standard, nach dem wir streben können und der im zukünftigen Leben verwirklicht sein wird.

Wer kann ein solches Angebot ausschlagen? Leider gibt es einige Menschen, die das tun – nicht, weil sie nach ewigem Elend strebten, sondern sie verweigern sich dem christlichen Weg eher, weil sie unbedingt ihren eigenen Weg gehen wollen. Ihr Motto ist das von Miltons Satan: »Es ist besser, in der Hölle zu herrschen, als im Himmel zu dienen.«9 Sie entscheiden selbst über ihr Schicksal. Sie lehnen den Himmel ab, und Gott billigt ihre Wahl stillschweigend. Wie C.S. Lewis in seinem Buch Die große Scheidung oder zwischen Himmel und Hölle schreibt, gibt es am Ende zwei Arten von Menschen: Die einen erklären Gott bereitwillig: »Dein Wille geschehe«, und die anderen erklären Gott widerwillig: »Dein Wille geschehe.«10

Der Atheist Christopher Hitchens hat in unseren Debatten gesagt, er wolle gar nicht in den Himmel kommen. Er lehnt den Himmel nach eigenem Bekenntnis ab, weil er die Ewigkeit nicht unter einem himmlischen Diktator verbringen will. Hitchens stellt sich den Himmel als einen monotonen, reglementierten Ort vor, wo jeder gezwungen ist herumzustehen, Hymnen zu singen und Girlanden auszuteilen. Hitchens erinnert mich an einen meiner Studienfreunde, der gern sagte: »Ja, Mann, ich will in die Hölle kommen. Alle meine Freunde werden da sein. Wir werden dort dann Partys feiern.« Manche Christen werden von solchen Beschreibungen entsetzt sein, aber zum Teil muss man den verbreiteten christlichen Darstellungen von Himmel und Hölle die Schuld geben. Wenn die meisten Darstellungen des Himmels nur Cherubim und Engelschöre zeigen, dann kann leicht die Vorstellung aufkommen, dass dort alle Leute ihren Dienst in der Harfenabteilung ableisten. In Miltons Paradise Lost (Das verlorene Paradies) ist der gerissene und durchtriebene Satan die bei weitem interessanteste Gestalt. In populären christlichen Darstellungen des Lebens nach dem Tod wirkt das Laster irgendwie glanzvoll, und die Tugend verliert all ihren Reiz.

Aber so sollte es nicht sein, und Christus hat auch nicht erklärt, dass es so sein wird. Was Christus über die Hölle sagt, ist sehr wichtig, denn es gibt Leute, die ihn für zu freundlich und liebevoll halten, um jemals irgendjemanden in die Hölle zu schicken. Christus ist tatsächlich freundlich und liebevoll, aber er glaubt ganz gewiss an die Existenz der Hölle und erweckt nie den Eindruck, dass sie leer sein könnte. Im Matthäusevangelium (7, 13 f.) wird berichtet, dass Jesus von einem weiten und einem engen Tor sprach. Er wies ausdrücklich darauf hin, dass viel mehr Menschen den breiten Weg zur Hölle gehen werden. Vielleicht um das abzuwenden, spricht Christus sehr ausführlich über die Hölle und betont ständig, wie schrecklich sie ist und wie wir vermeiden können, dort zu landen.

Warum ist die Hölle so entsetzlich? Weil sie der Ort ist, wo sich Gott nicht aufhält. Und da Christus betont, dass alle guten Dinge von Gott kommen, folgt daraus, dass es in dem Reich, wo Gott nicht anwesend ist, nichts Gutes gibt. In der Darstellung Christi ist die Hölle kein Ort voller gehörnter Dämonen und Mistgabeln. Die Hölle ist der Ort, wo man genau das bekommt, was man will; und wenn wir etwas anderes als Gott wollen, dann beschreibt dieses andere die Hölle für uns. In Dantes Inferno werden die Sünder im Kreis der Lust hilflos hierhin und dorthin gestoßen. Sie wollten die Vernunft dem Verlangen unterordnen, sie wollten »außer Kontrolle« sein, und genau das bekommen sie. Interessanterweise setzt Dante das Feuer in der Hölle nur sehr sparsam ein; im tiefsten Kreis sind Satan und seine engsten Anhänger in einem zugefrorenen See eingeschlossen. In Dantes poetischer Vorstellung ist die Hölle ein eisiger Wind, der uns von der wärmenden Liebe Gottes isoliert.

