Training mit dem Team

Die Agentur hatte ein sehr großes Trainingsgelände, dieses war außerhalb von São Paulo in einem Waldstück.

Die hohen Bäume und Sträucher schirmten das Gelände vor allzu neugierigen Blicken ab. Es bestand aus mehreren unterschiedlichen Gebäuden und einigen Straßen.

Einige Gebäude wurden eigens für diesen Zweck der Geiselbefreiung errichtet. Andere waren schon vorhanden und wurden dann zweckentfremdet. Offiziell galt das Areal als Trainingsgelände eines Paintballclubs. Das Gelände wurde von einem hohen Zaun mit vielen Sicherheitskameras umzäunt und an der Einfahrt, von einem Sicherheitsmann der eigenen Sicherheitsfirma bewacht. Um dieser Tarnung gerecht zu werden, wurden dort immer wieder Wettkämpfe für Clubmitglieder abgehalten.

Wir durchliefen ein extensives zweimonatiges Trainingsprogramm wo Waffenkunde, Fahrtraining, Navigation, Präzisionsschießen, Erste Hilfe und andere taktische Fähigkeiten unterrichtet wurden.

Das Areal war hervorragend ausgestattet um die verschiedensten Szenarien einer Geiselbefreiung zu üben.

Es war schlicht weg ideal für Schieß- und Nahkampftraining.

Die ersten vier Wochen trainierten wir unentwegt, um uns aufeinander abzustimmen und besser kennen zu lernen.

Das Training war so konzipiert, dass wir als erstes die Grundfertigkeiten und Teilaufgaben beigebracht bekamen und danach diese neu gewonnenen Fähigkeiten zu vollen Evaluierungsmissionen zusammensetzten. Wir benutzten die unterschiedlichsten Waffen, um sie bewusst auszuprobieren und um herauszufinden, wie sie sich in einer Kampfsituation bewährten.

Zwischen 12 - 14 Stunden am Tag. Doch vor allem in der Nacht, trainierten wir das lautlose erstürmen von Gebäuden und die Befreiung von Geiseln. Immer und immer wieder wurden die Szenarien verändert. Wir trainierten alles, was für eine Geiselbefreiung vorgesehen war oder sein könnte.

Darüber hinaus mussten wir zusätzlich für spezifische Missionen wie Aufklärungs-, Kampf-, Luftlande- und Bootseinsätze trainieren. Mathis unser Teamleader war dabei die treibende Kraft. Immer wieder sagte er zu uns: „Wisst ihr, es werden nicht die großen Dinge sein, die einen töten werden, sondern die kleinen Fehler die wir machen können uns den Kopf kosten“. Erstürmten wir nicht gerade ein Gebäude, trainierten wir den Nahkampf. Das Training machte bis zu einem gewissen Grad sogar Spaß, vielleicht gerade deshalb weil es oft über die Schmerzgrenze und das Gewohnte hinausging.

Durch die besondere Ausbildung wurden wir gezielt für den Einsatz der Geiselbefreiung geschult. In den gut ausgebildeten Einsatzteams gibt es nicht wie üblich für jede Gefahrensituation einen Experten. Nein, da wir zum Beispiel nicht die technische Unterstützung erhielten wie die Spezialkommandos einer Regierung, mussten wir weitestgehend in allen erdenklichen Waffenhandhabungen und möglichen Situationen ausgebildet sein.

Ob im Nahkampf, Sturmangriff oder Sabotage.

Als Scharfschütze, welcher einen Menschen auf einige hundert Meter töten kann oder im medizinischen Bereich als Sanitäter fungieren kann. Wir müssen einfach alles können, denn falls einer ausfällt, muss ein anderer seinen Platz einnehmen, nur so kann die Mission erfolgreich durchgeführt werden. Ein jeder verlässt sich blind links auf den anderen.

Bei den gefährlichen Einsätzen nutzen wir Präzisionswaffen, Sprengstoff und modernste Technik, aber auch alt bewährtes wie Armbrüste und Kommando Schwerter. Der Geier trieb uns immer weiter voran und ließ uns nicht wirklich zu Atem kommen. „Das worauf ihr euch eingelassen habt ist gefährlich.

