Nutzung |
3 |
3.a Fasernutzung
Der heute in Europa genutzte Faserhanf wird hauptsächlich in den ehemaligen Ostblockstaaten Rumänien, Bulgarien, Ungarn und in Ländern der GUS angebaut. In Westeuropa gibt es in Frankreich und Spanien und neuerdings auch in England kleine Anbaugebiete (vgl. Kapitel 4).
Wie in Abschnitt 2.b berichtet wurde, kann heute bei optimiertem Anbau mit Fasererträgen von 2500 bis 3000 kg/ha ausgegangen werden. Pro Hektar wird also bei Hanf deutlich mehr geerntet als bei Flachs oder Baumwolle (vgl. Tabelle 6). Hanf ist ohne Frage die ertragreichste Faserpflanze, die in unseren Breiten angebaut werden kann.
Tabelle 5: Welternteertrag natürlicher Zellulosefasern aus Hanf (Angaben: in 1 000 Tonnen)
1950 | 1955 | 1960 | 1965 | 1971 | 1984 | 1989 | 1991 |
948 | 460 | 340 | 330 | 269 | 164 | 163 | 205 |
Quellen: Ullmann 1975, reuter 1987, FAO 1991
Hanffasern gehören wie die Fasern von Jute und Flachs zu den Bastfasern, die in den Stengeln zwischen Holz und Rinde der Pflanzen eingebettet sind. Die Hanffaser ähnelt in ihrem Aussehen der Flachsfaser. Durch primäres Wachstum entstehen im Phloem (Siebteil der pflanzlichen Leitbündel) 15 bis 35 Faserbündel, die bis zu 42 mm lang werden können. Die Ausbeute an Langfaserbündeln hängt vom Anteil der Primärfasern ab. Früher wurden zur Herstellung von Textilien und Papier ausschließlich Langfasern genutzt. Aufgrund der technologischen Weiterentwicklung in der Papierindustrie wäre es heute technisch möglich, die gesamte Pflanze zu nutzen. Zur Fasergewinnung werden hauptsächlich monözische (einhäusige) Sorten angebaut, da diese einen bis zu 50 Prozent höheren Faserertrag als diözische (zweihäusige) Sorten erzielen.
Tabelle 6 zeigt die Bastfaser des Hanfs im Vergleich mit anderen Pflanzenfasern.
Tabelle 6: Pflanzenfasern im Vergleich
Quellen: Andreae 1980, Batra 1985, Fölster/Daimler Benz 1993, Seehuber 1993, Keller 1993, ergänzt
Fasergewinnung
Hanffasern werden durch biologischen oder chemischen Aufschluß oder auf rein mechanischem Wege gewonnen. Unter dem biologischen Aufschluß werden die sogenannten Rösteverfahren zusammengefaßt, die schon seit dem Mittelalter praktiziert werden. Hierbei wird der Hanf durch die auf dem Material befindlichen Taurösteerreger (verschiedene Bakterien und Pilze) von den Pektinstoffen befreit, die Faserbündel werden freigelegt und vom Holzkörper getrennt sowie die in der Mittellamelle enthaltenen Stoffe fermentativ abgebaut.
Bei der Tauröste werden die Hanfstengel in gleichmäßig dünner Schicht auf dem Boden ausgebreitet und der fermentative Prozeß durch den natürlich vorkommenden Tau in Gang gesetzt. Der Vorgang dauert je nach Temperatur und Witterung einige Wochen oder Monate. Aufgrund der langen Röstdauer hat dieses Verfahren in der Vergangenheit kaum Verbreitung gefunden. Unter heutigen ökologischen Gesichtspunkten gewinnt die Tauröste aber wieder Bedeutung, in Deutschland beispielsweise beim Flachsanbau. Dazu trägt auch bei, daß transportable Maschinen entwickelt wurden, mit denen die Faserabtrennung direkt auf dem Feld bewerkstelligt wird (Keller 1993).
Die Kaltwasserröste wird in fließenden oder stehenden Gewässern oder Kanälen und Gräben durchgeführt, wobei die Hanfbündel getaucht werden. Je nach Temperatur dauert die Röste zwischen acht Tagen und einigen Wochen. Dieses Verfahren findet heute modifiziert in Stahlbetonkammern (die bis zu 9 Tonnen Hanfstengel aufnehmen können) in geschlossenen Räumen unter Verwendung von warmem Wasser (30-40 °C) statt. Eine solche Warmwasserröste dauert drei bis vier Tage und verursacht beträchtlichen Gestank.
Der Hanf wird nach der Röste getrocknet, anschließend gebrochen und gehechelt. Beim Hecheln werden die Hanfstengel mechanisch bearbeitet, wobei eine Entholzung durch Schaben und Schütteln vorgenommen wird, bei welcher man am Ende etwa 30 bis 40 Prozent Langfasern (Hechelhanf) und 55 bis 65 Prozent Kurzfasern (Hechelwerg) gewinnen kann (Schönefeld 1955).
Tabelle 7: Moderne Faseraufschlußverfahren im Überblick
Aufschlußverfahren | Chemikalien | Faserausbeute | Abfallaufkommen |
Thermomechanisch (TMP) | keine | ca. 95 Prozent | ca 5 % biologisch abbaubar |
Chemisch-thermo-mechanisch (CTMP) | wenig;zur Vorbereitung Natronlauge | ca. 80 Prozent | ca. 20 Prozent aufgelöst im Chemikalienrest |
Aufschluß mit Enzymen und Schimmelpilzen (moderne Röste) | keine | 80 Prozent der Bastfasern mit niedrigem Energieverbrauch, hohe Faserqualität | Reststoffe können für andere Verwendungen genutzt werden (Kompost, Bauplatten, Brennstoff) |
Organosolv | organische Lösungsmittel (Ethanol, Methanol) | 80 Prozent | organische Lösungsmittel werden zurückgewonnen; Abfälle können möglicherweise verwertet werden |
Extrusion | Natronlauge oder organische Lösungsmittel | 40 - 95 Prozent, abhängig vom angewendeten Verfahren | 5 - 60 Prozent, abhängig vom angewendeten Verfahren |
Alkalisch | Natronlauge | 40 - 70 Prozent, abhängig von der Prozeßsteuerung | 30 - 60 Prozent; Abfälle werden verbrannt; Mineralien können z. B. als Bauplatten genutzt werden |
Quelle: de Groot / de Smet 1990 (modifiziert)
Abbildung 3: Mechanische Bastfasergewinnung
Quelle: N.N., Tappi 1991
Kalt- und Warmwasserröste sind unter ökologischen Gesichtspunkten negativ zu bewerten aufgrund ihrer hohen organischen Abwasserbelastung (hoher chemischer Sauerstoffbedarf CSB), die früher in Deutschland zu regelmäßigen Fischsterben führte. In Verbindung mit einer modernen Abwasserbehandlung kann die Röste durchaus zu einem umweltfreundlichen Verfahren werden, was von Interesse ist, da die Röste eine sehr hochwertige Faser liefert.
In den letzten Jahrzehnten wurden neue Verfahren zum Faseraufschluß entwickelt. Die Verfahren beziehen sich zwar häufig zunächst nur auf Flachs, können aber in der Regel auch auf Hanf übertragen werden. In Holland und Frankreich wurde dies teilweise schon realisiert. Tabelle 7 zeigt die wichtigsten modernen Faseraufschlußverfahren für die Textil- und Papierherstellung im Überblick.
Ein neues, in Deutschland entwickeltes Verfahren arbeitet mit Ultraschall und soll bald praxistauglich sein und zum Einsatz kommen.
Textilbereich
Bei den natürlichen Zellulosefasern gibt es viele Arten, man unterscheidet zwischen Pflanzenhaaren, Bast- und Hartfasern. Baumwolle, die zur Gruppe der Pflanzenhaare gehört, kommt die größte Bedeutung bei der Herstellung von Textilien zu, sie hat einen Anteil von über 50 Prozent. Neben dem Flachs kommt dem Hanf die größte Bedeutung unter den Bastfaserpflanzen in den gemäßigten Zonen zu. Die gröbere Hanffaser ist auch heute noch für einige Zwekke in der technischen Industrie unersetzlich.
Die Hanffaser gehört zu den Bastfasern und liefert eine der festesten und dauerhaftesten Naturfasern, die vor allem zur Herstellung von Segeltüchern, Tauen und Seilen und wegen ihrer großen Feuchtebeständigkeit geschätzt werden. Hanf ist heute von billigeren Naturfasern wie Jute und Kunstfasern weitgehend verdrängt worden.
Schönefeld (1955) beschreibt die Eigenschaften der Hanffaser wie folgt:
Faserfestigkeit: »Bei 10 mm Einspannlänge im Reißprüfer konnten Einzelfaserfestigkeiten von 46 bis 72 Reißkilometer festgestellt werden. Bei Hanf handelt es sich also um die festeste einheimische Naturfaser.«
Dehnung: »Die Dehnung beträgt, genau wie beim Flachs, etwa 2 Prozent. Von einer elastischen Dehnung des Hanfs kann ebenfalls nicht gesprochen werden.«
Hygroskopizität: »Hanf kann bis zu 30 Prozent Feuchtigkeit aufnehmen, der handelsübliche Feuchtegehalt beträgt 12 Prozent. Hanf ist gegen Wasser außerordentlich widerstandsfähig.«
Hanf liefert eine grobe, feste Faser, die in der Textilindustrie für Oberbekleidung, Arbeitskleidung (die frühen Jeans waren aus Hanf) und andere stark beanspruchte Textilien, Socken beispielsweise, eingesetzt wurde.
