Es stimmt nicht, daß gegen die Dummheit kein Kraut wächst. Es wird nur keines angepflanzt.

G. Ch. Lichtenberg

Die Ökoindustrie von morgen

Als dieses Buch im September 1993 erschien, war die Nutzpflanze Hanf in Deutschland nahezu unbekannt. Außer der Tatsache, daß man aus den Fasern Seile und Installations-dichtungen machen kann, war das Wissen um die Pflanze und ihre universelle Verwendbarkeit verlorengegangen. »Hampf? – Wie schreibt man das?« fragte eine freundliche Telefonstimme beim Landwirtschaftsministerium in Bonn, als ich bei meinen Recherchen dort nach einem »Experten für Hanf« verlangt hatte. Selbst das Wort gehörte vor drei Jahren zu den aussterbenden Arten. »Haschisch«, »Marihuana«, »Cannabis« –, die Drogenschlagwörter hatten das diskursive Feld überwuchert und den guten alten »Hanf« fast zum Verschwinden gebracht. Noch ein paar Jahre oder Jahrzehnte, und »Hanf« wäre im Duden wahrscheinlich als »veraltete Bezeichnung« geführt worden. Daß »Hanf« heute wieder einen ganz anderen Klang hat, daß die Pflanze zum Synonym für nachwachsende Rohstoffe, für nachhaltige Kreislaufwirtschaft und die grüne Industrie von morgen geworden ist, verdankt sich nicht Politikern oder Wissenschaftlern, nicht Unternehmens- oder Landwirtschaftsplanern, nicht Ökologen oder Ökonomen, sondern in erster Linie einem Außenseiter, einem Graswurzel-Freak, Althippie und Marihuanaliebhaber: Jack Herer.

Als er Anfang der 80er Jahre begann, Informationen über die Nutzpflanze Hanf zu sammeln und auf Flugblättern zu verbreiten, hielt die amerikanische Alternativszene und die »Legalize«-Bewegung das alles für spinnert. (Eine »Schnapsidee« würde man im promillebelasteten Deutschland heute sagen; unsere Großeltern, die ihre schönen Träume noch beim »Knaster-Rauchen« träumten, hätten das wahrscheinlich »starken Tobak« genannt.) Jack Herer ließ sich von derlei Kritik nicht beirren. Er sammelte weiter Material und historische Informationen über Hanf und die Hanfprohibition. Aus den Flugblättern wurden immer umfangreichere Broschüren und schließlich ein im Selbstverlag veröffentlichtes Buch.

Heute, wo Cannabis als der Biorohstoff des 21.Jahrhunderts gilt, rangeln natürlich viele um die Vaterschaft dieses Erfolgs. De facto wäre Hanf aber ohne Jack Herer, ohne seinen Dickschädel, ohne seine Beharrlichkeit und seine Begeisterung eine verpönte, verbotene und vergessene Pflanze geblieben – in den Vereinigten Staaten, in Deutschland und dem Rest der Welt. Und all jene, die über seine Arbeit heute die Nase rümpfen – »zu euphorisch«, »unkritisch«, »unwissenschaftlich« und »viel zu optimistisch« –, müssen sich fragen lassen, warum sie denn nicht auf den Hanf gekommen sind – nüchtern, kritisch und sachlich. Gott sei Dank müssen Pioniere solcherlei Sekundärtugenden nicht besitzen. Würden Pionierleistungen und Entdeckungen von kritischen Kritikern und nüchternen Klarsichtfolien-Liebhabern erbracht, schlurfte die Menschheit vermutlich noch immer radlos durch die Steppe.

Überschwang, Begeisterung und optimistisches Über-den-Pudding-hauen sind unverzichtbar. Deshalb haben wir Jack Herers Text für die deutsche Ausgabe auch nicht auf nüchtern und sachlich getrimmt, seine Leidenschaft und seinen Optimismus nicht herausredigiert. Und es muß auch heute, drei Jahre nach Erscheinen, keine Zeile, keine Ungenauigkeit und keine überschwengliche Formulierung dieses Buches zurückgenommen werden. An seiner Grundthese, daß es sich bei Cannabis sativa um den vielseitigsten nachwachsenden Rohstoff überhaupt handelt und seine universelle Nutzung viele unserer ökologischen Probleme lösen kann, haben auch die kritischsten Kritiker nicht rütteln können. Vielmehr wurden Hunderte von Landwirten und Wissenschaftlern, Unternehmen und Forschungsinstitute durch das Buch animiert, sich wieder mit der Hanfpflanze zu beschäftigen. Die Erkenntnisse, die im praktischen Umgang mit Hanf und seinen Produkten seitdem gewonnen wurden, geben ebenfalls keinen Anlaß, die euphorischen Thesen dieses Buchs zurückzunehmen. Im Gegenteil, viele der inzwischen gesammelten praktischen Erfahrungen sind so aufregend und vielversprechend, daß wir heute noch einiges an Optimismus nachlegen können. Nicht nur weil in kürzester Zeit aus dem Nichts ein neuer, millionenschwerer Markt für Hanf entstanden ist, sondern weil viele Hanfprodukte ganz einzigartige, unnachahmliche Eigenschaften besitzen, von denen noch niemand etwas wußte, als wir die Geschichte und »Theorie« des Hanfs vor drei Jahren publiziert haben, und die erst im praktischen Umgang mit der wiederentdeckten Nutzpflanze überhaupt bekannt und entdeckt worden sind.

Die wunderbarsten Theorien, Hypothesen und Innovationsvorschläge sind nichts wert, wenn sie im Praxistest, in der Alltagstauglichkeit scheitern. So mancher Höhenflug einer Entdeckung hat schon den ersten Crashtest auf dem Boden der Tatsachen nicht überstanden. Mit Hanf erleben wir genau das Gegenteil: Je mehr Erfahrungen wir damit sammeln, je genauer wir diesen Rohstoff und seine verschiedenen Produkte unter die Lupe nehmen, desto vielversprechender und praxistauglicher erweisen sie sich. Und das ist alles gar kein Wunder: Nicht von ungefähr hat die Menschheit diese Pflanze seit 12 000 Jahren genutzt – als Nahrungsmittel und Textilfaser, als Heilkraut und Öllieferant, als Baumaterial und Papierrohstoff. Für all diese Zwecke wären auch viele andere pflanzliche Rohstoffe in Frage gekommen, aber daß überall und so oft die Hanfpflanze bevorzugt wurde, hat mit der einzigartigen Qualität ihrer Produkte zu tun. Als reine Modeerscheinung, als von einem Buchbestseller ausgelöster neuer Trend der Saison wäre die Hanf-Idee heute, nach zweieinhalb Jahren, schon längst wieder tot.

»Glauben Sie wirklich, daß Hanf eine Wunderpflanze ist und den Planeten retten kann?« – So oft mir diese etwas verfängliche Frage gestellt wurde, so oft habe ich ein einfaches »Ja« oder »Nein« darauf verweigert. Natürlich sind die Probleme unseres Planeten viel zu komplex, als daß sie mit einer Lösung allesamt und ein für allemal erledigt werden könnten. Wer vorgibt, mit einer Antwort (oder einem Wunder) alle Fragen lösen zu können, ist naiv, verrückt oder beides. Und doch gibt es keine andere Antwort auf eine ganze Reihe drängender Notstände dieses Planeten, die in so vielen Problembereichen in die richtige Richtung weist, wie die Pflanze Hanf: ökologisch, ökonomisch, sozial und spirituell. Die bauernfängerische Frage habe ich deshalb immer mit einem vorsichtigen »Ja!« beantwortet, das heute noch viel optimistischer und positiver ausfällt als vor drei Jahren. Damals haben wir das dicke gelbe Hanfbuch als einen Wegweiser in die Welt gesetzt, der ins Reich der Ideen verwiesen hat – real war, außer ein paar Klempnerfäden Hanf und tonnenweise illegalem Haschisch, die Pflanze nicht vorhanden. Mittlerweile ist aus dieser Idee eine unübersehbare Realität geworden – in fast jeder Stadt gibt es HanfHäuser mit Hunderten verschiedener Produkte aus Hanf, es gibt Messen, Konferenzen, Fachsymposien und vor allem eine hanfanbauende Landwirtschaft und eine hanfverarbeitende Industrie, die nach dem Fall der Anbauverbote jetzt endlich aus den Startlöchern kommt.

Der Hanf vor Gericht: Die Bremser werden ausgebremst

Wenige Tage nachdem das Buch im Herbst 1993 erschienen war, meldete sich bei mir der Vertreter einer Agrargenossenschaft aus der Nähe von Potsdam. Auf ihren Flächen war bis in die 60er Jahre Hanf angebaut worden, und diese Kultur wollten die Bauern jetzt wieder aufnehmen. Nachdem der Antrag zum Anbau von 110 Hektar Hanf von der Bundesopiumsteile abgelehnt worden war, wurde vor dem Verwaltungsgericht Berlin Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland erhoben. Die rechtliche Argumentation der Agrargenossen, daß in Deutschland nicht bestraft werden kann, was von der EU offiziell subventioniert wird, und daß THC-armer Hanf keine Droge im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes ist, wurde durch zwei Gutachten unterstützt. Der Verfasser des Standardkommentars zum BtM-Gesetz, Harald Körner, untermauerte diese Ansicht ebenso wie ein Gutachten von Michael Karus und dem Katalyse-Institut, das nachwies, daß THC-armer Hanf keine »kumulative Wirkung« hat. Anders als zum Beispiel alkoholfreies Bier, dessen Alkoholreste bei reichlichem Trinken durchaus zu einem Rausch führen, ist mit den THC-Resten im Faserhanf auch bei intensivem Konsum kein »High« zu erzielen. Man muß kein Jurist sein, um diesen Fall gerecht entscheiden zu können. Es war klar, daß die Bauern dieses Verfahren gewinnen würden. Dennoch wurde eine einstweilige Verfügung, der Klage rechtzeitig bis zum Aussaattermin im Frühjahr 1994 stattzugeben, abgelehnt. Das Verfahren wurde auf die lange Gerichtsbank geschoben, der Hanfanbau blieb ein weiteres Jahr lang verboten. Nach der Ablehnung einer weiteren Verfügung im Frühjahr 1995 ging der Fall dann vor die nächste Instanz, das Oberverwaltungsgericht Berlin, das ebenfalls über lange Bänke verfügt. Der Rechtsstreit ruhte dort noch ein weiteres Jahr. Doch Ende 1995 signalisierte das Gericht, daß es zum Frühjahr 1996 entscheiden würde. Erst unter diesem Druck ließ sich das Bundesgesundheitsministerium herbei, mittels einer Anlage zum Betäubungsmittelgesetz endlich die rechtlichen Voraussetzungen für den industriellen Hanfanbau zu schaffen. Im Februar und März 1996 passierte die Änderung Parlament und Bundesrat, und das Landwirtschaftsministerium veröffentlichte ein Merkblatt mit den Anbau- und EU-Förderungsbedingungen für Hanf.

