Letzter Abflug

Einer nach dem anderen gingen wir die Rampe hinauf um in den Rumpf der Maschine zu gelangen. Im Flugzeug war jetzt nur noch das reflektierende Licht der Bogenlampen über dem Portal des Hängers sichtbar. Sobald die Rampe hochgezogen würde, sitzen wir gleich im Dunkeln, schoss es mir zwangsläufig durch den Kopf. Ich drehte mich um und sah Kisten mit Ausrüstungsgegenständen die auf dem Boden an den Wänden festgezurrt waren. Wir saßen nun nebeneinander in der Frachtmaschine. Das Flugzeug würde uns in die Nähe unseres Einsatzgebiets bringen. Von draußen kam das hohe Surren der Startermotoren die die Triebwerke drehten, bis sie endlich hustend zu rotieren begannen. Die Maschine war halt nicht mehr die Neueste, doch sie flog. Die Motorengeräusche schwollen immer mehr an und die Heckrampe hob sich, verdunkelte den spärlichen Lichtschimmer der Basis gänzlich und schloss sich dann mit metallischem Getöse. Im Rumpf der Maschine war es nun ziemlich dunkel nur kleine rote Lämpchen gaben uns die Möglichkeit etwas zusehen.

Wir lehnten uns mit den Fallschirmen auf den Rücken gegen die Wand und hielten unsere bis zu 40 Kilogramm schweren Rucksäcke auf dem Schoß, als die Maschine sich anfing zu bewegen. Dröhnender Lärm brach los, als der Pilot und sein Copilot anfingen die Triebwerke und Klappen zu testen.

Die Maschine rollte auf dem Asphalt langsam in die Mitte der Startbahn. Der Pilot zog die Leistungshebel ganz zurück.

Die Triebwerke heulten auf, die Maschine machte einen Satz vorwärts und beschleunigte. In nur wenigen Sekunden hatte das Flugzeug abgehoben, sie stieg steil in die Höhe und das Triebwerksgeräusch reduzierte sich zunehmend. Mittlerweile hatte die Maschine ihre endgültige Flughöhe erreicht. Die nächsten Stunden hing ein jeder seinen Gedanken hinterher.

Wir mussten zwischenlanden um neu aufzutanken.

Jeder kontrollierte noch mal seine Ausrüstung. Zog die Gurte so stramm an das es einen fast die Luft nahm. Aber bei dieser Fallgeschwindigkeit durfte auch wirklich nichts verrutschen, dies hätte fatale Folgen gehabt. Die Zeit verrannte und jeder von uns hing seinen eigenen Gedanken nach. Der eine oder andere machte einen Witz, um die Stimmung etwas aufzuheitern. Ich selbst dachte nun an den bevorstehenden Absprung. Hatte ich doch jetzt schon viele Sprünge hinter mich gebracht, doch jedes Mal wenn es soweit war, fühlte ich ein gewisses Kribbeln in mir das sich langsam ausbreitete.

Und doch freute ich mich auf den Sprung. Es ist immer wieder ein großes Erlebnis, so zwischen Himmel und Erde dahin zu schweben. Die Geschwindigkeit Ist berauschend und der Ausblick unbeschreiblich, wenn es nicht gerade dunkel ist.

Jetzt war es soweit. Über das Bordfunksystem kam die Stimme des Piloten direkt in unsere schwarzen Helme: „Absprung in den nächsten 30 Sekunden“. Die Absprunghöhe lag bei etwa fünftausend Meter. Die Reihenfolge des Absprunges war im Vorfeld festgelegt. Wir überprüften unsere Funkgeräte, Mathis bestätigte noch einmal unsere primäre Abholstelle und legte dann eine Zeitfrist von einer Stunde für den Ausweichpunkt fest. Der Evakuierungspunkt und ein zweiter Ausweichpunkt waren leicht für uns zu erreichen. Falls der Hubschrauber uns aufgrund von Feindeinwirkung nicht erreichen konnte, wollten wir uns nach Südosten weiter durchschlagen. Es wäre zwar ein längerer Marsch, etwas mehr als 8 Kilometer, aber die Topografie wäre dabei auf unserer Seite.

Wenn wir nach einer Stunde aber nicht am Ausweichpunkt angekommen waren, war davon auszugehen, dass wir tot sind.

Wir stellten uns der Reihe nach auf. Ein letzter Blick auf die Ausrüstung. Ein letztes zurren an den Gurten. Alles war ok.

Dann erfolgte das Zeichen des Copiloten zum Aussteigen.

Die hintere Ladeklappe senkte sich mit dumpfem metallischem Dröhnen und die Zugluft war in der Kabine zu spüren.

Wie immer fuhr die hintere Ladeklappe nicht vollständig aus, wenn sich die Maschine in der Luft befand. Der Luftstrom unter dem Flugzeugrumpf ist so stark, dass die Hydraulik der Ladeklappe nicht genug Kraft hat, um sie vollständig auszufahren und in dieser Stellung einzurasten. Somit war die Ladeklappe wieder einige Zentimeter nach oben gerichtet.

Es stank nach Öl und Treibstoff. Ich spähte hinaus ins Leere.

Doch da war nichts außer wirbelnde Dunkelheit, eine eisige Kälte sowie dröhnender Lärm der Maschine.

Nach einer gegenseitigen Kontrolle die durch die Reihe ging, legten wir uns die Hände auf die Schulter. Hintereinander sprangen wir im Sekundentakt in die Dunkelheit hinaus.

Ich konzentrierte mich auf das was ich während der Ausbildung gelernt hatte.

Aiman war der erste, machte einen Schritt vorwärts, beugte sich nach vorne und war augenblicklich verschwunden. Ich folgte ihm im Sekundenabstand. Beim Absprung spürte ich die heiße Abluft der Triebwerke und roch den sauren Gestank verbrannten Kerosins. Wäre der Abstand größer, würden wir so weit voneinander entfernt sein, das wir uns in der Nacht nur schwer wiederfinden würden.

Im nächsten Augenblick war alles anders. Sofort war der Lärm verschwunden, das Dröhnen der Motoren, es war vorbei.

Die Stille der Nacht umgab mich, unterlegt nur vom sanft anschwellenden Rauschen des Windes, als mein fallender Körper in die Tiefe beschleunigte.

Ich spürte, wie der Sog der weiter fliegenden Maschine mich umdrehen wollte, mir die Füße über den Kopf zog und mich auf den Rücken drehte und ich wehrte mich dagegen. Ich schaute hinunter und sah eine dunkle Gestalt tief unter mir.

Aiman fiel in Seesternposition, die Fäuste geballt, Arme und Beine halb gespreizt, um die Fallgeschwindigkeit zu bremsen.

Ich wusste dass Tom dicht hinter mir sein würde, während die anderen vier eine Kette in den Himmel hinauf bildeten. Tom erschien neben mir, die Arme an den Körper gepresst. In der Pfeilposition konnte er seine Fallgeschwindigkeit steigern, dies brächte ihn näher an mich heran. Wir fielen in einer ungefähren Staffelformation und die anderen vier kamen nacheinander zu uns hinzu.

Mit einem Tempo von gut und gerne 200 Stundenkilometer stürzten wir der Erde entgegen. Ein Sprung, wie immer ins Ungewisse. Solche Nachtsprünge sind nicht gerade ungefährlich, aber es gab halt keine andere Möglichkeit, als um diese Uhrzeit zu springen. Wir wussten nie was oder wer uns dort unten erwarten würde oder gar ob wir lebend am Boden ankommen würden. Der freie Fall war nach wenigen Sekunden vorbei.

Aiman, der als Erstes gesprungen war, hatte die Aufgabe voraus zu gleiten, um eine möglichst günstige Landezone zu finden. Aiman war jetzt ein kleines Stück weit unter mir und suchte den Boden ab der ihm entgegen rauschte.

Wir übrigen hatten mittlerweile eine leicht, zueinander versetzte Formation eingenommen und versuchten uns nicht aus den Augen verlieren. Ich sah wie Aiman unter mir die Metermarke erreichte und sein Schirm aufblühte.

Dann zeigte mein Höhenmesser die 1500 Meter Marke an.

Ich hatte die erforderliche Höhe erreicht und zog dann die Reißleine.

Ich spürte, wie sie durch ihre Kanäle schoss und sich der Container auf meinem Rücken öffnete. Der Hilfsschirm wurde von seiner Sprungfeder weggeschnellt und zog den Hauptschirm und seine Tasche nach oben. Ich wappnete mich für den Ruck, wenn sich der Hauptschirm öffnete und sich meine Fallgeschwindigkeit von etwa 200 Kilometern auf eine Sinkgeschwindigkeit von 6 Metern pro Sekunde verlangsamte.

Ich holte tief Luft und hielt den Atem an.

Im Luftstrom riss es den Fallschirm aus seiner Verpackung hinaus, sodass er sich auf spreizte. Sofort spürte ich den Ruck mit dem mich der Fallschirm zurück nach oben riss, so mag es sich jedenfalls anfühlen, aber in Wirklichkeit bremste es nur meine Fallgeschwindigkeit ab. Als ich bei achthundert Meter ankam löste ich den Rucksack welcher vor meiner Brust hing.

Er hing nun an einem drei Meter langen Seil an mir herunter und behinderte mich nicht mit seinem Gewicht und Volumen während der Landung. Wir landeten ziemlich problemlos.

Mit unserem Lenkfallschirm der Firma Para Flite konnten wir fast zentimetergenau auf den Punkt landen. Voraussetzung dafür war natürlich, man beherrschte es. Aiman war der Erste von uns, welcher gelandet war und gab uns augenblicklich Feuerschutz. Im nächsten Moment war ich soweit.

Ich zog kraftvoll an den Steuerleinen, um die Luft aus meinem Schirm abzulassen, und landete mit beiden Füßen fest zusammen am Boden. In nur wenigen Sekunden löste ich mit dem Trenngriff das Gurtzeug, legte es neben den Gleitschirm auf den Boden. Drehte mich herum und fing an den Schirm schnell zusammenzuraffen Ich benötigte nicht länger als ca.

90 Sekunden und war bereit zum Aufbruch.

Gleich nachdem die Anderen gelandet waren, rafften sie genauso die Schirme zusammen. Dann bildeten wir einen Halbkreis und richteten unsere Waffen in alle Himmelsrichtungen.

Es war dunkel und absolut still hier, ein nahezu spürbares Gefühl der Einsamkeit nach alldem Fluglärm an Bord der Maschine. Dann suchten wir eine Möglichkeit, die Fallschirme einiger Maßen sicher verschwinden zu lassen. Niemand sollte sie vorzeitig finden, das würde nur dazu führen, dass man auf unsere Anwesenheit aufmerksam würde.

Zusammen gerollt und klein verpackt, versteckten wir sie im nahen Unterholz und bedeckten zum Schluss alles mit Ästen und Blattwerk. Sobald wir tief genug im Wald waren machten wir erst einmal Halt, um uns zu orientieren. Tom faltete eine laminierte Karte auseinander. Dann steckten wir unsere Köpfe zusammen und besprachen die weitere Vorgehensweise.

Im Schein des roten Taschenlampenlichts begannen wir mit der Situationsanalyse: Wo sind wir? Wo müssen wir hin?

Liegen wir gut im Zeitplan? Ausrüstung ok? Per PDA GPS ermittelten wir unsere eigene Position und kamen zu den Schluss dass wir genau am gewünschten Ort waren. Über SAT Telefon gaben wir der Zentrale unsere genaue Position und Einsatzbereitschaft bekannt. Wir bekamen die Antwort, dass der Status quo immer noch gilt und der Einsatz dem Plan entsprechend ausgeführt werden soll.

Tom übernahm die Vorhut und Igor die Nachhut.

Vorsichtig mit entsicherten Waffen und aufgesetzten Nachtsichtgeräten gingen wir mit unseren schweren Kampfstiefeln los und gaben uns gegenseitig Deckung.

Einer nach dem anderen drangen wir mit jedem Schritt tiefer in das feindliche Gebiet vor. Angespannt in die Nacht lauschend nahmen wir jedes Geräusch in uns auf. Es herrschte eine gespenstische Stille, nur gelegentlich unterbrochen von dem Schrei eines nachtaktiven Tieres. Immer wieder mussten wir in Bruchteilen von Sekunden entscheiden ob von einem Geräusch eine Gefahr ausging oder nicht.

Nach ca. einem Kilometer hielten wir kurz inne und machten die Nachtsichtgeräte wieder aus. Wenn man das Gerät allzu lange aufbehält wurde die natürliche Nachtsicht beeinträchtigt, genauso wie die Fähigkeit, Entfernungen korrekt einzuschätzen.

Später vor Ort würden wir sie nötigenfalls wieder einsetzen.

Und weiter ging es im Plan. Jede Zeitverzögerung, und sei sie noch so klein, könnte unseren Zeitplan jedoch gefährden.

Bis zum Zielgebiet waren es noch gut einige Kilometer durch unabwägbares Territorium und dort angekommen mussten wir unbedingt weitere Zeit einplanen, um uns in einem Versteck vorzubereiten. Noch hatten wir Zeit, aber die Nacht war jung und keiner konnte wissen, wie viele Hindernisse sich uns letzten Endes bis zum Einsatzgebiet noch vielleicht in den Weg stellen würden.

Doch vor allem wollten und mussten wir vor Sonnenaufgang da sein. Trotz unserer Strategie musste die Möglichkeit berücksichtigt werden, dass die Informationen über unser Ziel nicht mehr aktuell sind. Deshalb sah unser erster taktischer Schritt es vor, dass wir das Zielobjekt erst einmal auskundschaften und beobachten würden, um genaue Informationen über unseren Gegner und deren Stärke sowie die Umgebung zu bekommen.

Unser taktisches Analyseteam hat zwar immer wieder hervorragende Informationen im Vorfeld der Operation erhalten und Gott alleine weiß woher sie diese immer her hatten.

Mir fiel dazu immer Mister X ein.

Bis wir nun am Zielobjekt waren, ist viel Zeit verstrichen und die Informationen vom Analyseteam könnten somit dann überholt sein. Die Situation verändert sich von Minute zu Minute. Bevor wir nun wirklich die Geiseln befreien und zuschlagen konnten, war es zwingend notwendig, auf den neuesten Stand der Informationen zu sein.

Unsere Priorität bestand darin, zu erfahren wie die Umgebung genau aussieht. Wie viele Geiselnehmer wirklich anwesend sind, sowie mögliche Bewaffnung. Vor allem wo befinden sich die drei Pakete und in welchem Zustand befinden sie sich.

Je mehr Informationen wir hatten, umso einfacher würde die Ausführung des Auftrages sein.

Eine solche Operation konnte zwar überall vorbereitet, aber erst in letzter Minute an Ort und Stelle in Gang gesetzt werden.

Bei diesen Einsätzen mussten Ad-hoc-Entscheidungen getroffen werden. Umso wichtiger ist es, basierend auf der kühlen Analyse zurückliegender Fälle, Fehler in künftigen Gefahrenlagen zu vermeiden.

So manchen kurzen Zwischenstopp nutzten wir, um uns mit den Nachtsichtgeräten einen Überblick von dem Terrain zu verschaffen das wir gerade überquerten. Aber auch um eventuell mit dem GPS die Richtung neu zu definieren - zu kontrollieren. Es war 4.00 Uhr in der Früh als wir ohne Zwischenfälle zu Fuß am Zielobjekt ankamen.

Wir hatten ein Zeitfenster von 90 Minuten um die Geiseln zu befreien und mit ihnen zum Landeplatz zu kommen, wo uns dann ein Hubschrauber abholen werde. Unseren Informationen zufolge soll es ein Haupthaus und ein kleines Nebengebäude geben, so wie einen kleinen Stall. Nun das stimmte soweit. Auf leicht abschüssigem Gelände und aus unserer Deckung heraus, sahen wir uns das Terrain an und suchten nach einer Möglichkeit, unbemerkt an die Häuser heran zu kommen. Wir observierten die Gebäude und hielten Ausschau nach Besonderheiten jeglicher Art. Wir konnten dann im Verlauf der Observation feststellen, dass keine besonderen Sicherheitsvorkehrungen auf dem Gelände, sprich an den Gebäuden von Seiten der Geiselnehmer zu sehen war.

Wir besprachen unsere weitere Vorgehensweise und zum Schluss legten wir den Fluchtweg fest.

Aiman, Tom und Igor suchten sich eine geeignete Stelle, von der aus sie einen guten Überblick auf das Terrain hatten.

Sie würden uns mit ihren Scharfschützengewehren den Rücken decken. Sie würden aus der Entfernung jeden auf dem Gelände töten, damit wir in die Gebäude vordringen konnten.

Wir warteten und erst als sie uns mitteilten dass sie in Position waren, gingen wir vier nach Plan weiter vor. Mittels eines lasergesteuerten, auf einem Stativ montierten, elektronischen Überwachungsgerätes, wollten wir herausfinden, wie viele Geiselnehmer sich im Gebäude aufhielten. Eventuell konnten wir dadurch auch gleich ermitteln wo die Geiseln untergebracht waren.

Miguel schaltete das Gerät ein und tastete mit dem Laser ein Fenster ab, welches im Dunkeln lag. Mit dem Laser gingen wir ein ziemliches Risiko ein entdeckt zu werden, denn wenn der Laserstrahl durchs Fenster auf einen Gegenstand traf, könnte man ihn im Raum sehen. Doch es ging nicht anders.

Wir mussten die Stärke unseres Gegners kennen, wenn wir ihn erfolgreich bekämpfen wollten. Leider ergab diese Vorgehensweise keine schlüssigen Informationen, auch als wir das Nebengebäude mit dem Laser anvisierten erhielten wir keine verwertbaren Informationen. Wir tappten weiterhin im Dunkeln. Uns blieb nichts anderes übrig als uns zu trennen und in zwei Teams die Gebäude gleichzeitig zu durchsuchen.