Um Hanffasern auch als Baumwollersatz verwenden zu können, wurde die Kotonisierung entwickelt, bei der der sogenannte Flockenbast entsteht. »Diese Bezeichnung gibt man Flachs- oder Hanffasern, die durch Kochen in alkalischen Bädern (Soda, Ätznatron und Seife) ein baumwollähnliches Aussehen erhalten haben. Dabei wird der Pflanzenleim, der bei gerösteten Langfasern die Einzelfasern in Bündeln zusammenhält, gelöst. Das Material wird dadurch feiner und weicher, also baumwollähnlicher. Kotonisieren ist ein altes Verfahren, das nach dem Ersten Weltkrieg von Gminder in Reutlingen erneut aufgegriffen wurde. Man verwendet für das Kotonisieren keine Langfasern, sondern Werge oder samenreife Stengel« (Adebahr-Dörel 1972).
Der Flockenbast, auch Hanfwolle genannt, wird nach dem Baumwollspinnverfahren direkt oder im Gemisch mit Baumwolle oder Zellwolle versponnen. Auf diese Weise können aus Hanffasern auch hochwertige Feintextilien hergestellt werden. Die Kotonisierung wird heute noch in der ehemaligen Tschechoslowakei bei der Flachsverarbeitung angewendet. Fraglich ist allerdings, ob die Kotonisierung aufgrund des hohen Aufwandes ökonomisch sinnvoll ist.
Tabelle 8: Zusammensetzung von natürlichen Zellulosefasern in Prozent bei 10 Prozent Feuchtigkeit
Zellulose | Hemizellulose | Pektin | Lignin | wasserlösliche Substanzen | Fett und Wachs | |
Baumwolle | 82,7 | – | 5,7 | – | 1,0 | 0,6 |
Flachs | 56,5 | 15,4 | 3,8 | 2,5 | 10,5 | 1,3 |
Hanf | 67,0 | 16,1 | 0,8 | 3,3 | 2,1 | 0,7 |
Jute | 64,4 | 12,0 | 0,2 | 11,8 | 1,1 | 0,5 |
Sisal | 65,8 | 12,0 | 0,8 | 9,9 | 1,2 | 0,3 |
Quelle: Ullmann 1975
Heute werden in Deutschland keine Hanffasern mehr zur Herstellung von Feintextilien eingesetzt. Der Rohstoffmarkt wird von der Baumwolle beherrscht und bei besonderen Anforderungen hat Flachs den Hanf bereits vor Jahrzehnten verdrängt.
In Frankreich werden noch heute Oberbekleidung (Jakketts), Socken, Stoffschuhe und Taschen aus den Langfasern des Hanfs hergestellt. Bei Socken aus Mischgarn wird die Ferse mit Hanf verstärkt, damit sie länger hält (Böck 1993).
Folgende Produkte wurden früher unter Verwendung von Hanffasern und -gewebe hergestellt:
Schläuche, Segeltuch, Teppiche (Untergarn), Schuhmacher- und Sattlernähgarne, Bindfäden, Schnüre, Kordeln, Einlagestoffe, Matratzendrillich, Netzgarne, Erntebindegarne, Jalousiegarne, Seile, Packkordeln, Trossen, Wäscheleinen, Säcke, Verpackungsstoffe, Dekorationsstoffe, Bespannungen, Planen, Gurte usw. – kurz: alle Einsatzgebiete, bei denen es auf hohe Festigkeit ankommt (zu weiteren, heute relevanten Einsatzgebieten vgl. auch Abschnitt 3.b).
Weiterhin hat sich bis heute die Nutzung von Hanf als Dichtungsmaterial gehalten, beim Abdichten von Wasseranschlüssen ist Hanf immer noch erste Wahl.
Papierherstellung
Hanf spielte von Beginn an eine wichtige Rolle als Rohstoff für die Papierherstellung. Erst durch den Siegeszug von Holz verlor er seine Bedeutung als Papierrohstoff. – Vielleicht kann er sie in absehbarer Zeit wiedergewinnen.
Papierartige Materialien zur Informationsspeicherung gehören zu den ältesten Errungenschaften der Zivilisation. Ausgangsstoff für Papier ist – neben Pergament – seit eh und je pflanzliches Material (Zellulose). Die Bezeichnung Papier geht auf das altägyptische Wort »Papyrus« zurück. So heißt ein Riedgras, dessen Stengelmark in Streifen geschnitten, kreuzweise geschichtet und zu Bögen verarbeitet wurde; diese klebte man dann zu langen Rollen zusammen (Greenpeace 1991).
Papyrus war der bekannteste Schriftträger im alten Ägypten. »Die Technik der Papyrusherstellung reicht weit zurück, etwa bis zum Jahre 3000 v. Chr.« (Sandermann 1992). Auch im alten Griechenland und in Rom spielte Papyrus bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. die zentrale Rolle als Schriftträger und wurde erst im 4. Jahrhundert von Pergament (Tierhäute) verdrängt. Pergament war beidseitig beschreibbar und konnte zu Büchern (im heutigen Sinne) gebunden werden, in denen sich Textstellen schneller wiederfinden ließen als auf Papyrusrollen.
Die eigentliche Papierherstellung wurde etwa 100 v. Chr. in China erfunden. Rohstoff für die Papierherstellung waren »Baumrinde oder Bastfasern, Hanf und alte Lumpen und Fischnetze« (Fan Yeh 5. Jahrhundert n. Chr.). »Die in der Nähe von Xian gefundene Papierprobe aus der Zeit 140 bis 87 v. Chr. bestand aus Hanffasern und dürfte das älteste Papier der Welt sein« (Sandermann 1992). Hergestellt wurde es mit einem schwimmenden Sieb, aus dem sich dann das Schöpfsieb entwickelte. In China wurde der Bast des Papiermaulbeerbaums zum wichtigsten Papierrohstoff.
Im 13. Jahrhundert gelangte die Technik der Papierherstellung nach Italien, nach Deutschland erst im 14. Jahrhundert. Als Rohstoff wurden praktisch ausschließlich Hadern, Lumpen aus Flachs- und Hanfstoff verwendet. »Wenn schon bald nach Gründung der ersten Papiermühlen eine gewisse Verknappung an Hadern eintrat, stieg der Bedarf an Lumpen nach der Erfindung der Buchdruckkunst ins Unermeßliche« (Sandermann 1992). In England wurde 1666 verboten, Tote in Leinenhemden zu bestatten. »Stattdessen empfahlen die Behörden wollene Totenhemden. Man versprach sich davon einen Anfall von 200 000 Pfund Leinenlumpen. (...) Vieles an dem (Lumpen-)Schwarz-markt jener Zeit erinnert an den heutigen Drogenhandel« (Sandermann 1992).
Papier wurde stets nach der gleichen Methode hergestellt: Die Hadern wurden zu Einzelfasern zerstampft, und aus deren Suspension in Wasser wurde mit einem Sieb das Papierblatt geformt, entwässert und getrocknet. Eine wichtige Erfindung war der »Holländer«, ein Mahl- bzw. Mazerisierungsgerät, das das Stampfwerk zunächst ergänzte und im 18. Jahrhundert zunehmend ersetzte. Als Antrieb dienten vor allem Windmühlen und Wasserräder.
»All die Versuche und Vorschläge (für eine Papierrohstoffbasis ohne Hadern) in verschiedenen Ländern führten nicht zu einem Ersatz oder auch nur zu einer Einschränkung des Bedarfs an Lumpen. (...) Die durch den Mangel an Lumpen bedingte Versorgungskrise der Papierwirtschaft währte von der Zeit Gutenbergs bis etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts, also etwa vier Jahrhunderte« (Sandermann 1992).
1844 erfand der sächsische Webermeister Friedrich Gottlob Keller den Holzschliff. Damit wurde es 1845 möglich, das erste Papier aus Holzfasern (bei einem Zusatz von 50 bis 60 Prozent Lumpen) herzustellen. Die Erfindung des Holzschliffs gab der Papierindustrie starke Impulse; Holz allein war für die Papierherstellung nicht ideal, es mußte mit 20 Prozent langfaserigem Lumpenzellstoff versetzt werden. Erst als aus dem Holzschliff mittels chemischer Verfahren Lignin und Harze abgetrennt und Holzzellstoff hergestellt werden konnte, war dies nicht mehr nötig. »Der erste so gewonnene Zellsroff wurde von den englischen Chemikern Hugh Burgess und Charles Watt im Jahre 1851 durch Kochen von Holzschnitzeln in Alkalilauge bei hoher Temperatur unter Druck gewonnen« (Sandermann 1992).
Kellers Erfindung war nach etwa 20 Jahren betriebsreif, und schon nach 10 weiteren Jahren war Holz zum primären Rohstoff für Papier geworden. Die Papierknappheit hatte ein Ende, Holz konnte in praktisch beliebigen Mengen zu geringen Kosten in naturnahen Wäldern geschlagen werden.
Mit dem Holz fand die Chemie Eingang in die Papierproduktion. Dies hatte, neben Abwasserbelastungen, zur Folge, daß sich die Haltbarkeit von Papier verschlechterte. Während aus Hadern gewonnenes Papier Jahrhunderte schadlos übersteht, zerfallen Holzpapierbücher aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits heute. Das liegt weniger daran, daß man von Flachs- bzw. Hanffasern zu Holzschliff übergegangen ist, sondern daran, daß bei der industriellen Fertigung nicht mehr wie bei handgeschöpften Papieren mit tierischer Leimung gearbeitet wird, sondern in starkem Umfang Chemikalien zum Einsatz kommen (Schlegelmilch 1994).
Im Jahre 1989 betrug die Weltzellstoffproduktion für Papier über 160 Millionen Tonnen, 92 Prozent der weltweit verarbeiteten Zellulose stammen aus Holzrohstoffen (Bäumen), nur knapp 13 Millionen Tonnen von Gräsern, einjährigen Pflanzen – hierunter Hanf – und Bambus (Judt 1992).
Holz als Hauptpapierrohstoff wird mehr und mehr zum Umweltproblem. Die Zellstoffindustrie gehört zu den größten industriellen Frischwasserverbrauchern; mehr Abwässer mit umweltgefährdenden Organochlorverbindungen setzt keine andere Branche frei. Zur Herstellung von Papier aus Zellstoff werden Hunderte verschiedener Chemikalien eingesetzt, darunter auch schädliche, schwer abbaubare und zudem überflüssige Stoffe (Greenpeace 1991).