Damit kann erstmals seit 15 Jahren in Deutschland wieder Hanf angebaut werden. Daß es aber zweieinhalb Jahre gedauert hat, eine solche Genehmigung zu erhalten, zeigt, auf wieviel Begeisterung und Engagement dies bei der Kohl-Regierung stößt. Nach einer Fernsehdiskussion anläßlich der »Grünen Woche« in Berlin nutzte ich ein informelles Privatissimum mit dem zuständigen Staatssekretär des Landwirtschaftsministeriums, Dr. Gröbl, der neben mir abgeschminkt wurde, für die Frage, wie er denn den Aufbau einer hanfver arbeitenden Industrie zu fördern gedenke. »Ja, also mit Millionen können Sie da nicht rechnen«, meinte er und fügte auf meine Gegenfrage, ob er an eine Förderung von 3 Mark 50 denken würde, lachend hinzu: »Wenn der Hanf so gut ist, wie Sie sagen, dann braucht er ja eigentlich gar keine Förderung.« Sein Referent für nachwachsende Rohstoffe, Dr. Seehuber, treibt es noch toller und verkündet auf Diskussionsveranstaltungen landauf, landab, daß der Rohstoff Hanf sowieso »keine Chance« habe.

Dies sind nicht irgendwelche Leute, sondern die nach Kanzler und Minister höchsten Entscheidungsträger in Sachen nachwachsende Rohstoffe in diesem Land. Ohne den Druck der Öffentlichkeit, von Medien, Bauern- und Naturschutzverbänden sowie der Oppositionsparteien und ohne die drohende Niederlage vor Gericht hätten sich diese Hanfbremser bis heute keinen Zentimeter bewegt. Wenn in diesem Frühjahr erstmals wieder Hanf angebaut wird und ein universeller Rohstoff in ein rohstoffarmes Land zurückkehren kann, hat dies nichts mit der Weitsicht und Innovationsfreudigkeit der Regierung zu tun, geschweige denn mit einer Erleuchtung des Kanzlers, wie denn ein ökologischer Umbau der Industriegesellschaft durch Schaffung regionaler Kreislaufwirtschaften aussehen könnte. Symptomatisch ist die Äußerung des bayerischen Innenministers Beckstein Anfang 1994 auf die Frage der ARD, was er von dem Bestreben brandenburgischer Bauern, wieder Hanf anzubauen, halte: Da seien doch nur »Drogenkriminelle und Altkommunisten« am Werke.

Hanf: Alleskönner und Superspezialist

Wären die Vorschläge, Hanf wieder als Biorohstoff zu nutzen, von den Autoren dieses Buches bei einem Haschpfeifchen ausgeheckt und als Öko-Fake in die Welt gesetzt worden, der Scherz wäre ganz schnell aufgeflogen. Denn Kritiker und Bedenkenträger stürzten sich natürlich mit Akribie auf das in Fülle ausgebreitete Datenmaterial. Abgesehen von einer Zahlenangabe im Ökogutachten – dem in einer Tabelle angegebenen Durchschnittsölertrag von 400 (nicht, wie es versehentlich heißt, 4000) Litern pro Hektar – ist bis heute, in über hundert Kritiken und Rezensionen des Buchs, kein eklatanter Fehler moniert worden. Selbst Professor Bocsa aus Kompolt (Ungarn), der sein Leben lang Hanfforschung betrieben hat und in seiner Besprechung für das Journal der »International Hemp Association« an einigen Punkten unsere aus streng wissenschaftlicher Sicht zu optimistische Einschätzung kritisiert hatte,war insgesamt des Lobes voll. Und es war schon ein wenig bewegend, als er sich zusammen mit einem anderen Cannabis-sativa-Veteranen, Professor Plarre, der bis in die 60er Jahre an der FU Berlin Hanfforschung betrieben hatte, bei uns jungen Hänflingen bedankte. Anlaß war das Symposion »Biorohstoff Hanf« im Frühjahr 1995 – die mit über 200 Experten aus aller Welt größte Hanfkonferenz des Jahrhunderts, die als direkte Folge unserer Buchpublikation und auf Initiative meines Mitautors Michael Karus zustande gekommen war. Doch mindestens so beeindruckend wie das, was auf der Konferenz über den Stand der Hanfforschung und ihre Perspektiven erörtert wurde, war der »praktische« Teil, der nebenan auf dem Messegelände stattfand – die Messe »Biorohstoff Hanf« mit über 40 Ausstellern von Hanfprodukten. Ich wandelte durch diese Messe wie durch ein Traumland. 18 Monate vorher hatte ich mit meiner Frau und zwei Freunden das »HanfHaus« gegründet und das Ganze eigentlich nur als Produktservice für interessierte Leser/innen des Buchs geplant. Die riesige Nachfrage und die Tatsache, daß die Leute uns die Bude einrannten, führten im April 1994 zur Eröffnung des ersten HanfHaus-Ladens, mit kaum einem Dutzend Produkten. Und jetzt, ein Jahr später, diese Messe mit einer riesigen Vielfalt von Produkten und Anbietern! Daß mindestens 15 deutsche Universitäten und Forschungseinrichtungen, angeregt durch unser Buch, wieder Hanfforschung betrieben und daß nebenan auf der Konferenz die Creme der internationalen Hanfexperten diskutierte, war großartig. Hier wurden die Sachen praktisch und greifbar, das war einfach phantastisch: vom Baumaterial bis zum Hanfburger, von der Jeans bis zum Waschmittel, vom Speiseöl bis zu Farben und Lacken.

Das Universum von Alltagsprodukten aus Hanf hatte sich innerhalb weniger Monate aus einer »verrückten« Idee in eine unverrückbare Realität verwandelt. Und wem verdanken wir dieses blitzartige Comeback in die Wirklichkeit? Einerseits sicher der Tatsache, daß eben nichts so stark ist wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist, und daß an einem bestimmten Punkt dann jener berühmte Schmetterlingsflügelschlag ausreicht, um ein Gewitter auszulösen. Andererseits aber vor allem dem Umstand, daß es sich ja um gar nichts Neues, Innovatives, Revolutionäres handelt, sondern um eine uralte, seit der Steinzeit bewährte Sache. Warum haben die Menschen über Jahrtausende hinweg den Hanf so universell genutzt, warum haben sie ihn für Textilien bevorzugt, wo es doch viele andere Faserpflanzen gibt? Warum für Papier, wo man aus Zellstoff von Hunderten von Pflanzen Papier machen kann? Warum wurde Hanföl als Holzschutz und Grundstoff für Farben den meisten anderen Pflanzenölen vorgezogen? Warum als Lampenbrennstoff und als Hautöl? Warum hat Hanfsamen bei Mensch und Tier zur begehrtesten Nahrung überhaupt gehört, warum Hanfblüten zu den weitverbreitetsten Heil- und Genußmitteln? Warum unter Tausenden von Alternativen im Pflanzenreich immer und ausgerechnet Cannabis? – Weil die Produkte dieser Pflanze über ganz einzigartige und unnachahmliche Eigenschaften verfügen. Hanf ist nicht einfach nur ein schnellwachsender und vollständig verwertbarer Biorohstoff, einer der vielen pflanzlichen Alles-könner, die von der Wurzel bis zur Blattspitze irgendwie genutzt werden können, sondern er verfügt in seinen mannigfaltigen Einsatzbereichen jeweils über herausragende und eigentümliche Qualitäten.

Textilien

Am 23. April 1994 präsentierten wir zur Eröffnung des ersten HanfHaus-Ladens in Berlin die erste Jeans der Neuzeit aus 100 Prozent Hanf. Zwei Tage vorher war sie aus Ungarn eingetroffen, und wir feierten das als Sensation. Ein Jahr zuvor war uns nach langen Recherchen noch stolz ein Stoff aus 50 Prozent Hanf und 50 Prozent Polyester präsentiert worden – daß jemand 100 Prozent Hanf verlangte, das fanden die Produzenten in Ungarn, Rumänien und China ziemlich kurios, wo doch Polyester genauso lange hält und billiger ist. Die Produktion von Hanfgarnen und -geweben wurde in diesen Ländern noch aus dem vorigen Jahrhundert mitgeschleppt, auf veralteter Maschinerie und eher als Relikt denn als Zukunftsindustrie – bis dann 1992/93 die ersten Interessenten aus den USA, England und Deutschland auftauchten und für reines, weiches Hanfgewebe harte Dollars boten. Seitdem hat sich die Produktion sprunghaft gesteigert, und der scheintote Hanf beginnt in Rumänien und Ungarn zum Exportschlager zu werden.