Jede nur kleinste Schwäche die ihr zeigt, jeden Fehler den ihr macht, kostet einen von euch das Leben oder das der Geisel“.

Dann machte er eine kleine Pause und sprach weiter. „In solchen Situationen gilt es zu töten um nicht selbst getötet zu werden“.

Es wurde immer wieder geprobt wie man mit Geiselnehmern in einem Gebäude fertig wird. Ob mit einer Faustfeuerwaffe, mit dem Messer oder den bloßen Händen. Das Motto war einfach: töte um nicht getötet zu werden.

Mittlerweile waren wir nun schon elf Wochen im Training und es entstand eine gewisse Freundschaft zwischen uns.

Ab und an hatten wir sogar etwas Spaß mit dem Geier. Zusätzlich zum internen Training besuchten wir verschiedene private Ausbildungs- und Schulungsanlagen, wo in mehrtägigen Kursen Nahkampf, Defensivtaktik, Waffenhandhabung, Präzisionsschießen, Close Quarters Battle (Häuserkampf und taktische Innensicherung von Gebäuden) und Geiselbefreiung geübt wurde. Der Häuserkampf war eines der wichtigen Bestandteile unseres Trainings.

Wie hält man seine Waffe, wenn man einen unübersichtlichen Raum betritt, damit der Gegner einem seine Waffe nicht entreißen kann. Wohin und wie bewegt man sich allein oder im Team, sobald man den Raum betritt, damit man nicht getroffen wird oder den Gegner schnellst möglich ausschalten kann.

Egal wie viele Räume wir unter Kontrolle bekamen, so konnten wir nicht davon ausgehen, dass im restlichen Gebäude kein Angreifer auf uns lauern würde.

Je mehr Räume wir sicherten, desto leichtfertiger gingen wir im Unterbewusstsein damit um, dass der nächste Raum leer sein müsste. Doch dies führte unter Umständen zu einer trügerischen Sicherheit. Wir wussten nie welche Überraschung auf uns wartete.

Jeder Raum musste mit der gleichen Sorgfalt gesichert werden und selbst dann noch hatte der Geier eine Überraschung für uns auf Lager. Zum Beispiel hing mal ein Angreifer direkt über dem Türstock an der Decke und knallte den ersten ab der den Raum betrat. Was lernten wir daraus? Einfach auf alles vorbereitet zu sein, auf jede Kleinigkeit zu achten und mag sie noch so gering sein.

All das übten wir so lange, bis wir es im Schlaf beherrschten.

Wir trainierten stundenlanges Schießen mit festen Zielen, aber auch an Schießgalerien, wo plötzlich Pappfiguren auftauchten, wenn wir vorbeiliefen. Oder sie tauchten unerwartet in dem Gebäude auf das wir gerade erstürmten oder auch sichern mussten.

Er nahm uns zunehmend härter ran und forderte uns alles ab.

Seine Vorgehensweise war unbarmherzig und doch gab er einem das Gefühl das er uns leiden konnte. Gerade wenn er Sätze wie diese sagte wurde es einem bewusst dass er nur unser Bestes wollte. „Ich will niemanden bei diesen Missionen verlieren, habt ihr verstanden“.

Was mir einfach nicht lag war das Schießen mit einem Scharfschützengewehr. Bis einige hundert Meter ging es, aber dann war es vorbei. Ich konnte keinen guten Treffer auf 500 Meter hin kriegen. Schon bei der Nahkampfausbildung hat sich herauskristallisiert, dass dies immer ein Problem für mich sein würde. Für mich ist das eher eine besondere Kunst und Gabe die ich nicht habe. Und somit lass ich es auch lieber auf eine größere Distanz sein und überlasse es anderen, die besser darin sind als ich.

Auf kurze Distanz konnte ich mit einer Pistole oder einem Gewehr aus der Hüfte heraus schießen und treffen, aber die lange Distanz war nichts für mich.

