Rassismus: |
Rassismus und Bigotterie haben seit der Abschaffung der Sklaverei in den USA Formen angenommen, die weniger drastisch und augenfällig sind. Wie massiv sich die Unterdrückung rassischer Minderheiten aber auch danach noch institutionalisieren ließ, belegen die Gesetze zum Verbot von Cannabis. An ihnen ist abzulesen, wie sich hinter schönen Reden und Gesetzen, die vorgeblich die menschenfreundlichsten und edelsten Absichten verfolgen, Vorurteile verbergen und Vorverurteilungen Gesetzeskraft erlangen können.
Cannabisrauchen in Amerika
Soweit bekannt ist, wurden Blütenspitzen der weiblichen Cannabispflanze in der westlichen Hemisphäre erstmalig in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts auf den Westindischen Inseln (Jamaika, Bahamas, Barbados etc.) geraucht.1Die Sitte des Cannabisrauchens gelangte mit der Einwanderung Tausender indischer Hindus dorthin, die als billige Arbeitskräfte angeworben worden waren. Mexikanische und schwarze Seeleute, die auf den Inseln Handel trieben, lernten diesen Brauch 1886 kennen und verbreiteten ihn überall in diesem Gebiet und in Mexiko.
In der Karibik rauchte man Cannabis, um sich die zermürbende Arbeit auf den Zuckerrohrfeldern zu erleichtern und um die Hitze zu ertragen. Nach der Arbeit konnte man sich damit entspannen, ohne die Nachwirkungen am nächsten Morgen befürchten zu müssen, die so häufig mit dem Genuß von Alkohol verbunden sind.
Geht man davon aus, daß das Marihuanarauchen im 19. Jahrhundert von den Westindischen Inseln der Karibik und von Mexiko seinen Ausgang nahm, ist es nicht überraschend, daß in den USA zuerst im Jahre 1903 Mexikaner in Brownsville, Texas, Marihuana geraucht haben sollen. 1909 wurde auch im Hafen von New Orleans geraucht und dort vor allem in dem von Schwarzen dominierten Bezirk »Storeyville«, den viele Seeleute aufsuchten.
Storeyville in New Orleans war ein Viertel voller Kleinkunstbühnen, Bordelle, Musik und all den anderen üblichen Begleiterscheinungen von »Rotlichtdistrikten« der ganzen Welt. Die Seeleute von den Inseln verbrachten in Storeyville ihren Landurlaub und versorgten sich hier auch mit Marihuana.
Blackface: »Jim-Crow« ...
Der für die öffentliche Sicherheit zuständige Beamte von New Orleans schrieb, daß »Marihuana die entsetzlichste und verwerflichste Droge [sei], die New Orleans je erreicht« habe. 1910 wies er warnend darauf hin, daß es allein in Storeyville 200 Menschen gebe, die regelmäßig Marihuana nehmen.
Von 1910 bis in die 30er Jahre hinein, so glaubten der Bezirksstaatsanwalt, die für die öffentliche Sicherheit zuständigen Beamten und die Zeitungen von New Orleans, habe sich der schlechte Einfluß von Marihuana darin gezeigt, daß es die »Schwarzen« denken ließ, sie seien so gut wie der »weiße Mann«.
Man machte Marihuana dafür verantwortlich, daß schwarze Unterhaltungskünstler es erstmalig ablehnten, vorschriftsgemäß ihre Gesichter einzuschwärzen.2 Und wenn Schwarze hysterisch zu lachen begannen, weil ihnen befohlen wurde, die Straßenseite zu wechseln oder sich in den hinteren Bereich der Straßenbahn zu scheren etc., dann schrieb man das der Wirkung von Marihuana zu.
... und dieser ganze Jazz der »schwarzen Vögel«
Die Weißen in New Orleans waren schließlich auch darüber besorgt, daß schwarze Musiker, von denen es hieß, sie würden Marihuana rauchen, eine derart kraftvolle »Voodoo«-Musik machten, daß selbst anständige weiße Frauen mit ihren Füßen im Takt zu wippen begannen. Der Zweck dieser Musik, so fürchteten die Weißen, sollte wohl die Befreiung vom Joch ihrer Herrschaft sein. Diese Musik hat längst einen eigenen Namen. Es ist der Jazz!
Die Jazz- und Swingmusik der »Neger, Mexikaner und Unterhaltungskünstler« galt als Ausgeburt unkontrollierbarer wilder Haschischrräume.