Wir teilten uns auf, Mike und Mathis bildeten das eine Team, Miguel und ich das andere. Zuerst machten wir uns auf den Weg zum Stall, währenddessen gingen Mike und Mathis in einem weiten Bogen zum Nebengebäude um es zu überprüfen. Miguel erkundete den Stall während ich ihm im Schatten Feuerschutz gab. Wenige Augenblicke später kam er wieder heraus und schüttelte den Kopf, zum Zeichen das niemand im Stall war.

Vorsichtig schlichen wir im Schatten verborgen auf das Haupthaus zu. Nur selten hielten wir an, um zu lauschen.

Schritt um Schritt, immer darauf bedacht nicht entdeckt zu werden, kamen wir der Eingangstür des Hauses näher.

Wir waren nun am Haus angekommen und vergewisserten uns, dass niemand etwas bemerkt hatte. Niemand hielt hier Wache. Alle Aktivitäten schienen sich im Innern des Hauses abzuspielen. Ich schlich weiter auf die Tür zu und versuchte leise die Türklinke herunter zudrücken, doch musste ich schnell feststellen das sie verschlossen war. Dann öffnetet ich das Türschloss mittels eines elektrischen Tür Picks, das von Schlüsseldiensten verwendet wird.

Wir hätten zwar auch das Türschloss sprengen können, aber dann wäre unser Überraschungsmoment verspielt gewesen.

Miguel gab mir währenddessen Deckung. Ich verstaute den Türöffner in meiner Tasche und holte meine Automatik wieder aus dem Oberschenkelhalfter. Mit meiner Automatik in der rechten Hand drückte ich die Haustür mit meiner Linken langsam und geräuschlos auf. Wir hatten doppeltes Glück.

Die Tür ging geräuschlos auf und niemand war im Flur und hatte uns gesehen.

Beim Betreten eines Hauses wusste man nie was einen wirklich erwartet. Wir wollten möglichst lange unentdeckt bleiben und unseren Gegner überraschen.

Von nun an machte ich mir überhaupt keine Gedanken mehr.

Ich dachte nur noch an das Haus, an die Tür und als ich drinnen war an den Flur – das reichte voll und ganz.

Ich schlich mich also hinein. Die Waffe im Anschlag eng an die Brust gehalten, drückte ich meinen Körper eng gegen die Wand, um kein unnötig großes Ziel zu bieten. Als sich meine Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, sah ich, dass das Innere des Gebäudes etwas erleuchtet und voll von Tabakrauch war. Es roch leicht muffig und stickig, hier wurde selten gelüftet, ging es mir durch den Kopf.

Ich konnte von meiner Position aus den Flur überblicken, er war ca. drei Meter lang, dann teilte er sich nach rechts und nach links auf.

Ich ging voran, meine Bewegungen waren ruhig und zielstrebig. Während die Aktion ablief und ich mich durch den Flur bewegte, war ich höchst konzentriert.

Miguel deckte nun von der Tür aus die rechte Seite ab und ich die linke. Mit langsamen und ruhigen Schritten ging ich vorsichtig weiter voran. Als ich an der Ecke ankam, schaute ich kurz nach rechts um einen besseren Blick zu erhalten. Ich sah von hier aus, dass im rechten Gang zwei Zimmer weggingen.

Nichts rührte sich, nichts war zuhören. Dann blickte ich schnell nach links und konnte bei diesen kurzen Blick erkennen das weiter links auch eine Tür war und am Ende der Flur nochmals weiter ging, wahrscheinlich ist dort dann die Treppe um in den ersten Stock zu gelangen.

Ich drehte mich zu Miguel um und gab ihn ein Zeichen das die Luft rein ist. Ich drehte mich zurück und machte einen Schritt links um die Ecke herum.

Dann schlug das Verhängnis zu, es ging alles ganz schnell und doch hatte ich das Gefühl als würden die kommenden Sekunden sich in Zeitlupe abspielen. Gerade als ich um die Ecke wollte, prallte ich auch schon mit einem menschlichen Körper zusammen. Ich hatten einen Fehler gemacht, ich hätte mich noch einmal vergewissern müssen, ob nun jemand da stand in der Zwischenzeit.

Hatte ich mich nur auf mein Gehör verlassen und angenommen dass so schnell keiner käme. Wir kamen sofort ins Straucheln und stürzten zu Boden. Während wir beide zu Boden gingen, verlor der Mann seine Waffe. Zwischen seinem und meinem Körper steckte meine Waffe. Meine Glock mit den Schalldämpfer war zu sperrig im Nahkampf, so kam ich nicht mehr an sie heran. Aus den Augenwinkel sah ich wie ein zweiter Angreifer, am Ende des Ganges, auf mich anlegte.

Mir war sofort klar dass ich nun etwas unternehmen muss und zwar das Richtige sonst würde ich sterben.

Ich rollte mich von der Seite auf den Rücken, packte mit aller Kraft meines linken Arms den gestürzten Geiselnehmer und zog ihn, genau in dem Moment, als der zweite Geiselnehmer auf mich schoss, als Schutzschild über mich. Dann kam auch schon der knall. In dem Augenblick dachte ich, der Knall müsste jeden wecken und auf uns aufmerksam machen. Mein Fehler. Der Körper des Mannes zucke unter dem Einschlag der Kugel. Nun spürte ich, dass sein Körper erschlaffte und ich kam dadurch nun leichter wieder an meine Waffe heran.

Ich zog sie hervor und wollte auf den zweiten Kerl anlegen.

Aber gerade als ich selbst abdrücken wollte stand Miguel auch schon da, der es einmal wieder verstand schnell und rücksichtslos zu reagieren.

Auf seine Schusssicherheit konnte man einfach nicht verzichten. Ein jeder von uns konnte sich darauf verlassen.

Er verpasste dem Kerl sofort zwei Kugeln mit seiner Waffe in den Kopf. Ein Schwall von Blut drang aus der Stelle an der die Kugeln eindrangen. Er war schon tot noch bevor er den Boden berührte. Wieder einmal hatte er mir das Leben gerettet.

Das alles hatte nur Sekunden gedauert und kam mir vor wie eine halbe Ewigkeit. Um meiner Anspannung Luft zu machen fragte ich ihn grinsend: „Wo warst Du die ganze Zeit?“

Er grinste zurück und erwiderte: „Bin doch rechtzeitig hier“.

Ich rollte den Leichnam von mir runter und stand auf.

Miguel gab mir derweil Deckung bis ich wieder ok war und meine Waffe im Anschlag hatte. Ich war etwas unachtsam gewesen und dies hatte nun Folgen.

Folgen die mir noch nicht klar waren. Von nun an hatten wir ein Problem, denn nun wussten alle anderen Geiselnehmer dass jemand eingedrungen war, um die Geiseln zu befreien.

Über Funk hörten wir, dass draußen die Luft noch rein ist.

Doch das hatte nichts zu sagen, dies konnte und würde sich schlagartig ändern, wenn man uns entdeckte.

Wir mussten uns beeilen und die drei Pakete finden. Je länger wir benötigten, desto gefährlicher würde es für alle Beteiligten werden.

Dann vernahmen wir einige wenige Pistolenschüsse, sie mussten aus dem Nebengebäude gekommen sein. Mathis und Mike mussten wohl oder übel mit jemanden Kontakt haben.

Es gab nur ein kurzes Feuergefecht, dann war alles wieder ruhig. Mike sagte dann über Funk: „Ein Ziel ausgeschaltet, ein weiterer ist hinten durch das Fenster raus“.

Tom bestätigte: „Er ist auch mir entkommen, hatte ihn nur kurz im Visier, zu kurz für einen gezielten Treffer. Wir müssen nun davon ausgehen, dass er Verstärkung holen wird, also beeilt euch, damit wir hier wieder raus kommen“.

Während Miguel mich deckte, durchsuchte ich vorsichtig die beiden toten Entführer, konnte aber im Verlauf der Durchsuchung nichts brauchbares finden. Wir hatten jetzt einige Räume zu durchsuchen und mussten uns beeilen.

Die Zeit verging wie im Flug und noch hatten wir unsere Pakete nicht gefunden. Wir wandten uns nach rechts.

Miguel trat gegen die erste Tür. Mit einem wilden Knall brach sie auf. Dann warf er eine Blendgranate hinein. Wir mussten nun nicht mehr leise vorgehen, waren unsere Gegner doch schon auf uns aufmerksam geworden.

Während ich ihm Deckung gab und den Flur auf der anderen Seite in Augenschein nahm, trat er vorsichtig in den Raum ein, doch waren unsere Pakete nicht vorhanden, es war die Toilette. Dann folgte Tür Nummer zwei auf dieselbe Weise. Mit einem schnellen Blick erkannte Mike die Küche.

Wir gingen wieder zurück wo die zwei toten Geiselnehmer lagen und wollten zum nächsten Raum schreiten als Miguel an der Eingangstür eine Bewegung wahrnahm. Mike und Mathis wollten uns unterstützen und kamen zum Wohnhaus.

Mike trat ins Haus und nur die geschulte blitzschnelle Reaktion von den beiden (Mike und Miguel) verhinderte, dass sie sich gegenseitig über den Haufen schossen. Wir begannen nun den letzten Raum aufzusuchen, traten vorsichtig an die Tür heran. Miguel gab mir Deckung und beobachtete den Treppenaufstieg. Mit einem Fußtritt gegen die Tür brach sie auf. Schnell erkannte ich, dass es ein Wohnzimmer war, doch ansonsten nichts Weiteres.

Nun mussten wir die Treppe hinauf in das Obergeschoss.

Miguel ging voran, ich folgte ihm. Auf dem Treppenabsatz blickte Miguel nach oben ohne stehen zu bleiben.

Stufe um Stufe stiegen wir hinauf, immer darauf bedacht ob nicht eventuell noch ein FARC Kämpfer mit einer Waffe auf uns zu schießen anfing. Miguel hatte gerade die Hälfte der Treppen geschafft, als er eine Bewegung wahrnahm.

Ein weiterer Geiselnehmer wartete geradewegs auf uns mit einem AK47 in den Händen. Als der Kerl sich um die Ecke wagte war es auch schon geschehen mit ihm. Miguel drückte genau dreimal ab. Zwei Kugeln in die Brust eine in den Kopf.

Schließlich will niemand dass der Kerl wieder aufsteht.

So nach dem Motto die Toten sollen tot bleiben. Und dann polterte auch schon die Kalaschnikow die Treppen herunter.

Gefolgt vom dumpfen Aufprall des Körpers. Mittlerweile lief mir der Schweiß in die Augen und es brannte. Dem Tod so nahe, rauscht das Adrenalin durch mich hindurch wie Strom.

Mein Herz trommelt wie das Schlagzeug einer Heavy Metal Band. Blut rast durch meine Venen als galt es einen Wettlauf zu gewinnen.

Weiter die Treppe rauf. Oben angekommen konnten wir vier weitere Räume ausmachen. Der erste war offen und ich erkannte dass es das Badezimmer war. Ein Blick hinein genügte um festzustellen, dass es leer war.

Nun standen uns noch drei Türen bevor, wovon zwei allerdings offen standen. Schritt um Schritt gingen wir näher heran und stellten dann fest, dass es mehr oder weniger improvisierte Schlafräume waren. Sie waren mit Feldbetten ausgestattet, nur das notwendigste war vorhanden. In beiden Räumen waren jeweils vier Feldbetten. Hier war klar ersichtlich dass in diesen Räumen die Entführer nächtigten. Auf zur letzten Tür. Während ich langsam die Türklinke runterdrückte, stand Miguel neben mir mit der Waffe im an Schlag und Mike hinter ihm. Doch die Tür ging leider nicht auf. Dann trat ich mit einem gewaltigen Tritt mit meinem rechten Fuß gegen die Tür. Die Tür brach laut auseinander und unser Blick viel sofort auf die Kinder.

Mit einem einzigen Blick erkannten wir die Situation. Zu unserer Verwunderung stellten wir fest, dass es fünf Kinder waren und nicht drei. In der Einsatzbesprechung war die Rede von drei Kindern gewesen, diese drei galt es zu befreien.

Nun sah die Situation anders aus. Aber egal dachte ich mir, sehen wir erst einmal zu das wir die Kinder befreien und genauestens untersuchen. Die Kinder waren mit Plastikbindern aneinander gefesselt. Sofort gingen wir auf sie zu und durchsuchten mit unseren Augen den ganzen Raum, doch gab es keine Gefahr mehr. Mit meinem Kampfmesser durchschnitt ich die Plastikbinder und befreite sie voneinander.

Miguel redete beruhigend auf Portugiesisch auf sie ein und teilte ihnen mit das wir hier sind um sie zu befreien. An Hand von Fotos, welche wir zur Identifizierung bei uns trugen vergewisserte ich mich wer die Kinder waren.

Die Fotos waren in eine durchsichtige Schutzhülle an unseren linken Unterarmen mit einem Klettverschluss an unseren schwarzen Kampfoveralls befestigt. Drei der Kinder erkannte ich, die anderen zwei waren uns unbekannt. Als die Kinder einigermaßen ruhig waren, rief ich Mike zu mir. Er hatte von uns das Satellitentelefon bei sich.

Ich nahm Kontakt zur Zentrale auf und teilte ihnen mit, dass sich die Situation verändert hätte. Anstatt der drei Pakete hätten wir fünf angefunden und wie wir nun weiter vorgehen sollen.

Es herrsche einige Sekunden Schweigen, bis ich endlich eine Antwort erhielt. Wir sollen uns auf unsere Aufgabe konzentrieren und den Job ordnungsgemäß ausführen.

Ich glaubte mich verhört zu haben und frage nochmals nach.

Die Antwort kam prompt. Die drei gewünschten Pakete mitnehmen für mehr Personen gäbe es keinen Platz in dem Hubschrauber der uns am vereinbarten Evakuierungspunkt abholen würde. Ich konnte es nicht glauben, denn der Hubschrauber war und ist allemal groß genug, also was soll der Blödsinn, dachte ich und teilte meinen Unmut über diese Ansage mit. Fragte also nochmals nach mit der Bitte um Anweisung bezüglich der zwei anderen Pakete.

Was dann als Antwort kam veränderte alles. Für die anderen zwei werde nicht bezahlt, also keine Verwendung. Ich brauchte einige Sekunden um die Anweisung zu verdauen.

Nachdem Motto: wer Geld hat wurde befreit und wer keines hatte wurde zurückgelassen, selbst wenn es um Kinder ging.

Sollten wir doch tatsächlich zwei Kinder zurück lassen und das alles aus Geldgier. Mike sah mich mit einer finsteren Mine an, er hatte das ganze Gespräch mit anhören können und ohne ein Wort zu sagen, konnte ein jeder von uns in den Augen des jeweiligen lesen was nun passieren würde.

Die grimmige Entschlossenheit auf seinen Gesichtszügen war unverkennbar, er wirkte wie ein Fels in der Brandung.

Über Funk teilte ich den Kollegen die neue Situation mit und was mir die Zentrale als Anweisung für uns, in Bezug auf die zwei weiteren Pakete durchgegeben hatte. Ich brauchte nicht lange auf eine Reaktion warten.

Wie nicht anders erwartet einigten wir uns darauf die zwei Pakete entgegen der Anweisung mitzunehmen. Der Gedanke daran zwei Kinder zurück zu lassen entsprach nicht unseren Vorstellungen.

Es war zwar ein dreckiger Job den wir sieben ausführten, aber tief in uns drin gab es doch eine gewisse Moralvorstellung, wie man mit Menschen vor allem mit Kindern umzugehen hatte.

Dermaßen zur Tätigkeit ermuntert, die Kinder zurück zu lassen entschieden wir dagegen. In der Zwischenzeit hatte Mathis die toten Entführer aus dem Flur entfernt und in ein anliegendes Zimmer gelegt, sodass die Kinder beim Herunterkommen diese nicht mehr sehen müssten. Wir wollten sie nicht unnötig mit dem Anblick der Leichen weiter verschrecken. Die ganzen Tage der Geiselhaft sowie die Entführung waren für sie schon anstrengend genug gewesen, warum sie also noch weiteren psychischen Belastungen aussetzen. Wir machten uns nun zum Aufbruch bereit. Über Funk wollte ich wissen ob die Luft draußen rein war. Die drei Jungs draußen, bestätigten das es bis dato keine weiteren Vorkommnisse gab. Mathis kam zu uns herauf als er mit seiner Arbeit fertig war. Wir tauschten uns kurz aus und legten nun die weitere Vorgehensweise fest.

Miguel ging voran, ich folgte ihm die Treppe hinunter.

Mathis und Mike kümmerten sich währenddessen um die Kids.

Sie gaben ihnen auf Portugiesisch genaue Anweisungen wie sie sich verhalten sollen. Sie stellten sich hintereinander auf. Mike übernahm die Vorhut bei den Kindern. Ein jeder sollte sich beim Vordermann am Hosenbund oder Gürtel mit der rechten Hand fest halten. Im Gänsemarsch, angefangen mit dem rechten Fuß voran, verließen sie das Zimmer und traten in den Flur hinaus. Nun die Treppe hinunter. Es waren nur wenige Meter bis zur Eingangstür. Miguel trat als erster hinaus, gefolgt von mir sicherten wir den nun bevorstehenden Rückzug.

Dann passierten mehrere Sachen sehr schnell nacheinander.

Kaum war ich draußen sah ich aus dem Augenwinkel eine Person stehen, die mit dem Gewehr auf mich zielte.

