Rekrutierung

Ich hatte meine Ausbildung in Hongkong hinter mich gebracht und flog zurück nach Israel. Von Tel Aviv ging es dann nach Netanya. Dort hatte ich meine Personenschützerausbildung gemacht. Ich erhoffte mir dort einige Kontakte zu knüpfen, um eine passende Stelle als Bodyguard zu bekommen.

Es dauerte nicht lange, bis man mir die Telefonnummer und Adresse einer Sicherheitsfirma in Tel Aviv gab, welche sich darauf spezialisiert hatte Personenschützer zu vermitteln.

Zurück also nach Tel Aviv und erst einmal ein Hotelzimmer nehmen. Sobald das erledigt war rief ich die Nummer der Sicherheitsfirma an. Die nette Dame am Telefon gab mir einen Termin.

Als ich zu dem Treffen in Tel Aviv, nähe Dizingottstreet in die Agentur kam, wurde ich sogleich in einen kleinen Raum gebracht. Der Raum war ziemlich spärlich ausgestattet. Außer einen Tisch mit zwei Stühlen gab es nichts. Es dauerte nicht lange und ein Mann betrat den Raum, in seiner Hand hielt er eine Akte. Er stellte sich mir als Herr Benjamin vor und setzte sich mir gegenüber an den Tisch, wo er dann anfing die Akte durchzublättern. Dann blickte er auf, sah mich an und sagte zu mir: „Aus dieser Akte geht hervor, dass sie nicht nur die Ausbildungen hier in Israel und Hongkong hinter sich haben, auch haben sie einen bewegten Lebenswandel hinter sich.

Es Treffen einige Kriterien auf sie zu, die sie für uns interessant machen“. Dann schaute er wieder in die Akte und ohne aufzublicken sagte er zu mir: „Wir werden aber zuvor noch einige Tests machen müssen, um zu sehen ob sie wirklich das Potenzial dazu haben“. Er blickte auf einmal auf und sagte zu mir: „Wir rufen Sie morgen in ihrem Hotel an. Vorerst kann ich ihnen sagen dass sie an einem Auswahlverfahren teilnehmen, um festzustellen ob sie auch wirklich das Zeug dafür haben“.

Er stand auf, reichte mir die Hand und ging hinaus.

Am nächsten Tag in der Früh bekam ich den erwarteten Anruf.

Es wurde ein weiterer Termin für 12.00 Uhr mittags festgelegt und man teilte mir mit, ich möge in Trainingskleidung erscheinen.

Pünktlich zur verabredeten Stunde war ich wieder in der Agentur wie am Vortag. Herr Benjamin empfing mich und brachte mich mit den Worten „folgen sie mir“ ein Stockwerk tiefer zu einer Tür. Dort angekommen drehte er sich zu mir herum und sagte: „Gehen sie dort rein, machen sie den Kerl nieder und wenn sie es geschafft haben, dann gehen sie in den zweiten Stock Zimmer 2. Sie und der andere haben die gleichen Chancen, aber wir benötigen nur einen von ihnen.

Noch Fragen?“

Ich hatte eher das Gefühl als wenn es gar keine Frage sei, sondern die Aufforderung endlich einzutreten.

Also gut dachte ich mir, öffnete die Tür und trat in einen Trainingsraum ein. Ich hörte wie die Tür hinter mir geschlossen wurde. Meine Augen nahmen sofort alles in diesem Raum wahr. Allerdings war es nicht viel, eine Kamera in der Ecke die alles in diesem Raum aufzeichnete und meinen Gegner.

Wenn ich wirklich diesen Job will muss ich ihn unbedingt ausschalten, dachte ich mir. Der Kerl war ca. 185cm groß, wog um die 90 Kilo und machte einen gut trainierten Eindruck.

Der Kampf begann, es war ein abtasten der Stärken und Schwächen des Gegners. Jeder schlug seine Finten und Schläge, suchte eine Lücke um hin durch zustoßen.

Sekunde um Sekunde verging und im Laufe des Kampfes wurde meine Körpergröße von 161cm mein größter Verbündeter. Ich bewegte mich schnell und flink, setzte Techniken ein die nur jemand einsetzen kann, wenn er kleiner ist als der Gegner.

Wir umkreisten einander schweratmend und wieder suchte jeder von uns eine Lücke in der Deckung des anderen.

Es war ein lautloser Kampf nach einem uralten Ritual.

Es ging hier nicht um Leben oder Tod und genau das ist es was so einen Kampf erschwerte. Beide wussten wir, dass nur einer von uns diesen Zweikampf überstehen würde. I ch fühlte meine Kraft langsam schwinden und mein Gegner fühlte dies. Hatte er eventuell mehr Kondition als ich, sollte das das Ausschlaggebende sein.