Dem wachsenden Papierhunger der Menschheit fallen zunehmend naturnahe und Urwälder zum Opfer. Der Großteil des Zellstoffs, der für den deutschen Papierbedarf (derzeit 230 kg pro Kopf und Jahr) benötigt wird, stammt aus Kanada und Skandinavien. »In Kanada werden durch einzelne Unternehmen ökologisch wertvolle Urwälder von der Größe Englands erbarmungslos kahlgeschlagen, die in dieser Form nie wieder nachwachsen. Indianervölker haben durch diesen Raubbau ebenso das Nachsehen, wie viele seltene Tier- und Pflanzenarten. Ähnliches spielt sich in Skandinavien ab, wo derzeit die beiden letzten Urwälder Finnlands außerhalb der Nationalparks – Kessi und Hammastunturi – gerodet werden. Und in der sibirischen Taiga werden ebenfalls riesige Waldgebiete für die Herstellung von Zellstoff geopfert« (Klapp 1994). In Finnland werden in jedem Jahr 50 000 Hektar Wald allein für den deutschen Papiermarkt abgeholzt, darunter auch viele alte naturnahe Wälder und sogar Urwälder (taz 17.6.1993). Die internationale Umweltorganisation »Friends of the earth« nennt in einer aktuellen Studie die nachhaltige Forstwirtschaft einen Mythos. Eine solche Forstwirtschaft findet praktisch nirgendwo statt und ist in vielen Fällen auch gar nicht möglich (Ökologische Briefe 26/1993).
Auch wenn sich der Altpapieranteil bei der Papierherstellung ständig erhöht, werden auch künftig große Waldgebiete für die Papierproduktion gerodet, um so mehr, als erwartet wird, daß der Weltpapierbedarf bis zur Jahrtausendwende auf 300 Millionen Tonnen und im Jahr 2005 sogar auf 350 Millionen Tonnen ansteigen wird (Jivmark, Bild der Wissenschaft 7/93).
Getreidestroh, Zuckerrohrabfälle, Bambus oder auch Faserpflanzen wie Hanf, Flachs und Kenaf spielen derzeit am Weltpapiermarkt – auch wenn sie an Bedeutung gewinnen – nur eine geringe Rolle. 1992 wurde in 45 Ländern der Erde Papier aus Alternativrohstoffen hergestellt; nach einer Studie der FAO hält es neun Prozent am Weltpapiermarkt. Lediglich in Ländern wie Indien oder China, wo Holz bereits zum teuren Mangelprodukt geworden ist, liegt der Anteil an baumfreiem Zellstoff erheblich höher. »In China wurden im vergangenen Jahr mehr als 80 Prozent des Papiers aus Zellstoff hergestellt, der aus Getreidestroh, Hanf, Bagasse (Zuckerrohrabfälle) und Bambus gewonnen wurde« (Ayres 1993). In Indien wird die weltgrößte Hanfmühle mit einer Kapazität von 20 000 Tonnen pro Jahr betrieben. Brasilien baut bereits seit den 60er Jahren Hanf für die Papierproduktion an.
In der westlichen Welt wird Hanfzellulose heute lediglich für Spezialprodukte eingesetzt, bei denen sich die hohe Reißfestigkeit der Hanffaser – insbesondere auch bei Nässe – bewährt: technische Filterpapiere, Teebeutel (z. B. von Schoeller Hoesch, Gernsberg), Zigarettenpapiere (OCB, Frankreich), Banknoten, Glühstrümpfe usw. Die einzige größere Hanfzellstoffabrik in Westeuropa arbeitet in Spanien; 1994 soll ein Werk in Deutschland in Betrieb gehen, 1993 wurde hier, erstmalig seit Kriegsende, Buchpapier und 1994 auch graphisches Papier auf der Basis von Hanfzellulose gefertigt. Trotz höherer Preise lassen sich hochwertige Papiere gut absetzen (siehe Kapitel 4). In Australien und Tasmanien wird derzeit geprüft, ob beispielsweise Zeitungspapier aus Hanffasern hergestellt werden soll (Judt 1992).
Hanf, der zukünftige Papierrohstoff?
In einer aktuellen Analyse des internationalen Papiermarktes sagt das World Watch Institute Faserpflanzen wie Kenaf und Hanf eine große Zukunft als Papierrohstoffe voraus (Ayres 1993): »Im TAPPI Journal, einer Fachzeitschrift der Technischen Vereinigung der Zellstoff- und Papierindustrie, erschien im Oktober 1992 ein Bericht des australischen Papiermanagers Andrew Kaldor, demzufolge etwa 13 Millionen Hektar Wald benötigt werden, um den derzeitigen Zellstoffbedarf der Welt zu decken. Etwa 70 Prozent des Papiers werden nach Schätzungen heute aus sogenannten Primärfaserstoffen – frischem Holz- und Zellstoff – hergestellt. Angesichts des wachsenden Einsatzes von Recyclingpapier rechnet man mit einem Rückgang des Primärfaseranteils auf 55 Prozent bis zum Jahre 2010. Der Papierverbrauch wird allerdings in den kommenden Jahren so stark zunehmen, daß–trotz vermehrter Wiederverwertung–auch der Waldverbrauch ansteigen wird: auf etwa 32 Millionen Hektar im Jahr 2010.
Da Bäume nur langsam wachsen, müßten, um die Nachfrage zu decken, von heute an jedes Jahr zehn Millionen Hektar Wald neu aufgeforstet werden – was nicht geschieht. Folglich wird Holz gegen Ende des Jahrhunderts weltweit knapp und damit teuer werden. Das Ergebnis wird sein, prophezeit Andrew Kaldor, daß ›die verbleibenden Naturwälder vermehrt ausgebeutet werden‹, es sei denn, die Industrie kann die Flächen effizienter nutzen, von denen sie ihre Rohstoffe bezieht.«
Alternative Zellstofflieferanten sind also gefragt. Das World Watch Institute nennt hier Agrarabfälle wie Getreidestroh, Bagasse (Stengel des Zuckerrohrs), getrocknete Samengräser, Sorghumstengel, Kassava, Ananasblätter und Baumwollpflanzen. Eine weitere wichtige Quelle für besonders hochwertigen Zellstoff sind Faserpflanzen wie Kenaf, Hanf, Bambus, Jute, Flachs, Sisal, Nessel (Ramie), Abaca-Palme, Hibiskus. Faserpflanzen zeichnen sich durch einen 2- bis 4fachen Zellstoffertrag pro Hektar gegenüber schnellwachsenden Bäumen wie Pinien aus.
Umfangreiche Studien aus den USA, China und den Niederlanden fanden unter den Faserpflanzen vor allem zwei aussichtsreiche Kandidaten: an erster Stelle den Kenaf – eine Hibiskusart aus Afrika und Vorderindien, die allerdings sehr viel Wärme braucht – und an zweiter Stelle den auch in unseren Breiten anbaubaren Hanf.
Hanf, kleinräumig angebaut auf dem heutigen Brachland der EU, könnte also dazu beitragen, die natürlichen Wälder zu schonen und Versorgungsengpässe zu vermeiden. Ökologisch bietet der Hanfanbau – in einer nachhaltigen, ökologischen Landwirtschaft – perspektivisch eine Reihe von Vorteilen; perspektivisch deshalb, weil einige der notwendigen Verarbeitungsschritte im Hinblick auf Effektivität und Umweltbelastung noch modernisiert werden müssen.
Potentielle ökologische und Qualitätsvorteile von Hanfpapier gegenüber Holzpapier (nach Ayres 1993, Schlegelmilch 1994, Kovacs/Rab/Rusznak/Annus 1992 und Katalyse):
– Schonung der naturnahen und natürlichen Waldbestände;
– etwa 2- bis 4facher Zelluloseertrag pro Hektar gegenüber Pinien (bei Ganzpflanzennutzung);
– Kombinationsnutzung mit Textilien und Baumaterialien (bei Hanfwergnutzung);
– flexible Anpassung an den Bedarf durch jährlichen Anbau und Ernte;
– Erweiterung der Fruchtfolge;
– höhere Qualität des Zellstoffes, insbesondere höhere Reißfestigkeit;
– sehr gute Recyclingeigenschaften (da Hanfzellstoff die etwa 5fache Faserlänge von Holzzellstoff hat, ist er besonders geeignet, die Qualität von Zellstoff aus Altpapier zu verbessern bzw. mehr Recyclingdurchläufe zu ermöglichen);
– geringerer Ligningehalt mit entsprechend geringeren Abwässerbelastungen;
– geringerer Chemikalieneinsatz bei der Zellstoffherstellung;
– die Produktion des Hanfzellstoffs erfordert erheblich weniger Energie;
– aufgrund der relativ weißen Fasern kann die Bleiche reduziert werden.
Aber natürlich gibt es auch Nachteile:
– Monokulturen und Düngemitteleinsatz können zu Umweltschäden im ländlichen Raum führen;
– Hanfstroh ist sperrig und schlecht zu transportieren;
– Hanfstroh/Hanfwerg fällt nur saisonweise an und erfordert bei unter Umständen beschränkter Lagerfähigkeit hohe Lagerkapazitäten;
– aus ökonomischer Sicht: Hanf kann nicht kostenfrei in Raubbau an der Natur geschlagen werden.
Technische Aspekte der Nutzung von Hanf als Papierrohstoff
Verschiedene Untersuchungen in den USA und den Niederlanden (z.B. Du Bois 1981; 1982) haben gezeigt, daß die Herstellung unterschiedlichster Papier- und Kartonqualitäten aus Hanffasern möglich ist. Gegenüber der Zellulosegewinnung aus Hart- und Weichhölzern weist Hanf einen geringeren Ligningehalt auf. Zusätzlich kann der Ligningehalt durch einen optimalen Erntezeitpunkt unmittelbar nach der Blüte des Hanfs beeinflußt werden. Bei holländischer Hanffasergewinnung konnten Ligningehalte von nur 5,2 Prozent erzielt werden. Mit weniger Lignin vergilben Papiere nicht so leicht und müssen deshalb weniger gebleicht werden. Der Ligningehalt ist entscheidend für die Wasserbelastung bei der Papierproduktion. Durch den Einsatz von Hanf könnte der Ligninanteil im Papierrohstoff also reduziert werden und dadurch zu weniger Belastungen des Abwassers führen.