Mit Hanf wird gemeinhin ein grobes, sackartiges Gewebe assoziiert – Haltbarkeit, ja, aber Weichheit, Feinheit, Hautfreundlichkeit? Der erste Mensch, der mir in Hanfhosen begegnete, war Jack Herer. Er schwärmte in den höchsten Tönen: »Du kannst so eine Hose wochenlang tragen, ohne daß sie schlecht riecht. Sie hält kühl, wenn es warm ist, und wärmt, wenn es kalt ist. Sie ist weich und angenehm auf der Haut. Die haltbarste Naturfaser der Erde, absolut perfekt.« Ich hielt das für eine hemmungslose Übertreibung. Keine zehn Pferde hätten mich je in so ein pumphosenartiges Teil hineingebracht. Doch als die ersten halbwegs tragbaren Jeans und Hemden fertig waren, fand ich Jacks Ansichten über die Trageeigenschaften von Hanfstoffen voll bestätigt. Diese Besonderheiten haben nichts mit Mythos oder Einbildung zu tun, sondern mit den physikalischen Eigenschaften, die diese Faser von Natur aus hat. Sie kann besser als die meisten anderen Naturfasern mit Feuchtigkeit umgehen. Sie kann sehr viel Wasser oder Schweiß aufnehmen und über die Verdunstung wieder abgeben, ohne selbst chemisch zu reagieren. Daß ein Baumwoll-T-Shirt oft schon nach einem halben Tag verschwitzt riecht, hat zum einen mit den vielen Textilgiften zu tun, mit denen auch als »100 Prozent Cotton« zertifizierte Textilien »ausgerüstet« sein dürfen. Zum anderen geht aber die Hanffaser mit der aufgenommenen Feuchtigkeit ganz anders um. Der Jahrhundertsommer 1995 bot mit seiner Rekordhitze für die ersten T-Shirts aus 100 Prozent Hanf eine Testphase nach Maß. Unsere kühnen Erwartungen wurden sogar noch übertroffen. Selbst bei 35 Grad im Schatten konnte man dieses Shirt tagelang tragen, ohne daß es klebte oder muffte. Was es an Wasch- und Energiekosten einspart, wenn Hanfkleidung länger frisch bleibt, wird sicher bald in Ökobilanzen nachgerechnet werden. Daß sie beim Tragen subjektiv als unvergleichlich angenehm empfunden wird und gerade bei Hitze hervorragend funktioniert, kann jeder ohne Ökostatistik für sich selber herausfinden. Nicht von ungefähr wurde früher Unterwäsche aus Hanf vor allem Hautempfindlichen und Rheumatikern empfohlen. Neuere Untersuchungen haben dies noch auf anderem Gebiet bestätigt: Das feinelektrische Spannungsniveau von Bastfasern (wie Flachs und Hanf) entspricht dem der Körperoberfläche und wirkt auf die Haut entspannend. Hanf ist absolut antistatisch und insofern das genaue Gegenteil von Kunstfasern wie Nylon, die alle Körperhaare zu Berge stehen lassen.

Neben diesen physikalischen Vorzügen hat die Hanffaser viele ökologische Vorteile. Vom Anbau bis zur Ernte müssen keinerlei Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Auch die Weiterverarbeitung kann völlig ohne umweltschädlichen Chemieeinsatz vonstatten gehen. In Rumänien rotten die Hanfstengel nach der Ernte für einige Tage in Wasserbassins, das Abwasser kommt als Dünger wieder auf die Felder. Nach der Röste werden die Stengel getrocknet und mechanisch entholzt, danach gehechelt und versponnen. Verglichen damit ist die Baumwollgewinnung eine wahre Giftorgie: Während des Wachstums werden über den Plantagen nahezu wöchentlich Pestizide und Herbizide ausgebracht. Geerntet wird, abermals per Flugzeug aus der Luft, durch Sprühen von Entlaubungsmitteln. Diese perverse Art der Pflanzenkultur hinterläßt nicht nur verseuchte Böden und Katastrophengebiete wie um den fast ausgetrockneten Aral-See – sie schlägt sich auch direkt auf der Haut nieder. Giftrückstände in der Bekleidung haben in den letzten Jahrzehnten zu einer rasanten Zunahme von Allergien geführt. Weniger als ein Prozent der Weltproduktion von Baumwolle wird ökologisch angebaut. Beim Hanfanbau hingegen sind Pestizide unnötig und werden (bis auf ganz seltene Ausnahmen) bislang nirgendwo eingesetzt.

Welche Marktchancen haben Hanftextilien? Gegenwärtig kann Hanfbekleidung vom Preis her gegen Baumwolle nicht konkurrieren. Konkurrenzfähige Preise werden erst dann möglich, wenn Hanftextilien keine winzige Marktnische mehr bilden, Hanf wieder verstärkt angebaut wird und moderne Techniken der Weiterverarbeitung zur Verfügung stehen. Durch moderne Verfahren des Faseraufschlusses, wie beispielsweise der vom IAF Reutlingen entwickelte Dampffaseraufschluß, die ein spezifisches »Design« der Faser für den jeweiligen Einsatzzweck ermöglichen, kann Hanfgewebe Baumwolle vollwertig ersetzen. Das Gewölle, das bei diesem Aufschlußverfahren entsteht, kann auf den üblichen Baumwollmaschinen versponnen werden und sämtliche Produkte liefern, die heute aus Baumwolle hergestellt werden. Als Voraussetzung für industrielle Massenverarbeitung muß aber zuerst einmal eine heimische Hanffaserverarbeitung aufgebaut werden. Dabei kann auf die Erfahrungen der Flachsindustrie zurückgegriffen werden. Einige der in Betrieb befindlichen Flachsschwingen werden in diesem Jahr erstmals auch Hanffasern verarbeiten. Die so gewonnenen Stoffe werden den leinentypischen Charakter von Hanftextilien haben. Neben dem pestizidfreien Anbau und dem bekannten Tragegefühl wird ihre Produktion vor allem den ökologischen Vorteil der kurzen Wege mitbringen.

Auf Dauer hat Hanf nur als regionaler Rohstoff eine Chance. Doch die wird er erst richtig ausspielen können, wenn konsequente Energie- und Ökosteuern auf jedes Produkt endlich zum Maßstab des wirtschaftlichen Handelns werden. Solange es billiger ist, Textilien auf ihrem Produktionsweg dreimal um den Erdball zu schippern, statt sie dort herzustellen, wo sie gebraucht werden, solange kann von ökologischem Umbau der Industriegesellschaft keine Rede sein.

Hanfsamenöl

Daß Hanfsamen und ihr wichtigster Bestandteil, das Hanföl, zu den wertvollsten Nahrungsmitteln überhaupt zählen, haben wir in der gelben Hanfbibel gründlich belegt. In der Praxis hat das Hanfsamenöl diese kühnen Behauptungen sogar noch übertroffen. Neben seinem hohen Gehalt und einem perfekt ausgewogenen Spektrum essentieller Fettsäuren enthält es als einziges Speiseöl etwa 2 Prozent Gamma-Linolen-Säure (GLA). Neben Hanföl gibt es nur noch ein weiteres Nahrungsmittel, das ebenfalls GLA enthält: Muttermilch. Gamma-Linolen-Säure spielt eine wichtige Rolle für den Auf bau des Immunsystems und wird auch vom Körper selbst produziert – allerdings nicht immer in ausreichenden Mengen. Hautkrankheiten wie Neurodermitis brechen bei Säuglingen aus diesem Grund typischerweise nach dem Abstillen aus und erweisen sich in der Folge als chronisch und kaum behandelbar. Hier hat Hanföl tatsächlich wahre Wunder gewirkt. Nachdem folgender Artikel von Ute Scheub in der taz erschienen war (siehe S. 459), verbreitete sich die Kunde vor allem unter Müttern wie ein Lauffeuer:

Hanföl hilft gegen Neurodermitis

Von Ute Scheub (die tageszeitung, 27.7.1995)

Mein zweijähriger Sohn leidet, wie mittlerweile bald zehn Prozent aller Kinder, an Neurodermitis. Genaugenommen ist es bei ihm keine Neurodermitis, sondern ein sogenanntes atopisches Ekzem. Aber der Unterschied ist nur für Fachleute interessant, denn die Symptome sind die gleichen: stark gerötete Hautflecken, die extrem jucken.

Inzwischen juckt ihn aber nichts mehr, denn seit ich ihn mit Speiseöl aus Hanf behandele, sind binnen zwei Monaten die Symptome verschwunden.

Wie ich darauf gekommen bin? Ich wußte, daß manchen Neurodermitikern die Einnahme von Nachtkerzenöl hilft – wegen der darin zu neun Prozent enthaltenen Gammalinolensäure, die für die Regulierung von Entzündungsprozessen wichtig ist. Allerdings sind die im Reformhaus erhältlichen Kapseln sehr teuer, eine Packung kostet zwischen 60 und 80 Mark. Als ich im taz-Hanf-Special las, daß auch Hanföl Linolensäure enthält, wurde ich hellhörig. Nachfragen im HanfHaus ergaben, daß es das Zeug tatsächlich in sich hat: nicht nur 57 Prozent zweifach ungesättigter Linolsäure und 18 Prozent Linolensäure, sondern eben auch zwei Prozent Gammalinolensäure.

Mathias Bröckers vom HanfHaus recherchierte inzwischen weiter und wurde in der US-amerikanischen Literatur fündig. Der »Speiseöl-Papst« Udo Erasmus empfiehlt Hanföl als »nature’s most perfectly balanced oil« und verweist auf seinen Einsatz bei Neurodermitis und anderen chronischen Krankheiten. Hanföl hat zwar weniger Gammalinolensäure als Nachtkerzenöl, dafür ist das Hanföl mit elf Mark pro Viertelliter aber auch billiger. Außerdem kann es im Gegensatz zu den Kapseln problemlos in den täglichen Speiseplan integriert werden. Mein Sohn schluckt seine täglichen zwei Löffel Öl pur und lutscht hinterher mit quietschendem Vergnügen den Löffel ab – Kinder haben manchmal einen siebten Sinn dafür, was der Körper braucht. Aber man kann den nussig schmeckenden Saft auch als Salatöl verwenden oder sonstwie ins Essen rühren. Es darf nur nicht über 50 Grad erhitzt werden, sonst gehen die wertvollen Bestandteile kaputt.

Weil die ungesättigten Fettsäuren, die beim Sauerstofftransport und dem Aufbau von Anti-Körpern helfen und das menschliche Immunsystem stärken, sich auch sonst gerne mit Sauerstoff „sättigen”, sprich ranzig werden, sollte man das Öl am besten im Kühlschrank aufbewahren und binnen sechs Wochen aufbrauchen. Das Hanföl wirkt jedoch nicht nur innerlich, sondern auch äußerlich. Jeden Abend und nach jedem Bad habe ich die verbleibenden Hautflecken meines Sohnes eingeölt. Ich sage verbleibend, weil die Entzündungen bereits nach zehn Tagen massiv zurückgingen. Sobald die Sonne schien und er leicht bekleidet rumtoben konnte, ging es noch schneller. Nach nunmehr zwei Monaten „Behandlung” sind nur noch ein paar kleine Stellen rauher Haut zurückgeblieben. Die Eltern anderer Kinder, denen ich das Zeug empfohlen habe, berichten ähnliches.

Vor falschen Hoffnungen sei dennoch gewarnt, Hanföl ist sicher kein Allheilmittel für alle Neurodermitiker. Bei dieser gemeinen Krankheit hilft letztlich nur eines: alles ausprobieren und nicht die Hoffnung verlieren.