Ich drehte mich blitzschnell zu ihm herum und wollte ihn ins Visier nehmen. Doch ich fühlte instinktiv, das es schon zu spät war, die Waffe in Anschlag zu nehmen und gezielt abzudrücken. Im gleichen Atemzug vernahm ich die Bewegung von Miguel. Im nächsten Augenblick musste ich mit ansehen wie Miguel seinen Kopf in die Schussbahn der Kugel warf.

Mit einem Lächeln im Gesicht drehte er sich zu mir um und fing die Kugel mit seinem Kopf auf, die mir zugedacht war. Sein Kopf wurde von der Wucht der Kugel nach vorne gedrückt und Blut flog durch die Luft.

Der Anblick löste sofort etwas in mir aus.

Explosionsartig spürte ich eine Urkraft in mir aufsteigen, die so tief in mir verwurzelt war, dass ich sie nicht zu benennen und erst recht nicht zu kontrollieren wusste. Mein Adrenalinspiegel war am höchsten Punkt angelangt. Angetrieben von Wut, Hass und Rache sah ich nur noch das Mündungsfeuer des Schützen, hörte weder den Mündungsknall noch nahm ich das Pfeifen des nächsten Geschoss wirklich wahr.

Nichts Heldenhaftes trieb mich voran, meine Gedanken waren nur noch auf eins ausgerichtet, diesen Mann zu töten, der meinen Freund erschoss. Nun hatte auch ich meine Waffe im Anschlag und drückte ab. Zu meinem Entsetzen hatte die Waffe Ladehemmung. Eine Glock mit Ladehemmung ist fast unmöglich. Instinktiv warf ich mich zu Boden rollte mich ab und stand wieder auf. Währenddessen zog ich mein Kommandoschwert vom Rücken und rannte mit schnellen Schritten auf den schützen zu. Kugel für Kugel umschwirrte mich, ich spürte rechts und links etwas und doch trafen sie mich nicht wirklich. Es waren nur Streifschüsse die mich nicht aufhielten.

Schritt um Schritt kam ich näher und im nächsten Augenblick sah ich die verwunderten Augen des Schützen, der immer wieder aufs Neue auf mich feuerte und keine Wirkung damit erzielte. In seinen Augen war nun Panik zu sehen, je näher ich im kam. Er wusste er würde sterben sobald ich ihn erreicht habe. Als ich dann nahe genug war, vollzog ich mit meinem Schwert einen Hieb gegen sein Gewehr und stach danach sofort in Höhe seines Herzens zu. Mit aufgerissenen Augen und Todesangst im Gesicht brach er zusammen und war tot.

Ich ließ das Schwert sinken, mein Herz klopfte wie rasend und mein Atem ging stoßweise, doch die Hände hielten ruhig das Schwert. Mit meinen Blick auf den Toten gerichtet, fühlte ich mich nun im Nachhinein auch nicht besser. Nur innere Leere erfüllte mich. Automatisch kontrollierte ich meinen Körper, ob es eine Kugel doch geschafft hatte mich zu treffen. Aus Erfahrung wusste ich, dass wenn man mit so viel Adrenalin vollgepumpt ist, jeden Schmerz ausblenden kann. Doch wenn einem wieder alles bewusst wird und das Adrenalin wieder sinkt kommt der Schmerz und man macht die Erfahrung dass er dann unbarmherzig zuschlägt. Ich hatte wohl mehr Glück als Verstand, konnte ich nur zwei Streifschüsse an der Taktischen Weste erkennen die dann von der kugelsicheren Weste rechts und links aufgehalten wurden.

Dann ging ich zurück zu Miguel, Tränen sind über mein Gesicht geronnen. Er hatte mir wieder einmal das Leben gerettet und seines für das von meinem gegeben. Es war wohl das was er gesucht und nun endlich gefunden hatte.

In Gesprächen mit ihm erinnere ich mich daran zurück, dass er in seinem Herzen sehr unglücklich war und den Tod regelrecht suchte. Ich werde ihn nie vergessen. Anfangs konnte ich mit diesem Geschenk nicht umgehen. Das ich nun leben darf und er nicht, dies machte mich sehr lange Zeit traurig.

Doch heute weiß ich, dass ich nicht traurig sein darf und seine Entscheidung respektieren muss. Ich riss mich zusammen, unterdrückte weitere Tränen und als ich meine professionelle Abgeklärtheit wiedergefunden hatte, öffnete ich meine Augen und ging an die Arbeit. Wie kam es dazu, ging es mir durch den Kopf. Niemand von uns hatte den Schützen zuvor gesehen, wo kam er her?

Er tauchte wie aus dem Nichts auf. Wir vermuteten, dass er aus dem Stall kam und dort vielleicht geschlafen hatte oder sich solange versteckt hielt bis er glaubte uns angreifen zu können. Aber egal, wir hatten einen Fehler gemacht und Miguel musste nun mit seinem Leben dafür bezahlen.

Igor, Tom und Aiman kamen aus ihrer Deckung hervor zu uns herüber. Niemand sagte ein Wort, vorerst. Als sie bei uns ankamen sicherten Igor und Tom die Gegend wieder.

Mike und Mathis hatten alle Hände voll zu tun mit den fünf Kids. Aiman und ich lagen Miguel auf eine zusammenfaltbare Folie. Wir hatte für Notfälle immer eine dabei. Sie bestand aus zusammenklappbaren Aluminiumröhren und einer dünnen Nylonplane. Es war klar, dass wir ihn nicht zurücklassen würden. Es dauerte nicht lange und wir hatten ihn komplett eingewickelt. Die Kinder sollten ihn so nicht sehen, denn es war kein schöner Anblick. Waren sie doch schon verstört genug.

Fertig, nun Teambesprechung. Uns war klar, dass es nun etwas langsamer voran ging bis wir beim Abholpunkt sein werden. Fünf Kinder, ein toter Freund und ein Geiselnehmer der geflohen ist. Ein absolutes Desaster. Also nichts wie los, jede Minute zählte. Igor übernahm die Vorhut, dann Mike und Mathis mit den Kids. Ihnen folgte Amin und ich die Miguel trugen und Tom übernahm die Nachhut. Es waren nur 3 Kilometer und doch waren es die Längsten, denn wir kamen nur schwer voran.

Das Gelände war uneben und die Kids gingen wie in Trance hintereinander, nur langsam weiter. In ihren Augen stand noch immer die panische Angst. Ich konnte es verstehen.

Was müssen sie alle durchgemacht haben in all den Tagen ihrer Geiselhaft. Und die Befreiungsaktion war auch nicht ohne. Sie werden viel Liebe und psychologische Betreuung benötigen um halbwegs mit dem Erlebten klar zu kommen.

Selbst für Leute wie wir bleiben solche Einsätze nicht ohne Folgen. Es war nicht mehr weit bis zur Lichtung wo uns dann der Hubschrauber alle ausfliegen sollte. Einige Minuten später war es dann soweit. Vor uns war nun eine kleine Lichtung, wir hatten es geschafft. Mit aller Vorsicht observierte Igor vorerst alleine einmal das Terrain, während wir anderen in einem sicheren Abstand warteten. Nach einigen Minuten teilte Igor uns mit das die Luft rein war und wir kommen könnten.

Nach wenigen Schritten schlossen wir zu Igor auf. Wir lagen planmäßig gesehen gut im Zeitplan. Über unser SAT-Telefon nahmen wir Kontakt zum Piloten auf und gaben unsere genaue Position durch. “Black Eagle, hier ist Bad Boy. Derzeit haben wir keine Feindberührung. Wir erwarten euch am ausgemachten Abholpunkt“. “Black Eagle, verstanden“.

Der Pilot bestätigte und gab seine Ankunft für in drei Minuten an.

Mathis warf eine grüne Rauchgranate in die Landezone, als Zeichen für den Piloten, dass eine sichere Landung gegeben ist und die Landezone frei ist. Nichts desto trotz sicherten wir nach allen Seiten unseren Rückzug, um nicht noch in letzter Sekunde überrascht zu werden. Es dauerte nicht lange und wir hörten den Rotorenlärm des Hubschraubers. Es war ein gutes Gefühl den Hubschrauber Bell 212, auch Twin Huey genannt, im Anflug zu sehen. Das Dröhnen des herannahenden Hubschraubers wurde immer lauter. Der Bell glitt schnell und tief über das unebene Gelände und hielt auf der markierten Landezone.

Die Anspannung wuchs, nur wenige Augenblicke und wir hatten es geschafft. Der Hubschrauber flog ein und ging mit viel Lärm über der Landezone runter. Noch währenddessen der Hubschrauber über der Landezone schwebte gingen wir in gebückter Haltung, den Luftsog der rotierenden Rotoren ausweichend hintereinander auf den schwebenden Hubschrauber zu.

Sein Rotorabwind verwirbelte alles Umherliegende, vor allem Sand und Gräser in die Höhe. Allen voran ging Mike, der die Kids im Schlepptau hatte, gefolgt von Aiman und mir, die wir Miguel auf der Barre trugen. Die anderen gaben uns derweilen Deckung, um ungehindert zu dem Hubschrauber zu kommen.

Dann setzte er auch schon am Boden auf. Die Kinder stiegen unter den kreisenden Rotoren in den Hubschrauber.

Mike sicherte uns anschließend nach hinten ab.

Der Bordschütze - auch Doorgunner genannt, gab uns mit seinem Bord-MG, ein M-60, beim Einsteigen der Kinder Deckung. Wir ließen die Kinder einsteigen und als dies geschehen war schoben wir Miguel, der auf der Barre war, durch die Seitentür in den Hubschrauber rein.

Gerade, wenn man denkt, es könnte nicht schlimmer kommen, dann beweist einem das Leben das Gegenteil. Im nächsten Augenblick schwenkte der Bordschütze sein MG herum und zielte auf uns, die gerade dabei waren einzusteigen.

Harte Entschlossenheit prägte seine Mine und in seiner Stimme lag eine unangenehme Schärfe, als er uns anblickte und sagte: „Ihr habt den Anweisungen zu wiedergehandelt.

Wir dürfen euch nicht ausfliegen, ihr seid gut genug ausgebildet um zurück zu kommen, soll ich euch ausrichten“.

Die klare Entschlossenheit in seinem Ton war überzeugend und ließ jedes weitere Argument ausschließen. Niemand von uns dachte jemals daran in so eine Situation zu kommen. Auch konnten wir die Tragweite noch nicht einschätzen.

Um keine weitere Zeit zu verlieren lies der Pilot den Motor nun auf höhere Touren aufheulen. Der kreisende Propeller wirbelte uns die Luft durchs Gesicht. Dann hob sich der Hubschrauber merklich vom Boden ab. Immer höher schraubte sich die Maschine hinauf und flog dann mit großem Getöse davon.

Als sich der Helikopter entfernte, hallte das Pochen seiner Rotoren wieder bis es allmählich in der Ferne verklang.

Igor war außer sich vor Wut, schrie und brüllte vor sich hin: „Soll das nun die Kulisse für unsere Befreiung sein, ich kann es nicht glauben!“ und dann hatte er sich auch schon wieder im Griff. Er musste seinen Frust einfach raus lassen.

Wir anderen dachten ähnlich. Ich sagte: „Da setzt man sich hundertzwanzigprozentig für einen Job ein, und das ist dann der Dank!“. Tom sprach genau das aus was alle anderen dachten: „Dahinter steckt garantiert Goldmann, wenn der seinen Willen nicht bekommt geht er über Leichen und diese sind wohl wir.“. Ich war nun stinksauer und sehr zornig über die Reaktion von der Firma. Zorn ist gut dachte ich dann.

Zorn kann einem helfen, am Leben zu bleiben. Und eines wusste ich, ich komme wieder. Wieder um jemanden zur Rechenschaft zu ziehen, um all meinen Frust abzubauen.

Alles ging schief bei diesem Auftrag und am liebsten sollte jetzt sofort jemand dafür büßen. Aber nicht die beiden Piloten, denn auch sie führten nur ihren Auftrag aus. In ihren Gesichtern konnte ich einiges sehen. Sie verstanden unser Handeln, warum wir alle Kinder mitnahmen. Aber in ihren Augen war der Zweifel zu sehen, als sie mit dem Helikopter abhoben, ob wir es schaffen würden über die Grenze zu kommen.

In diesem Augenblick waren viele Emotionen sehr spürbar.

Unverständnis, etwas Ratlosigkeit, Wut, Zorn, aber dann der Überlebenswille und nun erst recht. Wir sahen uns an und wussten uns bleibt nichts anderes übrig. Wir werden tun was wir gelernt haben und finden Hoffnung im Unmöglichen.

Die beiden Piloten waren gute Jungs, sie ließen uns weitere Munition, Handgranaten sowie eine Claymore Mine und etwas Wasser da. Wie sagt man so schön: So standen wir nun da, wie ein begossener Pudel im Regen. In wirklich schlimmen Zeiten macht man einfach weiter, ohne über vergangenes nachzudenken. So wie wir es gelernt hatten bemühten wir uns einen Ausweg aus diesem immer schlimmer werdenden Albtraum zu finden. Wichtig in solch einem Fall ist, nicht in Panik zu geraten. Wir versuchten, entspannt zu bleiben und mit klarem Kopf die Situation zu beurteilen. Es ist ebenfalls hilfreich, sich ausschließlich der nun bevorstehenden Aufgabe zu widmen. Wir durften uns nur darauf konzentrieren und uns nicht sorgen, was passieren kann. Diese Einstellung, für den Augenblick zu leben, schützt einen vor vielen imaginären Problemen. Neue Rahmenbedingungen schaffen neue Handlungsoptionen.

Analyse:

Wir dachten nicht daran, wie wir von hier aus schnellst möglichst weg kommen könnten, über die Grenze in Sicherheit. Wir hatten eher das Gefühl, nun ist es an der Zeit zu überleben. Jeder wusste von Anfang an worauf er sich eingelassen hatte. Nun war es soweit, jeder muss einmal für seine Sünden bezahlen. Gut und Böse müssen sich halt im Leben die Waage halten. Wir wussten die Kinder sind nun in Sicherheit, und dieses Wissen war ein gutes Gefühl.

Wir standen beisammen und überlegten wie wir nun weiter vorgehen könnten.

Uns blieb nichts anderes übrig als zu improvisieren.

Jedem von uns war klar, dass aus Richtung der Grenze keine Hilfe herbeikommen würde. Und obwohl wir versuchten, nicht daran zu denken, die Wahrheit war, dass wir aus keiner Richtung Hilfe zu erwarten hatten. Ganz entgegen seiner üblichen Schweigsamkeit sagte Tom in einer coolen Art ohne jeglichen Zweifel: „Bleiben wir hier und stellen ihnen eine Falle.

Die gehen doch nicht davon aus, dass wir noch hier sind.

Die glauben doch sowieso, dass wir mitgeflogen sind und wenn sie keine Spuren von uns finden, dass wir noch hier oder gar weiter gezogen sind, werden sie nicht misstrauisch sein.

Noch bevor ihnen klar wird was hier wirklich abgeht, sitzen sie schon in der Falle und wir knallen sie einfach ab.“

„Wir hätten da noch die Clay More Mine, die könnten wir direkt am Landeplatz hochjagen. Wird bestimmt auch einige erwischen.“, meldete sich Mathis zu Wort, im Tonfall eines Mannes, der in seiner Fähigkeit, einem Versprechen Taten folgen zulassen, noch nie einen Zweifel gelassen hat.

Die Taktik klang logisch und gut, ganz im Sinne von Sun Tzu (bestimme das Schlachtfeld). Nichts desto trotz war sie auch sehr riskant. Doch wer nichts wagt, der nichts gewinnt.

Angriff ist halt doch die beste Verteidigung.

Der ganze Begriff erfolgreicher Kriegsführung besteht darin, den Feind in ungünstiger Lage zu überraschen und schnell handeln zu können. Wir wollten ihnen einen gut koordinierten Kampf bieten. Nach einer kleinen Einsatzbesprechung und Situationsanalyse ging es zügig voran. Wir schauten uns gegenseitig an und grinsten in die Runde. Legten die Hände übereinander und sagten gleichzeitig unseren Leitspruch: „Der einzig schöne Tag war gestern.“

Keiner von uns dachte, dass er nun hier sterben würde, denn dafür hatten wir keine Zeit mehr.

Wir hatten uns entschieden.

Waren wir doch äußerst diszipliniert und bestens trainiert, wir würden zusammenhalten und funktionieren. Bei diesen Einsätzen genügt es nicht, die Überraschung, Schnelligkeit, Geländekenntnis und Informationen auf seiner Seite zu wissen. Man muss zusätzlich Entscheidungsfreude und -fähigkeit besitzen, denn ohne diese sind die anderen Vorteile wertlos. Selbst eine vorher gut geplante und immer wieder trainierte Aktion kann nicht durchgeführt werden, wenn sich einer der Teammitglieder unentschlossen, unsicher und wankelmütig verhält. Auch eine anfänglich erfolgreiche Aktion kann scheitern, wenn während der praktischen Durchführung plötzlich Entscheidungswille und -fähigkeit ausfallen; ist beides nicht vorhanden, dann wird die entstandene Leere gewöhnlich durch Wankelmut und Angst gefüllt. Der Feind wird diese Schwäche nutzen und einen vernichten.

Unser Vorsprung war nicht wirklich groß. Wir hatten von nun an keine Zeit mehr zu verlieren. Wir nahmen systematisch das umliegende Terrain in Augenschein und suchten uns die passenden Plätze für unser Vorhaben aus. Wir durften uns keine falsche Beurteilung der Lage leisten. Es würde keine Zeit weiter verloren und kein weiteres unnützes Wort mehr gesprochen. Mit einer selbstsicheren Entschlussfähigkeit erledigte jeder von uns seine Aufgaben.