Man kann sich die Hölle beispielsweise vergegenwärtigen, indem man sich die schlimmsten Dinge, die einem passieren könnten, als Dauerzustand vorstellt. Das wäre die Hölle, und vielleicht gleicht die Hölle dieser Vorstellung. Ich nehme die vielen Metaphern über Feuerkessel nicht wörtlich, aber ich nehme sie ernst. Wenn wir Christus glauben, dann ist die Hölle ein Ort, den wir lieber meiden sollten. Ich bezweifle, dass es dort irgendwelche Partys gibt, und auch die Gesellschaft dürfte nicht besonders interessant sein. C. S. Lewis hat sich die Hölle ausschließlich in Grautönen vorgestellt. Darin zeigt sich die ganze Banalität des Bösen. Ich hoffe, ich kann Hitchens noch davon überzeugen, dass die Hölle unendlich langweilig ist. Ich möchte, dass er sich einen Doktoranden vorstellt, der ihn ständig mit der Auforderung nervt: »Christopher, schau dir doch bitte meine 50 000 Seiten Dissertation zur Widerlegung der Dreieinigkeit an!« Ich möchte, dass Hitchens sich den Überdruss vorstellt, den er empfindet, wenn er immer wieder zurückbrüllt: »Um Himmels willen, halt dein Maul!«

Auch der Himmel entspricht nicht unseren naiven Erwartungen und den landläufigen Vorstellungen. Wir sollten nicht die Einstellung der alten Grönländer übernehmen. Sobald sie hörten, dass es dort keine Seehunde geben würde, sagten sie den Missionaren, dass sie nichts mit dem Himmel zu tun haben wollten. Ungeachtet der zweitausend Jahre christlicher Kunst müssen wir alle diese Vorstellungen von Cherubim und Harfen überwinden und uns auch von der Idee freimachen, dass körperlose Seelen dort an einer Art ewigem Gottesdienst teilnehmen. In Wirklichkeit gibt es keinen Grund, im Himmel Kirchen zu erwarten. Warum sollte es sie dort geben, wenn wir doch die göttliche Pracht direkt erfahren können? Was Moses versagt blieb – Gott von Angesicht zu Angesicht sehen zu dürfen –, wird dem Gläubigen versprochen. Die Gottesschau ist sicher der beste Teil des Himmels, und sie ist praktisch nicht zu beschreiben. Hier hilft uns der Intellekt nicht mehr weiter, sondern nur noch die Kunst. Dante kommt ihr im abschließenden Gesang seines Paradieses vielleicht am nächsten, wenn er beschreibt, dass er sich im strahlenden Glanz Gottes nur noch wie ein Kind ausdrücken kann. Und beim Blick zurück vom höchsten Himmel auf die Erde musste Dante lächeln, weil sie ihm so winzig und armselig erschien, »die kleine Erde, wo wir so sehr toben«. 11 Hier geht es nicht darum, die Erde herabzusetzen oder das Leben abzuwerten, sondern Dante beruft sich auf den Blick aus Gottes Augen, der alles in die richtige Perspektive setzt. Und Dante deutet an, dass dies eins der Geschenke des Himmels ist: Wer nach Wissen hungert, dem verspricht der Himmel die vollständige Offenbarung der Natur der Dinge.