Nicht nur bei von Ausschlag, Schorf und Juckreiz geplagten Kindern tut Hanföl eine segensreiche Wirkung, auch bei chronischen Hautproblemen von Erwachsenen wirkt es Wunder. Bei mir selbst führte der Genuß von Hanfsamen und Hanföl dazu, daß eine Schuppenflechte (Psoriasis), die mich seit über 20 Jahren an Knie und Ellbogen plagt, spurlos verschwunden ist. Skeptiker mögen das für einen Placeboeffekt halten, der beim Autor eines Buchs über die »Wunderpflanze« Hanf auch naheliegen mag. Nur hatte ich dabei an einen solchen Heileffekt gar nicht gedacht, sondern die Hanfprodukte einfach in die Ernährung integriert – um irgendwann erstaunt festzustellen, daß die ewig schuppigen und rauhen Stellen glatt wie ein gesunder Kinderpopo geworden waren. Auch andere Benutzer von Hanföl haben ähnliche Erfahrungen gemacht (siehe S. 461).

Noch liegen keine klinischen Studien zur therapeutischen Wirkung der Gamma-Linolen-Säure im Hanf vor, doch nach den praktischen Erfahrungen der letzten zwei Jahre gehört wenig Prophetie dazu, Hanfsamen und Hanföl eine große Renaissance als vollwertiges Nahrungsmittel und als Therapeutikum vorherzusagen. Müsliriegel und Snacks aus Hanfsamen sind bereits auf dem Markt, ebenso Hanfburger, die den »wahnsinnigen« Rinderbouletten vielleicht einmal den Rang ablaufen.

Die Nutzung als Nahrungsmittel und in Kosmetika ist nicht das einzige vielversprechende Einsatzgebiet für Hanfsamenöl. Auch in der technischen Anwendung verfügt es über hervorragende Eigenschaften, die sich schon in zahlreichen Produkten bewährt haben.

Das spannendste technische Einsatzgebiet für Hanföl, an das bei Erscheinen des Buchs niemand auch nur entfernt gedacht hatte, ist die Herstellung von sogenannten Tensiden, den waschaktiven Substanzen in Waschpulvern und Reinigungsmitteln. Tenside sind lange Molekülketten, die am einen Ende fettfreundlich und am anderen Ende wasserfreundlich sind – eine Art chemischer Doppelagenten. Im Frühjahr 1996 kamen das Satva-Universalwaschmittel sowie Sativa Flek-kenpaste und Fleckenspray auf den Markt, alles Substanzen auf Basis von Hanftensiden. Letztere bestehen aus dem reinen, konzentrierten Tensid; im Waschmittel sind die Tenside zu etwa 30 Prozent enthalten. Sie zeichnen sich durch sehr schnelle, lOOprozentige biologische Abbaubarkeit aus und sind dennoch in der Lage, Flecken zu lösen, die normalerweise nur mit hochtoxischen Fleckentfernern oder scharfen Bleichmitteln zu entfernen sind. Die erstaunliche Reinigungskraft dieser Saubermacher ist in zahlreichen Tests bestätigt worden. Die ersten Messungen waren so gut, daß man in einigen Labors den eigenen Apparaten nicht glaubten mochte: daß ein pflanzliches Produkt derart wirkungsvoll sein könnte, hatte man der Natur gar nicht zugetraut

Zur Seifenherstellung wurde Hanföl schon seit Tausenden von Jahren verwendet, insofern sind die jetzt wieder erhältlichen Hanfseifen wie auch all die anderen Produkte, von Textilien über Papier bis zu Hanflebensmitteln, nichts wirklich Neues. Die auf Hanföl basierenden Tenside und die Sativa-Produkte aber sind wirkliche Innovationen und ein Paradebeispiel dafür, welche hervorragende Ergebnisse erzielt werden, wenn dieser uralte Rohstoff mit neuen wissenschaftlichen Methoden und Techniken untersucht und verarbeitet wird.

Papier

Der »hanffeste« Beweis für die Thesen dieses Buchs – das Hanfpapier, auf dem wir es gedruckt haben – hat ganz entscheidend zur Renaissance der Nutzpflanze beigetragen. Hanfpapier machte die Sache nicht nur begreifbar, sondern war auch das erste marktfähige Produkt aus Hanf.

Das deutlichste und sichtbarste Comeback als Papierpflanze erlebte Hanf aber nicht im Bereich der Schreib- und Druckpapiere, sondern in einer anderen angestammten Domäne: dem Zigarettenpapier. Angeregt von Michael Karus und unterstützt durch das HanfHaus entwickelte die Firma »efka« 1994 die »Canuma«-Blättchen aus 100 Prozent Hanf und landete damit den größten Markterfolg seit Jahrzehnten. In kürzester Zeit eroberten sich die »baumfreien« Hanfblätt-chen einen derartigen Marktanteil, daß andere Hersteller ebenfalls mit neuen Hanfpapiermarken nachzogen. »Canu-ma« wird mittlerweile in ganz Europa, den USA und in Australien vertrieben und ist der erste wirkliche Exporthit der neu erwachten Hanfindustrie. Da Zigarettenpapier schon immer hohe Hanfanteile enthielt, hatten es die Hersteller hier am leichtesten, ein reines Hanfprodukt zu entwickeln, ohne die Endpreise wesentlich zu erhöhen. Dieser Erfolg zeigt, welches Wirtschaftspotential im Hanf steckt, wenn Hanfprodukte nicht mehr in exotischen Preisregionen angesiedelt sind.

Technische Produkte

Zu den am häufigsten an das HanfHaus gerichteten Anfragen zählen die nach Bau- und Dämmstoffen. Gleich zu Beginn hatten wir die von der französischen Firma »Isochanvre« als Schüttung und (gebunden mit Kalk) auch zur Konstruktion verwendeten Hanfschäben importiert. Allerdings kostet der Transport des leichten und voluminösen Materials mehr als das Produkt selbst. Sobald aber Hanf auch wieder in Deutschland geerntet wird, wird sich das grundlegend ändern. Bau-und Dämmstoffe aus Hanf gehören vom zu erwartenden Marktvolumen her zu den vielversprechendsten Einsatzgebieten der Hanffaser überhaupt. Dämmvliese aus Schafwolle und Flachs haben sich als ökologische Alternative zu Mineraldämmstoffen bewährt, und verschiedene Hersteller dieser Produkte werden ab 1996 auch heimische Hanffasern dafür einsetzen. Aufgrund seines Massenertrags wird Hanf hier künftig Preisvorteile haben. Um den gesamten deutschen Bedarf an Faserdämmstoffen zu decken, müßten etwa 400 000 Hektar Hanf angebaut werden. Dies setzt allerdings regionale Verarbeitungsmöglichkeiten in großem Maßstab voraus, die allenfalls mittelfristig geschaffen werden können. Unter derzeitigen Bedingungen sind Dämmstoffe aus Hanffasern noch deutlich teurer als Mineralwolle – und müssen es bleiben, solange der höhere Energieverbrauch bei der Mineralfaserherstellung nicht von einer Ökosteuer erfaßt wird.

Medizin

Von all den durch dieses Buch wiederentdeckten Nutzungsmöglichkeiten der Hanfpflanze ist die medizinische vielleicht die wichtigste. Cannabis sativa ist nicht nur eine Nutz-, sondern auch eine Heilpflanze. Daß auch dieser Aspekt der Stigmatisierung des Hanfs zum Opfer gefallen ist, ist wohl der größte Skandal. Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC), der wichtigste Wirkstoff von Cannabis, wirkt vor allem muskelentspannend, brechreizhemmend, appetitanregend und stimmungsaufhellend und zeigt zur Bekämpfung von Abmagerung und Unwohlsein bei Aids sowie der Übelkeit infolge der Chemotherapie bei Krebs hervorragende Wirkungen. Die in der gelben Hanfbibel (und in dem ebenfalls bei Zweitausendeins erschienenen Buch von Lester Grinspoon, Marihuana, die verbotene Medizin) herausgestellte Bedeutung des Heilmittels Cannabis hat zu einer völligen Neubewertung des Hanfwirkstoffs geführt.

Anfang Februar 1996 empfahl der Sachverständigenausschuß für Betäubungsmittel der Bundesregierung, Cannabis für begrenzte Anwendungen in der Medizin wieder zuzulassen. Damit wird die bisher als »nicht verkehrsfähig« absolut ausgegrenzte Pflanze zumindest wieder verschreibungsfähig. Allerdings erstreckt sich die Zulassung vorerst auf synthetisch hergestelltes THC. Diese in den USA hergestellten Präparate (Nabinole, Marinol) können vom Arzt verschrieben und dann von Apotheken aus England importiert werden. 20 Kapseln Nabilon (mit je 1 mg THC) kosten zur Zeit etwa 350 Mark. Haschisch oder Marihuana mit derselben THC-Menge ist auf dem Schwarzmarkt für weniger als ein Zehntel dieses Preises erhältlich. Würde Medizinalhanf wieder legal angebaut, könnte der Preis auf ein Hundertstel sinken. Die Gestehungskosten für diese Arznei sind etwa so hoch wie die von Kartoffeln! Diese Diskrepanz zeigt, daß die Zulassung synthetischer THC-Präparate nur ein allererster Schritt sein kann, zumal viele Patientinnen und Patienten die Erfahrung gemacht haben, daß der teure künstliche Stoff schlechter wirkt als das einfache, billige Kraut. Um diese absurde Situation zu ändern, haben sich wie in San Francisco jetzt auch in Berlin und anderen deutschen Städten Selbsthilfegruppen gebildet, die bei der Selbsttherapie, Beschaffung und Dosierung Hilfestellung geben und beraten. Für Gesundheitsfunktionäre und Drogenkrieger, die in Cannabis nach wie vor das Teufelskraut und die Einstiegsdroge und in der Zulassung teurer Synthetik-präparate das Nonplusultra sehen wollen, würde ein Gespräch mit diesen Patienten heilsame Wunder wirken. Für viele Aids- und Krebskranke, für MS- und Epilepsiepatienten und viele andere Erkrankte ist Hanf das Wunderkraut, das ihnen besser hilft als jede andere Arznei. Für sie ist Cannabis umgekehrt die Ausstiegsdroge, dank derer sie pharmazeutische Bomben mit schlimmen Nebenwirkungen absetzen oder zumindest reduzieren können. Klinische Versuche bei mit Opiaten behandelten Schmerzpatienten haben gezeigt, daß durch vorherige Cannabiseinnahme die Dosis der zur Schmerzsenkung notwendigen Opiate deutlich gesenkt werden konnte.