Der Landeplatz ist die perfekte Stelle für eine Falle. Unsere Verfolger würden auf jeden Fall zum Landeplatz gehen, um alles genauestens zu begutachten. Als zusätzlichen Anreiz, ließen wir noch einiges unwichtiges dort zurück. Wir bauten darauf, dass die menschliche Natur ihren Lauf nahm und sie ihrer Neugierde nicht wiederstehen konnten, genau dort nachzusehen, um sich zu vergewissern, was wir dort zurückgelassen hatten.

Es war gerade zu perfekt.

Offenes Gelände, so konnten wir aus dem Hinterhalt heraus unseren Gegner angreifen ohne selbst sofort entdeckt zu werden. Mathis machte den Anfang. Er ging zurück zum Landeplatz und versteckte dort die Clay More Mine. Die Clay More Mine besitzt eine Sprengkapsel, sie wird elektrisch über ein zwölf Volt Netz mit Zündschnur gezündet. Im Umgang mit jeder Art von Sprengstoff galt er als besonders erfinderisch.

Unerschütterlich ruhig und steht‘s erfolgreich durch tödliche Präzision.

Als Mathis alles soweit am Landeplatz vorbereitet hatte, marschierte er schnurstracks zu uns zurück und ging zu der Position von wo aus er die Mine zünden würde.

Von uns allen hatte er wohl den risikoreichsten Platz und die wichtigste Aufgabe. Er würde so weit weg vom Landeplatz wie die Zündschnur reichte und zwischen Mike und mir in Position gehen. Von dort aus würde er seinen Angriff starten. Sein Versteck war somit genau dort wo auch unsere Gegner den Boden absuchen konnten. Sie mussten direkt an ihm vorbei gehen. Weil wir wussten wie wichtig sein Versteck war, halfen wir ihm sich zum größten Teil einzugraben.

Mit einem Stofffetzen über dem Gesicht lag er nun rücklings in einer kleinen Erdaushöhlung und lies seinen Körper mit Sand bedecken. Nur der Kopf mit dem Gesicht nach oben, lugte etwas heraus. Dann beseitigten wir so gut es ging jegliche Spuren. Nichts durfte darauf hindeuten das dort jemand eingegraben ist. Gemacht getan. Damit auch wir uns in Position bringen konnten, zogen Mike und ich uns selbst auf einen taktisch günstigen Platz zurück. Rückwärts gehend verwischten wir jeden nur möglichen Hinweis mit kleinen Laubzweigen und bedeckten zusätzlich so manches mit trockenem Laub. Dann überprüften wir noch ganz genau, dass wir nicht fälschlicherweise die Spuren auch noch vernichten, welche zeigten, dass wir zum Landeplatz gingen und abgeholt wurden.

Mike ging nach rechts und ich selbst suchte links von Mathis meine Deckung auf.

Während wir unsere Position einnahmen und uns etwas Deckung mit dem herum liegenden Gestrüpp verschafften, waren Igor, Aiman und Tom zu ihren erhöhten Positionen unterwegs. Sie wollten uns aus den Bäumen heraus unterstützen, sobald die Mine von Mathis gezündet war, in dem sie ihre ausgesuchten Ziele allesamt eliminierten.

Es dauerte nicht lange und sie waren in den Bäumen nicht mehr sichtbar. Im Dickicht der Bäume untergetaucht warteten sie nun auf das Zeichen. Unsere Taktik sah es vor, dass unsere Verfolger den Landeplatz inspizierten. Sobald sie nahe genug waren, also in idealer Reichweite der Mine, würde Mathis über Funk das Zeichen bekommen die Mine zu zünden. Doch bevor Mathis die Mine zündet, würden die drei Scharfschützen los legen und ihre bevorzugten Ziele gleichzeitig und gezielt auslöschen. Daraufhin sollte die Mine hochgehen. Gleich nach der Explosion, wollten wir ihre Verwirrung nutzen. Aus unserer Deckung kommen und die restlichen Verfolger ins Kreuzfeuer nehmen. Sie sollten nur einen Rückzug sehen. Ihr Selbsterhaltungstrieb würde sie weiter zurück ins offene Gelände führen. Doch damit wären sie dann endgültig erledigt. So sah jedenfalls unser Plan aus.

Alles war auf Sekunden genau abgestimmt und musste dann nur noch auch wie ein Schweizer Uhrwerk funktionieren.

Es war soweit alles geschafft, ein jeder von uns hatte seine Position eingenommen. Wir hatten eigentlich nur noch eines zu tun. Wir mussten mit der Umgebung verschmelzen, eins werden und natürlich die Augen offen halten.

Der Hinterhalt war geschickt aufgebaut, sodass keiner der Verfolger erahnen konnte, was wirklich auf sie zukommen würde.

(Die Ersten, die auf dem Schlachtfeld eintreffen, erwarten den Gegner mit Ruhe.

Die Letzten, die eintreffen und sogleich in die Schlacht geführt werden, sind bereits erschöpft und verlieren) Zitat Sunzi

Während wir schwitzend in unserer Stellung auf den Feind warteten, schien die Zeit stillzustehen. Ich spürte etwas Angst in mir aufsteigen und dachte über das Leben und den Tod nach. Ich ließ meine Angst gewähren. Angst ist gut sagte ich mir, denn sie macht mich vorsichtig, sie darf mich nur nicht beherrschen. Ohne dieses automatische Alarmsignal der Angst würde man nur unnötige Risiken eingehen und eventuell dabei ums Leben kommen. Und dann fühlte ich es, wo Angst ist, ist auch Mut. Ja ich fühlte Mut in mir heran wachsen.

Wenn man Mut fühlt, tat man das, was notwendig war, bedingungslos. Mut ist der innere Freund um Entscheidungen zutreffen, schnell und sichere Entschlusskraft zu beweisen.

Ich wurde zunehmend ruhiger und dachte nicht mehr über Leben und Tod nach, lies mich nicht mehr davon ablenken.

Ich war nun eins mit meiner Waffe, eins mit dem Auftrag.

Ich spürte, wie der unbedingte Siegeswille mich wie eine Woge durchflutete, welche bald gegen unsere Verfolger anbranden würde.

In dieser Welt, dachte ich, bleibt einem keine Zeit, darüber nachzudenken, ob man Recht oder Unrecht tut. Es bleibt nur Zeit zu zielen und abzudrücken.

Wir spähten durch unsere Deckung, in den Blätterwald, in die Richtung aus der die Verfolger kommen würden und suchten nach einem Anzeichen das sie nun eintreffen würden.

Doch bis dato war weder etwas zu hören, noch zu sehen und es rührte sich einfach nichts. Nach ca. 5 Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, war es dann soweit. Tom war der erste welche den Feind bemerkte und hörte.

Er gab uns über Funk Bescheid: „Feind naht, Stärke 8 Mann in einem Pickup, soweit ersichtlich alle bewaffnet“.

Unsere Anspannung wuchs weiter an und die Sekunden bis zum Angriff dehnten sich weiter aus. Meine Glieder waren verkrampft, alle Muskeln fast schon schmerzhaft angespannt, ich sehnte mich regelrecht nach Action. Das unverkennbare metallische Schnappen des Verschlusses meines Sturmgewehres in meinen Ohren war extrem laut für mich zu vernehmen und wirkte irgendwie wie ein Startsignal.

Unendlich langsam ging es voran.

Wir blieben weiterhin in Deckung und warteten ab.

Der Pickup hielt an, sechs Männer kletterten von der Ladepritsche herunter und sicherten sogleich die Umgebung.

Ihrer Kleidung nach zu urteilen waren es paramilitärische Kräfte der FARC. Diese Typen von der FARC wussten sehr wohl wie man tötet. Sie mussten sich wie wir auch keine Gedanken über wirkliche Einsatzregeln und das Kriegsgericht machen wie beim wirklichen Militär, denn dem gehörten sie ja nicht an. Sie waren gefährlich und würden kein Erbarmen zeigen. Gnadenlos würden sie jeden von uns töten, wenn sie keinen Vorteil darin sahen uns am Leben zu lassen. Es ging somit einzig und allein um unser Überleben. Dann stieg auch der Beifahrer aus und gab sogleich einige Anweisungen.

Der Fahrer blieb im Fahrzeug. Langsam aber stetig kamen sie näher.

(Was den Gegner dazu bewegt sich zu nähern, ist die Aussicht auf Vorteil. Was den Gegner vom Kommen abhält ist die Aussicht auf Schaden). Zitat Sunzi

Mit jedem Schritt den sie auf uns zusteuerten, kamen wir näher dem Ende der Konfrontation. Wir konzentrierten uns auf die bevorstehende Aufgabe.

Jeder von uns hoffte insgeheim, dass sie den Köder schlucken und uns nicht vorzeitig ausfindig machen würden.

Langsam kamen sie näher. Der Anführer gab auf einmal ein Zeichen und zu unserem Bedauern fingen sie an auszuschwärmen. Unser Köder war gut, eventuell zu gut?

Sie waren halt misstrauisch geworden. Unsere Befreiungsaktion in den Morgenstunden ließ sie nun etwas vorsichtiger sein. Sie spähten in alle Richtungen und sicherten sich gegenseitig ab. Doch zu unserem Glück waren wir für ihre Augen nicht sichtbar. Die menschliche Natur nahm ihren Lauf.

Vorsichtig und langsam gingen sie zum Landeplatz. Wir hatten Recht behalten, sie wurden neugierig und gingen weiter.

Unser Glück war zwar nicht vollkommen, da sie sehr verstreut auf unsere Überraschung zugingen. Man kann nicht alles haben sagte ich in diesem Augenblick zu mir selbst.

Aber nichts desto trotz hatten wir noch einen kleinen Vorteil.

Wir hatten die Sonne im Rücken sobald sie am Landeplatz sind. Nur noch wenige Meter. Auf einmal blieben alle stehen und nur zwei von ihnen gingen weiter. Die anderen suchten nach verräterischen Anzeichen und waren auf der Hut.

So wie es aussah würde die Mine nur zwei von ihnen erwischen, also musste die Verwirrung ausreichen um die anderen auszuschalten.

Dann war es soweit, Tom sagte Mathis Bescheid dass die Verfolger nahe genug an der Mine waren, das Warten hatte ein Ende. Über Funk gab Mathis nun das vereinbarte Zeichen. Er sollte bis drei zählen, und bei zwei sollten die drei Scharfschützen loslegen und bei drei die Mine hochgehen.

Der Countdown begann. Mathis fing an zu zählen: „Eins, zwei.“ mit tödlicher Präzision wurden zuerst drei der Verfolger aus sicherer Entfernung getroffen. Einer der Verfolger auf der linken Seite und einer auf der rechten Seite brachen tödlich getroffen zusammen.

Der dritte war der Fahrer welcher hinterm Lenkrad mit einem Kopfschuss zusammen brach. Niemand bemerkte etwas.

Kein Schuss war zu hören, benutzten alle drei doch ihre Schalldämpfer. Dann hörten wir Mathis drei sagen. Sofort erfolgte eine Ohren betäubende Explosion und warf die zwei Verfolger, welche beim Landeplatz waren, zu Boden - tödlich getroffen von den Splittern. Die Sprengkraft und der Explosionsdruck der Mine fielen gewaltig aus.

Vorsichtshalber öffnete ich den Mund, damit mir nicht bei der Explosion das Trommelfell platzte. Sofort rieselten Trümmerteile wie Regen auf die Erde herab. Die folgende Aktion ging blitzschnell. Doch für mich verlangsamte sich plötzlich alles wie in Zeitlupe. Wieder voll auf Adrenalin, sah ich alles kristallklar und jede Sekunde schien eine Minute zu werden. Ich hörte die Detonation und sprang völlig automatisiert aus meiner Deckung hervor und fing an mit meinem Sturmgewehr gezielt auf eine Person zu schießen.

Getroffen von der Kugel brach die Person zusammen. Ich sah mehrere Mündungsfeuer und hörte so manche Kugel um mich herum surren.

Wie bei der Ausbildung ging ich drei Schritte vorwärts, ließ mich zu Boden fallen und rollte mich einen Meter zur Seite.

Stand sofort wieder schießend auf, genau in die Richtung in der ich noch einen möglichen Gegner vermutete. Während ich wieder aufstand fing ich gleich wieder an ein mögliches Ziel zu suchen, doch es gab niemanden mehr. Keiner von den Verfolgern hat unseren Hinterhalt überlebt. Der Angriff war perfekt verlaufen. Während des Kampfgeschehens muss man immer wieder einen Standortwechsel vornehmen, damit man kein ruhendes Ziel bietet und somit leicht zu treffen ist.

Das Überleben ist abhängig von der Schießkunst, von der Fähigkeit, die vorhandenen Waffen optimal einzusetzen und selbst nicht getroffen zu werden.

Wenn man vom Schießen redet, so ist davon untrennbar die Treffsicherheit. Diese muss so lange geübt werden, bis das Schießen und das Treffen zu einer Reflexreaktion geworden sind. Um gut und treffsicher schießen zu können, muss man systematisch trainieren und dabei die verschiedensten Methoden anwenden. Jede Gelegenheit zu Schießübungen sollte ausgenutzt werden. Treffsicheres Schießen ist lebenswichtig wie Wasser und Luft. Eine weitere Stufe der perfekten Schießkunst stellt eine besondere Form dar: den Heckenschützen, einen einsamen Kämpfer, der unablässig Einzelaktionen durchführt. Er beherrscht das Schießen auf kurze und lange Distanz, und seine Waffen sind für beides eingerichtet.

Ich war nun froh dass der Angriff vorbei war. Über Funk bekam ich mit, dass wir alle am Leben waren. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass Mike dasselbe getan hatte wie ich.

Genauso hatten wir einen Angriff immer wieder einstudiert.

Es war die klassische Angriffsmethode der Infanterie, so genanntes Combat schießen. Ich fühlte mich etwas erleichtert und doch fühlte ich auch einen Widerspruch in mir. Es war nicht das erste Mal das ich dies spürte, doch es gab kein zurück. Der Zweck heiligt die Mittel. So muss es wohl sein, um sein Gewissen rein zu waschen. An was ich alles denke, wenn ich in extremen Situationen bin. Worüber ich nachdenke und die Zweifel die in mir aufkommen ob das alles auch richtig ist. Wer weiß das schon.

Zurück in die Realität. Wir drei standen da und sahen uns um.

Niemand von den acht Männern hatte überlebt. Unser Plan ging perfekt auf. Wir hatten es geschafft und keiner von uns war verletzt. Alle standen noch unter Strom, das Adrenalin pochte durch unsere Adern und erzeugte ein eigentümliches Hochgefühl.

Und doch war da auf einmal ein Schweigen zwischen uns welches irgendwie seltsam bedrückend erschien. Es fühlte sich lauter und aufdringlicher an als der Lärm vorher.

Ich drehte mich zu den anderen beiden herum. Mathis und Mike starrten wie gebannt auf den Fleck, wo zuvor die Mine hochgegangen war. Es war nichts mehr von denen übrig die von der Mine erwischt wurden. Igor, Aiman und Tom gesellten sich nun auch zu uns. Jedem von uns war nicht gerade wohl zumute, als wir das Ergebnis sahen. Die Luft war erfüllt von dichtem Pulverrauch. Niemand lächelte und doch sah ich in ihren Gesichtern die Erleichterung darüber, dass die Bedrohung vorbei war. Zumindest dieser Teil. Wir töteten diesmal um unsere eigene Haut zu retten. Sonst taten wir es damit bessere Menschen nicht sterben müssten, aber natürlich auch für Geld.

Während des Kampfgeschehens hatte ich irgendwie ein Gefühl der Unbesiegbarkeit und eine Euphorie verspürt. Diese überdrehte, euphorische Stimmung, verursacht durch zu viel Adrenalin, hielt solange an bis ich Brasilien verließ. Aber bis dahin würde noch einige Zeit vergehen. Nachdem nun etwas Ruhe eingekehrt war, arbeiteten wir daran die Leichen ins Unterholz zubringen. Wir bedeckten sie mit Zweigen und Blätter in der Hoffnung das man sie nicht zu früh entdecken würde. Nun hatten wir etwas Zeit gewonnen. Doch wie viel, das wussten wir nicht wirklich. Es würde nicht lange dauern und irgendjemand würde ganz bestimmt die Männer vermissen und sie dann suchen gehen. Vielleicht hatte auch jemand die Explosion und das Feuergefecht gehört.

Wir mussten also unbedingt weiter. Wir sammelten die Waffen und Munition ein. Verteilten das was wir brauchen konnten und suchten uns etwas Deckung. An einer geschützten Stelle, in alle Richtungen abgesichert, nahmen wir uns die Zeit und versuchten uns ein Bild von der Situation zu machen.

Unsere Aufgabe bestand jetzt darin, die nächsten Schritte zu überdenken. Natürlich war es auch wichtig die Augen offen zu halten, doch mussten wir auch handeln. Und dazu war es notwendig, die Situation genau abzuschätzen.

Situations Analyse:

Wir standen in gebückter Haltung vor einer Karte, die Mike auf seinen Knien ausgebreitet hatte. Für den Augenblick fühlten wir uns sicher. Doch die Sicherheit war illusorisch, denn längeres Verweilen würde gezwungenermaßen zum Tode führen. Wenn man uns erwischen würde, wären wir völlig rechtlos - niemand hätte uns helfen können oder würde es tun.

Warum auch, man hatte uns ja schon abgeschrieben. Wir, die solch einen Job ausführen, sind halt alle entbehrlich.