Tabelle 9: Chemische Zusammensetzung von Papierrohmaterialien
Anteil (%) | Weichholz (Stamm) | Hartholz (Stamm) | Weichholz (Äste) | Hartholz (Äste) | Faserhanf (ges. Pflanze) | Faserhanf (Bastanteil) |
Zellulose | 75 - 85 | 60 - 70 | 65 - 70 | 80 - 85 | 79,6 | 81,2 |
Hemizellulose | 58 - 61 | 45 - 55 | 40 - 50 | 50 - 55 | 54,5 | 66,6 |
Lignin | 23 - 26 | 20 - 25 | 18 - 20 | 15 - 16 | 17,5 | 8,4 |
Asche | 0,3 - 0,4 | 0,2 - 1,0 | 5 - 6 | 2 - 4 | 3,4 | 4,7 |
Quelle: Kovacs/Rab/Rusznak/Annus 1992
In einer 1992 veröffentlichten ungarischen Untersuchung der Universität und des Papierforschungsinstituts Budapest wurde festgestellt (Kovacs et al. 1992), daß
– unter Berücksichtigung der chemischen Zusammensetzung Hanf eine hervorragende Zellulosequelle mit hohem Faseranteil und geringem Ligningehalt ist;
– Hanf ein bleichbares Faserrohmaterial liefert, das gute Erträge bei traditionellen Pulping-Methoden (Sulfat, Sulfit, Natronlauge) aufweist;
– der typische morphologische Aufbau der Fasern (3/4 bis 4/5 enthalten kleine Zellen und 1/4 bis 1/5 enthalten lange, dünne Zellen) bei der Papierproduktion berücksichtigt werden muß (neue technische Verfahren, die das Problem der Faserverklumpung und der langsamen Entwässerung mit der traditionellen Papierherstellung ergänzen und optimieren, werden benötigt);
– Hanffaserstoffe die Möglichkeit bieten, ein breites Sortiment qualitativ hochwertiger Papiere (25-120 g/m2 Flächengewicht) herzustellen. Hierzu gehören beispielsweise Kalenderpapiere, Papiere mit geringem und hohem Aschegehalt, Druck- und Schreibpapiere sowie Verpackungspapiere. In Mischung mit Weichholzfaserstoff können die nachteiligen Eigenschaften beider Faserrohmaterialien weitgehend kompensiert werden.
Hanf liefert über das Papier hinaus praktisch sämtliche Grundstoffe für den Offsetdruck: Aus Hanföl können sowohl Druckfarben als auch Reinigungsmittel für die Druckmaschinen gewonnen werden (vgl. Abschnitt 3.b).
Grundsätzlich kann Hanf über zwei Wege als Papierrohstoff genutzt werden. Zum einen kann die gesamte Pflanze der Zellstoffgewinnung zugeführt werden; auf diese Weise wird der 2- bis 4fache Zellstoffertrag wie bei schnellwachsenden Bäumen erzielt. Der andere Weg ist eine Kombinationsnutzung: Die Fasern werden aufgeschlossen, und die Langfasern werden der Textilindustrie, die Kurzfasern (Werg) der Zellstoffindustrie und die zurückbleibenden Schäben der Baustoffindustrie zugeführt.
Tabelle 10: Kumulierter jährlicher Ertrag von Hanfstengeln und Holz (Angaben: in Tonnen pro Hektar)
Nutzungsdauer | Faserhanf | Samenhanf | Baum | Baum(Anteil für Papierherstellung |
1 Jahr | 9,5 | 4,0 | 2,5 | 0,2 |
5 Jahre | 47,5 | 20,0 | 12,5 | 1,0 |
10 Jahre | 95,0 | 40,0 | 25,0 | 2,0 |
15 Jahre | 142,5 | 60,0 | 37,5 | 3,0 |
Quelle: Kovacs/Rab/Rusznak/Annus 1992
Aus Hanfwerg entsteht besonders hochwertiger, reißfester Zellstoff. Es wird z.B. in Rotationstrommeln auf eine Länge von 2 bis 6 mm geschnitten und anschließend in Natronlauge gekocht, um das restliche Lignin zu extrahieren.
Bei der traditionellen Papierherstellung aus ganzem Hanf wird der Stengel der Länge nach in Stücke gebrochen und gehechelt. Für die weitere Hanfverarbeitung zum Papierrohstoff wurde häufig ein sogenannter »Holländer«, eine periodisch arbeirende Mahlmaschine, eingesetzt. Mit dieser Mahlmaschine können alle technologischen Grundprozesse von der Suspendierung bis zur Zusammenstellung des Maschinenstoffes ausgeführt werden. Da die Holländer-Mühle eine hohe Leerlaufleistung (etwa 50 Prozent der Leistung) hat, arbeitet sie energetisch relativ ungünstig (Autorenkollektiv 1987). Das Holländer-Mahlwerk ist in Europa kaum noch in Gebrauch. Meistens wird mit einer modifizierten Scheibenmühle gemahlen, die energetisch wesentlich effektiver arbeitet.
Mit der Entwicklung verschiedener chemischer und mechanischer Aufschlußverfahren haben sich auch die Möglichkeiten und Chancen enorm verbessert, daß Hanf wieder Rohstofflieferant für die Papierindustrie wird. Für den Aufschluß der Hanffasern können grundsätzlich alle chemischen Verfahren angewendet werden, die auch zum Holzaufschluß geeignet sind. Beim Sulfitverfahren entstehen jedoch zu spröde Zellstoffe, so daß für Hanf die alkalischen Aufschlußverfahren (Soda- oder Sulfataufschluß) besser geeignet sind.
Andere Verwendungen im technisch-industriellen Wirtschaftsbereich
Die Hanffaser kann in einer Vielzahl von technischen Anwendungsbereichen Verwendung finden.
Zunächst können die technischen Einsatzbereiche der ähnlich gearteten Flachsfaser weitgehend übertragen werden. Nach einer 1987 angefertigten Studie der CMA ließen sich Flachsfasern, vor allem die billigen Kurzfasern, in folgenden Produkten des industriell-technischen Bereichs einsetzen (CMA 1989):
Bau- und Dämmstoffe (siehe auch Abschnitt 3.d), Faserzementplatten (Fasern als Armierungsmittel und Asbestersatz), Trockenmörtel für Maschinenputz, Bedachungsmaterial, Fließ-Estrich und Gips, feuerfeste Türen, Formpreßteile (in Kombination mit Kunstfasern beispielsweise Türverkleidungen in Kraftfahrzeugen), Papier, Beläge, Vliesstoffe, Filtermaterial, Bindegarne und Asphalt. Aus den Flachsschäben können Spanplatten und Hohlraumsteine hergestellt werden.
Konkrete Forschungen über mögliche Einsatzgebiete der Hanffaser im technisch-industriellen Bereich werden derzeit nur in Frankreich unternommen. Dort wird die Verwendung der Hanffaser für Brems- und Kupplungsbeläge untersucht; ähnliche Versuche laufen in Deutschland mit Flachs (vgl. hierzu Abschnitt 4.)
Hanffasern können auch im Verpackungssektor eingesetzt werden. Für Wurstverpackungen wird ein Verbundwerkstoff aus Papier und Folie auf der Basis von Zellulose verwendet, welche viskosinierte Hanffasern enthält. In der UdSSR wurden Leinen-Jute-Hanf-Fasern, teilweise in Verbindung mit Polyethylen, für die Herstellung von Zuckersäcken getestet (Brenman 1971 und Prilutskii 1975).
Die Industrie ist zunehmend interessiert, für technische Gewebe Naturfasern bzw. Kombinationen von Natur- und Kunstfasern einzusetzen. Je nach Anwendung werden verschiedene Naturfasern favorisiert, wobei die Auswahl der am besten geeigneten Naturfasern noch im Gange ist. Internen Quellen nach ist die Flachsfaser, auf die sich bei uns die Forschung ausgerichtet hat, für eine Reihe von Einsatzgebieten durchaus nicht unproblematisch. Es gibt einige Hinweise, daß die Hanffaser aufgrund ihrer höheren Reiß-und Naßfestigkeit für manche technische Zwecke besser geeignet sein könnte als Flachs. Beim jetzigen Forschungsstand muß dies aber Vermutung bleiben. Detaillierte Vergleichsuntersuchungen hierzu wurden in Westeuropa bislang nur in Frankreich begonnen.
Letztendlich gibt es die ideale Pflanzenfaser natürlich nicht, sondern je nach Anwendungsanforderung ist die eine oder andere Faser besser geeignet. Insbesondere kann aber mit der geeigneten Kombination verschiedener Fasern das Einsatzspektrum von Naturfasern insgesamt erheblich erweitert werden. Hanf und Flachs werden sich in Kombination gegenseitig zusätzliche Märkte erschließen.
3.b Hanföl Speiseöl
Aus den Samen der Hanfpflanze, die einen hohen Fettgehalt von etwa 35 Prozent aufweisen, kann durch Pressen ein hochwertiges Speiseöl mit bräunlichgelber, grüngelber oder dunkelgrüner Farbe gewonnen werden. Tabelle 11 zeigt die Zusammensetzung des Öls im Vergleich.
In allen Speiseölen ist stets ein Gemisch von Fettsäuren vorhanden. Der Anteil der ungesättigten Fettsäuren liegt bei vielen Pflanzenölen bei 80 Prozent und mehr. Die wichtigste ungesättigte Fettsäure ist die zweifach ungesättigte (cis-)Linolsäure. Linolsäure ist essentiell, da sie vom Menschen nicht aufgebaut werden kann. Wichtig ist dabei, daß bei der Verarbeitung ein Teil der cis-verknüpften Doppelbindungen nicht in die trans-Form umgewandelt wird, damit der Körper daraus die notwendigen Botenstoffe produzieren kann, die aus der stabilen trans-Form nicht mehr herstellbar sind (Steinegger/Hänsel 1988).