Mit jeder Nachricht über die segensreiche und heilsame Wirkung der Heilpflanze erweist sich das aufgeblasene Propagandamonster ein bißchen mehr als dümmlicher Popanz. Je mehr also Cannabis medizinisch rehabilitiert wird, umso schwieriger wird es, das Verbot von Cannabis als Genußmittel weiterhin aufrechtzuerhalten. Daß sich schwerkranke ältere Leute auf die Drogenszene begeben müssen, ist ein absurder Auswuchs einer politischen Prohibition, die mit wissenschaftlichen Erkenntnissen nichts zu tun hat. Ergebnisse, wie sie die neuere Cannabisforschung gewonnen hat, hätten bei jedem anderen Medikament für einen wahren Boom in Forschung, Entwicklung und Verbreitung gesorgt. Hinter dem vorgeschobenen Monster agiert nur die Lobby der Pharmaindustrie. Heute wie vor hundert Jahren gibt es nur einen einzigen Nachteil der Hanfmedizin: Sie ist nicht patentierbar und viel zu billig.

Hanf-Arbeit

Rechnet sich Hanf in Deutschland? Ist es ökonomisch, ihn anzubauen und zu verarbeiten? Werden Hanfprodukte aus Osteuropa oder China nicht immer billiger sein? Wenn ja, lohnt dann der Aufbau einer heimischen Hanfindustrie überhaupt?

Diese Fragen lassen sich nicht isoliert beantworten, sondern nur im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen und ökologischen Rahmenbedigungen. Solange die verdeckten Umweltkosten der Konkurrenzprodukte sich nicht in den Marktpreisen niederschlagen, solange wird Hanf seine ökologischen Vorteile nur schwer, allenfalls in einer kleinen Marktnische ausspielen können. Durch den Einsatz von Pestiziden erkranken weltweit jährlich etwa 1,5 Millionen Menschen. 28000 Menschen sterben daran jedes Jahr. Da die Hälfte aller Pflanzenschutzmittel allein für Baumwolle eingesetzt wird, gehen 50 Prozent dieser Opfer auf ihr Konto. Billig können T-Shirts aus Baumwolle nur sein, weil die Folgekosten dieser Katastrophe nicht der Cotton- und Chemieindustrie in Rechnung gestellt, sondern auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. Ähnliches gilt für die Transportwege. Ein T-Shirt aus Baumwolle legt auf dem Weg von der Baumwollplantage bis in den deutschen Kleiderschrank durchschnittlich 19000 Kilometer zurück. Auch die Folgekosten dieser Energievergeudung und des damit verbundenen Schadstoffausstoßes werden nicht auf das Produkt umgelegt, sondern der Allgemeinheit aufgebürdet. Nicht die Verursacher von Hautkrankheiten und Allgerien durch Textilgifte zahlen, sondern die Krankenkassen. Für die Konkurrenzprodukte sämtlicher Produktlinien des Rohstoffs Hanf gilt das in analoger Weise. Darin liegt die Hauptbarriere, die verhindert, daß der Hanf in großem Maßstab zum Zuge kommt. Aus diesem Grund ist der Hanf allerdings auch ein so brisanter politischer Sprengstoff. Denn kein anderer Rohstoff bringt die Absurdität der herrschenden Wirtschaftsweise konkreter auf den Punkt. Das grüne Hanfblatt ist auf dem besten Weg, zu einem Symbol für nachwachsende Rohstoffe und ökologische Kreislaufwirtschaft zu werden.

Die Frage, ob es sich langfristig rechnet, in Deutschland Hanftextilien herzustellen, kann erst definitiv beantwortet werden, wenn auch einige andere Fragen geklärt sind. Zum Beispiel, ob es sich langfristig auszahlen wird, daß die deutsche Textilindustrie seit 1990 über 400000 Arbeitsplätze abgebaut hat. Natürlich können wir noch fünf Jahre so weitermachen und die gesamte textilverarbeitende Industrie stilllegen. Aber welchen gesamtgesellschaftlichen Preis müssen wir für die billigen Klamotten aus dem Ausland bezahlen? Sie können nur so billig sein, weil neben den ökologischen auch die sozialen Folgeschäden nicht eingerechnet sind und weil die Kosten für 400000 Arbeitslose der Allgemeinheit zugeschoben werden. So lange dies wie selbstverständlich hingenommen wird, solange keine umfassende Ökosteuer eine Wende dieser auf Raubbau und rücksichtslosen Profit ausgerichteten Wirtschaftsweise eingeleitet wird, solange werden pflanzengefärbte Hanfjeans, regional angebaut und produziert, die chemiegetränkte Importware nicht vom Markt fegen. Daß sie aber grundsätzlich das Potential dazu haben, zeigt die Geschichte: Hanfprodukte waren nie ein seltener und edler Luxus, sie waren preiswerte, haltbare Massenware.

Um die Energieprobleme des nächsten Jahrtausends zu lösen, haben wir neben der Sonne nur den einen Partner: die Pflanzen. Sie haben das Klima und den Energiehaushalt dieses Planeten seit Millionen von Jahren gemanagt und sind, was den Erhalt des Lebens angeht, die besten Lehrmeister, die wir uns wünschen können. Sie vollbringen keine Wunder, aber ihre Organisations- und Produktionsstruktur, ihre sanfte und rückstandslose Verwandlung von Sonnenlicht in Energie, ist der destruktiven menschlichen Wirtschaftsweise bei weitem überlegen. Wenn wir nach Modellen für das Überleben im 3.Jahrtausend suchen, nach Methoden, die unseren Urenkeln eine intakte, lebensfähige Biosphäre erhalten, brauchen wir keine dicken Theoriebücher und Hochleistungsrechner. Wir müssen uns nur die großartigen Vorbilder ansehen, die noch die kleinste Asphaltritze, die in unseren Betonwüsten immer wieder aufbrechen, zu Demonstrationszwecken nutzen: die Pflanzen. Ihre grüne Kraft stellt alles bereit, was wir auf dieser Erde brauchen.

Nachtrag 1998

Die Anerkennung neuer Ideen und Theorien in der Wissenschaft folgt oft weniger logischen Argumenten, sondern – einer Bemerkung des Physikers Max Planck zufolge – eher der »biologischen Lösung«, nämlich nach dem Aussterben derer, die die überholten Theorien bislang vertreten und verteidigt haben. In seiner vielzitierten Arbeit über »Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen« hat Thomas Kuhn zahlreiche Beispiele für diese merkwürdige Art des Paradigmenwechsels angeführt, die nicht den strengen Regeln der Vernunft, sondern eher der Macht der Gewohnheit folgen. Diese Macht wirkt nicht nur im akademischen Großklima, im Bereich neuer Weltbilder und revolutionärer Erkenntnisse, sondern auch im Klein-Biotop des gesellschaftlichen Alltags: Die Tyrannei des Bestehenden ist der natürliche Feind jeglicher Innovation. Der Schriftsteller William S. Borroughs hat diese »Sehgewohnheiten« einmal mit einem Autofahrer verglichen, der nur in den Rückspiegel schaut. Die Rückspiegelseher haben die Angewohnheit, das Neue erst einmal gar nicht wahrzunehmen; wenn es sich dann partout nicht mehr übersehen läßt, erklären sie es eben für unwichtig. Das kann aber nicht verhindern, daß neue Ideen erscheinen und auch konkrete Formen annehmen. Sie für unwichtig zu erklären wird immer schwieriger. Schließlich, wenn sie sogar im Rückspiegel unübersehbar geworden sind, heißt es dann: »Aber was wollt ihr denn, das ist doch gar nichts Neues!« Die Macht der Gewohnheit steht auf dem Boden »bewährter Tatsachen« und sorgt hier für Permafrost: Keimzellen des Neuen können nur ans Tageslicht kommen, wenn sie die verkrusteten und verhärteten Strukturen aufbrechen – und oft schaffen sie das trotz bester Anlagen nicht von alleine. Umwälzungen sind erforderlich, Pflug und Spaten, um die erstarrte Kruste aufzubrechen und den innovativen Keimlingen den Durchbruch zu ermöglichen. Die deutsche Ausgabe von Jack Herers Buch war solch ein Spatenstich, und so wie in der Natur schon eine kleine Auflockerung des Erdreichs das Wunder neuen Lebens hervorbringt, so brachte dieses Buch von heut auf morgen Tauwetter in eine über 50 Jahre währende Phase des Permafrosts im öffentlichen Bewußtsein: die »flora non grata« Cannabis sprießt plötzlich wieder – als Biorohstoff der Zukunft.

Das Wiederaufkeimen des Hanfs auf heimischen Feldern geht 1998 in das dritte Jahr, die Wiederentdeckung der Nutzpflanze, die mit dem Erscheinen des vorliegenden Buchs datiert werden kann, in ihr fünftes. Und nach wie vor geschieht Erstaunliches. Die Wirkungsgeschichte der Informationen, die mit dieser Veröffentlichung freigesetzt wurden, ist noch nicht zu Ende, und es hat den Anschein, als ob die Fakten tatsächlich einen Paradigmenwechsel ausgelöst haben. Über Cannabis kann nicht mehr so gesprochen werden wie vor dem Erscheinen dieses Buchs: Der Kassandraruf vom »Mörderkraut« entpuppte sich als Propagandalüge, und die Wahrheit einer uralten Nutzpflanze rückt zusehends in den Blickpunkt. Im Oktober 1996 wurde im Auftrag des Bundesinstituts »Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe« eine Umfrage über den Bekanntheitsgrad des Begriffs nachwachsende Rohstoffe durchgeführt. In einer repräsentativen Stichprobe wurde die deutsche Bevölkerung befragt, ob ihr dieser Begriff etwas sagt, und wenn ja, welche solcher Rohstoffe bekannt sind. 50 Prozent der Befragten wußten mit dem Begriff nichts anzufangen. Die andere Hälfte konnte drei nachwachsende Rohstoffe nennen: Holz, Raps und – Hanf. Dieses Ergebnis kann als sensationell gelten, angesichts all der deutschen Wälder und fast einer Million Hektar gelb leuchtenden Raps in der BRD. Obwohl im ersten Anbaujahr 1996 gerade einmal 1400 Hektar Hanf angebaut wurden, ist diese Pflanze schon zu einem Synonym für nachwachsende Rohstoffe geworden. Und so verrückt es klingt: diese Blitzkarriere zu einem positiven Imageträger für nachhaltige Wirtschaft und Ökologie verdankt die Hanfpflanze vor allem dem Horrorgemälde, das 50 Jahre Prohibition von ihr gezeichnet haben. Der durch die Tabuisierung geschürte Mythos Cannabis wirkt als Attraktor, der die öffentliche Wahrnehmung magnetisch anzieht und interessierte Aufmerksamkeit für ein so sterbenslangweiliges Thema wie nachwachsende Rohstoffe weckt.