In seinem Buch Heaven argumentiert Randy Alcorn, dass wir die Freuden des Himmels nicht einschätzen können, weil wir keine Ahnung haben, wozu die Quellen der Allmacht imstande sind. Trotzdem möchte Alcorn uns den Himmel verständlich machen, und so erklärt er beharrlich, dass das übernatürliche Glück eine Fortsetzung des natürlichen ist. Es unterscheidet sich in der Größe, aber nicht in der Art. Unsere Erfahrung von Schönheit und Vortrefflichkeit auf der Erde ist ein Vorgeschmack auf den Himmel. Wenn wir an das Beste denken, was wir auf der Erde erlebt haben, und es uns dauerhaft fortgesetzt und vergrößert vorstellen, dann ist das der Himmel. Ja, Alcorn meint, dass es im Himmel Fußballspiele und erlesene Speisen geben wird.12

Indem er die Lehren Christi und der Bibel extrapoliert, geht Alcorn auf faszinierende Fragen ein, beispielsweise: Finden Familien im Himmel wieder zusammen? Oder: Gelangen auch Tiere dorthin? Da mein Buch von einer ganz anderen Art ist, kann ich ihm hier nicht weiter folgen. Meine eigene Position im Hinblick auf solche Überlegungen gleicht der des Thomas von Aquin. Auf die Frage, ob es im Himmel ein goldenes Buch gibt, in dem die Namen der Geretteten alphabetisch aufgelistet sind, antwortete Thomas, soweit er wisse, sei das nicht der Fall, doch könne es nicht schaden, daran zu glauben. Genau das sage ich Leuten, die mich fragen, ob ihr Papagei – »Ein heiliger Vogel! Er flucht nicht mal!« – wohl der ewigen Glückseligkeit teilhaftig wird: Ich weiß es wirklich nicht, aber es kann nicht schaden, daran zu glauben.

Wir Christen können ofenbar der Versuchung nicht widerstehen, uns ein Bild davon zu machen, was im »nächsten Leben« oder in »der nächsten Welt« geschehen wird. Aber dieses Denken geht an der Bedeutung der Auferstehung Christi ebenso vorbei wie an der Kraft seines revolutionären Denkens. Wir erkennen das, wenn wir uns eine Episode aus dem Lukasevangelium (17, 20 f.) vergegenwärtigen, in der Christus von den Pharisäern gefragt wird, wann denn das Reich Gottes komme. Er antwortet: »Das Reich Gottes ist schon mitten unter euch.« Was meint Christus damit? In allen Evangelien des Neuen Testaments werden die Ausdrücke »Himmelreich« und »Reich Gottes« synonym verwendet. So gesehen bedeuten die Worte Christi, dass das Himmelreich in gewisser Weise schon hier ist. Das ist eine merkwürdige, unfassbare, bestechende Vorstellung!

Wir verstehen sie besser, wenn wir an die Gegensätze denken, die Augustinus in seiner Darstellung vom Gottes- und Menschenstaat schildert. Wir halten beide für verschieden, sehen im einen das himmlische Reich der Zukunft und im anderen das irdische Reich der Gegenwart. Aber wenn sie wirklich verschieden sind, dann müssen wir auf das ewige Leben noch endlos warten. Und genau so sieht es in anderen Religionen aus – alle Gläubigen harren aus. Das Leben selbst wird zu einer einzigen langen Warteschleife, einem frustrierenden menschlichen Dilemma, wie Samuel Beckett es symbolisch in seinem Schauspiel Warten auf Godot darstellt. Unter diesen Voraussetzungen scheint alles, was wir auf der Erde aufbauen, vergeblich zu sein, weil die Welt eines Tages zerstört wird und wir in eine andere Welt umziehen müssen. Aus dieser Sicht erfordert Gottes Plan die Vernichtung seiner ursprünglichen Schöpfung, damit er irgendwo anders etwas Neues aufbauen kann. Aber das ist ofenbar nicht die biblische Sicht der Ewigkeit. Augustinus selbst lehnt die totale Trennung der beiden Staaten ab und betont, dass der Gottesstaat den Standard oder die Richtschnur für das Geschehen im Menschenstaat vorgibt. Der Menschenstaat sollte sich am Muster des Gottesstaates orientieren, auch wenn letzterer auf Erden nie vollkommen verwirklicht werden kann. Wenn wir Christen werden, dann werden wir nach der Überzeugung des Augustinus außerdem unverzüglich Bürger des Gottesstaates. Wir müssen nicht auf das nächste Leben warten, sondern erhalten unsere Einbürgerungsurkunde hier und jetzt. Und der Philosoph Dallas Willard schreibt, dass es im Hinblick auf die Ewigkeit keine Wartezeiten gebe: »Ewigkeit wird jetzt gestaltet.«13