Unsere Chancen heil über die Grenze zu kommen waren ziemlich gering. Aussicht auf Erfolg bestand nur in unserer Hoffnung. In unserer Ausbildung trainierten wir die Spurensuche und Menschenjagd, in wildem, ländlichem oder städtischem Gelände. Ziel war es, niemals zum Gejagten zu werden, immer und überall der Jäger zu bleiben. Doch die Wahrheit sieht zuweilen anders aus.

Wir waren nun nicht mehr die Jäger, sondern die Gejagten. Es war wohl nur eine Frage der Zeit bis man uns finden würde. Von nun an waren wir auf der Flucht.

Alle Vorteile liegen beim Jäger. Es sind viele, sie kennen das Gelände und werden uns hetzen, aus Rache, Wut und das mit einem wahren Jagdeifer. Wirklich starke Motivationen.

Doch sind all diese Motive zusammen, nicht annähernd so stark, wie der Wille zu überleben. Bei allem was wir von nun an taten, durften wir unseren Gegner auf keinen Fall unterschätzen. Von nun an mussten wir uns immer in die Lage unserer Gegner versetzen und durften uns keinen weiteren Fehler erlauben, denn dies wäre dann unser Letzter.

Die Karte und das GPS Gerät zeigte uns wo wir nun waren und wo wir hin müssen. Uns war klar dass wir mit dem erbeuteten Fahrzeug zwar schneller vorankämen, aber dies würde auch bedeuten dass wir die Straßen benutzen müssten.

Ein jeder der die Straße benutzte könnte uns leicht erkennen und identifizieren. Zumal auch die Windschutzscheibe ein Einschussloch hatte. Wir gehören halt nicht hierher und jedem den wir begegnen, würde dies sofort wissen. Also blieb uns nur der Weg durchs Gelände. Die andere Alternative war schlicht undenkbar. Wir wollten so schnell wie möglich vorwärts.

Je schneller und je weiter wir von hier weg kamen, umso besser für uns. Gewaltige, unübersehbare Massen von Bäumen richteten eine undurchdringbare Wand vor uns auf.

Der Anblick war überwältigend, wenn wir nicht das Problem gehabt hätten wieder nach Hause zu kommen.

Der Wald vor uns schien höhnisch zu grinsen, als wollte er uns herausfordern, das Innere zu betreten. Unser Weg führte geradewegs in die grüne Hölle.

Wir schlugen uns in die Büsche, verschwanden im Unterholz und sahen zu das wir gut vorankamen.

Hintereinander gingen wir im Gänsemarsch voran und redeten kein unnötiges Wort miteinander. Jedes laute Wort oder Geräusch könnte unsere Position im Labyrinth des Waldes verraten. Das Atmen wurde von Mal zu Mal schwerer, uns machte die hohe Luftfeuchtigkeit zu schaffen. Ständiges schwitzen führte dazu, dass unsere Kleidung überall an der Haut klebte und man immer das Gefühl hatte am ganzen Körper feucht zu sein, was ja auch stimmte. Alles Mögliche von der Ausrüstung fing mit der Zeit an zu reiben und nervte.

Die hohe Lufttemperatur sorgte dafür das unsere Körper nicht so viel Nahrung zu sich nehmen mussten, andererseits benötigten wir so manche Kalorie für die kommenden Muskelanstrengungen, die uns noch bevor standen.

Schritt um Schritt gingen wir in Richtung der kolumbianischbrasilianischen Grenze. Da der Weg ziemlich weit ist und wir gegebenenfalls feindlichen Kräften ausweichen mussten, einigten wir uns darauf es langsam an zu gehen, zumal unsere derzeitigen Verfolger ausgeschaltet waren.

Natürlich war uns klar, dass das Ausbleiben der acht Verfolger bald auffallen müsste. Irgendjemand würde sie vermissen, dann nach ihnen suchen und sie finden. Von da an würde es naturgemäß nicht mehr lange dauern und die Jagd auf uns ist eröffnet. Am liebsten hätten wir so viele Kilometer hinter uns gebracht wie es nur ging. Aber dann müssten wir uns schneller durchs Gelände bewegen und dies hätte wiederum zur Folge dass wir zum Schluss sehr erschöpft wären, wenn man uns stellt. Nein wir wollten bei Kräften bleiben und keine erschöpfte Beute werden. Nach einigen Kilometern änderten wir unsere eingeschlagene Richtung, um mögliche Verfolger abzuhängen.

In der Ausbildung wurde uns beigebracht, erfinderisch und kreativ zu kämpfen. Man soll den Feind an seiner schwächsten Stelle angreifen und nicht an seiner stärksten. Unser Plan sah es nun vor, dass wir uns in Luft auflösten.

Selbst der Zauberer Houdini wäre stolz auf uns gewesen.

In dem man von Baum zu Baum klettert hinterlässt man am Boden keine weiteren Spuren. Simpel aber wirkungsvoll wenn es funktioniert. Was wir jetzt benötigten war ein geeigneter Platz. Jeder von uns spähte aus nach Bäumen, deren Äste ineinander übergingen. Mike fand die richtigen Bäume und ging schnurstracks darauf zu. Er kletterte voraus und half dem nächsten von uns auf den Baum. Immer höher hinauf bis zu einem geeigneten Ast welcher zum nächsten Baum oder einen starken Ast vom Nachbarbaum reichte. Tom bildete das Schlusslicht von uns und verwischte alle Spuren am Boden so gut es ging. Als er auf den Baum kletterte, achtete er darauf, dass alle möglichen Kratzspuren an der Baumrinde mit Sand eingerieben waren. Es sollte keinen Hinweis geben.

Es war schon etwas erschwerend mit unserer Ausrüstung so zu klettern. Wir kletterten wie die Affen von Baum zu Baum und konnten zum ersten Baum anfangs einen guten Abstand schaffen. Die Kletteraktion war wie ein Drahtseilakt und wir kamen mittlerweile nur noch langsam und mühsam voran.

Immer seltener fanden wir geeignete Äste um von Baum zu Baum zukommen.

Manchmal musste Tom voraus in einen gegenüber stehenden Baum ohne Ausrüstung springen da der Abstand samt Ausrüstung zu weit war. Sobald er einen guten Stand hatte warfen wir ihm sein Zeug zu. Die Ausrüstung war schwer und nicht wirklich für solche Aktionen geeignet. Zu diesen Strapazen kamen noch die Schwierigkeiten, die uns das ungewohnte Klima allmählich bereitete. Wie sollte es auch anders sein, kam der Zeitpunkt an dem wir nicht mehr so einfach von Baum zu Baum gekommen waren. Zu Aimans Ausrüstung gehörte zum Glück ein zwanzig Meter langes Kletterseil. Mike verband das eine Ende des Seils mit einer der erbeuteten AK47.

Dann warf er dieses zum nächst günstig stehenden Baum. Mit der Hoffnung das sich das AK47 darin verkeilt und wir am Seil zum Baum hinüber klettern konnten. Das ein oder andere Mal rutschte unser neuer Kletterhaken leider ab.

Also auf ein Neues. Wir versuchten die gesamte Länge des Seils zu nutzen und waren manchmal mit drei oder vier Bäumen gleichzeitig verbunden. Es kam allerdings auch vor das wir alle sechs auf einem Baum waren. Im Nachhinein war dieser Anblick bestimmt amüsant. Am einfachsten hatte es immer Tom. Sobald wir fünf alle auf dem nächsten Baum waren, samt unserer und Toms Ausrüstung, hatte er die ehrenwerte Aufgabe das Seil zu lösen. Er durfte dann wie Tarzan an einer Liane zum Baum hinüber schwingen. Immer darauf bedacht, dass wir bei unserer Kletteraktion keine Spuren hinterlassen, sonst wäre alle Mühe umsonst gewesen.

Einfach gar nichts durfte darauf hinweisen das wir den Weg über die Bäume gewählt haben. Sie sollten lieber denken wir hätten uns wirklich in Luft aufgelöst, was natürlich nicht sein kann. Ergo, unsere Verfolger müssten nun viel Zeit damit verbringen unsere Spur wieder zu finden. Unser Ablenkungsmanöver kostete uns zwar einige Zeit, aber die Verfolger würden noch mehr benötigen, um Anschluss zu finden und um der neuen Fährte zu folgen, vielleicht würden sie sie sogar komplett verlieren und dann sogar aufgeben.

Doch ein guter Waldläufer und Jäger würde nach einiger Zeit unsere Spur wiederfinden. Es ging in erster Linie darum Zeit vor den Verfolgern zu gewinnen. Dann ging es selbst mit dem Seil auf den Bäumen nicht mehr weiter. Wir mussten wieder runter klettern und gingen rückwärts weiter. Jeder gab sich alle Mühe in den Fußspuren des Vorgängers zu gehen. Tom hatte wieder die besondere Aufgabe unsere Spuren zu verwischen.

Er wusste besonders viel über Spurensuche und wie man diese verwischt.

Tom war Amerikaner und ist in der Wildnis aufgewachsen.

Sein Vater und sein Großvater waren Jäger und haben ihm alles beigebracht was es mit der Jagd und Spurensuche auf sich hat. Er war einer der besten Fährtenleser die ich kannte.

Schweigend setzten wir unseren Weg durch die Wildnis fort.

Geäst, Schlingpflanzen und Luftwurzeln erschwerten unseren Weg weiterhin. Stunde um Stunde verging ohne dass wir einer Menschenseele begegneten. Nach vielen Stunden des Laufens wurde der Wald etwas lichter. Vor einer Waldrodung stoppten wir und gingen in Deckung. Vorsichtig überprüften wir die Umgebung. Doch nichts Aufregendes war zu erblicken.

Außer meterdicke Stämme, die erst vor kurzem geschlagen wurden und auf den Abtransport warteten. Unwillkürlich schoss mir bei diesem Anblick ein Gedanke durch den Kopf.

Die Stämme lagen wie aus einer Schachtel geschüttete Streichhölzer durcheinander herum. Zurzeit war niemand mehr da, sodass wir in aller Ruhe das Terrain erkunden konnten. Die Umgebung war nicht schlecht. Hier könnten wir uns nötigenfalls sogar einigermaßen gut verteidigen, falls man uns finden und angreifen würde. Bei unserer Suche und Überprüfung fanden wir zumindest drei Plastikflaschen, wir packten sie ein. Doch dann fanden wir nichts mehr was unser Interesse erregte. Daraufhin wandten wir unsere Aufmerksamkeit den Spuren zu, die deutlich zu sehen waren.

Es gab unterschiedliche Reifenspuren die die Straße hinauf führten. Die Straße ging genau in die entgegengesetzte Richtung, und war somit für uns völlig uninteressant.

Da es noch hell war gingen wir weiter in Richtung Grenze.

Wir folgten einem verhältnismäßig breiten Pfad und kamen nun etwas besser voran. Wir mussten weiter, denn hier könnte es bald wieder vor Arbeitern wimmeln und dass uns jemand sah, lag nicht in unserem Interesse.

Schon nach wenigen Kilometern endete der Pfad.

Immer wieder ermittelten wir mit dem PDA unseren Standort und korrigierten nötigenfalls unsere Marschrichtung. Alle paar Meter änderten sich die Lichtverhältnisse. Manchmal konnte man den Himmel sehen, dann wiederum verhinderte ein Meer aus Blättern die Sicht nach oben. Das Wetter war den ganzen Tag über sehr schwül gewesen, doch inzwischen veränderte sich etwas. Es sah nach Regen aus und es fing nun auch langsam an dunkel zu werden. Die Wolken oben am Himmel hingen tief und in der Ferne hörte man das Grollen des Donners. Dies hatte natürlich für uns einen Vorteil wenn es anfangen würde zu regnen. Unsere Spuren würde der Regen vernichten und es unseren Verfolgern zunehmend erschweren uns einzuholen.

Mit dem Wissen, das es nun bald dunkel werden würde, gingen wir Schritt für Schritt, Meter für Meter weiter.

Mittlerweile sahen wir uns nach einem geeigneten Platz um, wo wir übernachten konnten. Nach einer Stunde war die Sicht nicht mehr so gut und der Regen prasselte schon auf uns herab. Trotzdem gingen wir weiter jeder Meter zählte auch wenn wir nun noch schwer vorankamen. Die Geräusche des Waldes gingen unter. Der immer stärker werdende Regen verschluckte bald jedes natürliche und unnatürliche Geräusch.

Dann goss es wie aus Eimern und wollte nicht mehr aufhören.

Ein tropischer Wolkenbruch. Regen machte uns nichts aus, aber wir mussten nun unbedingt Halt machen. Zum einen war es zu gefährlich im Regen weiter zugehen, da wir nichts mehr hörten und unsere Sicht eingeschränkt war. Zum anderen war es an der Zeit das wir uns endlich ausruhen und um zu übernachten.

Die Bäume waren sehr groß und wir überlegten ob wir uns verteilt in den Bäumen verstecken sollten.

Nach oben klettern sich anbinden und schlafen.

Dies würde uns vor möglichen Tieren schützen, doch falls man uns entdeckte wären wir gute Zielscheiben. Schließlich entschieden wir uns am Boden zu bleiben. War doch das Risiko größer in den Bäumen entdeckt zu werden als am Boden von Raubtieren angegriffen zu werden. Da es nicht wirklich einen idealen Platz zum Übernachten gab, versteckten wir uns im Unterholz neben dem kleinen Trampelpfad, dem wir die ganze Zeit über folgten. Die Dunkelheit beherrschte von nun an unsere Augen und ab und an brach etwas Licht vom Mond durch das Blätterwerk. Wir verteilten uns im Dickicht des Waldes und suchten etwas Sichtschutz zwischen den Büschen und Bäumen. Mathis wollte die erste Wache übernehmen und im Stundenrhythmus würde dann der Wechsel stattfinden, damit jeder etwas schlaf erhielt. In sechs Stunden wollten wir wieder aufbrechen. Zum Glück hörte der Regen auf, so schnell und heftig wie er gekommen ist, war er auch wieder verschwunden. Es war als ob jemand den Wasserhahn zugedreht hätte.

Etwas verteilt lagen wir versteckt im Dickicht und versuchten ein wenig Schlaf zu finden. Die Augen waren nun schwer nach all den Stunden. Innerhalb weniger Minuten nach dem der Regen aufgehört hatte, fing der Wald an wieder zu leben.

Im dichten Unterholz um uns herum, raschelte und zirpte es ohne Pause. Schatten huschten vorüber und Moskitos fielen über uns her. Je leiser wir waren desto lauter wurde die natürliche Umgebung. Die Geräusche des Dschungels erzeugten einen gleichbleibenden Geräuschpegel im Hintergrund. Seit nun fast sechsunddreißig Stunden waren wir mehr oder weniger wach. Niemand von uns hatte damit gerechnet dass wir so lange unterwegs sein würden. Sah doch der Auftrag aus wie jeder andere, den wir durchgeführt hatten.

Doch dass er so ausarten würde, damit konnte keiner rechnen.

Dies erinnerte mich an meinen Ausbilder in Israel. Er pflegte zu sagen: „Kein Plan verläuft je reibungslos. Früher oder später muss man sich einer unvorhergesehenen Situation stellen.“

Dies war wohl nun so eine von der er immer sprach.

Gerade als sich bei uns die Situation etwas entspannte, weil der Regen aufgehört hatte und wir uns etwas Ruhe gönnten, hatte Mathis der die erste Wache übernahm, etwas gehört.

Über Funk sagte er nur ein einziges Wort: „Spähtrupp.“

Sofort waren wir anderen fünf hell wach und hielten Ausschau.

Um uns herum verstummte wie auf Kommando der Dschungel.

Es dauerte nur wenige Atemzüge nach seiner Warnung da hörten es auch wir anderen fünf. Einige kehlige Stimmen redeten miteinander spanisch und das Brechen von Zweigen war nun deutlich zu hören. Sie kamen immer näher.

Ich sah hinüber zu Mathis, von meinem Platz aus konnte ich ihn gut sehen. Sah sein Gesicht plötzlich reglos werden, so als wenn es sich versteinern würde. Gespannt lauschend sah er in die Richtung aus der die Geräusche zu uns hinüber drangen. Mechanisch verfolgte ich mit meinen Augen seine Blickrichtung. Dann im äußersten Augenwinkel konnte ich die heran kommende Gefahr wahrnehmen.

Langsam und leise drehte ich mein Sturmgewehr genau in die Richtung aus welcher die Gefahr kam. Legte meinen Finger um den Abzug und wartete darauf abdrücken zu müssen.

Ich konnte nun vier einheimische Personen erkennen die Waffen trugen. Sie gingen dicht beisammen hintereinander und waren nur noch wenige Meter entfernt. Sie waren durchnässt wie wir selbst und schimpften und fluchten vor sich hin, während sie dem Pfad folgten. Jede Sekunde brachte sie näher vor die Läufe unserer Gewehre. Nichts ahnend das dieser Weg ihr sicheres Todesurteil sein könnte, kamen sie weiterhin näher.

Egal welchen Auftrag sie auch hatten, eines war klar ersichtlich für uns und vielleicht auch unser Vorteil, sie waren nicht sehr erfreut darüber, dass sie im Regen durch dieses wilde Gelände marschierten. Jeder von uns hatte nun seinen Finger am Abzug, würde es zu einer Konfrontation kommen, würden die vier nichts hören. Sie wären schon längst tot, noch bevor sie begreifen würden was wirklich passiert ist. Unsere Schalldämpfer würden jeden lautlos erschießen und das Geräusch des Schusses schlucken. Doch insgeheim hofften wir, dass sie keinen Verdacht schöpfen und weiter gingen.