Wer nun meint, daß die auf den vorangegangenen Seiten zitierten Hanfbremser der Bundesregierung nach einem solchen Umfrageergebnis zur Besinnung gekommen seien und nun dem neuen Hoffnungsträger unter die Arme greifen, muß enttäuscht werden. Das einzige, was das Bundesministerium für Landwirtschaft bis dato in Sachen Hanf unternommen hat, war die Einholung eines Gefälligkeitsgutachtens über die wirtschaftlichen Chancen der deutschen Hanfwirtschaft. Das Institut für Wirtschaft an der Universität Kiel gewann unter der Leitung von Prof. Dr. Hanf (dessen Name sich als schlechtes Omen erwies) die Ergebnisse dieser Studie ausschließlich am Schreibtisch; kein einziges Unternehmen der Hanfwirtschaft wurde befragt. Eine solche Evaluierung wirtschaftlicher Daten hatte sich wohl deshalb als verzichtbar erwiesen, weil das gutachtliche Ergebnis – heimischer Hanf hat, wenn überhaupt, erst »langfristig« eine Chance, da Faserimporte aus dem Ausland immer billiger sein könnten – von vornherein feststand. Nun sind auch Auto- und Kartoffelimporte aus dem Ausland oft billiger als die Eigenproduktion, doch käme kein Mensch, geschweige denn ein Wirtschaftsfachmann, deshalb auf die Idee, die Schließung von Mercedes oder die Einstellung des deutschen Kartoffelanbaus anzuregen. Die Verantwortlichen in der Regierung jedenfalls können mit diesem pseudowissenschaftlichen Alibi-Gutachten in der Hinterhand weiter kontraproduktiv auf die Hanfbremse treten. Nachdem der Hanfanbau rechtlich nicht zu verhindern war, versucht man es mit anderen Schikanen. So wurde 1997 vom Bundesgesundheitsministerium vor dem Ständigen Lebensmittelausschuß der Europäischen Union der Antrag eingebracht, Hanflebensmittel als »novel food« einzustufen. Die »novel food «-Verordnung, der bislang noch kein einziges Lebensmittel unterworfen ist, wurde geschaffen, um neuartige synthetische oder genmanipulierte Lebensmittel zu kontrollieren. Wären Hanflebensmittel unter diese Verordnung gefallen, hätten sie vom Markt verschwinden müssen und wären erst nach aufwendigen und langwierigen Kontrollverfahren wieder zugelassen worden. Die beantragte Einstufung konnte nur verhindert werden, weil die deutsche Hanfwirtschaft (gegen den Antrag ihrer Volksvertreter) der Europäischen Kommission nachweisen konnte, daß Hanflebensmittel bereits in großem Umfang auf dem Markt sind und deshalb rein formal kein »novel food«-Produkt sein können. Deshalb lehnte der Lebensmittelausschuß den deutschen Antrag am 21. Dezember 1997 ab. Daß das Ansinnen der deutschen Gesundheitsschützer keiner wie immer gearteten Sorge um saubere Lebensmittel, sondern der dumpfen Ideologie des Drogenkriegs geschuldet war, zeigt ein weiterer Antrag, den sie nach Ablehnung ihres Novel-food-Begehrens einbrachten: Der EU-Ausschuß möge darüber befinden, ob nicht die Abbildung eines Hanfblatts auf Lebensmittelprodukten verboten werden müßte, da dies zur »Verwirrung der Verbraucher« führen könnte. Trägt etwa die Sonnenblume auf einer 01-flasche zur Verwirrung der Verbraucher bei, oder sorgt die Kuh auf einer Milchtüte für Desorientierung? Noch haben die europäischen Lebensmittelkontrolleure diese Groteske nicht entschieden. In jedem Fall demonstriert sie den wahren Geist, den die Regierung zu Füßen Kohls der ökologischen Innovation Hanf bis heute entgegenbringt.

Um so erstaunlicher ist der unaufhaltsame Aufschwung, den die Hanfwirtschaft in den letzten Jahren genommen hat. Im Gegensatz zur allgemeinen Wirtschaftslage, zu Arbeitsplatzabbau und Konjunkturschwäche erfreut sich die junge Pflanze der Hanfökonomie bester Gesundheit.

Hanfanbau in Deutschland 1996 und 1997

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Hanfanbauflächen

Die Anbauflächen, die nach der ersten Genehmigung im Jahr 1996 1400 Hektar betrugen, haben sich 1997 auf 2800 Hektar verdoppelt. Für 1998 werden in Deutschland mindestens 3500 Hektar Hanf erwartet. Die wichtigsten Anbauregionen (siehe Grafik) sind neben Niedersachsen (1997: 980 ha) und Brandenburg (400 ha), Baden-Württemberg (389 ha), Rheinland-Pfalz (348 ha) und Bayern (300 ha). Die Flächenbeihilfe der EU betrug 1996 und 1997 1500 DM pro Hektar. Für 1998 wird eine eventuelle Kürzung der Beihilfe auf 1000 DM/ha diskutiert, um künftige Subventionstrittbrettfahrer abzuschrecken. Grund für diese Maßnahme der EU ist ein Antrag Spaniens für eine Fläche von 20000 Hektar Hanf in 1998, deren Erträge aber aufgrund fehlender Verarbeitungsstätten im Land überhaupt nicht weiterverarbeitet werden können und die folglich nur wegen der relativ hohen Hanfprämie beantragt wurden.

Verteilten sich 1996 die insgesamt 1400 Hektar Hanffläche noch auf 571 Landwirtschaftsbetriebe, waren es 1997 bei verdoppelter Fläche nur noch 475 anbauende Betriebe. Für 1998 wird eine weitere Spezialisierung erwartet, das heißt, der Übergang vom Ausprobieren einer neuen Feldfrucht zu ihrer professionellen und kommerziellen Nutzung schreitet relativ schnell voran. Die oft als zu optimistisch getadelten Daten in diesem Buch – die Aussagen über das problemlose Wachstum, die guten Erträge und die nahezu lOOprozentige Schädlingsresistenz des Hanfs – sind in der landwirtschaftlichen Praxis der letzten beiden Anbaujahre in vollem Umfang bestätigt worden.

Informationen über die aktuelle Flächenbeihilfe und die Anträge für die Allbaugenehmigung sind über das Bundesamt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE), Adickesallee 40, 60322 Frankfurt/Main, erhältlich.

Hanfverarbeitung

Der Großteil der 96er und 97er Faserernte wurde in nur zwei Betrieben weiterverarbeitet: in der holländischen Hemp-Flax B.V., nahe der niedersächsischen Grenze, wo fast die gesamte dortige Ernte verarbeitet wurde, sowie in der Anfang 1997 in Betrieb genommenen Badischen Faseraufbereitung (BaFa) in Malsch bei Karlsruhe. In dieser Anlage werden die Hanfstengel in Schäben und Fasern getrennt, letztere werden anschließend weiter entholzt und für die Verwendung in Filzen und Vliesen konditioniert. Hanffasern kommen vor allem für Dämmstoffe und Autoinnenteile in Frage, die Schäben werden heute sehr erfolgreich als Tiereinstreu vermarktet. Vor allem bei Reithallen und Gestüten besteht eine große Nachfrage nach Hanfschäben. So traben die königlichen Vierbeiner der Windsors in England nur auf 100 Prozent Hanf. Zur Zeit wird daran gearbeitet, Schäben und andere Reststoffe zu Pellets für die Kleintierhaltung zu verpressen und damit auch den attraktiven Markt der privaten Haustierbesitzer zu erreichen. Ein »Katzenklo« aus heimischem Hanf macht 1998 die ersten Katzen froh. Anfang 1997 begann die Hanffabrik Zehdenick, ein Unternehmen der Treu-Hanf AG, die die erste Hanfaktie am Markt plazierte, im nördlich von Berlin gelegenen Zehdenick mit der Produktion von Filzen und Vliesen, die als Trittschalldämmung und Geotextilien vermarktet werden. Hanfgeotextilien, die zur Dachbegrünung oder Böschungsbefestigung genutzt werden, haben im Unterschied zu dem bisher am häufigsten verwendeten Synthetikmaterial den Vorteil, daß sie nach zwei bis drei Jahren im Boden rückstandslos verrotten.

Faseraufschlußanlagen in Deutschland

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Zahlreiche weitere Anlagen zur Verarbeitung von Hanffasern befinden sich in Bau bzw. in der Planung (siehe Grafik). Michael Karus, der die Hanfstudie für dieses Buch leitete, hat zusammen mit dem nova-Institut und unterstützt von der Bundesstiftung Umwelt die Studie »Das Hanfproduktlinien-projekt (HPLP)« mit den technischen, ökonomischen und ökologischen Bilanzen für die verschiedenen Produktlinien vorgelegt: »Bilanziert wurden in mehreren Unterszenarien Hanftextilien gegenüber Baumwolltextilien, Hanffaser- gegenüber Mineralfaserdämmvliesen und hanfverstärkte gegenüber glasfaserverstärkten Kunststoffen. Beim Ressourceneinsatz schneiden sowohl in energetischer als auch in materieller Hinsicht alle Szenarien der Hanfnutzung (...) besser ab als die Lebenswege der zu substituierenden Produkte. Analog verhält sich der Beitrag zum Treibhauseffekt – die weitaus überwiegende Mehrzahl von Szenarien und Varianten wirkt deutlich treibhausentlastend. So spart z. B. 1 Hektar Hanf, der für die Dämmstoffindustrie angebaut wird, 2 Tonnen CO2 gegenüber Mineralfaserdämmstoffen mit äquivalentem Nutzwert.« Insgesamt ermittelt die Studie elf aussichtsreiche Produktlinien für den Hanfstandort Deutschland.

Die Broschüre kann über das HanfHaus oder direkt beim nova-Institut, Thielstraße 35,50354 Hürth, bezogen werden. Die insgesamt elf erfolgversprechenden Produktlinien, deren Potential das nova-Institut untersucht hat, sollen hier kurz vorgestellt werden.