Tom allerdings war ein Typ der dies mit einer Leichtigkeit vollbrachte und beherrschte, dass einen der Neid hätte ins Gesicht fahren können. Er wägte die leichte Brise ab, falls es eine gab, rechnete unbewusst verschiedene Zielbereiche durch – selten benutzte er dafür noch konkrete Zahlen, die Berechnungen liefen so automatisch durch seinen Kopf wie drei plus drei gleich sechs ist.

Das Zielfernrohr des Gewehrs war so eingestellt dass es das Abfallen der Kugel auf ebenem Grund ausglich, also wusste Tom, ohne darüber nachzudenken, dass er ein wenig tiefer zielen musste, als er es sonst tun würde, um die voreingestellte Kompensation auszugleichen. Diese Taktik war eines der Dinge, die viele beim Scharfschützentraining nur schwer begreifen und deshalb kann nicht jeder mit so einem Gewehr umgehen.

Tom besaß einfach eine ausgeprägte analytische Beobachtungsgabe und ich glaube das kann man nicht einfach nur lernen. Bei unseren Missionen waren sehr weite Distanzen eigentlich nicht gefragt. Die drei waren meistens nicht weiter als 300 bis 500 Meter von uns entfernt. Sie waren unsere Versicherung. Gaben uns Rückendeckung und sicherten unseren Rückzug.

Die verschiedensten Szenarien der Geiselbefreiung wurden durchgespielt und auf Video aufgenommen. Anschließend analysiert und wieder in einem weiteren Szenario erneut geprobt.

Und wenn der Geier zu uns sprach hörte jeder aufmerksam zu. Er war wie immer mit uns unzufrieden. „Männer, solche Evakuierungsmissionen können zwar völlig unterschiedlich aussehen, aber die grundlegende Taktik ist stets die gleiche: Überraschend schnell und erbarmungslos zuschlagen, bevor der Gegner überhaupt begreift, was mit ihm geschieht. Und bei euch sieht es aus als wenn das Altersheim Ausgang hätte“.

Wenn ich nicht gewusst hätte, dass der Geier es wohl liebte uns immer wieder nieder zu machen, wäre ich aus Frust wohl ziemlich depressiv geworden und hätte eine große Menge Antidepressiva benötigt.

Die unterschiedlichsten Anti-Terror-Taktiken wurden geprobt.

Unentwegt übten wir das Abseilen von einem Hubschrauber per Fast Rope (eine schnelle Winde mit Stahlseil), oder das seitliche Gebäude laufen. Ich für meinen Teil fand das ziemlich cool und freute mich jedes Mal darauf. Mit schnellen Schritten an einem Seil gesichert das Gebäude nach unten dem Boden entgegen zu laufen. Nur Fallschirmspringen war schöner.

Der Geier kritisierte uns zunehmend und bläute jedem ein, wir sollen flexibel und anpassungsfähig sein und all unsere Fähigkeiten nutzen. Niemals vergessen, dass kein Detail unwichtig ist, egal wie unscheinbar es erscheinen mag. Ein nicht überprüftes Detail kann eine ganze Operation scheitern lassen. Der Geier ist wirklich ein außerordentlich genauer Mann, der dem Zufall so wenig wie möglich Spielraum überlässt.

Ich kam mir vor wie bei der Nahkampfausbildung in Israel. Überall das gleiche Schema. Die gleichen Drills und immer gibt es jemanden, der einem versucht in den Arsch zu treten. Die Abschlussphase des Trainings umfasste eine realistische Geiselnahme und eine Personenschutzübung mit örtlichen Statisten.

Unser Team wurde immer besser und wir konnten uns aufeinander verlassen, dies war wirklich ein gutes Gefühl. Am letzten Trainingstag mit dem Team teilte mir David Gollin meinen neuen Aufgabenbereich zu. Offiziell waren wir alle bei einer Sicherheitsfirma. Jeder von uns arbeitete als Bodyguard bei den unterschiedlichsten Zielpersonen.