Je nach Sorte und Anbaugebiet variiert der Anteil Linolsäure im Hanföl zwischen 46 und 70 Prozent (Körber-Grohne 1988) und liegt damit im gleichen Gütebereich wie Sonnenblumen- und Sojaöl. Kaltgepreßtes Hanföl schmeckt angenehm nussig und eignet sich damit gut für Salate, Gemüse und Süßspeisen (Katalyse 1994 b). Bei den gesättigten Fettsäuren finden wir beim Hanföl Palmitinsäure (4-10%) und Stearinsäure (4-10%) (Schuster 1992).
Tabelle 11: Die Zusammensetzung von Hanföl. Vergleich mit anderen Speiseölen (Angaben: in Prozentwerten; grau unterlegt sind die jeweils dominanten Ölbestandteile)
Bestandteile in Prozent | Hanföl | Sonnenblumenöl | Sojaöl | Rapsöl | Olivenöl | Erdnußöl | Leinöl |
gesättigte Fettsäuren | 9,5 | 7,5 | 14 | 6 | 14,5 | 17,5 | 13 |
ungesättigte Fettsäuren | 83,4 | 86,5 | 85 | 92 | 84 | 80 | 90 |
davon Linolsäure | 48,8 | 63 | 56 | 20 | 7,5 | 25 | 24 |
Linolensäure | 22,8 | 0,5 | 8 | 9 | 1 | – | 49 |
Ölsäure | 11,8 | 23 | 21 | 63 | 75,5 | 55 | 17 |
Quellen: Reuter 1987, Oetker 1983, Franke 1981
Hanföl ist wie alle Öle, die einen hohen Linolsäuregehalt aufweisen, sehr anfällig für Autoxidation und eignet sich insbesondere als hochwertiges kaltgepreßtes Speiseöl. Für den praktischen Gebrauch günstig ist, daß Hanföl bis zu Temperaturen von -15 °C flüssig bleibt (Schönefeld 1955). Da die als Pflanzenmargarine bezeichnete Margarinesorte mindestens 30 Prozent Linolsäure enthalten muß, eignet sich Hanföl auch zur Herstellung von Margarine (Katalyse 1990).
Jüngste Untersuchungen aus Japan haben gezeigt, daß Hanföl eine cholesterinsenkende Wirkung bei Ratten besitzt (Kemmoku 1992; vgl. auch Abschnitt 3.e).
Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, daß man die THC-freien Hanfsamen auch direkt verspeisen kann, wie dies früher durchaus üblich war (vgl. Abschnitt l.a). Die Samen könnten heute wie Leinsamen beispielsweise Müslispeisen beigemischt werden. Hanfsamen wird im übrigen traditionell als Vogelfutter verwendet und geschätzt.
Verwendung in technischen Produkten
Ob und wie weit nachwachsende Rohstoffe bei der Herstellung technisch-industrieller Produkte tatsächlich auch eingesetzt werden, hängt vor allem von zwei Faktoren ab: Erstens vom Informationsfluß und der Zusammenarbeit zwischen Rohstofferzeuger und Rohstoffabnehmer; Kontakte und Verständigung zwischen Landwirtschaft und verarbeitender Industrie sind aber traditionell eher schwierig. Zweitens darf der nachwachsende Rohstoff nicht oder nicht erheblich teurer sein als der bisher eingesetzte, an dessen Stelle er treten soll.
Wie Leinöl, das mit dem Differenzbetrag zwischen Ziel-und Weltmarktpreis bezuschußt wird (BML 1992), könnte auch Hanföl durch Bezuschussung konkurrenzfähig gemacht werden. Solche Finanzhilfen fördern das Interesse für nachwachsende Rohstoffe auf beiden Seiten, beim Erzeuger wie beim Abnehmer: Die Landwirtschaft muß sich darauf verlassen können, daß sich der Anbau in übersehbaren Zeiträumen lohnt, und die verarbeitende Industrie, daß der neue Rohstoff in ausreichender Menge lieferbar sein wird. Förderung des Informationsflusses und finanzielle Bezuschussung sind die geeignetsten Instrumente, um das Einsatzpotential nachwachsender Rohstoffe auszuloten und die Umstellung von konventionellen, nichtregenerierbaren Rohstoffen auf nachwachsende in Gang zu setzen.
Die Lebenslinie von nachwachsenden Rohstoffen beginnt mit der Aussaat und endet auf der landwirtschaftlichen Seite mit Ernte und Bereitstellung der Rohstoffe. In wenigen Verarbeitungsschritten können aus den Rohstoffen Produkte hergestellt werden, die nach Einbau, Nutzung und Gebrauch in der Regel der stofflichen Verwertung oder einer Kompostierung zugeführt werden können. Produkte, die nicht zu weitgehend verarbeitet sind, zeichnen sich durch gute Abbaubarkeit aus, ob sie nun als Waschmittel im Klärschlamm vorliegen, oder als Bauschuttbestandteile verfüllt werden.
Tabelle 12: Ölpflanzen im Vergleich (technische Nutzung)
Hanf | Lein | Raps | Sonnenblume | Soja | Rizinus | Ölpalme | Purgiernuß | |
Mittlerer Ölgehalt der Samen/Früchte in % | 35 | 38 | 43 | 39,7 | 20,3 | 48 | 33,3 | 35,9 |
Maximaler Ölertrag in kg/ha hr | 800 | 523 | 1702 | 1902 | 600 | 2750 | 4426 | 4000 |
Viskosität (39,7 °C) cSt | ? | ? | 43,5 | 35,5 | 36,2 | 285,5 | 39,8 | 29,0 |
Jodzahl | 158 | 186 | 99 | 130 | 131 | 101 | 51 | 105 |
Säurezahl | ? | ? | 181 | 197 | 194 | 4 | 206 | 9 |
Verseifungszahl | 192 | 192 | 176 | 190 | 190 | 168 | 207 | 185 |
Quellen: R. Seidel, Firma Eisbett Pflanzenkatalog 1993, ergänzt
Tabelle 13 vergleicht einige der wichtigsten Verwendungsmöglichkeiten von Hanföl mit denen von Lein-, Sonnenblumen- und Rapsöl, welche im Gegensatz zu Hanföl bereits als Rohstoffe eingesetzt werden. Bei diesem Vergleich wird aus der Gesamtlebenslinie nur die Phase des Gebrauchs betrachtet. Wegen der Vielzahl möglicher Nutzungen muß diese Zusammenstellung unvollständig bleiben.
Wozu sich Hanf- und andere vergleichbare Pflanzenöle eignen, hängt von ihrer chemischen Zusammensetzung ab, insbesondere von den relativen Gehalten an den diversen organischen Fettsäuren (vgl. Tabelle 11). Art und prozentualer Anteil ungesättigter Fettsäuren bedingen beispielsweise die Trocknungseigenschaften. Überhaupt bestimmt die Fettsäurezusammensetzung fetter Öle weitgehend ihre physikalischen Eigenschaften wie Viskosität und Schmelzpunkt (siehe Tabelle 14) sowie ihre chemischen Eigenschaften, die durch Jod-, Säure- und Verseifungszahl ermittelt beziehungsweise ausgedrückt werden. Ferner können Begleitstoffe die Haltbarkeit der oxidationsempfindlichen Fettsäuren günstig beeinflussen, sie können aber auch, wie es beim Raps ist, die Nutzbarkeit des Preßrückstandes erheblich einschränken.
Tabelle 13: Einsatzmöglichkeiten ausgewählter Pflanzenöle in technischen Produkten
Quellen: Ullmanns Encyklopädie 1976, Steinegger 1988, Franke 1976, BML 1992, Ökologische Briefe 1993, Seehuber, Dambroth 1984, Hondelmann 1984
Zusammenstellung und Ergänzung KATALYSE 1993
Weitere Verwendungszwecke von Hanföl
In der Papierindustrie für die Papierausrüstung. In der pharmazeutischen Industrie für die Herstellung von Salben gegen Ekzeme, Milchschorf, Psoriasis (Wagner 1982; vgl. auch Abschnitt 3.e).
In der Oleochemie zur Herstellung von Waschmitteln, Emulgatoren, Antischaummitteln, in der Kunststoffverarbeitung als Weichmacher, Stabilisatoren und Gleitmittel. In der Textilindustrie beispielsweise bei der Vorbehandlung der Fasern für verbessertes Gleiten bei der Textilherstellung.
Mit oder auch ohne weitere Verarbeitung der Öle als Treibstoffe für Verbrennungsmotoren (vgl. Abschnitt 3.c).
Darüber hinaus können auch die neben der Ölgewinnung anfallenden Kuppelprodukte wie Fasern, Schäben und Wachs in einer großen Anzahl von Produkten Verwendung finden, was sich günstig auf eine Gesamtökobilanz auswirkt.
Die bei der Ölgewinnung anfallenden Preßrückstände sind ein hochwertiges Viehfutter. Der Hanfkuchen besteht aus 4,3 Prozent Fett, 23,9 Prozent Protein und 10,3 Prozent Kohlenhydraten (Schönefeld 1955).
Fazit
Bei der Recherche über die Verwendungszwecke von Ölen aus nachwachsenden Rohstoffen und insbesondere von Hanföl fällt auf, daß eine Anzahl von Massenprodukten und eine schier unerschöpfliche Fülle von Spezialanwendungen gefunden werden können, für die bereits praktische Erfahrungen vorliegen oder potentielle Anwendungen im Bereich des Möglichen liegen. Insbesondere der Sektor Beschichtungen mit seiner unüberschaubaren Zahl von Spezialprodukten bietet sich neben der Verwendung im Nahrungsmittelsektor an. Verbrauchsprodukte mit geringer Verarbeitungstiefe wie grüne Schmierseife (ihre grüne Farbe hat sie vom Chlorophyll der Hanfpflanze) sind im allgemeinen leicht abbaubar. Die Gebrauchsprodukte, die sich durch langen Gebrauchsnutzen auszeichnen, binden das während des Wachstums aufgenommene Kohlendioxid langfristig und haben daher einen deutlich positiven Klimaeffekt.