Für den Standort Deutschland favorisierte Produktlinien

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Kotonisierter Hanf für den Textilbereich

Die nach traditionellen Verfahren (Tau- oder Wasserröste) aufgeschlossene Hanffaser ist für feine Textilien nur bedingt geeignet. Mit modernen chemisch-physikalischen Aufschlußverfahren kann die Hanffaser auch auf Baumwollmaschinen versponnen und in eine wettbewerbsfähige Konkurrenz zu Baumwolle und Kunstfasern treten. Bisher wurde das an der FH Reutlingen entwickelte Dampfdruckaufschlußverfahren noch nicht in einer industriellen Anlage realisiert. Nach betriebswirtschaftlichen Berechnungen könnten die daraus gewonnenen kotonisierten Hanffasern um 10 bis 20 Prozent preiswerter sein als konventionelle Baumwolle – und dies bei höherer Festigkeit der Faser und großen ökologischen Vorteilen beim Anbau.

Wärmedämmvliese im Baubereich

Hier sind die ersten Produkte bereits auf dem Markt, sie liegen jedoch – wie andere ökologische Dämmstoffe auch – im Preis noch deutlich über den marktführenden Mineralwolldämmstoffen. Hanf kann zwar gut mit alternativen Dämmfasern wie Schafwolle oder Flachs mithalten, ein wirklicher Durchbruch am Markt ist hier aber erst zu erwarten, wenn eine ökologische Steuerreform die Umwelt- und Gesundheitsvorteile nachwachsender Rohstoffe belohnt.

Spezialzellstoff für technische Zwecke

Auf dem Sektor der Druckpapiere kann Hanfzellstoff unter den derzeitigen Produktionsmethoden mit Holz nicht konkurrieren; er ist vier- bis fünfmal so teuer und eigentlich viel zu schade für Papier. Deshalb wird sich der Markt für Hanfzellstoff in den nächsten Jahren eher auf Spezialpapiere wie Zigaretten-, Filter- und Teebeutelpapier sowie den Hygienebereich spezialisieren. Sein überlegenes Potential für Druck-und Massenpapiere könnte Hanf erst ausspielen, wenn neue Verfahren der Zellstoffgewinnung entwickelt würden; aber großtechnische Anlagen dieser Art sind noch nicht in Sicht.

Autoinnenverkleidung, Formpreßteile

Türverkleidungen, Armaturenbretter, Hutablagen – der gesamte Innenraum von Autos ist ein potentielles Einsatzgebiet für Faserrohstoffe. Derzeit werden in der deutschen Automobilindustrie jährlich etwa 4000 Tonnen solcher Fasern eingesetzt, und Hanf hat sich dafür hervorragend geeignet (Prototypen von Hanfteilen wurden bereits im neuen 7er BMW eingesetzt). Inwieweit exotische Fasern wie Sisal und Jute durch Hanf ersetzt werden könnten, ist letztlich eine politische Frage. Aufgrund der EU-Prämien können Hanffasern mit einem Preis von ca. 1 DM/kg derzeit gut mit den Importpflanzen konkurrieren. Ohne Beihilfen könnte der heimische Rohstoff aber nur dann in preislicher Hinsicht attraktiv bleiben, wenn im Zuge einer ökologischen Steuerreform die durch Transportwege und Pestizideinsatz entstehenden Umweltkosten auf die Preise dieser Importprodukte aufgeschlagen werden. Unter solchen Rahmenbedingungen hätte Hanf aufgrund seiner Massenerträge und der hohen Reißfestigkeit der Fasern von allen europäischen Faserpflanzen die besten Chancen im Automobilbau.

Geotextilien für Erd-und Wasserbau

Die bislang im Erd- und Wasserbau eingesetzten Textilien, vor allem Filze und Vliese, bestehen fast nur aus Chemiefasern. Für bestimmte Bereiche ist hier das Interesse an biologisch abbaubaren Geweben in den letzten Jahren gewachsen, etwa im Böschungs- und Erosionsschutz, für Begrünungsvliese mit integrierten Samen oder die Sanierung von Skipisten. Hanf bietet hier wegen seiner hohen Stabilität und seiner Festigkeit auch im nassen Zustand optimale Voraussetzungen. Die HanfFabrik Zehdenick soll, nach derzeitigem Stand der Verhandlungen, für die Sanierung und Erweiterung der Oderdämme die entsprechenden Gewebe aus Hanf liefern.

Nadelfilzteppiche

Umweltverträgliche, wohngiftfreie Teppiche aus Naturfasern spielen auf dem Teppichmarkt bislang nur eine untergeordnete Rolle und werden fast nur von privaten Haushalten nachgefragt. Nadelfilzteppiche aus Hanf könnten hier künftig auch für den Gewerbe- und Industriebereich eine preiswerte und ökologische Alternative sein. Vor allem bei Messen, wo Megatonnen Polyamid-Böden in der Regel nach einmaligen Gebrauch entsorgt werden müssen, wird die Kompostierbarkeit der verwendeten Auslegware zunehmend wichtig. Mit mechanisch aufgeschlossenen Hanffasern lassen sich sehr preiswerte Nadelfilzteppiche herstellen, die lukrative Marktchancen erschließen. Im Frühjahr 1998 hat das HanfHaus für die Ausstattung des ersten HanfHotels die ersten (gewebten) Hanfteppiche in Deutschland herstellen lassen.

Schäben als Tiereinstreu

Die bei der Fasergewinnung anfallenden Schäben sind wegen ihres hohen Absorptionsvermögens und ihrer guten Kompostierbarkeit hervorragend als Tiereinstreu geeignet. Vor allem für empfindliche Pferde, die wegen Allergien kein Stroh vertragen, ist Hanfeinstreu die Alternative. Für die Faserproduzenten ist deshalb der Absatz der Schäben das geringste Problem: die Tiere nehmen das »Hanfbett« begeistert an, und die Halter sorgen für ständige Nachfrage.

Der Einsatz von Schäben im Baubereich – wie etwa in Form des in Frankreich entwickelten IsoChanvre – wird vom nova-Institut nicht favorisiert: hier seien sie erheblich teurer als vergleichbares anderes Pflanzenmaterial.

Lebensmittel Naturkosmetik

Neben diesen Produktlinien für die Faserverwertung heimischen Hanfs haben auch Hanfsamen und -öl ein großes Ertragspotential. Der Markt, den sich Hanfprodukte in den Bereichen Lebensmittel und Naturkosmetik aus dem Stand erobert haben, gehört zu den größten Überraschungen der Hanf-Renaissance, zumal dieser Nutzen der Pflanze mehr noch als ihre Fasernutzung in Vergessenheit geraten war. Auch konnten die Hanfsamen ohne besonderen technischen Aufwand in bestehende Verarbeitungsketten integriert werden. Zur »Ernte 96«, einem großen Hanf-Festival und Symposion auf dem Berliner UFA-Gelände, wurden die ersten Lebensmittel und Ölprodukte aus heimischem Hanfanbau präsentiert. Ein Jahr später, auf der großen Lebensmittelmesse »HaNuGa« in Köln, war Hanf als Bestandteil von Nudeln, Schokolade, Limonade und Bier bereits ein Medien-Highlight. In den HanfHäusern zählten Hanfsamen und Hanfspeiseöl von Anfang an zu den am meisten verkauften Einzelartikeln, ebenso wie die auf Hanföl basierenden Hautpflegeprodukte. Das nova-Institut favorisiert diese Produktlinien ebenfalls.

Daß Hanfkörner nicht nur wohlschmeckend, sondern wegen ihres hohen Gehalts an mehrfach ungesättigten Fettsäuren auch ein sehr wertvolles und gesundes Nahrungsmittel sind, hat die totgesagte Pflanze unsterblich gemacht. Als einziges Nahrungsmittel haben Hanfsamen die seltene Gamma-Linolen-Säure (GLA), was künftig zusätzliche Marktnischen im therapeutischen Bereich erschließen könnte. Da aufgrund mangelnder frühreifender Hanfsorten die Samenerträge in Deutschland vergleichsweise mager sind – in schlechten Sommern müßte sogar mit Totalausfall gerechnet werden, weil die Samen gar nicht zur Reife kommen –, hängt ein langfristiger Erfolg vor allem von der Züchtung solcher frühreifender Sorten ab. Die jetzt vor der Zulassung stehende und noch in der DDR entwickelte Sorte »Fasamo« verspricht in dieser Hinsicht einen Erfolg. Im Sommer 1997 wurden bei Versuchen 2000 kg Samen pro Hektar gewonnen – und dies nicht im reinen Samenanbau mit weit auseinanderstehenden Pflanzen, sondern in einer Kuppelnutzung, die auch einen guten Faserertrag gewährleistet.

Die pflegende und heilende Wirkung, die in den alten Volksmedizinen dem Hanföl zugesprochen wurde, hat sich nach der Wiederentdeckung in der modernen Naturkosmetik voll und ganz bestätigt. Deshalb zählen – nach den Hanftextilien – Hanfprodukte der Haut- und Haarpflege zu den derzeit umsatzstärksten Waren auf dem Hanfmarkt. Da die im Kosmetikbereich verwendeten Ölmengen vergleichsweise gering sind, schlägt sich dieser Verkaufserfolg nicht automatisch in hohen Anbauzahlen nieder; dennoch bietet der Kosmetik- und Körperpflegebereich hochwertigem Hanföl eine dauerhafte Absatzmöglichkeit. Gleiches gilt für das vom HanfHaus 1996 präsentierte Waschmittel »Sativa«, dessen Tenside auf Hanfölbasis hergestellt werden.

Gamma-Linolen-Säure für die Pharma- und Kosmetikindustrie

Wichtigstes Einsatzgebiet der Gamma-Linolen-Säure (GLA) ist die Behandlung von Hautkrankheiten, z. B. Neurodermitis. Durch die äußere Anwendung mit Salben oder die Einnahme von Hanföl können Mangelzustände an essentiellen Fettsäuren ausgeglichen werden, wodurch sich u. a. der Wasserverlust über die Haut normalisiert. Auch gegen rheumatische Arthritis und prämenstruelles Syndrom wird GLA angewendet. GLA ist auch in Nachtkerzen- und Borretschöl enthalten. Diese Pflanzen werden in Sonderkulturen angebaut; Aufzucht und Ernte sind sehr aufwendig, und üblicherweise werden hier auch Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Deutschland importiert diese Öle vor allem aus Neuseeland. Auch wenn Hanföl nur 2 bis 4 Prozent GLA enthält (gegenüber z. B. 8 bis 10 Prozent im Nachtkerzenöl), ist es, umgerechnet auf den Gehalt, deutlich preiswerter als die seltenen exotischen Öle. Zudem kann es als Speiseöl einfach in die tägliche Ernährung integriert werden. Um Hanföl auch in medizinische Applikationen einzuführen, wäre es günstig, seinen GLA-Gehalt weiter anzureichern. Dies kann durch Zucht oder auch Anreicherung mit extrahierter GLA geschehen. Hanfzüchter sind überzeugt, daß der heutige GLA-Gehalt im Hanföl durch Züchtung spezieller Ölsorten deutlich erhöht werden kann.