Es ist wichtiger dem Gegner geistig überlegen zu sein, als ihn nieder zu kämpfen. In dem Augenblick fiel mir ein Zitat eines meiner früheren Lehrer ein. „Du kannst nur siegen, wenn du bereit bist zu sterben“, ich war bereit und entschied mich meinem Gegner die ihm gewünschte psychologische Information zugeben.

Ich ging einen Schritt zurück (mehr in die Defensive), gerade soweit, um einen bestimmten Abstand zu erhalten. Dann lies ich bewusst meine Deckung etwas sinken. Damit gab ich ihm das Gefühl das er nun den weiteren Verlauf des Kampfes für sich entscheiden kann. Jede Bewegung von mir sog er regelrecht als Information auf und er überlegte sich nun seinen nächsten Angriff. Doch wie beim Schach spielen sah ich diesen schon voraus. Wohlwissend das meine defensive Haltung und meine etwas gespielte physische Schwäche ihn nun endlich in meine Falle tappen lässt.

Der Abstand war nun so gewählt, dass ihm nur eine bestimmte Möglichkeit des Angriffs übrig blieb. Dann erfolgte sein Angriff.

Mit einer Tritt-Schritt-Schlag Kombination wollte er die Distanz überwinden und mich vernichten. Sein rechter Fuß schnellte voran und eine Dublette rechts links folgte sofort. Mein linker Fuß ging mit einer Drehbewegung nach vorne und trat seinen rechten etwas beiseite und sein Körper drehte sich etwas nach rechts. Seine Dublette geriet dadurch aus der Linie und leicht an mir vorbei.

Gleichzeitig machte ich zur Unterstützung eine kreisförmige Bewegung mit dem rechten Arm und blockierte seinen rechten geraden Faustschlag. Meine linke Handfläche traf ihn aufs rechte Ohr und mein rechter Zeigefinger stach in seine Kehlkopfgrube. Die Schmerzen waren so enorm dass er sich nicht dagegen erwehren mochte. Nun konnte ich meine Hände in einander Falten und an seiner Halsschlagader anlegen. Mit einer ruckartigen Bewegung nach unten gegen die Halsschlagader brach er zusammen. Meine rechte Hand packte ihn am Kinn und zog ihn somit nach hinten, meine linke Hand drückte ich ihm hinten am Rücken, wo sein Schwerpunkt ist, entgegengesetzt meiner rechten, sodass er nun leicht zu Boden ging. Er ging vor mir zu Boden und jetzt war er für mich keine Bedrohung mehr. Ich verließ den Raum im Bewusstsein das ich nun in den zweiten Stock gehen kann.

Am Tisch saß ein Mann der seinen Blick erhob als ich eintrat.

Er wies mir den leeren Platz ihm gegenüber zu und widmete sich wieder den vor ihm liegenden Akten sowie einigen Fotos von mir. Er studierte alles sehr aufmerksam durch und als er damit fertig war sagte er zu mir: „Wir fangen nun mit den Tests an, sind sie bereit“? In den nächsten vier Stunden wurde ich unterschiedlichen Tests unterzogen. Sowohl Intelligenztests als auch psychologische Tests sowie detaillierte Fragen über alles nur Erdenkliche kamen zum Einsatz. Ich füllte unzählige Formulare mit Fragen aus und war dann froh als alles zu Ende war. Dann verabschiedete man mich und reichte mir mit den folgenden Worten die Hand: „Wir melden uns bei Ihnen“.

Ich fuhr ins Hotel zurück und legte mich nach dem Duschen ins Bett. Der Tag war irgendwie anstrengend und ich fragte mich was das alles soll.

Zwei Tage wartete ich wie auf Kohlen, bis dann um die Mittagszeit herum ein Anruf von der Rezeption weitergeleitet wurde.

Der Anrufer teilte mir mit, dass ich nach Bait Hahayal fahren soll und mich bei Herrn Samuel im zweiten Stock melden soll, man hätte einen Job für mich. Dann teilte er mir noch die genaue Adresse mit und legte auf. Ich war ziemlich aufgeregt, wollte ich doch den Job um jeden Preis.

Ein Taxi brachte mich nach Bait Hahayal und fuhr mich direkt zum Gebäude der Agentur. Ich betrat das Gebäude, es hatte vier Stockwerke. In der Eingangshalle gleich nach der Eingangstür saß hinter einem Tresen ein bewaffneter Wachmann und schaute nur kurz auf als ich das Gebäude betrat. An Hand eines Fotos welches vor ihm lag identifizierte er mich und nickte mir kurz zu. Rechts in der Eingangshalle waren eine kleine Sitzbank und links zwei Fahrstühle, in deren Mitte Namensschilder angebracht waren. Als der Fahrstuhl in der zweiten Etage anhielt stieg ich aus, sah mich kurz um und ging dann auf die Tür zu auf der ein Schild mit den Namen Samuel stand. Als ich vor der Tür stand wusste ich zwar nicht was mich hinter der Tür erwartet, doch fühlte ich, dass wenn ich nun durch diese Tür gehen werde, sich mein Leben mal wieder grundlegend verändern wird.