In Ölfarben verbreitert Hanföl in Kombination mit Leinöl oder anderen nachwachsenden Ölen durch Variation der Eigenschaften die Palette potentieller Anwendungen.
Im Bereich Druckfarben können sie bei gleichzeitiger Nutzung als Reinigungsmittel eine umweltfreundliche integrierte Gesamttechnologie für den Offsetbereich bieten.
Die Kombination ungesättigter Fettsäuren ist für die Nutzung als Speiseöl ausgesprochen günstig; allerdings müßte die Nahrungsmittelindustrie ein Verfahren entwikkeln, mit dem die Fettsäuren schonend und ohne denaturiert zu werden haltbar gemacht werden können.
Insgesamt gesehen konkurrieren die Öle heimischer nachwachsender Rohstoffe miteinander nur wenig, sondern ergänzen sich geradezu in ihren chemisch-physikalischen Eigenschaften und decken nebeneinander eine breite Palette von Anwendungsmöglichkeiten ab. Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt man bei den Fasern, die man teilweise kombiniert aus den gleichen Pflanzen gewinnen kann (vgl. Abschnitt 3.a).
Wenn die vielfältigen Subventionierungen der chemischen Industrie – Ausnahme von der Mineralölsteuer, niedrigere Strompreise – gestrichen würden, dann wären Hanföl und andere nachwachsende Rohstoffe auch preislich konkurrenzfähig. In ihrer Qualität, ihrer Gebrauchstauglichkeit und Umweltverträglichkeit sind sie überlegen.
3.c Bioenergie Wege, aus Pflanzen Energie zu gewinnen
Prinzipiell gibt es verschiedene Wege, aus Pflanzen Energie zu gewinnen. Die wichtigsten sind: Bioethanol als Motorkraftstoff, Pflanzenöle als Kraftstoffe und das Verbrennen von Biomasse (einschließlich Pyrolyse).
Für die Hanfpflanze kommt die Nutzung als Pflanzenöl-Kraftstoff (»Biodiesel«) und das Verbrennen der Gesamtpflanze bzw. der Schäben in Frage; eine Ethanolherstellung ist aufgrund der fehlenden Zucker- und Stärkeanteile nicht sinnvoll.
Es soll aber an dieser Stelle ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß der Sinn einer energetischen Nutzung von Pflanzen sehr umstritten ist, da bei praktisch allen Verfahren nur relativ geringe positive Umwelteffekte bei relativ hohen Kosten erzielt werden können. Darauf kommen wir noch zurück. Beim Hanf kommt hinzu, daß die Pflanze, wie in den vorangegangenen Kapiteln gezeigt wurde, eine Reihe wertvoller Rohstoffe liefert und somit für eine energetische Nutzung eigentlich zu schade ist. Einzig und allein die Verwertung der bei verschiedenen Nutzungen zurückbleibenden Schäben und Reststoffe als Brennmaterial sollte in Betracht gezogen werden. Diese Art der »Abfallverwendung« wurde im übrigen auch in der Vergangenheit praktiziert.
Da aber gerade amerikanische Quellen auf die energetischen Aspekte der Hanfpflanze großen Wert legen, soll der Vergleich mit anderen Nutzpflanzen durchgeführt werden.
Zuvor jedoch soll eine kurze Übersicht über die wichtigsten Argumente zur energetischen Pflanzennutzung gegeben werden, aus der die prinzipielle Fragwürdigkeit dieser Verwertung hervorgeht (de Boo 1993):
– Energiebilanz: Neben dem eigentlichen Energiegewinn durch Nutzung der Pflanzen muß der Energiebedarf für Saatgutbeschaffung, Anbau, Ernte, Transport und Weiterverarbeitung betrachtet werden. Insgesamt ergibt sich, daß dann die Energiebilanz bei manchen Verfahren nur noch ganz knapp positiv ausfällt. Am schlechtesten schneidet die Gewinnung von Bioethanol aus Weizen und Zukkerrüben ab (bei heutiger Technik mit einem Erntefaktor von 1,02-1,3), am besten die Verbrennung von Stroh (10,3) und Pappeln (15,1). Die Gewinnung von Rapsölmethylester belegt einen Mittelplatz (2,5).
– Treibhausrelevanz: Während früher ausschließlich der bei Bioenergienutzung geschlossene Kohlendioxid-(CO2)-Kreislauf betrachtet wurde, der einen beträchtlichen Vorteil nachwachsender Rohstoffe gegenüber fossilen Brennstoffen bedeutet, weisen neue Studien auf die klimarelevanten Distickoxid-(N2O)-Emissionen infolge der notwendigen Düngung hin. Je nach Düngung kann hierdurch ein Großteil des CO2-Vorteils aufgehoben werden, so daß schließlich das Ersetzen fossiler Brennstoffe durch Biobrennstoffe nur noch eine relativ geringe Entlastung für den Treibhauseffekt bringt. – Der Preis zur Bereitstellung von Bioenergie liegt deutlich über dem von fossilen Brennstoffen und wird entsprechend subventioniert. Die Herstellung von Rapsölmethylester kostet beispielsweise das 4- bis 5fache von Diesel (ohne Steueranteil). Ölhaltige Pflanzen wie Raps, Sonnenblumen oder Sojabohnen gehören zu den in der EU am höchsten subventionierten Pflanzen.
Das Geld könnte erheblich effektiver im Bereich Energieeinsparungen, Wind- und Sonnenenergie investiert werden. Hinzu kommt, daß beispielsweise die Solartechnik das Sonnenlicht erheblich effektiver nutzt als Energiepflanzen. Der Energieertrag pro Hektar liegt um ein Vielfaches höher, und der Boden unter den Solarzellen bleibt zusätzlich nutzbar.
– Schadstoffabgaben an die Umwelt: Beim Anbau von Energiepflanzen gelangen Nitrate und Pestizide ins Grundwasser. Es ist zu befürchten, daß gerade bei Energiepflanzen in besonderem Umfang Dünge- und Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden, da hier keine futter- oder lebensmittelrechtlichen Einschränkungen vorliegen und aufgrund der nicht konkurrenzfähigen Bioenergiepreise der Ertrag mit allen Mitteln emporgetrieben wird. Allerdings zeigt sich immer wieder, daß der intensive Einsatz von Düngemitteln wie beispielsweise Nitraten wegen unverhältnismäßig geringer Ertragssteigerung nicht lohnt.
Beim Verbrennen entstehen Schadstoffemissionen, die denen fossiler Brennstoffe ähneln. So emittiert beispielsweise der Elsbett-Pflanzenölmotor Schadstoffe in der gleichen Größenordnung wie ein Dieselmotor. Bei einigen Schadstoffen weist der Pflanzenmotor Vorteile auf, bei anderen Nachteile. Mit anderen neuen Technologien, beispielsweise dem Wasserstoffmotor, kann, was Schadstoffemissionen betrifft, der Pflanzenölmotor in keiner Weise mithalten.
– Einzig und allein das thermische Verwerten ohnehin anfallender pflanzlicher Reststoffe, beispielsweise des Strohs beim Weizenanbau, scheint sinnvoll zu sein, da hierzu auch keine zusätzlichen Flächen benötigt werden. Allerdings ist auch dabei die ständige Entnahme von Biomasse – statt diese beispielsweise über Kompostierung wieder zuzuführen – kritisch zu sehen. Zur Minderung des Treibhauseffekts ist zudem eine Nutzung in dauerhaften Bauprodukten immer sinnvoller als eine Verbrennung.
Insgesamt ist also die Nutzung von Bioenergie aus ökologischer Sicht kaum oder nur in Spezialfällen sinnvoll. Diese allgemeine Aussage gilt sicher auch für die Hanfpflanze, selbst wenn diese beispielsweise durch den geringeren Bedarf an Pflanzenschutzmitteln in Teilbereichen durchaus ökologische Vorteile gegenüber anderen Pflanzen aufweisen mag.
Hanföl als Kraftstoff
»Von den möglichen Energieträgern aus agrarischer Produktion zeichnen sich Pflanzenöle dadurch aus, daß sie in flüssiger Form und mit einer hohen Energiedichte leicht gewinnbar sind. [...] Die meisten Pflanzenöle können unter gewissen technischen Voraussetzungen in reiner Form oder in beliebiger Mischung mit Dieselöl in selbstzündenden Motoren als Kraftstoff eingesetzt werden« (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 1990).
Bei der Nutzung werden zwei Wege unterschieden: zum einen die technische Anpassung der Motoren an die Pflanzenöle (Elsbett-Motor) und zum anderen die züchterische oder synthetische Anpassung des Pflanzenöls an herkömmliche Dieselmotoren (z. B. Rapsölmethylester). Letzteres führt zu deutlich höheren Kosten des Biotreibstoffs.
Hanföl kann ohne Probleme ebenso wie beispielsweise Rapsöl im Elsbett-Motor verbrannt werden (Seidel 1993) oder auch als Heizölersatz Verwendung finden.
Tabelle 14 schlüsselt auf, welche Werte der energetischen Nutzung Hanf im Vergleich mit anderen Ölpflanzen hat.
Die hier angesetzten Ölanteile von 35 Prozent konnten nach russischen Untersuchungen mit russischen und nichtrussischen Hanfsorten immer wieder übertroffen werden (Gorbacheva 1989). Eine holländische Studie gibt sogar Ölgehalte bis zu 45 Prozent an (Themagroep Regionale Ontwikkeling 1982).
Ob bei deutschen Witterungsverhältnissen niedrigere Werte oder nach entsprechender Züchtung sogar noch Ertragssteigerungen möglich sind, kann auf Basis des aktuellen Forschungsstandes nicht entschieden werden, da in Westeuropa in den letzten Jahrzehnten die Beschäftigung mit Hanf als Ölpflanze noch erheblich spärlicher ausfiel als die ebenfalls schon spärliche Faserhanfforschung.