Die Schwarzen benutzten die Angst dieser Rassisten vor der »Voodoo«-Musik offenbar dazu, sich die Weißen vom Leibe zu halten. Als Wiege des Jazz bezeichnet man allgemein das Storeyville in New Orleans. Hier ist auch die Heimat seiner ursprünglichen Erfinder, Buddy Bohlen, Buck Johnson und anderer Jazzmusiker (1909-1917), sowie der Geburtsort von Louis Armstrong (1909).3
Amerikanische Zeitungen, Politiker und Polizeikräfte wußten über 15 Jahre lang tatsächlich nicht, daß es sich bei dem Marihuana, das die »Darkies« und »Chicanos« in Zigaretten oder Pfeifen rauchten, um eine schwächere Version der konzentrierten Cannabismedizin handelte, die viele von ihnen kannten, weil sie sie von Kindesbeinen an zu sich nahmen. Sie wußten auch nicht, daß es sich um dieselbe Droge handelte, wie sie in den luxuriös ausgestatteten Haschischstuben des »weißen Mannes« geraucht wurde. Diese Ahnungslosigkeit hielt sich bis in die 20er Jahre hinein, und auch danach verschwand sie nicht gleich.
Die weißen Rassisten hatten keine Ahnung, verfaßten aber zwei Jahrzehnte lang Artikel und erließen städtische Verordnungen und Gesetze, die gegen die aufsässige »Anmaßung«5 der marihuanakonsumierenden Schwarzen und Mexikaner gerichtet waren.
Man kann sich vorstellen, wie das weiße Establishment auf die Weigerung der schwarzen Musiker, sich das Gesicht schwarz zu färben, reagierte. Sieben Jahre später, 1917, lag das kulturelle Leben in Storeyville jedenfalls völlig darnieder. Die Apartheid feierte traurige Triumphe.
Die rechtschaffenen ehrbaren weißen Bürger brauchten sich nun nicht mehr darum sorgen, daß weiße Frauen ins Storeyville gingen, um »Voodoo-Jazz« zu hören, und womöglich von marihuanaverrückten »Schwarzen« vergewaltigt wurden. Im Marihuanarausch sollen Schwarze sogar so aufsässig und respektlos gegenüber den Weißen und ihren »Jim-Crow«-Gesetzen gewesen sein, daß sie auf deren (der Weißen) Schatten traten und sich ähnliche Anmaßungen herausnahmen.
Schwarze Musiker zogen mit ihrer Musik und ihrem Marihuana den Mississippi hinauf nach Memphis, Kansas City, St. Louis, Chicago und weiter. Prompt erließen dort die (weißen) Stadtväter aufgrund der gleichen rassistischen Motive Marihuanagesetze, wie das zuvor die weißen Bürger von New Orleans getan hatten. Diese Gesetze sollten die »verwerfliche« Musik aufhalten und weiße Frauen davor bewahren, durch Jazz und Marihuana den Schwarzen zu verfallen.
Mexiko-Amerikaner
Kalifornien und Utah erließen 1915 Staatsgesetze, die Marihuana auf der Grundlage der »Jim-Crow«-Gesetze verboten – wobei man sich diesmal allerdings von den Hearst-Schriften über Chicanos leiten ließ.
1917 folgte Colorado. Die Gesetzgeber dieses Bundesstaates beriefen sich auf Ausschweifungen der Rebellenarmee Pancho Villas, dessen bevorzugte Droge Marihuana gewesen sein soll. Wenn das der Wahrheit entspricht, dann heißt das, daß Marihuana mit dazu beigetragen hat, eines der brutalsten und übelsten Regimes zu stürzen, unter denen Mexiko je zu leiden hatte.
Das Blackface-Team Mclntyre und Heath sorgte jahrzehntelang für Lachstürme heim weißen Publikum
Die Gesetzgeber von Colorado glaubten, daß nur ein Marihuanaverbot den unmittelbar bevorstehenden Rassenaufstand und die Zerschlagung ihrer (der Weißen) ignoranten und bigotten Gesetze und Institutionen verhindern konnte.
Der Kampf gegen das Marihuana, das »Mörderkraut« der Mexikaner, kam den Weißen gerade recht; einen besseren Vorwand, gewaltsam gegen die mexikanischen Arbeiter vorzugehen und sie zu unterdrücken, konnte es gar nicht geben.
Waren es nicht marihuanarauchende Mexikaner, die plötzlich menschenwürdige Unterkünfte und Behandlung verlangten? Und kam es nicht sogar vor, daß Mexikaner weißen Frauen hinterhersahen? Ließen sie nicht bereits verlauten, ihre Kinder hätten ein Recht darauf, öffentliche Schulen zu besuchen, während ihre Eltern auf den Zuckerrohrfeldern arbeiteten? Und bei diesen Forderungen allein würde es sicher nicht lange bleiben! Gegen solche endlosen Anmaßungen mußte eingeschritten werden. Da kam der Kampf gegen das Marihuana, das »Mörderkraut« der Mexikaner, den Weißen gerade recht; einen besseren Vorwand, gewaltsam gegen die mexikanischen Arbeiter vorzugehen und sie zu unterdrücken, konnte es gar nicht geben.