Möglich wird das durch die Auferstehung Jesu, die nicht nur ein Versprechen für die Zukunft war, sondern auch die Gegenwart transformiert hat. Die Auferstehung repräsentiert Christi Sieg über den Tod. Zwar bleibt der Tod weiterhin ein Feind, aber jetzt ist er ein besiegter Feind. Wie der Dichter John Donne es in seinem wunderbaren Sonett an den Tod ausdrückt: »Und mit dem Tod ist’s aus; Tod, dann stirbst du.«14 Christi Sieg über den Tod wird nicht am Ende der Geschichte errungen, sondern in deren Verlauf. Danach fängt die Geschichte neu an, wie es sich in unserer Zeitrechnung ausdrückt, die zwischen der Zeit vor und der nach Christus unterscheidet. Der auferstandene Jesus hat den Gottesstaat in gewisser Weise auf die Erde gebracht, nicht als konkreten Staat, sondern als spirituelle Gemeinschaft gleichgesinnter Christen. Die Trennungslinie verläuft nicht mehr zwischen Diesseits und Jenseits, sondern zwischen unserem Leben, bevor und nachdem wir Christen wurden. Folglich sind Christen sogar hier auf der Erde Bewohner eines himmlischen Reiches, und da dieses Reich ewig ist, lautet die erstaunliche Schlussfolgerung, dass wir das ewige Leben im Hier und Jetzt haben können.

Bedenken Sie, welche grundlegenden Änderungen mit dieser Vorstellung verbunden sind. Sie bedeutet, dass wir andere Menschen als unsterbliche Seelen und nicht als vergängliche Körper behandeln sollten. Sie bedeutet, dass alles Gute, das wir hier auf der Erde aufbauen, Teil von Gottes ewigem Reich wird. Sie bedeutet, dass der Himmel jetzt eine Dimension unseres Alltags ist und wir sogar in diesem Leben einen Vorgeschmack auf das nächste genießen können. Mit anderen Worten: Wir können, zumindest bis zu einem gewissen Grad, den Himmel erleben, bevor wir »in den Himmel kommen«. Außerdem kann es sein, dass wir die Erde gar nicht verlassen müssen. In der Offenbarung (21, 1) ist die Rede von einem »neuen Himmel und einer neuen Erde«, und auch wenn die Bedeutung dieser Worte nicht vollkommen klar ist, wäre es eine plausible Interpretation, dass der Himmel vielleicht hier durch eine radikale Transformation der Erde errichtet wird. Wenn das geschähe, wäre es eine letzte Antwort auf das Gebet des Herrn: »Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.« Wie verblüffend wäre es doch, würden sich diese Worte als buchstäblich wahr erweisen und diese ständig wiederholten Hofnungen und Bitten konkret verwirklicht.

Ich denke, Sie wissen, zu welcher Schlussfolgerung mich das alles führt, aber ich wüsste am Ende dieses Buches schon gern, wie Ihr Urteil lautet. Während des Schreibens habe ich mir immer wieder vorgestellt, wie Sie auf der Geschworenenbank sitzen. Sie haben die Beweise gehört, und wenn Sie darüber nachgedacht haben, müssen Sie zu einem Urteil finden. Wie so oft im Leben können Sie auch in diesem Fall nicht endlos zögern und zaudern; Sie müssen sich für diesen oder jenen Weg entscheiden. Und hier kommt nun der Gipfel der Ironie: Gewöhnlich entscheidet ein Geschworener über das Schicksal eines anderen Menschen, aber in diesem Fall entscheiden Sie über Ihr eigenes Schicksal. Am Anfang des Buches habe ich Sie mit dem Unternehmer aus San Francisco bekannt gemacht, der sagte, es sei ihm gleichgültig, ob es ein Leben nach dem Tod gebe oder nicht; für ihn würde sich dadurch nichts ändern. Aber diese Einschätzung ist ein gewaltiger Irrtum, denn für jeden von uns ändert sich dadurch alles! Treffen Sie Ihre Entscheidung deshalb so, als würde alles davon abhängen, denn genauso ist es.