Derzeir wichtigste Ölpflanze in der EU ist der Raps (Anbaufläche in Deutschland 1993: 1 Million Hektar; Agra-Europe 44/93), der – bei Übersehen der Hanfpflanze – als produktivste heimische Ölfrucht gilt: »Für die Bundesrepublik Deutschland ist Winterraps die Ölpflanze mit dem höchsten Ertragspotential. Das durchschnittliche Ertragsniveau von rund 3 t/ha weist große jährliche und räumliche Schwankungen auf. Spitzenerträge im Praxisanbau gehen deutlich über 4 t/ha hinaus, das Ertragspotential derzeit verfügbarer Sorten wird bei der Mehrzahl der Landwirte bei weitem nicht ausgeschöpft« (BMFT 1990).
Tabelle 14: Energetische Nutzung von Ölpflanzen im Vergleich
Hanf | Lein | Raps | Sonnenblume | Soja | Rizinus | Ölpalme | Purgiernuß | |
Mittlerer Ölgehalt der Samen/Früchte in % | 35 | 38 | 43 | 39,7 | 20,3 | 48 | 33,3 | 35,9 |
Maximaler Ölertrag in kg/ha Jahr | 800 | 523 | 1702 | 1902 | 600 | 2750 | 4426 | 4000 |
Oberer Heizwert in MJ/1 | 36,2 | 33,3 | 33,4 | 35,5 | 36,8 | 36,3 | 37,1 | 39,1 |
Schmelztemperatur in °C | 21,0 | 22,5 | 8,0 | 16,8 | 11,7 | 15,3 | 21,6 | 10,7 |
Dichte (20 °C) in g/cm! | 0,914 | 0,927 | 0,915 | 0,925 | 0,923 | 0,959 | 0,916 | 0,91 |
Anmerkung: Die Schmelztemperatur zeigt, ab welchen Temperaturen eine Kraftstoffvorheizung erforderlich ist.
Quellen: R. Seidel, Firma Eisbett Pflanzenkatalog 1993, ergänzt
Aus 3 t/ha resultieren bei einem Ölgehalt von 43 Prozent etwa 1300 kg/ha, aus 4 t/ha jährlich 1700 kg/ha Rapsöl (unter Vernachlässigung der Preß- und Extraktionsverluste). Der Rekordertrag liegt bei Raps bei 6 t/ha (Fischbeck 1982), was 2580 kg/ha Rapsöl entsprechen würde.
Das theoretisch maximale Produktionspotential an Rapsöl in Deutschland wird auf etwa 10 Prozent des derzeitigen Diesel- und Heizölverbrauchs geschätzt (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, 1990).
Fazit
Nach der eingangs diskutierten generellen Problematik energetischer Pflanzennutzung ist allerdings kaum zu erwarten, daß das Hanföl derzeit rentabel produziert werden kann und eine echte ökologische Alternative zum fossilen Treibstoff ist.
Hinzu kommt, daß Hanföl ein wertvolles Speise- und technisches Öl ist und diese Verwertungen sicher ökologisch wie auch finanziell attraktiver sind.
Stroh und Schäben als Brennstoff
Der Heizwert von Stroh, Getreideganzpflanzen, Schilf und sicher auch Hanfstroh liegt zwischen 14000 und 15000 kJ/kg und damit in derselben Größenordnung wie Holz, Torf und Braunkohle (Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, 1990). Die Pflanzen können als Ganzes oder entsprechend zerkleinert in speziellen Feuerungsanlagen verbrannt oder auch einer Pyrolyse unterzogen werden. Unter Pyrolyse wird im allgemeinen die thermische Zersetzung kohlenstoffhaltiger Substanzen unter Sauerstoffabschluß verstanden. Dabei werden die flüchtigen Bestandteile zu Pyrolyseöl kondensiert und die festen Bestandteile in Holzkohle überführt. Das Pyrolyseöl kann als Heizölersatz Verwendung finden, die Holzkohle als Grillkohle und Aktivkohle genutzt werden.
Entscheidend für die Brennstoffnutzung von Pflanzen ist der jährliche Biomassezuwachs pro Hektar. Entgegen anderslautenden Behauptungen aus dem amerikanischen Raum hat Hanf in diesem Punkt höchstens mittlere Werte, wie die Tabelle 15 zeigt.
Unter Umständen kommen die besten Hanfpflanzen in Rumänien auf noch etwas höhere Erträge, die bei 15 t/ha liegen könnten. Das läge aber immer noch nicht über den Stroherträgen des Getreideanbaus, die ohne zusätzlichen Flächenbedarf anfallen. Die in amerikanischen Quellen oft angegebenen 40 bis 50 t/ha beziehen sich auf das Naßgewicht der Hanfernte, das um etwa den Faktor 5 über dem Trockengewicht liegt.
Ein näherer Vergleich des Hanfs mit der C4-Pflanze und Riesenchinaschilf (»Elefantengras«), das als die Pflanze mit dem höchsten Hektarzuwachs gilt, erübrigt sich anhand dieser Zahlen. Erst bei etwa ähnlichen Erträgen kämen die Nachteile des Riesenchinaschilfs zum Tragen, beispielsweise schwierigerer Anbau, höherer Einsatz von Dünger, Pestiziden und Herbiziden sowie kein Einfügen in Fruchtwechsel aufgrund Mehrjährigkeit.
Ebenso sind bei der Pyrolyse keine Vorteile des Hanfs gegenüber anderen Pflanzen zu erkennen.
Verglichen mit anderen Pflanzen weist Hanf zudem den Nachteil auf, daß das Häckseln – ein notwendiger Schritt bei der energetischen Biomassenutzung – Probleme bereitet. So kommt es beim Häckseln, vermutlich aufgrund elektrostatischer Aufladung und/oder flüchtiger Öle, leicht zur Selbstentzündung (Pröpster 1993).
Vor allem ist Hanf wegen seiner Faser einfach technisch und finanziell zu wertvoll, um als Ganzpflanze verbrannt zu werden.
Hanf anzubauen, um Biomasse für die Energiegewinnung zu erzeugen, macht im Hinblick auf den Ertrag keinen Sinn. Etwas anderes ist es natürlich, wenn Reststoffe, die bei der Gewinnung der Langfaser beim Faserhanf oder der Samen beim Samenhanf anfallen, verwertet werden sollen. Zwar ist auch hier die Verbrennung nicht der einzige und vielleicht auch nicht der sinnvollste Verwertungsweg, aber auf jeden Fall sind hier nähere Analysen notwendig. Sinnvoll –und in der Vergangenheit schon praktiziert – könnte beispielsweise die energetische Nutzung der Schäben sein, die bei der Langfasergewinnung übrigbleiben und an Ort und Stelle als Energielieferant den Faserwerken zur Verfügung stehen. Der Anteil der Schäben am Hanfstroh liegt bei etwa 51 Prozent (du Bois 1981), ihr Brennwert bei 3500 kcal/kg (Reuter 1987). Die Schäben können ansonsten beispielsweise als Baumaterial genutzt werden (s.u.).
Tabelle 15: Biomassezuwachs verschiedener Pflanzen (Angaben: in Tonnen Trockenmasse pro Hektar und Jahr)
Schnellwachsende Hölzer (Europa) | 15 |
Stroh von Massengetreide | 12 - 18 |
Riesenchinaschilf | 15 - 25 |
Raps und Senf | 8 - 12 |
Hanf | 10 - 12 |
Quellen: A. Strehler 1991, Bericht des Bundes 1990, ergänzt
Aus Indien liegen Untersuchungen vor, daß die Ausbeute an Biogas aus Kuhmist durch das geeignete Hinzufügen von Hanf gesteigert werden kann (Biogas 1990).
3.d Verwendung im Bausektor
Schon früher wurden Hanffasern und Hanfschäben sowie aus ihnen hergestellte Produkte im Bausektor eingesetzt (vgl. Abschnitt l.b). Geschätzt wurden das gute Feuchte-absorptionsvermögen und ihre guten Wärme- und Schalldämmeigenschaften. Heute könnte eine Vielzahl von Bauprodukten aus Hanf hergestellt werden (vgl. Abbildung 4 in Abschnitt 5).
Etwas Besonderes und Neues hat die französische Firma Chènevotte Habitat – France Périer (F-72260 René) entwikkelt, die in Frankreich und Belgien bereits 200 bis 300 Häuser überwiegend mit Baustoffen aus Hanfschäben gebaut hat. Die Firma vertreibt Hanfschäben unter dem Namen »Isochanvre« (Isohanf), die als Bau- oder Isolationsmaterial verwendet werden können (Chènevotte Habitat 1993).
Die Hanfschäben werden in einem nicht näher erläuterten Prozeß mit einer mineralisierten Matrix umgeben. Das fertige Produkt besitzt laut Hersteller folgende Eigenschaften: Gute Wärmedämmung (Wärmeleitfähigkeit von 0,12 W/mK, vergleichbar mit Strohplatten und besser als Blähton), hohe Wärmespeicherkapazität, hervorragende Schallisolierung, Dampfdiffusionsoffenheit, Feuerfestigkeit, Unverrottbarkeit, natürliche Fungizidität, Elastizität, entwässernd und wasserabweisend, geringes Gewicht, nichtfreßbar für Nager, Termiten und andere Insekten.
Als Baumaterial wird Isochanvre mit hydraulischem Kalk und Zement ohne Zusatzstoffe gemischt und eingesetzt für Fundamente, Mauern, Böden, Decken und Verputz. Als Isolationsmaterial wird unvermischtes Isochanvre eingesetzt, das in Verkleidungen geschüttet wird. Es eignet sich für Böden, Innen- und Dachstuhlisolation.
Die baubiologischen Qualitäten von Isochanvre sollen laut Firmenangaben sehr hoch sein. Die Firma erwartet, noch im Jahr 1993 in Frankreich eine Ökoauszeichnung zu erhalten (Bröckers 1993).