Ansiinger ließ Dossiers anlegen über Thelonious Monk, Louis Armstrong, Les Brown, Count Basie, Jimmy Dorsey, Duke Ellington, Dizzy Gillespie, Lionel Hampton, Andre Kostelanetz, Cab Calloway, das NBC-Orchester, die Milton-Berle-Show, die Coca-Cola-Sendung, die Jackie-Gleason-Show und die Kate-Smith-Sendung.
Der »Marihuanarassismus« hält bis heute an. Harry Ansiinger berichtete 1937 dem Kongreß, daß es in den USA insgesamt 50 000 bis 100 000 Marihuanaraucher gebe und daß die meisten von ihnen »Neger und Mexikaner und Unterhaltungskünstler« seien.6 Er bezeichnete ihre Musik, den Jazz und den Swing, als Folgeerscheinung des Mari-huanagenusses und behauptete, daß diese »satanische« Musik und der Genuß von Marihuana weiße Frauen dazu brächten, »sexuelle Beziehungen mit Negern zu wollen«!
Südafrika heute
In Südafrika wurde ab 1911 aus denselben Gründen wie in New Orleans Marihuana verboten: um aufsässige Schwarze niederzuhalten!7 Gemeinsam mit Ägypten führte Südafrika später im Rahmen des Völkerbunds den internationalen Kampf zur weltweiten Ächtung von Cannabis an.
Im selben Jahr drängte Südafrika die Gesetzgeber der Südstaaten der USA dazu, Cannabis zu verbieten, das viele schwarze Südafrikaner als »Dagga«, ihr heiliges Kraut, kannten.
Dies ist der rassistische und religiöse Rahmen, in welchem unsere Gesetze gegen Hanf entstanden; er entspricht dem der mittelalterlichen katholischen Kirche. Kann man darauf stolz sein?
Insgesamt zwölf Millionen Jahre verbrachten Amerikanerinnen bisher aus diesen rassistischen und sicherlich auch aus ökonomischen Gründen in Gefängnissen und Zuchthäusern oder lebten unter strengen Auflagen oder auf Bewährung (vgl. Kapitel 4).
Ist es nicht interessant, daß die USA 1985 im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung mehr Menschen in Gefängnisse gesperrt hatten als jedes andere Land der Welt, ausgenommen Südafrika? 1989 überholten die USA sogar Südafrika, und 1992 war der Prozentsatz der Gefangenen in den USA nahezu dreimal so hoch wie der von Südafrika.
Präsident Bush versprach in seiner großen Rede zur Drogenpolitik am 5. September 1989, daß er die Zahl der Inhaftierten erneut verdoppeln werde, nachdem dies schon unter Reagan geschehen war. Dieses Ziel erreichte er 1992, und bis 1996 wollte er die Zahl der Gefangenen ein weiteres Mal verdoppelt haben.
Hier sei an den öffentlichen Aufschrei im Jahre 1979 erinnert, als der ehemalige UNO-Botschafter Andrew Young der Welt mitteilte, daß es in den USA mehr politische Gefangene gibt als in jedem anderen Land (Amnesty International, ACLU).
Das lange Echo dieser Politik
Obwohl die gesetzliche Auflage zur Schwärzung des Gesichts in den späten 20er Jahren abgeschafft wurde, mußten schwarze Unterhaltungskünstler wie Harry Belafonte oder Sammy Davis Jr. bis in die 60er Jahre hinein Theater, Bars etc. durch die Hintertür betreten; das verlangte das Gesetz!
Sie konnten sich in Las Vegas oder Miami Beach kein Hotelzimmer mieten, selbst wenn sie die Hauptattraktion des Abends waren.
Ben Vereens Performance zur Amtseinführung von Präsident Reagan im Jahre 1981 stellte die Entwicklung der USA im Jahrhundert des Blackface und der »Jim-Crow«-Gesetze in einer großartigen Geschichte über den genialen schwarzen Komiker Bert Williams dar (um 1890 bis 1920).
Vereen war eingeladen worden, bei der Amtseinführung von Reagan aufzutreten, und hatte diese Einladung nur unter der Bedingung angenommen, daß er die Geschichte des wirklichen »Blackface« ohne Einschränkungen erzählen konnte. Die erste Hälfte von Vereens Show, die von Bert Williams und dem Blackface handelte, wurde jedoch von Reagans Leuten bei der Fernsehanstalt ABC zensiert – entgegen der ausdrücklichen Absprache, die Vereen mit den Beratern Reagans getroffen hatte.