Kurz entschlossen klopfte ich an und ging sogleich hinein ohne auf eine Antwort zu warten. Als ich in den Raum trat, sah ich zwei Männer am Fenster stehen. Einer von ihnen hielt mehrere Dokumente in den Händen. Ich schloss die Tür und sah beide Personen fragend an. „Herr Samuel“? stellte ich die Frage in den Raum. „Ja das bin ich“, antwortete der Mann mit den Dokumenten. Er hatte ein freundliches Gesicht und war so um die 30 Jahre alt. Sein äußeres Erscheinungsbild lies darauf vermuten, dass er ziemlich fit sei. „Setzen Sie sich bitte Herr Fruth“ fuhr er fort und wies mir einen Stuhl vor seinem Schreibtisch zu. „Es freut mich das sie heute hier sind“ mit diesen Worten reichte er mir die Hand zur Begrüßung.

„Kommen wir gleich zum Wesentlichen.

Wie ich schon erwähnte ist mein Name Samuel. Ich bin der leitende Koordinator zwischen der israelischen Securitas und einer Versicherungsgesellschaft mit der wir zusammen arbeiten. Der Name der Versicherung tut hier nichts zur Sache.

Dies ist Herr Blumberg von der besagten Versicherung und somit der Ansprechpartner. Er ist heute hier um sich selbst ein Bild von Ihnen zu machen“.

Mein Blick wandte sich der zweiten Person zu. Er sah mir tief in die Augen. Eine gewaltige Ernsthaftigkeit war ihm geradezu ins Gesicht gemeißelt. Trotzdem umspielte ein freudloses Lächeln seine Mundwinkel. Mit den folgenden Worten reichte er mir die Hand zum Gruß: „Ihre Reputation ist sehr aufschlussreich. Ihre Vergangenheit ist sehr farbfältig, wenn ich es mal so ausdrücken darf. Ich glaube dass wir gut zusammen arbeiten werden.“ Dann richtete Herr Samuel wieder das Wort an mich, „für so manchen Kunden der Versicherungsgesellschaft, stellt unsere Firma die Personenschützer zur Verfügung. Unser Unternehmen ist weltweit tätig, doch überwiegend in Südamerika, speziell in Brasilien. Ihr Tätigkeitsfeld umfasst nicht nur den Schutz bestimmter Zielpersonen, auch werden Sie einer taktischen Eingreiftruppe angehören. Immer wieder kommt es vor, dass einige Kunden (Versicherungsnehmer) entführt werden.

Natürlich steht die Versicherung dem Versicherungsnehmer in der Pflicht das geforderte Lösegeld für die Geisel an die Entführer zu bezahlen. Doch manchmal schlagen die Verhandlungen zwischen Krisenmanagement und Entführer fehl und da treten sie nun in Erscheinung.

Der Job der taktischen Eingreiftruppe besteht nicht nur darin die Geldübergabe gegen mögliche Eventualitäten abzusichern, sondern vor allem darin die entführten Personen mit allen erdenklichen Mitteln zurück zu holen.

Diese Operationen sind eher als illegal einzustufen, deshalb werden sie in dem Land Unerwünschte sein, wo sie die Geisel(n) befreien.

Polizei und Militär sind von korrupten Personen unterwandert, auch hier erhalten sie keine Hilfe. Da sie weder der Polizei noch dem Militär angehören, entspricht ihre Tätigkeit jener eines Contractors.

Da diese Bezeichnung aber nicht dem gerecht wird, was sie machen und die Öffentlichkeit diese Bezeichnung als negativ ansieht, hat unsere Firma eine andere Bezeichnung dafür. Die Bezeichnung der taktischen Eingreiftruppe lautet Rückholer.

Der Job als Rückholer, falls sie sich darauf einlassen, ist gefährlich. Sie sind größtenteils immer auf sich selbst gestellt.

Sie erhalten während des Einsatzes weder Hilfe von Seiten der örtlichen Regierung in dessen Land sie gerade operieren, noch von sonstigen Stellen.

Doch dafür werden sie gut entlohnt. Sie arbeiten in Brasilien offiziell als Personenschützer für die Securitas Brasil in São Paulo und erhalten von dieser Stelle ihren monatlichen Lohn.

Die operativen Einsätze werden natürlich separat entlohnt.