Es lag zwar keine Nervosität in der Luft und doch war etwas zu spüren. Jeder von uns war sicherheitsorientiert und dachte über die Folgen nach, die eventuell entstehen könnten. Ein weiterer Zwischenfall würde unweigerlich noch mehr Aufsehen erregen und für uns würde es immer schwerer werden über die Grenze zu kommen.

Mit der Waffe im Arm und den Finger um den Abzug lag ich rücklings im Dickicht und spähte vorsichtig aus meinem Versteck heraus. Wenn sie uns nicht entdeckten, würden wir sie am Leben lassen. Es ist eine erschreckende, emotionale Angelegenheit über Leben oder Tod eines anderen Menschen zu bestimmen. Es ist eine Form von Macht, ein verrücktes, gefährliches Spiel, bei dem man schnell Blut lecken kann, man sollte sich besser nicht daran gewöhnen.

Ich sah, dass die Männer redend an mir vorbei gingen. Ihre Gesichter blieben mir weitest gehend im Dunkeln verborgen. Der Mann, der von den Vieren die Nachhut bildete war gerade an mir vorbei gegangen, als er auf einmal abrupt stehen blieb und angestrengt lauschend in die Gegend sah. Scheiße, dachte ich. Hatte der Kerl unsere Blicke gespürt oder hat er etwas Auffälliges gesehen, ein metallisches Blinken das ihn nun beunruhigte und misstrauisch machte.

Plötzlich nahm er sein AK47 in Anschlag und versuchte angestrengt ins Dickicht hinein zu lauschen. Ich spürte wie mein Herz gegen meine Rippen hämmerte. Ich glaubte schon er könnte meinen Herzschlag hören und hielt unwillkürlich den Atem an. Die Situation war angespannt, es knisterte förmlich in der Luft und jeder überlegte ob er abdrücken sollte.

Tom, Aiman und Igor hatten bestimmt schon ein mögliches Ziel im Visier, ihre Scharfschützengewehre waren nicht nur mit einem Zielfernrohr ausgestattet, sondern mit einem Infrarot Restlichtverstärker. Die Silhouetten der vier Männer waren im Mondlicht leicht grünlich zu sehen und boten damit ein leichtes Ziel für jeden Scharfschützen. Es waren nur vier und wir zu sechst. Einer der drei Vorangegangenen sah, dass der letzte Mann stehen geblieben ist und angespannt in die Dunkelheit sah. Dann rief er seinen Namen: „Pedro, was ist los, komm schon wir müssen uns beeilen“.

Wir befanden uns an einem wirklich kritischen Punkt, jeden Augenblick konnte etwas passieren, jeder von uns wusste was hier und jetzt auf dem Spiel stand. Die Kerle sind keine Profis, allzu oft nervös und schnell mit dem Finger am Abzug.

Zwei Sekunden später, ließ Pedro die Waffe sinken und schloss sich mit schnellen Schritten den anderen wieder an.

Ich atmete hörbar erleichtert auf und dachte scheiße das war knapp.

Der Spähtrupp, der von unserer Anwesenheit nichts mitbekam und geräuschvoll weiter lief, kam dann langsam außer Hörweite. Dann Mathis wieder: „Alles ruhig“. Es war eine rein taktische Entscheidung von uns und kein Mitleid welches ihnen das Leben rettete. Immerhin hatten wir keine Ahnung wohin der Pfad führte den sie entlang kamen und wie häufig und von wem er benutzt wurde. Wir hatten auch keine Informationen darüber, ob ihnen noch jemand folgen würde und womöglich schon hierher unterwegs war.

Wenn wir diese Männer töteten, würden wir dadurch vielleicht andere alarmieren, eventuell sogar eine größere Patrouille, die schon die ganze Zeit nach uns sucht und bis dato nicht wusste wo wir uns im Moment aufhielten.

Der Rest der Nacht verlief eigentlich ohne weitere Störung, sodass wir später abwechselnd etwas Schlaf fanden. Zuvor musste Mike, der gleich in meiner Nähe lag, mich noch etwas ärgern. Es war ein kleines neckisches Spiel zwischen uns.

Er ist sehr gläubig und ich nicht. Somit kam es immer wieder zu manchen interessanten Gesprächen zwischen uns beiden.

„Du Chris, ich weiß das der liebe Gott mich hier aus dieser Scheiße rausbringt, aber bei dir bin ich mir gar nicht sicher.

Schlaf gut.“ Mit einem Grinsen im Gesicht erwiderte ich nur: „Fuck you.“

Von nun an herrschte Ruhe zwischen uns allen. Jedem war bewusst das wir Ruhe und Schlaf brauchten.

Im Dämmerzustand zwischen Wachheit und Schlaf, kam es mir immer wieder in den Kopf, dass man uns zurück gelassen hat. In mir wuchs allmählich der Hass auf die Person, welche dafür verantwortlich war und bemächtigte sich meiner.

Einer meiner schlechten Eigenschaften ist es wohl, dass ich sehr rachsüchtig bin. Ich malte mir so manchen Rachegedanken in meinem Kopf bildlich aus und wusste, dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein gutes Ende nehmen würde. Ich wollte auf einmal diesen Gedankengang nicht mehr weiter verfolgen, beeinträchtigte er doch meine Sicht in Hinblick auf die jetzige Situation. Um mich selbst etwas optimistisch zu stimmen dachte ich an den vergangenen Tag zurück. Insgesamt gesehen war der Tag gar nicht so schlecht verlaufen, immerhin waren wir noch am Leben.

Es ist nun ca. 22.00 Uhr und wir waren nun seit 5.30 Uhr auf der Flucht. Seit nun genau 21,5 Stunden wach, macht zusammen 38 Stunden. Es war an der Zeit sich etwas Ruhe zu gönnen. Die Augen wurden immer schwerer. Nun fand auch ich etwas Schlaf und dabei lag mein Sturmgewehr immer in meinem Arm, den Finger ständig am Abzug, um nötigenfalls sofort zu reagieren. Nach einigem Hin und Her schlief ich zum Glück endlich ein. Es war klar, ich würde sämtlichen Schlaf gut gebrauchen, den ich bekommen konnte.

Auf einmal hörte ich Rudergeräusche. Ich stand auf und sah zu einem Fluss hinüber auf dem ein niedriger langer Kahn daher kam. Sofort nahm ich den Geruch von Zersetzung und Verwesung wahr. Ich wusste wer dort gekommen war. Es war der Fährmann und er schaute zu mir herüber. Auf den Bänken hockten einige tote Passagiere. Ich sprach ihn an: „Wie ich sehe hast du wieder gut zu tun“. Der Fährmann kicherte: „Klar es wollen viele hinübersetzen“. Er ruderte näher an mich heran und ich konnte die dürre Gestalt mit seinem schwarzen Mantel genauer betrachten. Das skelettartige Gesicht, lächelte mich nun bösartig und grausig an. Auf einmal traf mich eine unbarmherzige Kälte wie ein Peitschenschlag. „Was willst du von mir, ich habe nicht vor einzusteigen.“, sagte ich zu ihm. „Heute nicht. Aber es dauert bestimmt nicht mehr lange“ erwiderte er kichernd. „Verpiss dich“ antwortete ich darauf.

„Wie heißt es so schön: Highway to hell. Du hast diesen Weg doch schon längst angetreten, fraglich ist nur wie weit der Weg ist, den du gehen musst, aber ein Ende gibt es und da warte ich auf dich. Diese drei hier im Kahn und er zeigte mit seinem Zeigefinger auf drei Personen gehen mal wieder alle auf dein Konto, du bist ein guter und verlässlicher Lieferant.“, kicherte er zu mir herüber. „Und du bist nichts weiter als ein böser Traum und wenn ich später aufwache bist du fort“, erwiderte ich.

Der Fährmann fing wieder an zu rudern. „Mag sein, aber ich bin immer bei dir, ob du nun schläfst oder wach bist. Ich werde zu gegebener Zeit da sein. Ob du dich nun endlich selbst umbringst oder ob es dich eines Tages erwischt. Und glaub mir, das wird dann eine ganz besondere Fahrt für mich sein, du hast dann den ganzen Kahn für dich ganz alleine“.

Der schmale Kahn entfernte sich zunehmend und der Fährmann ließ zum Abschluss sein schauriges Lachen erklingen.

Immer wieder hatte ich trainiert meine Gefühle während eines Einsatzes auszublenden. Immer wieder entschieden Präzision und Kontrolle über den Ausgang einer Mission. Erst nach den Einsätzen wenn ich alleine war, ließ ich mich gedanklich auf die vergangenen Geschehnisse ein und das war nicht immer angenehm. Mittlerweile war der Fährmann für mich zu einem unwillkommenen Teil meines Lebens geworden um alles Erlebte zu verarbeiten.

Auch wenn wir ziemlich ausgeglichen wirkten so wusste ich, dass Kämpfer den Stress auf die unterschiedlichsten Arten abbauten. Es ist wohl kein Geheimnis, dass so mancher Scharfschütze sich bisweilen betrank, um mit dem psychischen Druck fertig zu werden. Ich für meinen Teil probierte es mit Meditation. Und doch kamen die Träume zurück, sie kamen immer wieder, denn es sind die Geister die ich freiwillig nie rief. Es sind die Stimmen der Vergangenheit.

Heute ist mir klar, dass ich damit leben muss und werde. Doch nach dem Traum mit dem Fährmann wurde mir eines bewusst - ich werde überleben. Nun hatte ich eine Aufgabe und nichts auf dieser Welt würde mich daran hindern.

Ich hatte kaum geschlafen in dieser Nacht, so kam es mir jedenfalls vor. Nicht nur dieser Albtraum der mich immer wieder verfolgte auch die nächtlichen Geräusche waren dafür verantwortlich.

Jedes Mal, wenn ich einen Laut vernahm, den ich noch nicht zuordnen konnte, war ich aufgewacht und angespannt um weiter zu lauschen. Je länger ich den Geräuschen lauschte, umso mehr unterschied ich die einzelnen Geräusche voneinander. Es war wie ein Training in dem man lernt zu erkennen welche Geräusche natürlichen Ursprungs sind oder ob von denen eine mögliche Gefahr ausging.

Nach 5 Stunden Schlaf weckte mich Mike vorsichtig, ich hatte die letzte Wache. Ich öffnete die Augen und sah nach oben. Mein Blick verlor sich in einem heillosen Gewirr aus den unterschiedlichsten Formen. Alles ineinander verfilzt, Zweige und Blätterwerk, Lianen und Hängemoose bildeten ein geschlossenes Dach. In dem Augenblick wurde mir die ganze Schönheit dieser brutalen Wildnis bewusst.

Gleich darauf wieder verwarf ich den Gedanken und übernahm meinen Wachdienst. Ich stand auf und starrte wie gebannt in die Dunkelheit hinein, so als wenn ich nach jemanden Ausschau halten würde, doch es war niemand zu sehen.

Dann begab mich in eine günstige Position um den kleinen Pfad zu beobachten. In die Nacht lauschend vernahm ich so manche Geräusche die mein Unterbewusstsein nun endlich zuordnen konnte. Oberflächlich betrachtet ist es im Dschungel sehr ruhig, doch sobald man genau hinhört wurde es immens laut. Und dann kam es auch schon, ich hörte ein Summen, das wie eine ganze Armee Insekten klang. Ich erwartete, in den nächsten Sekunden angegriffen zu werden, doch im Moment hielten die Biester sich zurück.

Na dann, vielleicht ein andermal dachte ich und konzentrierte mich wieder auf meine Aufgabe. Trotz Konzentration auf meine Aufgabe bemerkte ich, dass meine Füße in den Stiefeln mittlerweile angeschwollen waren. Die Stiefel waren zwar eine Nummer zu groß und das genau mit Absicht, denn wenn man all zulange unterwegs ist schwillt der Fuß an. Ich hatte sie nun wirklich viel zu lange an und nach all den Strapazen ist es kein Wunder, dass meine Füße angeschwollen sind.

Es wäre auch schön die Socken zu wechseln, aber keiner von uns hatte weitere Socken bei sich. Wieso auch, war doch dieser Ausflug nicht in diesem Ausmaße vorgesehen.

In meiner Ausbildung lernte ich auf viele Kleinigkeiten zu achten wie z.B. auf ein zweites Paar Socken. So mancher Leser mag sich nun eventuell fragen was daran so wichtig ist, doch Leute vom Militär, gerade die in einem Krieg waren, wissen genau wovon ich schreibe. In der derzeitigen Situation in der wir uns befanden konnten wir auf keinen Fall unsere Stiefel ausziehen, um die Socken gar zu trocknen.

Nein, niemals, mussten wir doch zu jedem Zeitpunkt damit rechnen das uns eine unliebsame Patrouille überraschte und dann stelle man sich vor man muss erst seine Socken an ziehen oder ist zum Schluss gar barfuß auf der Flucht.

Welcher Irrsinn.

Nach einer Stunde weckte ich die anderen.

Es war 4.00 Uhr in der Früh und wir machten uns wieder auf den Weg. Der Morgen war klar, hell und tödlich.

Der neu angebrochene Tag brachte den gleichen Kampf mit dem Dschungel. Ständig spähten wir voraus, mussten auf der Hut sein. Auf einmal stieg uns der beißende Geruch von Ammoniak, der für die Herstellung des Kokains ist, in die Nase. Ohne dass man im ersten Augenblick hätte sagen können, woher er kam, war uns doch sofort bewusst, dass hier in der Nähe ein Kokainlabor betrieben wurde. Jetzt galt es besonders aufzupassen. Zu jedem Kokainlabor gab es paramilitärische Guerilla-Kämpfer die das Labor beschützen und einem bestimmten Drogenbaron oder Kartell unterstellt sind. Wir gingen davon aus, dass um das Labor herum bestimmt Fallen und Alarmanlagen errichtet wurden.

Ruhig und langsam duckten wir uns und spähten in alle Richtungen. Niemand sagte ein Wort oder bewegte sich großartig. Die Waffe gesichert, hörte ich auf jedes Geräusch, starrte mit weit offenen Pupillen in die grüne Hölle und wartete.

Nachdem wir die Quelle des Geruchs lokalisiert hatten, bewegten wir uns Zentimeter um Zentimeter fort aus der Gefahrenzone und machten einen großen Bogen um den möglichen Standort des Labors. Jetzt war uns klar woher die nächtliche Patrouille war.

Jeder Schritt in den oft undurchsichtigen Urwald barg eine neue Gefahr für uns. Nicht nur die Menschen denen wir begegnen könnten uns töten, sondern auch die Tiere welche hier im Urwald lebten. Gefährliche Tiere können neben den großen Tieren wie den Jaguaren, dem Bullen-Hai oder der Anakondas auch die kleinen giftigen Tiere sein. Mitunter sind diese noch tödlicher. Vor allem im warmen Norden und in den tropischen und subtropischen Zonen um den Äquator tummeln sich teilweise farbenprächtige aber auch ganz unscheinbare, sehr gefährliche Tiere. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch in den kälteren Regionen im Süden giftige Tiere gibt.

Aufgrund der natürlichen Gegebenheiten mit einem feuchtwarmen Klima ist die Artenvielfalt der Spinnen, Schlangen und der Frösche im Amazonasurwald sehr groß. So schön wie manche sind, so tödlich sind sie aber auch. Als bestes Beispiel sollen hier einmal die farbenprächtigen Baumsteigerfrösche (Dendrobatidae), auch Pfeilgiftfrösche oder Farbfrösche, die vom Amazonasdschungel und den mittelamerikanischen Regenwäldern bis in das Hochland von Ecuador ihren Lebensraum haben, genannt werden. Ein weiterer höchst toxischer Frosch ist der schreckliche Blattsteiger oder schrecklicher Pfeilgiftfrosch genannt, gegen dessen Gift es noch kein Gegenmittel gibt. Er gilt als der giftigste Frosch überhaupt. Ähnlich gefährlich sind auch ein paar der vielen Spinnenarten auf dem Kontinent. Ingesamt, so schätzt man, gibt es weltweit 35 000 Spinnenarten, aber nur eine Handvoll ist für den Menschen gefährlich. Hervorzuheben sind hier vor allem die Brasilianischen Wanderspinnen (Phoneutria spp.), die auch als Bananenspinnen oder Armadeiraan bekannt sind.

Doch dummerweise leben noch lange nicht alle der giftigsten Spinnen Südamerikas versteckt und weit ab von menschlichen Anwesen. Einige von ihnen haben nicht nur die Nähe zum Menschen gewählt, sie fühlen sich auch in der Kälte ganz wohl. Die nur wenige Millimeter große Loxosceles laeta gilt als die Loxosceles-Art mit dem gefährlichsten Biss. Da es bislang kein Antidot gibt, sind die Wunden der Opfer, falls sie den Biss überleben, grauenhaft. Die nicht aggressive und nachtaktive Araña de Rincon, hält sich vor allem in dunklen Ecken und Schränken auf. Und dann gibt es noch die Vogelspinne Goliath giftig aber auch eine Delikatesse bei den Einwohnern im Dschungel. Der Brasilianische Riesenläufer kann bis zu 26cm groß werden. Biss und Giftwirkung können für Menschen vorübergehend sehr schmerzhaft sein.

Eine weitaus größere Gefahr waren kleinere, im ständigen Dämmerlicht kaum erkennbare Vipern. Sie hingen manchmal von den Ästen und größere Schlangen, wie die Buschmeister, konnten jeden Augenblick aus dem Unterholz auf uns zu schnellen. Falls einer gebissen würde, wäre es bald zu Ende mit ihm. Unsere medizinischen Notfallreserven sahen einen Schlangenbiss nicht vor und schon gar nicht das wir längere Zeit in dieser Wildnis verweilen müssten.

