Nach den Einsätzen

Nach jedem Einsatz gab es am darauf folgenden Tag eine Evaluation. Hierfür wurden alle relevanten und nicht relevanten Daten methodisch erhoben und systematisch dokumentiert, um die Untersuchung, das Vorgehen und die Ergebnisse nachvollziehbar und überprüfbar zu machen.

Diese Besprechungen waren deshalb so wichtig, weil man im Nachhinein nicht mehr so exakt rekonstruieren kann, wie und was in welcher Reihenfolge abgelaufen ist. Vor allem deshalb, weil sich die Wahrnehmung durch das Adrenalin auf einen kleinen Ausschnitt der Gesamtrealität konzentriert hat.

Anwesend waren immer: Goldmann, der Geier, Mout der Psychologe, die Sekretärin von Goldmann, welche alles aufschrieb und der geheimnisvolle Mister X.

Die Teambesprechung wurde geleitet vom Geier.

Solche Besprechungen waren nötig, um Fehler in der Koordination der Aktion aufzudecken. Zuerst ließ er sich den ganzen Ablauf der Operation, von jedem einzelnen schildern.

Ab und an stellte er mit seiner kühlen und zurückhaltenden Stimme eine Frage und notierte sich immer wieder einige Punkte dazu. Die ganze Teambesprechung wurde nicht nur schriftlich sondern auch digital aufgezeichnet. Sobald wir unsere Berichte beendet hatten, stand Mister X ohne ein weiteres Wort zu sagen auf, packte die digitalen Aufzeichnungen ein und ging seiner Wege.

Der Geier zerfetzte uns nach jeder Berichterstattung in Einzelteile. Niemand kam ungeschoren davon. Alles was wir im Einsatz getan hatten, galt von seiner Seite aus zu kritisieren. Er hielt uns immer wieder vor was wir in Zukunft besser machen müssen. Jede Rüge war uns eine Lehre und wir versuchten es beim nächsten Mal besser zu machen.

Wir brauchten dafür nicht lange warten, mussten wir doch schon am nächsten Tag dies auch unter Beweis stellen.

Um 8.00 Uhr in der Früh, am darauffolgenden Tag traten wir zu einer Übung an. Eine solche Übung fand jedes Mal nach einem Einsatz statt. Das letzte Einsatzszenario wurde noch einmal, auf unserem Trainingsgelände, ansatzweise nachgespielt. Allerdings mit kleinen Veränderungen.

Der Geier hatte wie immer eine Überraschung für uns, dass wussten wir schon aus unseren anderen Trainingsstunden.

Gespannt warteten und suchten wir bei jedem Schritt nach einer Veränderung der Umgebung. Wir hatten es fast geschafft und kamen, wie zuvor bei der letzten Operation, mit unseren befreiten Geiseln aus dem Haus. Deckung gaben uns auch diesmal unsere anderen drei Teammitglieder, mit ihren Scharfschützengewehren. Wir traten mit den Geiseln ins Freie um nun den Rückzug anzutreten und gaben ihnen mit unseren Körpern Deckung, wohlwissend, dass der Geier bestimmt noch etwas im Petto hatte. Nie ließ er uns ungeschoren davonkommen.

Als auch schon im nächsten Moment, wie aus dem Nichts, genauer gesagt, mitten aus dem Boden heraus ein getarnter Entführer erschien und sofort auf uns schoss. Er hatte sich vor der Hütte im Boden eingegraben und sich solange unter der Erde versteckt bis wir mit den Geiseln aus dem Haus kamen. Er schoss sofort und hatte uns mit seiner Aktion überrumpelt. Zwei von uns wurden getroffen, noch bevor Igor ihn ausschalten konnte. Mit Farbe markiert standen wir nun da und sahen das grinsende Gesicht des Geiers auf uns zukommen. Er sagte nichts, sondern wartete bis die anderen drei auch da waren. Während wir auf die anderen warteten, kam mir der Gedanke, dass dies schon ziemlich unfair war vom Geier.

Zumal welcher Entführer verbuddelt sich vor dem Gebäude in dem die Geiseln sind. Zumal welcher halbwegs Normale macht so etwas. Nun schaute er uns der Reihe nach an und sagte: „Ihr müsst auf alles vorbereitet sein, selbst auf das Unmögliche und entscheidungsfreudig sein, sonst werdet ihr sterben.

Das Geheimnis der erfolgreichen Geiselbefreiung, einer leichten oder schwierigen, einfachen oder komplizierten, besteht darin, dass man auf entschlossene Teammitglieder zählen kann. In der Tat gibt es keine leichten Einsätze, denn jeder Einsatz muss mit den gleichen Vorkehrungen durchgeführt werden, die man bei den schwierigsten trifft, angefangen bei der Auswahl der Teammitglieder. Diese müssen entscheidungswillige und fähige Leute sein, die ihre Eigenschaften einmal unter Beweis gestellt haben.

Es kann schon vorher gesagt werden, ob eine Aktion erfolgreich sein wird oder ob sie fehlschlägt, wenn man in der Vorbereitungszeit die Verhaltensweisen der ausführenden Teammitglieder beobachtet. Wenn sie zu spät kommen, Kontakte verlieren, leicht zu verwirren sind, Dinge vergessen und niedrigste Arbeitsnormen nicht erfüllen, handelt es sich möglicherweise um wenig entschlossene Menschen, die Schaden anrichten können. Es ist besser, sie nicht in die Aktion einzubeziehen. Sich entscheiden zu können, bedeutet Entschlossenheit, Kühnheit und nicht zu erschütternde Standfestigkeit bei der Durchführung des vorgesehenen Plans“.

Dann drehte er sich um und ging.