Die steuerlichen Abgaben sowie Krankenversicherung übernehmen sie selbst. Falls sie nun daran interessiert sind, lesen sie die Vertragsbedingungen durch. Zusätzlich eine Verschwiegenheitsklausel - nichts was sie bei diesen Einsätzen erleben darf an die Öffentlichkeit dringen.

Mit diesen Worten endete sein Vortrag und er legte vor mir einen Schreibstift hin. Ich las mir alles genau und langsam durch und unterschrieb. Herr Samuel nahm die Papiere an sich und packte sie in einen Ordner. Dann reichte mir ein jeder von beiden die Hand und Herr Samuel sagte zu mir: „Willkommen an Bord. Sie fliegen morgen Früh gleich nach São Paulo. Dort werden Sie Herrn Goldmann kennenlernen, der dort die Leitung hat. Alles weitere erfahren sie dann von ihm.

Nur noch eine Kleinigkeit. Da sie in Brasilien offiziell arbeiten werden und wir für sie leichter alle Genehmigungen erhalten, wenn sie dementsprechend geimpft sind, ist es nun zwingend notwendig, dass sie in den ersten Stock fahren und sie sich bei Dr. Melon melden. Diese wird ihnen dann alle nötigen Papiere diesbezüglich aushändigen und bescheinigen. Viel Glück. Oder gibt es noch Fragen?“ „Nein“ sagte ich kurz angebunden und ging aus dem Raum. Draußen vor der Tür erwartete mich ein Mann, reichte mir die Hand mit einem Briefumschlag und sagte: „Das ist für sie, ihr Flugticket für morgen“. Dann verschwand er auch schon wieder. In mir kreisten die Gedanken, dass die genau wussten dass ich mitmachen würde. Ok, dann also in den ersten Stock.

Der erste Stock sah genauso aus wie der zweite und so konnte ich sogleich den Raum ausmachen mit dem Namensschild Dr. Melon. Ich klopfte kurz an und hörte gleich danach eine Stimme sagen: „Treten Sie ein“. Dr. Melon war ca. 60 Jahre alt. Er kam mir von seinem Schreibtisch entgegen und reichte mir mit den Worten die Hand: „Junge, es freut mich. Ich werde dich jetzt genau darüber informieren mit welchen Ansteckungsmöglichkeiten du es zu tun bekommen kannst. In Südamerika gibt es viele Krankheiten mit denen man sich anstecken kann. Für die Behörden in Brasilien brauchst du gewisse nachgewiesene Impfungen um dort offiziell arbeiten zu können. Hier sind die Papiere“ und reichte mir den Impfpass. „Alles schon erledigt, oder willst du die Impfungen wirklich?“ „Nein Danke“, erwiderte ich. „Ok“ sagte er, „dann zu den möglichen Risiken, wenn ich das mal scherzhaft ausdrücken darf“. „Folgende Krankheiten könnten dir das Leben erschweren: das Dengue-Fieber zum Beispiel, gegen das es keine Impfung gibt, ist in weiten Teilen Südamerikas ein Thema. Des Weiteren kommen da noch vielleicht Cholera, Diphtherie, Gelbfieber, Hepatitis A, Hepatitis B, Malaria, Tetanus, Tollwut auf dich zu.

Aber mit etwas Glück passiert gar nichts. So nun weist du Bescheid“. Da es nichts weiteres mehr zu besprechen gab, fuhr ich mit einem Taxi zurück ins Hotel.

Ich fand an diesem Abend keinen wirklichen Schlaf mehr, wälzte mich von einer Seite auf die andere. Die Aufregung hielt mich wach. Es war eine Mischung aus Vorfreude, Abenteuerlust und Neugierde. Nach 21 Monaten der Ausbildung sollte es nun endlich losgehen. Um 06.00 Uhr in der Früh klingelte endlich der Wecker in meiner Armbanduhr und ich ging duschen, kleidete mich an, packte meine Segeltuchtasche und ging runter zur Rezeption um aus zu checken. Ein Taxi brachte mich zum Flughafen Ben Gurion.

Dort angekommen hatte ich noch etwas Zeit und bestellte mir einen doppelten Espresso. Heiß und stark, genau nach meinem Geschmack. In Gedanken versunken schlürfte ich das schwarze Gebräu hinunter, schaute auf mein Ticket und las das es die Swiss Air ist mit der ich nach Brasilien, São Paulo zum Flughafen Guarulhos fliegen werde. Der Flug geht über Zürich und dauert ca. 22 Stunden, davon reine Flugzeit ca. 19 Stunden. Nun war es endlich soweit, der Flug wurde aufgerufen und ich checkte ein.

Dies ist nun die Maschine, dachte ich so bei mir, welche mich von Tel Aviv auf den anderen Kontinent bringen soll, nach São Paulo.