Trotzdem bewegten wir uns ziemlich sicher durch dieses Gelände. Etwa 7 Stunden später war vor uns ein breiter, flacher Fluss der in unsere Richtung, die wir gingen, weiterfloss. Dies eröffnete uns eine weitere Möglichkeit eventuelle Verfolger abzuschütteln.

Doch vorerst nutzten wir sofort die Gelegenheit um etwas zu trinken und unseren Wasservorrat wieder aufzufüllen.

Nachdem wir uns etwas erfrischt hatten, stellten wir fest dass der Fluss ideal war, um unsere Spuren zu verwischen.

Wir gingen ins Wasser und folgten dem Verlauf des Flusses. Der Fluss war ziemlich flach was auch wieder gut für uns war.

Unsere Stiefel waren zwar nicht wasserdicht aber hielten schon einiges aus. Es gibt nichts Schlimmeres als tagelang mit nassen Socken und Stiefeln unterwegs zu sein.

Jeder von uns musste unbedingt darauf achten, dass er auf keinen größeren Stein oder einer Wurzel im Wasser stieg.

In unserer Ausbildung hatten wir gelernt dies bewusst zu vermeiden. Täten wir dies nicht, könnte es sein, das unter einem Stein, auf den man drauf steigt, irgendein Lebewesen ist und durch unser eigenes Körpergewicht dann vom Stein erdrückt wird. Ein guter Spurensucher würde genau solche Steine oder Wurzeln anheben umdrehen und nachschauen ob es ein erdrücktes Lebewesen gibt bzw. ob etwas tief eingedrückt wurde. Und wenn dies geschah so könnte man selbst im Wasser unserer Spur folgen.

Vorsichtig Schritt um Schritt gingen wir weiter.

Nach ca. 200 Meter aufwärts verließen wir den Fluss wieder und schlugen unseren Weg weiter durchs Dickicht fort in Richtung Grenze. Um es möglichen Verfolgern schwerer zu machen bauten wir kleine Fallgruben ca. 40cm im Quadrat.

Punji Stakes (angespitzte Stöcke) werden so angebracht das der Verfolger mit einem Fuß in die Falle fällt und von diesen aufgespießt wird.

Dann wurde alles mit Ästen und Blättern bedeckt. Eine alte, bekannte Falle/Waffe die schon im Vietnam Krieg gegen die Amerikaner eingesetzt wurde - und das mit Erfolg.

Des Weiteren bauten wir einige Schwingfallen - Bamboo Whip genannt, aus Lianen und Pfeilen.

Alle diese Waffenfallen würden keinen töten, aber aufhalten.

Des Weiteren würde eine anhaltende psychologische Stresssituation die Verfolger ängstigen. Wenn wir verfolgt werden, würde es unseren Verfolgern schwerer fallen uns einzuholen. Immer wieder müssten sie mit solchen Fallen rechnen. Nie konnten Sie sicher sein das es keine Fallen mehr gibt. Nun hatten wir einen Vorteil und dieser Vorteil bestand darin, dass unsere Verfolger unsicher wurden.

Unsere Vorräte waren gleich Null. Für diesen Einsatz war ja auch nicht vorgesehen dass wir uns längere Zeit dort aufhalten sollten. Unterwegs aßen wir das Kleingetier was wir auf unserem Weg fanden. In der Ausbildung mussten wir auch alles Mögliche essen, ob Würmer, Maden, Schnecken oder Ameisen alles was kreucht und fleucht kann man essen. Dank des hohen Gehalts an Mineralstoffen, Spurenelementen und Omega-Fettsäuren sowie wertvollen Proteinen sind diese Tiere eine wertvolle Bereicherung um zu überleben. Es ist nur der anerzogene Ekel der einen davon abhält.

Es war nun aber an der Zeit das wir wieder etwas mehr Nahrung zu uns nehmen sollten. Nichts leichter als das, sind wir doch in einem Dschungel in dem es nur so vor Tieren wimmelt.

Obwohl wir die Gejagten waren, nahmen wir uns die Zeit und wurden zum Jäger. Tom, einer der besten Jäger in meinen Augen, übernahm es das Wild zu schießen und wir versteckten uns im Dickicht des Dschungels und sicherten nach allen Seiten ab. Wir wurden wieder eins mit unserer Umgebung, um Tom die Jagd zu erleichtern. Es dauerte keine zwanzig Minuten und schon kam Tom mit einem toten Brüllaffen zurück.

Ein Feuer zu machen in solch einer Situation ist immer ein Problem, gerade wenn man verfolgt wird. Im Dschungel müsste der Rauch unbedingt senkrecht aufsteigen, aber dadurch könnte der Rauch weit zu sehen sein. Zu leicht würde er unseren derzeitigen Standort verraten. Kriechender Rauch, der Geruch des Feuers ist weithin zu riechen und könnte uns dadurch genauso verraten. Also aßen wir alles roh. Ich hatte schon besseres gegessen, aber in der Not frisst der Teufel auch Fliegen. Mathis sah auf und sagte: „Ist ja mal richtig gut.“,

er machte eine Pause, schaute uns spöttisch an und schien zu lächeln. Doch in seiner Stimme lag kein Humor. „Mal sehen was es dann morgen so gibt.“ Nachdem wir gesättigt waren wurde der restliche Kadaver verscharrt.

Dann machten wir uns weiter auf in Richtung Grenze.

Der Weg war noch weit, aber immerhin hatten wir nun etwas im Bauch. Wir waren nun den ganzen Tag auf den Beinen, als die Dämmerung hereinzubrechen drohte. Viele Kilometer waren wir unterwegs und durch eine unbarmherzige Wildnis gegangen. Kein Fluss oder Weg unterbrach das unermessliche Meer des Waldes, bis sich dann vor unseren Augen ein neuer Anblick eröffnete. Nun standen wir am Rande eines Bergabhanges. Und unten ging der Dschungel weiter.

Wir überlegten kurz ob wir bei dieser schlechten Sicht in der Dämmerung den Abstieg wagen sollten. Außen herum zu laufen war zu weit und würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen.

Sollten wir lieber bis morgen Früh warten und dann den Abstieg in Angriff nehmen? Unsere Einsatzausrüstung war für den Abstieg nicht unbedingt zweckmäßig. Wir hatten nur ein zwanzig Meter langes Seil und nur zwei von uns waren erfahrene Bergsteiger, wir anderen hatten nur wenig Erfahrung damit. Nur das was wir in der Ausbildung gelernt hatten, dies musste ausreichen. Der Vorteil für uns lag ganz leicht auf der Hand. Wenn wir nun den Abstieg machen, konnte man uns schwerer in der Dunkelheit ausmachen. Auch hätten wir eventuellen Verfolgern den Abstieg voraus. So entschieden wir uns für den nächtlichen Weg nach unten. Um keine weitere Zeit zu vergeuden machten wir uns an die Arbeit. Igor ging voraus und Tom sollte das Schlusslicht sein.

Ein jeder sicherte den anderen. Sechs Mann verbunden mit einem Seil. Es bereitete große Schwierigkeiten und erforderte viel Feingefühl und Umsicht. Ein steiler Abstieg ist immer etwas schwieriger und gefährlicher als ein steiler Aufstieg und unter den herrschenden Bedingungen machte sich diese Tatsache besonders bemerkbar.

Bald schon ging es nicht mehr so steil bergab und wir brauchten nicht mehr klettern. Mit Mühe kamen wir unten an und merkten, dass unsere Kraftreserven stark angegriffen waren. Unsere Körper benötigten unbedingt eine nächtliche Pause, um wieder zu Kräften zu kommen. An einer geeigneten Stelle ruhten wir uns für die nächsten sechs Stunden aus und sammelten wieder neue Kräfte.

Wie in der Nacht zuvor wechselten wir uns jede Stunde ab.

Mittlerweile waren wir seit gut und gerne zwei Tagen auf der Flucht. Es war zwar nichts von unseren Verfolgern zu sehen, doch dies war keine Garantie dafür, dass sie nicht hinter uns her waren.

Wenn Sie begriffen, dass wir auf den Weg zur Grenze sind, werden sie genügend Möglichkeiten haben uns einzuholen.

Wir waren zu Fuß unterwegs und sie könnten Fahrzeuge benutzen. Doch selbst die FARC konnte nicht ungehindert nach uns suchen und schon gar nicht in einem Gebiet wo sie nichts mehr zu sagen hatten. Fraglich ist natürlich ob sie Unterstützung von der Regierung bekommen hätten, immerhin waren die Entführer von der FARC und normalerweise unterstützte die Regierung diese Organisation nicht. Andererseits sank in dieser Gegend bekanntlich der Diensteifer bei Polizeipatrouillen mit der Temperatur.

Polizei und Militär waren käuflich, überall wurde geschmiert.

Wir hatten also auch eine gute Chance unbehelligt das Land zu verlassen. Ich hatte zwei Stunden geschlafen, als ich die dritte Wacheinheit übernahm. Ich suchte mir sogleich eine günstige Ausgangsposition, um die Umgebung soweit es ging zu überblicken. Es war fast stockdunkel und doch bekam ich viel von dem mit was im Dschungel so passiert. Es war eine Dunkelheit die mir jetzt nicht mehr ungewiss und unbekannt erschien, sondern mir etwas enthüllte, das ich zuvor nicht kannte. Es war fast so als wollte der Dschungel mit mir kommunizieren. Trotz der Situation in der wir uns befanden, hatte der Urwald etwas Faszinierendes, wenn nicht gar Schönes an sich. Jegliches Geschehen in dieser unendlichen, grünen Wildnis wurde mir mehr und mehr vertraut.

Auf einmal sah ich, wie eine ungefähr 2 Meter lange Buschmeister aus der Dunkelheit des Dschungels auftauchte und sich über meinen Gewehrschaft schlingerte. Mittlerweile war sie viel zu nah, als dass ich die Giftschlange, einer der größten Vipern hätte wegstoßen können. Selbst eine schnelle Bewegung meiner rechten Hand, um den Auslöser meines Stiletts zu aktivieren und um damit die Giftschlange zu töten, wäre eindeutig zu langsam gewesen. Somit verhielt ich mich vollkommen still und rührte keinen Finger mehr.

Im leichten Licht des Mondes schillerten ihre Schuppen, als ob der Körper ein Kettenhemd wäre.

Während sie ganz langsam über den Lauf meiner Waffe kroch, konnte ich die rötlichgelben mit einer Längsreihe großer, schwarzbrauner Rauten, in denen sich zwei kleine, hellere Flecke befanden, auf ihrem Rücken genau beobachten. Aus dem Kopf, welcher unregelmäßig schwarzbraun gefleckt war, schimmerten ihre Augen wie eine Onyx-Perle. Ich hielt den Atem an, bis sie wieder in der Dunkelheit des Dschungels verschwunden war, wobei ihr Schwanz, aussah wie der einer Klapperschlange und sich zum Abschied noch einmal über den Schaft meiner Waffe schlängelte. Dieser Anblick brannte sich in mein Gehirn, sodass ich ihn nie vergessen werde. Ich kann von Glück sagen, dass die Schlange es vorzog, mich am Leben zu lassen.

Meine Wache verlief ansonsten ohne besondere Vorkommnisse und so bekam ich dann auch noch etwas Schlaf. Ich wurde eine Stunde früher wach als vorgesehen.

Ruhte mich nur aus, nahm aber weiterhin alles um mich herum wahr. Ich fühlte mich irgendwie entspannt, doch meine Sinne registrierten jedes Geräusch und jeden Geruch.

Ich war in einem Zustand erhöhter Aufmerksamkeit und geschärfter Wachsamkeit. Nichts war unwesentlich, nichts durfte übersehen oder überhört werden. Niemand konnte sicher wissen, wann plötzlich etwas Unerwartetes von tödlicher Relevanz eintreten könnte. Das Licht der Nacht verblasste und der Mond verschwand. Es war alles ruhig als wir uns im Schutz der schwindenden Dunkelheit wieder auf den Weg machten. Es war so gegen 17.00 Uhr nachmittags, als weiter vorne langsam ein Übergang von üppigem Dschungel zu lichteren Wald sichtbar wurde. Nicht mehr weit und wir erblickten in der Ferne freie Flächen. Das Ende des Dschungels nahte.

Laut GPS Koordinaten hatten wir es auch nicht mehr weit bis zur Grenze.

Wir sahen unverwandt nach vorne. Unsere Gesichter verrieten doch keine Regung, was in unseren Köpfen vorging. Als wir am Rande des Dschungels ankamen und ihn endlich hinter uns gelassen hatten, sahen wir eine neue Schwierigkeit auf uns zukommen. Offenes Gelände und eine weite Hügellandschaft. Die Zivilisation hatte uns wieder. Dies war nun die letzte Etappe. Am Tag konnten wir durch diese Gegend nicht weiter in Richtung Grenze vordringen.

Zu hoch war die Gefahr, dass wir am Ende doch noch entdeckt werden. Uns blieb nichts anderes übrig, als auf die Dunkelheit zu warten um unseren Weg fortsetzen zu können. Sobald es dunkel war, machten wir uns auf den Weg. Vorerst wollten wir uns ausruhen. Am Rande der Lichtung gingen wir in Deckung. Im Stundentakt wechselten wir uns ab, die Wache zu übernehmen.

Es war nun ca. 22.00 Uhr als es weiter ging. Zuvor suchten unsere drei Scharfschützen mit ihrem Infrarot Nachtsicht Zielfernrohr die Gegend nach etwas Auffälligem ab. Weit und breit der Strecke entlang die wir uns ausgesucht hatten war nichts zu sehen. In geduckter Haltung und schnellen Schrittes marschierten wir der Freiheit entgegen. Ich drehte mich ein letztes Mal und ließ meinen Blick noch einmal über die grüne Wand des Dschungels schweifen Ich fühlte instinktiv, hierher bringen mich keine zehn Pferde mehr. Immer wieder blieben wir stehen und horchten in die Nacht hinein und die drei anderen suchten weiter nach möglichen Feinden oder eventuellen Hinterhalten. Die Zeit verrann und wir kamen schnell voran. Vor uns tat sich ein kleines Waldgebiet auf durch das wir mussten. Wieder ging es etwas langsamer voran. Am Ende des Waldes sahen wir eine Straße.

Im Schutze der Bäume warteten wir ab.

Die Geräuschkulisse hatte sich verändert und Tom riet in Deckung zu bleiben. Es dauerte auch nicht lange und schon fuhr ein Militär LKW mit 10 Mann Besatzung an uns vorbei.

Sie waren wohl auf dem Weg zum Grenzposten. Oder suchten sie uns und wollten uns den Weg abschneiden? Langsam wurde es wieder hell und wir mussten unbedingt noch vor Sonnenaufgang über die Grenze gekommen sein. Wir gingen davon aus, dass der LKW mit seiner Besatzung zur Grenze fuhr. Es blieb uns nichts anderes übrig als einen sogenannten grünen Übergang zu wählen. Geschützt durch die Landschaft versuchten wir unser Glück. Immer auf der Hut nicht doch noch von einer Grenzpatrouille entdeckt zu werden. Laut GPS und Karte waren es nur noch wenige Kilometer. Es war 6.00

Uhr in der Früh, als wir es endlich geschafft hatten.

Mittlerweile waren wir über die Grenze hinaus, etwas weiter ins Landesinneren vorgedrungen. Nahe einer kleinen Stadt ruhten wir uns erst einmal etwas aus. Nun, da wir wussten wo genau wir waren, nahm ich das Satellitentelefon zur Hand und rief Steve an. Steve war außer sich vor Freude und schrie gleich ins Telefon: „Was ihr lebt, wo seid ihr?“ Ich unterbrach seinen Redefluss. „Steve wir sind in Brasilien und brauchen dringend Hilfe um nach São Paulo zurück zu kommen“.

Steve antwortete darauf und sagte: „Ich rufe gleich mal den Geier an, der soll sich was einfallen lassen, ruft mich in 20 Minuten nochmals zurück, dann weiß ich garantiert mehr“.

Das Gespräch war somit beendet und ich drehte mich zu den anderen um. „Auf Steve ist Verlass, er hat einen direkten Draht zum Geier“. Damit war alles gesagt. Es lag nicht allein am Glück, dass wir nicht nur das Grenzgebiet hinter uns gelassen hatten, sondern den ganzen Weg zurück geschafft hatten, ohne wirklichen Schaden erlitten zu haben. Es lag daran, dass wir nie aus dem Blick verloren, wie leicht etwas daneben gehen könnte.

Es war zum anderen unsere verbissene Entschlossenheit, die Chancen ständig zu unseren Gunsten zu beeinflussen. Wir hatten versucht keine Einzelheit zu übersehen, mussten für jedes nur denkbare Problem, in unserer Situation, eine Lösung zur Hand haben, dazu eine Alternative zur Lösung. Und genau aus diesem Grund standen wir nun hier in der angenehmen Wärme der Sonne, die vom wolkenlosen Himmel herabschien.

Wir näherten uns weiter der kleinen Ortschaft. Die Hauptstraße war gesät mit Privat- und Geschäftshäusern. In der Straße tobte schon in der Früh das normale Leben. Es herrschte Ruhe und Frieden. Genau das Gegenteil von dem was wir hinter uns gelassen hatten. Und doch mussten wir vorsichtig sein.

Die anhaltende Wachsamkeit war ermüdend, ständiges Misstrauen belastend, ein Stress, der uns allmählich auf die Nerven ging, sodass wir uns vorkamen als säßen wir auf einem Schleifstein. Unsere Lage war nicht erfreulich.

Sechs fremde Männer in einer Ortschaft nahe der Grenze und dann noch in Tarnanzügen und jeder schwer bewaffnet.