Natürliches THC für Medikamente

Seit Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vom 1.2.1998 ist der Hanfwirkstoff THC auch in Deutschland wieder ver-schreibungs- und verkehrsfähig. Die Wiederanerkennung der therapeutischen Wirksamkeit von THC ist vielleicht eine der wichtigsten Folgen dieses Buchs. Viele schwerkranke Menschen, die an Multipler Sklerose, Krebs oder Aids leiden, haben erfahren, daß Hanf sehr erfolgreich gegen Krämpfe und Appetitlosigkeit hilft. Aber bisher konnten sie sich ihre Medizin nur auf dem Schwarzmarkt besorgen. Jetzt ist sie wieder verschreibungsfähig – allerdings derzeit nur als synthetisches Präparat. Das künstlich hergestellte THC ist extrem teuer und muß aus den USA, wo es unter den Markennamen »Marinol« und »Nabilon« auf dem Markt ist, importiert werden. Nur durch Intervention der 1996 gegründeten »Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin« (ACM) konnte verhindert werden, daß in der Änderung des Betäubungsmittelgesetzes keine Beschränkung auf synthetisches THC festgeschrieben wurde. Die im vorliegenden Buch geschilderte Politik des ehemaligen Präsidenten George Bush, der die Hanfforschung unterbinden wollte, um allein dem patentierten synthetischen THC des mit der Präsidentenfamilie verbandelten Pharmakonzerns Eli Lilly diese Märkte zu öffnen (vgl. S. 73), wurde kurz vor ihrer gesetzlichen Zementierung gerade noch einmal abgewendet. Deshalb können künftig auch in Deutschland Arzneimittel mit natürlichem THC zugelassen werden, und hier bietet sich einem heimischen Medizinalhanfanbau ein großer Zukunftsmarkt. Das nova-Institut schätzt das Marktvolumen THC-haltiger Arzneien auf 100 Millionen Mark jährlich. Die Unterschiede zwischen synthetischem und natürlichem THC werden in einem großangelegten Forschungsprojekt unter der Leitung von Professor Robert Gorter vom Klinikum Berlin-Moabit an verschiedenen Kliniken in Deutschland, Holland, Österreich und der Schweiz experimentell untersucht. Die aus den USA dazu vorliegenden Daten deuten darauf hin, daß bei vielen Patienten die Cannabinolwirkstoffe des natürlichen Krauts besser wirken als das synthetische THC. Wenn die überlegene Wirkung der Pflanze in dieser Studie bestätigt wird, steht einer Zulassung und damit auch dem Anbau von Medizinalhanf nichts mehr im Wege.

Perspektiven der Hanfindustrie

Schon eine erste Realisierung dieser aussichtsreichen Hanfproduktlinien würde nach den Berechnungen des nova-Insti-tuts eine Anbaufläche von 30000 Hektar Hanf erfordern. Betrachtet man allein die Tonnagen an Formpreßteilen für die deutsche Automobilindustrie, wird diese Anbaufläche wesentlich größer sein. Da Hanf dafür optimal geeignet ist und durch die derzeitigen EU-Beihilfen (bzw. künftig aufgrund einer ökologischen Steuerreform) auch preislich konkurrenzfähig sein wird, ist es einzig eine politische Entscheidung, wie schnell eine heimische Hanfwirtschaft zum Grundversorger des deutschen Exportartikels Nummer eins werden kann. Die Regierung zu Füßen Kohls hat nach der zähneknirschenden Genehmigung 1996 bis dato bloß als Hanfbremser gewirkt, indoktriniert von der seit über 60 Jahren vom großen Bruder über den Teich geflöteten Botschaft vom »Mörderkraut«.

Doch eben hier zeichnet sich eine Wende ab, und wie im »Summer of love« 1967, als Hanf für die westliche Welt wiederentdeckt wurde, surft auch 30 Jahre später die Bay-Area um San Francisco an der Spitze der Bewegung. Im vergangenen Jahr entschied eine Volksabstimmung in Kalifornien und Arizona – gegen die Bundesgesetze, gegen die offizielle Meinung und gegen den nichtinhalierenden Präsidenten –, daß Patienten der Anbau von Marihuana als Heilpflanze künftig wieder zu erlauben ist. Die medizinischen Belege, daß es sich bei dem beliebtesten aller illegalen Genußmittel um ein hochwirksames und unverzichtbares Arzneimittel handelt, sind zu überwältigend, als daß sich die Lüge vom »Mörderkraut« länger propagieren ließe. Und dies ausgerechnet in der Höhle des Löwen, den USA, die den internationalen »war on drugs« nach wie vor anführen. Während dem Welt-Drogen-Sheriff (dessen Gemeinde selbst mit 5 Prozent der Weltbevölkerung über 50 Prozent aller illegalen Substanzen verbraucht) an der Heimatfront die Felle in Sachen Cannabis wegschwimmen, suchen seine Nacheiferer in deutschen Amtsstuben zu retten, was noch zu retten ist. Im Oktober 1997 veröffentlichte das dem Bundesgesundheitsministerium unterstellte Bundesinstitut für gesundheitlichen und veterinärmedizinischen Verbraucherschutz (BgvV) eine Presseerklärung, die vor Vergiftungen durch THC in Lebensmitteln warnte. Anlaß für die »Warnung vor THC in Hanflebensmitteln« war eine Hanfölprobe aus der Schweiz, die einen extrem hohen Gehalt des rauschwirksamen Hanfbestandteils THC enthielt. Der als Aufhänger für diese Warnung herangezogene THC-Meßwert aus der Schweiz ist jedoch in keiner Weise repräsentativ für Hanfprodukte aus EU-zertifizierten, THC-armen Hanfsorten. Die THC-Stichproben deutscher Hanflebensmittel, etwa aus dem HanfHaus, liegen um ein Vielfaches darunter. Warum das besagte Bundesinstitut nicht auf die bundesdeutschen Meßdaten zurückgegriffen hat, dafür gibt es eine einfache Begründung: Weder historisch noch aktuell ist auch nur eine einzige »Vergiftungserscheinung« durch THC-Reste in Lebensmitteln in Deutschland oder der EU belegt! Der bei der Schweizer Probe gefundene Wert lag um den Faktor 300 über dem in der Schweiz geltenden Grenzwert von 50 Milligramm/pro Kilo; das Hanföl hätte also auch in der Schweiz gar nicht auf den Markt kommen dürfen.

Hintergrund dieser Panikmeldung der deutschen Gesundheitsschützer, die es natürlich prompt bis in die »Tagesschau« schaffte, ist kein medizinischer oder volksgesundheitlicher Aspekt: am Ende seiner Erklärung zitiert das Bundesinstitut vielmehr das »United Nations International Narcotics Control Board«, jene seit der UNO-Gründung von den USA dominierte Abteilung, in die man den manischen Hanfverfolger Harry Anslinger 1946 weggelobt hatte und die noch ein halbes Jahrhundert danach ganz im Geiste ihres ersten Chefs agiert und im Zusammenhang mit einem der ältesten Nahrungsmittel der Menschheit nunmehr behauptet, »daß der Einsatz von Hanf in Lebensmitteln die Bereitschaft zum Konsum illegaler Hanfprodukte fördert und den Maßnahmen zur Einschränkung des Drogenmißbrauchs entgegenwirken könnte«. Nach dieser Sprachregelung des UN-Büros muß Hanföl auf dem Salat künftig quasi als Einstiegsdroge gelten. Absurder geht’s wirklich nicht mehr – und eigentlich warten wir jetzt nur noch auf eine Behauptung, daß THC-Spuren in Hanfjeans die Träger high machen und die Hosen deshalb aus dem Verkehr gezogen werden müssen.

Noch ist die Schlacht nicht gewonnen, noch ist die Hanfwirtschaft nicht über’n Berg. Das »Imperium« schlägt noch zurück, wo immer es kann. Die Front im Drogenkrieg soll gehalten werden, jede Förderung der Hanfnutzung wird als Nachgeben, jede positive Äußerung über die einmaligen Qualitäten der Pflanze als Verharmlosung der Droge empfunden. So ließ sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei der Veröffentlichung eines Berichts über Cannabis durch das »International Drug Control Board« erpressen, eine Studie über die geringen Gesundheitsschäden beim Dauergebrauch von Cannabis im Vergleich mit Tabak oder Alkohol aus ihrem Bericht zu entfernen. Als die Unterschlagung des drogenpolitisch mißliebigen Ergebnisses aufflog und die Wissenschaftszeitschrift »New Scientist« (Nr. 2122) am 21. Februar 1998 ausführlich darüber berichtete, ließ das »International Drug Control Board« nur jene Platitüde verlauten, die selbst hartgesottene Prohibitionisten kaum noch in den Mund nehmen: Cannabis sei nach wie vor als »Einstiegsdroge« zu betrachten.

Der schlafende Riese, den wir mit diesem Buch geweckt haben, ist erwacht und beginnt sich zu regen. Solange aber mit dem Kahlschlag von Urwäldern für Papier, den Pestizidorgien auf Baumwollplantagen, dem Anfeuern des Treibhauseffekts mit fossiler Energie straflos hohe Renditen erzielt werden können, solange werden ein Umdenken und Umsteuern in der globalen Wirtschaft und ein wirklicher Massenmarkt für die Nutzpflanze Hanf ein frommer Wunsch bleiben. Deshalb brauchen wir jetzt eine ökologische Steuerreform, die eine Wende zu sanfter Energie und nachwachsenden Rohstoffen fördert. Werden solche Rahmenbedingungen geschaffen, kann Hanf als universeller heimischer Rohstoff zu einem Paradigma dieser Wende werden und als Korrektiv zur Globalisierung für Lokalisierung – für eine regionale Kreislaufwirtschaft – sorgen. Das grandiose Comeback, das die Nutzpflanze Hanf in den letzten vier Jahren erlebt hat, ist ein vielversprechender Anfang. Er zeigt, daß wir gar keinen Fehler machen können, wenn wir auf jene alte Gefährtin aus dem Pflanzenreich vertrauen, die der Menschheit seit mindestens 12000 Jahren immer und vor allem in Notzeiten zur Seite stand. Es gibt viel zu tun. Pflanzen wir's an!