Die geschilderte Verwertung von Hanfschäben im Bausektor dürfte zu der ökologisch sinnvollsten Nutzung der bei der Faser- oder Samengewinnung anfallenden Schäben gehören. In Bauprodukten wird der Kohlenstoff langfristig gebunden und trägt nicht mehr als Kohlendioxid zum Treibhauseffekt bei.
3.e Hanf als Heilmittel und Droge
Rauschwirkungen und medizinische Anwendungen des Hanfs sind nicht Gegenstand dieser Untersuchung, sollen aber aufgrund ihrer Wichtigkeit kurz angerissen werden.
Medizin
»Die Verwendung von Hanf in der Medizin hat eine tausendjährige Tradition und spielt auch heutzutage in der Volksmedizin einiger Länder noch eine beträchtliche Rolle. Seit 1980 ist (synthetisch hergestelltes, die Red.) THC in den USA als klinisch brauchbares Medikament klassifiziert und darf dort in 27 Staaten als erlaubtes Heilmittel vertrieben werden. Folgende Anwendungsgebiete zeichnen sich ab:
Antibiotika: Untersuchungen haben ergeben, daß CBD und eventuell auch andere Cannabinoide wirksam gegen grampositive Bakterien sind.
Antibrechmittel: Bei der chemischen Krebstherapie leiden viele Patienten unter Nebenwirkungen (Brechreiz, Übelkeit, Schwindel, Appetitlosigkeit), die durch eine THC-Behandlung bei 60 bis 70 Prozent der Patientinnen und Patienten entweder verschwanden oder sich deutlich verringerten.
Asthma: THC erweitert die Bronchien und ist, da Asthma auf einer Verengung der Atemwege beruht, damit pharmakologisch wirksam.
Augenleiden: THC bewirkt eine Senkung des Augeninnendrucks. Dieser Effekt ist bei der Behandlung des grünen Stars erwünscht, bei dem die Grundstörung in einer Erhöhung des Augeninnendrucks besteht.
Epilepsie: THC und CBD erhöhen die Krampfschwelle und entfalten somit antiepileptische Wirkung. Versuche ergaben, daß THC mindestens so wirksam ist wie die zur Zeit eingesetzten chemischen Medikamente.
Auch aufgrund ihrer beruhigenden und schmerzstillenden Wirkungen sind Hanfdrogen medizinisch einsetzbar« (Reuter 1987). Eine ausführliche Monographie zu diesem Themenkomplex ist gerade im Erscheinen (Grenspoon/Bakalar 1994).
Hanföl besitzt einen hohen Anteil Linolsäure und ist damit ein hochwertiges, gesundes Speiseöl (vgl. Abschnitt 3.b). Jüngste Untersuchungen aus Japan haben gezeigt, daß Hanföl eine cholesterinsenkende Wirkung bei Ratten besitzt (Kemmoku 1992). Des weiteren wird Hanföl medizinisch für die Herstellung von Salben gegen Ekzeme, Milchschorf und Psoriasis (Schuppenflechte) genutzt (Wagner 1982). Hanföl kann gegen verschiedene Bakterien eingesetzt werden, wie beispielsweise Staphylokokken, Streptokokken und Mykobakterien (Fournier 1978a). Es eignet sich zudem als biologisches Schädlingsbekämpfungsmittel beispielsweise gegen Planarien (Strudelwürmer), die in Aquarien Fischeier und die schlüpfende Brut befallen oder in Gewächshäusern an Pflanzen Schäden anrichten können (Fournier 1978b).
Die Gewinnung von THC und CBD aus den Blättern der Pflanze beeinträchtigt eine Faser- oder Samennutzung nicht und kann somit eine zusätzliche Einnahmequelle sein. Die THC-Gewinnung ist allerdings nur bei THC-reichen Sorten sinnvoll (die aufgrund internationaler Drogengesetze in der Regel nicht für die Faser- und Samengewinnung angebaut werden), CBD hingegen kann aus Faserhanf sehr günstig gewonnen werden.
Rauschmittel
Hanf in Form von Marihuana (Zweigspitzen und Blätter) und Haschisch (Harz) gehört zu den beliebtesten Alltagsdrogen in Deutschland. Nach Alkohol, Kaffee, Tee und Zigaretten folgt Hanf mit geschätzten 2 bis 4 Millionen Cannabiskonsumenten, die pro Jahr etwa 50 bis 300 Tonnen Marihuana bzw. Haschisch konsumieren (Neskovic und Behr, in: Rippchen 1992, sowie Thamm 1989). 300 Tonnen Marihuana entsprechen bei einem Endkundenverkaufspreis von 10 DM/g etwa 3 Milliarden DM. Beim Anbau von Drogenhanf können in warmen Ländern pro Hektar und Jahr 2 bis 4 Tonnen Zweigspitzen (Marihuana) geerntet werden (Ebert 1982), in unseren Gegenden etwa 1 Tonne (Kessler 1987).
Zur Deckung des deutschen Cannabiskonsums wäre demnach maximal eine Anbaufläche von lediglich 300 Hektar THC-reichen Hanfs notwendig.
Nach einem Vorstoß des Richters Neskovic vom Lübekker Landgericht muß das Bundesverfassungsgericht prüfen, ob das Betäubungsmittelgesetz mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz im Grundgesetz vereinbar ist. Der Richter stellte nämlich in seinem detailliert begründeten Beschluß 1992 fest: »Alkohol und Nikotin sind sowohl für den einzelnen als auch gesamtgesellschaftlich evident gefährlicher als Cannabisprodukte« (die vollständige Begründung des Urteils Jz.-713Js 16817/90 StA Lübeck – 2 Ns Kl. 167/90 ist zu finden in: Rippchen 1992).
Seit Jahren wird in Europa über eine Entkriminalisierung des Cannabiskonsums nachgedacht, und führende Drogenexperten gehen davon aus, daß die Cannabisprohibition in Deutschland noch vor der Jahrtausendwende gelockert werden wird, vor allem deshalb, weil die Cannabisprohibition, genauso wie Anfang des Jahrhunderts die Alkoholprohibition in den USA, verantwortlich gemacht wird für einen großen Teil der Drogenprobleme sowie für den wachsenden Einfluß illegalen Kapitals. Spätestens nach Lockerung der Prohibition würden auch die Anbauverbote für THC-armen Faser- und Samenhanf jeglichen Sinn verlieren und fallen.
Hanf ist ein Genußmittel
Die derzeitige Drogenpolitik basiert auf Fehlinformationen, Tabus und Ideologisierung, und es werden kaum Wege zur Entschärfung gesucht. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Anwendung des Strafrechts hinsichtlich Besitz und Konsum von Cannabisprodukten ist nicht neu und wird seit den 70er Jahren in Literatur und Rechtsprechung diskutiert. Mit dem Lübecker Beschluß des Richters Neskovic im Februar 1992 gab es ein erstes Urteil, das die Verfassungsmäßigkeit in Frage stellte und die Befürwortung der Straffreiheit für Cannabisprodukte forderte. Die Kammer war der Auffassung, daß das Recht auf Rausch im Rahmen der freien Entfaltung der Persönlichkeit geschützt ist. Das Urteil entfachte einen wahren Boom der Berichterstattung um die verbotene Hanfpflanze und deren Konsumprodukte und eine intensive öffentliche Diskussion. Im April 1994 erließ das Bundesverfassungsgericht ein Urteil, nach dem der Umgang mit Hanf zwar weiterhin verboten bleibt, der gesetzliche Rahmen aber überdacht und geändert werden soll. So sprechen sich SPD und GRÜNE für eine Liberalisierung aus, während FDP und CDU/CSU auf Altbewährtes verweisen und am Verbot als Präventivmaßnahme festhalten. Über ein Jahr ist seit dem Urteil vergangen, in dem keine Vereinheitlichung der Rechtsprechung erzielt werden konnte. Das Gegenteil wurde erreicht; durch die äußerst unterschiedliche Auslegung in verschiedenen Bundesländern ist eine große Rechtsunsicherheit, die sich zunehmend auch bei behördlichen Stellen ausbreitet, entstanden.
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 9. März 1994 den Besitz von Cannabis weiterhin verboten, wobei im Normalfall (geringe Menge, gelegentlicher Konsum) von einer Bestrafung abgesehen werden muß. Bestraft werden soll nur noch der Genuß bei Fremdgefährdung. Da die Begriffe »geringe Menge« und »gelegentlich« vom Bundesverfassungsgericht nicht definiert wurden, tagten am 5. Mai 1994 die Innenminister der Bundesländer, um eine einheitliche Meinung festzusetzen, was jedoch nicht gelang. So steht man nun vor dem Dilemma unterschiedlicher Bewertungen, was als »geringe Menge« anzusehen ist. Nach §31 des Betäubungsmittelgesetzes können Verfahren unter gewissen Voraussetzungen eingestellt werden.
Deutlich muß gesagt werden, daß die Verfahrensweise (Ermittlung, Vernehmung, Anzeige usw.) weiterhin bestehen bleibt und daß nur bei Vorliegen der Kriterien (geringe Menge und gelegentlicher Konsum) von einer Bestrafung abgesehen wird. Tatsache ist und bleibt, daß die allermeisten Cannabiskonsumenten ihren Konsum zum Zwecke des Genusses betreiben, damit ist Hanf ein Genußmittel im Sinne der Definition. Angesichts der weitgehenden faktischen Unbedenklichkeit von Cannabisprodukten wäre es nur konsequent, eine Regelung des Besitzes und Konsums von Cannabisprodukten im Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG) zu verankern, wie es auch für andere Genußmittel üblich ist. Cannabis durch das LMBG zu regeln, wirft keine größeren Schwierigkeiten auf, da mit Tabak (respektive Nikotin) bereits ein Genußmittel geregelt wird, das durch Inhalation in die Lunge aufgenommen wird – ebenso wie dies bei Cannabis in der Regel der Fall ist.