Zu unserer eigenen Sicherheit und um kein unnötiges Aufsehen zu erregen, wagten wir es nicht in die Ortschaft zu gehen. Dann war endlich die Zeit um und ich rief Steve noch einmal an. Er war so gleich am Telefon und fing sofort an zu reden. „Hey Chris, der Geier lässt euch alle grüßen.

Ihr werdet in ca. 2 - 3 Stunden von einem schwarzen Van vor der Ortschaft abgeholt und zum Flughafen gebracht. Von dort aus geht es direkt nach São Paulo zurück. Wir sehen uns“.

Mit diesen Worten legte er auch schon auf. Als ich es den anderen mitteilte, wurden ihre Gesichter etwas entspannter.

Nichts desto trotz zogen wir uns etwas zurück und versuchten nicht weiter aufzufallen. Doch mancher Bewohner sah uns an, als wären wir Geister, oder hätten vor die Ortschaft zu überfallen.

Wir hielten lieber unsere Waffen verdeckt, wuschen unsere Gesichter mit dem restlichen Trinkwasser, damit die Tarnfarbe daraus verschwand und ruhten uns aus.

Der Anblick der mir nun geboten wurde von meinen Freunden, denn das waren wir ohne Zweifel, war ziemlich emotional.

Auf einmal kam es mir in den Sinn, dass Mathis immer und überall über uns gewacht hatte, wie eine Henne über ihre Küken. “Wir haben es geschafft, Chris “, sagte Mathis schließlich. “Ja. Wir haben es geschafft”.

“Du warst ziemlich gut“, sagte Mathis plötzlich.

Kein Lob, das ich jemals in meinem Leben erhalten hatte hat mich mehr berührt wie in diesen Augenblick. Wusste ich doch genau das es nicht mein Verdienst war das wir nun hier sind. Im Gegensatz zu ihnen war ich doch nur ein Anfänger in diesem Business und sie die Profis. Ich konnte ihm meinen Dank nur noch durch ein Nicken ausdrücken. Am liebsten hätte ich angefangen zu heulen.

Wir schwiegen eine Weile, und der Adrenalin-Kater traf mich jetzt wie ein Hammer. Die Anstrengung der letzten Tage war enorm und in diesem Augenblick wusste ich was ich zu tun hatte. Völlig klar sah ich es vor meinem geistigen Auge und traf die für mich richtige Entscheidung.

Nach über zwei Stunden sahen wir aus der Ferne einen schwarzen Van ohne Seitenscheiben auf uns zukommen.

Dann hielt das Fahrzeug auch schon neben uns an. Am Lenkrad saß eine junge Frau, etwa Mitte zwanzig, mittelgroß und schlank. Ihr ungeschminktes Gesicht war blass und sehr ernst. Ihr langes nachtschwarzes Haar fiel in einen leichten Schwung über ihre linke Stirnhälfte und sollte wohl eine tiefe Narbe dort verdecken. „Hallo ich bin Consuela, steigt ein“, sagte sie mit einer tiefen und leisen Stimme. Wir stiegen alle über die Seitenladetür ins Innere des Fahrzeugs ein. „Sorry es hat etwas länger gedauert, musste noch einiges besorgen.

Meine Aufgabe ist es, euch zum Flughafen zu fahren.

Dort angekommen wartet eine kleine Transportmaschine, welche direkt nach São Paulo fliegt. Hinten liegen sechs neutrale Overalls. Zieht diese nun an und verstaut die Waffen in den Taschen. Ihr werdet zwar nicht am Flughafen kontrolliert, aber es gibt die Anweisung jedes Aufsehen zu vermeiden“.

Während der Fahrt wurde kein Wort gesprochen, wir waren erschöpft und froh, dass alles gut verlaufen ist und das wir nun auf dem Heimweg sind. Am Flughafen angekommen fuhren wir gleich zu einem Hanger, in dem unsere Maschine auf uns wartete. Wie angekündigt gab es keine Kontrollen und somit konnten wir ungehindert mit all den Waffen ins Flugzeug steigen. Der Flug würde nun einige Stunden dauern.

Somit nahm ein jeder die Gelegenheit wahr und holte einige Stunden erholsamen Schlaf nach.

In São Paulo landete die Maschine auf dem privaten Flugplatz von dem wir immer zu den Einsätzen starteten.

Als wir ausgestiegen waren fuhr sogleich ein Transportfahrzeug vor und ließ uns einsteigen. Es ging nun auf direktem Weg in die Zentrale. Man wollte uns sofort sehen und lies uns nicht die Zeit mehr für kultivierende Maßnahmen wie zu duschen. Als wir vor dem Haus der Agentur ankamen gingen wir schnurstracks in die Kommandozentrale in der dritten Etage.

Das Sicherheitspersonal am Empfang schaute uns verwundert an und ließ uns problemlos passieren. Das Büro war mit allen wichtigen Personen die für diesen Einsatz tätig waren besetzt.

Goldmann, der Geier, Mister X und die drei vom taktischen Analyseteam. Wir betraten hintereinander den Raum.

Mein Blick wanderte von einem zum anderen und ich beobachtete ihre Reaktionen. Doch nichts war wirklich in ihren Gesichtern zu sehen. Und dann sah ich ihn, inmitten des Raumes hinter dem großen Tisch stehen.

Er trat sichtlich nervös vom Tisch zurück und sah uns mit falscher Freude im Gesicht an, als sich unsere Blicke kreuzten und wir im Raum waren.

Ich bemühte mich meine aufsteigende Wut und Missstimmung unter Kontrolle zu halten. Bemühte mich innerlich zur Ruhe zu kommen, ehe ich etwas Übereiltes und Dummes tat.

Leider ist es einer meiner negativen Eigenschaften, dass ich sehr rachsüchtig bin, ich bin halt ein Skorpion im Sternzeichen.

Und deshalb wollte ich unbedingt wissen wer den Befehl gab uns zurück- bzw. im Stich zu lassen. Obwohl ich es mir denken konnte, es regelrecht wusste, wollte ich dem Kerl in die Augen sehen, wenn er es mir selbst sagte. Wollte seine Angst sehen, welche in seinem Gesicht zu sehen ist, weil er nicht wusste was nun passieren wird.

Im nächsten Augenblick sah ich in die Runde und fragte drohend: „Welches Schwein gab diesen Scheiß-Befehl?“

Die Atmosphäre im Raum knisterte, eine unweigerlich wahrnehmbare Spannung lag in der Luft. Auf einmal herrschte hektisches Treiben und so mancher Blick ging zu Goldmann.

Meine Augen wanderten provozierend zu Goldmann und blieben auf ihm haften. Er wirkte angespannt und holte nervös Luft. Ich fixierte ihn kalt mit den Augen und meine Gedanken bestanden nur aus Rache. Da stand er nun vor mir und jeder sah einen Anflug von Furcht in seinen Augen. Sofort fing er an sich damit heraus zu reden, dass der Hubschrauber nicht genug Platz gehabt hätte, nachdem wir entschieden hatten, alle Personen mitzunehmen. Immerhin hätten wir direkte Befehle missachtet. Es sei unsere Schuld gewesen das es so weit gekommen ist. Außerdem wären wir ja gut genug ausgebildet um mit solchen Unannehmlichkeiten zurecht zu kommen, wie man ja sieht. Des Weiteren würden wir ja auch gut bezahlt werden und in solchen Situationen kann es schon mal vorkommen, dass der eine oder andere Federn lassen muss.

Wir sollten das Ganze nicht über dramatisieren. Das ist halt das Risiko in diesem Job und das wussten wir ja vorher.

Doch nun sei er froh, dass wir alle gesund und munter wieder hier sind.

Mister X, der die ganze Zeit still beobachtend neben Goldmann stand, verfolgte unser Streitgespräch mit ersichtlicher Gleichgültigkeit. Nichts an ihm verriet was er dabei dachte oder wirklich empfand. Doch verfolgte man mit einem Blick seinem rechten Arm abwärts, konnte man seine Hand locker über seinen rechten Waffenholster hängen sehen, in dem immer eine Automatik vorhanden war.

Der Geier neben ihm sah mir ins Gesicht und in seinen Augen konnte man sehen das er mit der Entscheidung nichts zu tun hatte. Etwas Traurigkeit war in seinem Gesicht zu lesen, es tat ihm offensichtlich leid.

Nach dieser Ansprache von Goldmann kam mir fast das Kotzen. In mir tobte eine Wut, die ich nur schwer zügeln konnte. Ich wollte sofort meine Rache. Es war wie ein Schrei nach Vergeltung der nie enden wollte. Am liebsten hätte ich mein Schwert vom Rücken gezogen und aus ihm Kleinholz gemacht. Ich merkte, dass ich innerlich mit mir im Zwiespalt war und das die widerstreitenden Bereiche meiner Vorstellungskraft so manche Debatte in meinem Inneren auslöste und versuchte, zwischen den wildesten Horror-Szenarien einen für mich passenden Mittelweg zu finden. Doch als ich in die Runde sah, konnte ich es fast schon körperlich spüren. Hier werde ich sterben, wenn ich es unbedingt drauf anlege. Aus persönlichen Erfahrungen wusste ich solche Impulse lieber zu unterdrücken, trotz alldem was passiert war. Mike stand hinter mir und legte mir seine Hand auf die Schulter und sagte nur ein Wort. „Chris“, diese kleine Geste besänftigte mich etwas und ich wusste, dass ich es hier und heute nicht tun werde.

Innerlich hatte ich den Entschluss schon geschlossen dass ich es später nachholen werde, wenn es eine bessere Gelegenheit dafür gibt und ich auch mit dem Leben davon kommen könnte. Und trotzdem musste ich aber irgendetwas tun, um meine Gefühle von dem zu lösen was geschehen war.

Ich blickte ihm tief in die Augen und sagte mit aller Verachtung die ich aufbringen konnte: „Ich bin fertig mit Ihnen. Es wird der Tag kommen, da werden sie von diesen Schweinerein noch hören, die hier stattfinden.“ Mit diesen Worten drehte ich mich um und wollte meiner Wege gehen. Doch Goldmann schrie mir hinterher: „Warten Sie Chris. Das würde ich nicht tun an ihrer Stelle. Das geht nach hinten los. Manche Geschichten sind zu wahr um sie zu verbreiten.“ Die Stimme von Goldmann hallte durch den Büroraum. Der Unterton in seiner Stimme klang wie die Dampfpfeife eines Zuges, der durch eine dunkle, einsame Landschaft raste. Bosheit und Zynismus vermengten sich darin auf eine gefährlich giftige Weise. Ich blieb stehen, drehte mich provokativ langsam zu ihm um, schaute ihm in die Augen und erwiderte dann völlig emotionslos: „Fuck you, ich bin doch schon längst tot, was könntest du mir da noch antun? Doch wir beide sehen uns eines Tages wieder“, fügte ich lächelnd noch dazu. Goldmann zuckte zurück, sein Gesicht wurde totenblass und seine Hände fingen leicht an zu zittern, als wäre ihm gerade kalt geworden. Fassungslos starrte er mich an und fragte mit Wut in der Stimme: „Willst du mir etwa drohen?“

„Nein“ erwiderte ich mit einem Lächeln im Gesicht, welches selbst den Fährmann hätte erfrieren lassen können. „Dies ist eine Tatsache. Jeder bekommt das was er verdient hat und ab und an helfe ich halt ein wenig nach.“

Niemand sagte etwas, jeder hatte meine Worte vernommen und jeder der mich kannte wusste was das bedeuten würde.

Es herrschte nur noch betroffenes Schweigen.

Mit diesen Worten drehte ich mich um und ging langsam nach draußen in den Hausflur. Meine Kollegen folgten mir dort hin.

Igor war der erste der etwas sagte. „Chris, sei mir nicht böse aber ich bleibe hier. Wir sind Schachfiguren, verstehst du?

Wir sind alle hier nur Schachfiguren. Wozu taugen wir denn sonst? Womit sollten wir sonst unseren Lebensunterhalt verdienen?“ Dann zuckte er mit den Schultern als wollte er damit sagen, ich habe keine andere Wahl. Ich konnte ihn verstehen. Müsste doch nicht mein Weg der seine sein. Dann verabschiedete ich mich von Ihnen und ging endgültig. Wir versprachen einander in Kontakt zu bleiben.

Ich hatte mit ihnen Blut und Wasser geschwitzt und wollte den Kontakt zu ihnen unbedingt aufrechterhalten. Freundschaften die unter solchen Umständen geschlossen werden halten ewig. Tom war der zweite, der meinem Beispiel folgte und kündigte.

Ich nahm mir ein Taxi, lies mich in die Sitze zurück sinken und fuhr auf direktem Weg zur Villa, um meine wenigen Sachen zu holen die ich brauchte. Als ich im Taxi war merkte ich, dass meine Hände leicht zitterten. Die Ereignisse dieses Vormittags schwirrten mir immer noch im Kopf herum. Die Luft war jetzt endgültig raus und ich fühlte mich plötzlich schwach.

Ich glaube, ich sah immer noch ziemlich angefressen aus.

Gefährlich angefressen. Als ich mir des Blickes vom Taxifahrer über den Rückspiegel bewusst wurde, fiel mir auf wie beschissen ich aussehen und riechen musste nach all den strapaziösen Tagen. Zurück in der Villa nahm ich eine Dusche und schrubbte mir die Tarnfarbe hinter den Ohren weg. Ich war nun todmüde und wollte nur noch schlafen. Doch wie es halt manchmal ist, der Körper schreit nach Ruhe doch der Geist ist hell wach. Zu viele Gedanken beschäftigten mich noch eine Zeit lang. Mir war klar, dass ich nun nach diesem Auftritt keinen Job mehr hatte und auch keinen mehr kriegen würde.

Also hält mich hier nicht mehr viel in diesem Land.

Was ich auch hier gesucht haben mochte, ich fand jedenfalls heraus, dass dies ein mieser Krieg - skrupellose Geschäftemacherei ist. Keine Heldengeschichten wie ich es mir ausgemalt hatte. Kein Begrüßungskomitee mit Musik das die Herzen schneller schlagen lässt. Sondern nur die nackte Gier des Geldes.

Rückblickend auf meine Lebensereignisse kam mir folgender Gedanke: Manchmal setzt einem das Leben merkwürdige Wiederholungen aus. Vielleicht bilden wir uns ein, dass wir das gerade Erlebte schon einmal erlebt haben, vor so langer Zeit, dass wir uns nicht an die Zusammenhänge erinnern können.

Plötzlich fühlte ich mich ausgelaugt und innerlich traurig. Hatte irgendwie das Gefühl, das alles umsonst war, was ich in den letzten Jahren getan hatte.

Doch war es das wirklich? Was für ein scheiß Leben, dachte ich.

Versuchte mich dann damit zu trösten, in dem ich mich an so manches Gesicht zurück erinnerte. Gesichter von den Menschen die nun wieder frei sind. Dies ist wohl dann mein Lohn für die ganze Scheiße, redete ich mir ein. Aber das Gefühl - ein bitterer Nachgeschmack blieb trotzdem zurück.

Dieses Geschäft mit dem Leben, würde nie aufhören, das wusste ich. Denn es geht einfach um viel Geld.

Ich selbst habe ja meinen Teil dazu beigetragen, dass es funktioniert. Doch sind es Menschen wie Miguel die dann dafür wirklich bezahlen müssen. Ich war der Meinung gewesen, das wir (ich) das Richtige taten, auch wenn die Durchführung etwas zweifelhaft war. Doch nun wusste ich, dass dies nicht mehr mein Weg sein wird und sein kann. Trotz allem blieb ich noch vier Wochen in Brasilien.

Am nächsten Morgen nachdem ich ausgiebig geduscht hatte, packte ich all meine Habseligkeiten zusammen.

Dann machte ich einen Rundgang durch die Villa und verabschiedete mich von der Familie für die ich gearbeitet hatte. Dann zum Schluss von meinen Kollegen. Sie wünschten mir viel Glück und kehrten zur Tagesordnung zurück und weg war ich.

Vor der Villa wartete schon ein Taxi auf mich. Ich wusste wo ich für die nächste Zeit unterkommen konnte. Als ich dann auf der Rückbank saß, fühlte ich mich irgendwie wie betäubt. Auf einmal wurde mir das ganze Gewicht meiner Entscheidung erdrückend bewusst.

Ich fühlte mich wie ein Mensch, der etwas Wichtiges verloren hatte. Die Erkenntnis, dass ich jetzt nicht mehr diesen Job machen könnte, war niederschmetternd. All die Zeit, all die Energie die ich aufgebracht hatte um dort hinzugelangen wo ich war, sollten doch nicht umsonst gewesen sein. Auf der Fahrt liefen mir Tränen über das Gesicht. Und ich dachte an Miguel zurück. Annehmbare Verluste mussten hingenommen werden. Daran führte kein Weg vorbei. Deshalb war der Tod meines Freundes annehmbar, weil er im Rahmen seines Auftrages gestorben war und anderen das Leben gerettet hat.

Trotzdem kann man die schlimmen Zeiten nicht ewig von sich fern halten. Früher oder später kommt das in der Form, die am meisten schmerzt. Einige Zeit später erfuhr ich von Igor, dass Goldmann nach einer Woche abgesetzt wurde. Seine Vorgehensweise wurde von oben wohl nicht toleriert.

Weitere zwei Wochen später, wurde Goldmann in seiner Villa im Pool von einem Pfeil einer Armbrust tödlich getroffen aufgefunden. Nachdem ich das erfuhr war es an der Zeit das Land zu verlassen.

Manchmal findet man sein Schicksal auf Wegen, auf denen man dachte, ihm zu entgehen.