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Das Ende des
legalen Hanfanbaus

Die industrielle Revolution des 19. Jahrhunderts bedeutete einen Rückschlag für die kommerzielle Verwertung des Hanfs, denn es gab noch keine technische Möglichkeit, den Hanf maschinell zu ernten und zu brechen, was für die Massenproduktion Voraussetzung gewesen wäre. Aber dieser Naturstoff war viel zu wertvoll, als daß man ihn für lange Zeit ins Abseits der Geschichte hätte verweisen können.

Schon 1916 prophezeite das US-Landwirtschaftsministerium in seinem Bulletin Nr. 404, daß eine Schäl- und Erntemaschine entwickelt werden und Hanf seine Bedeutung als Amerikas größter landwirtschaftlicher Industriezweig wiedererlangen würde. Im Jahre 1938 stellten Fachzeitschriften wie Popular Mechanics und Mechanical Engineering einer neuen Investorengeneration die erste vollautomatische Hanf-Schälmaschine vor, die ein neues Kapitel der Geschichte der Hanfverwertungsmöglichkeiten einleitete.

Durchbruch hei der Papierherstellung

Würde Hanf legal und mit den technischen Hilfsmitteln des 20. Jahrhunderts angebaut und verarbeitet, wäre er heute die bedeutendste landwirtschaftliche Nutzpflanze in den Vereinigten Staaten und weltweit.1

Als die Artikel aus Popular Mechanics und Mechanical Engineering zu Beginn des Jahres 1937 verfaßt wurden, war es tatsächlich noch legal, Hanf anzubauen. Und diejenigen, die damals Geschäfte mit Hanf in Milliardenhöhe vorhersagten, hatten weder die Einkünfte aus der Herstellung von Arznei- und Lebensmitteln noch aus der Energiegewinnung (Brennstoff) berücksichtigt, die jährlich eine weitere Milliarde Dollar oder mehr für die angeschlagene Wirtschaft der USA eingebracht hätten. Die Vermarktung als Rauschmittel hätte wirtschaftlich nur eine untergeordnete Rolle gespielt.

Der wichtigste Grund, weshalb 1938 Gewinne in Milliardenhöhe vorausgesagt wurden, war die Nutzung von Hanf als Rohstoff zur Herstellung von »Hanfzellstoffpapier« (im Unterschied zu Holzzellstoffpapier oder Hadernpapier). Große Bedeutung hatten auch seine Faserstruktur, sein Samen und die vielen verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten seiner Zellmasse. Das bemerkenswerte neue Zellstoffverarbeitungsverfahren zur Herstellung von Hanfpapier wurde 1916 im Auftrag des US-Landwirtschaftsministeriums von dem Botaniker Lyster Dewey und dem Chemiker Jason Merrill entwickelt.

Dem US-Landwirtschaftsministerium zufolge sollte das Verfahren erst dann eingesetzt werden, wenn die Erfindung einer Schäl- und Erntemaschine seine Anwendung wirtschaftlich sinnvoll machen würde.

Bis zu diesem Zeitpunkt wurde Hanfpapier lediglich aus Lumpen und Stengelfasern hergestellt, und man verbrannte das faser- und zellulosereiche Werg, um damit den Boden zu düngen.

Ein Plan zur Rettung der Wälder

Manche Cannabissorten werden so groß wie Bäume; sie erreichen in einer Wachstumsperiode eine Höhe von 6 Metern oder mehr.

Bei dem neuen Papierherstellungsverfahren verwendete man Hanfwerg, das 77 Prozent des Hanfstengelgewichts ausmacht und bis dahin ein ungenutztes Nebenprodukt des Faserschälverfahrens war.

1916 berichtete das Bulletin Nr. 404 des US-Landwirtschaftsministeriums, daß man auf einer Fläche von 0,4 Hektar bei jährlichem Wiederanbau von Hanf über einen Zeitraum von 20 Jahren hinweg ebensoviel Zellstoffaser gewinnen könne wie durch die Rodung von 1,66 Hektar Wald im selben Zeitraum. Bei diesem Verfahren würde man nur ein Viertel bis ein Siebtel der umweltbelastenden schwefligen Säuren benötigen, um das klebrige Lignin aufzulösen, das die Zellstoffasern zusammenbindet, oder man könnte sogar ganz ohne Chemikalien auskommen, wenn kalzinierte Soda verwendet würde. Zudem ließe sich die Gewässerverseuchung mit Dioxin vermeiden, denn für dieses Verfahren benötigt man (im Unterschied zur Herstellung von Holzzellstoffpapier) keine Chlorbleiche, sondern kann diese durch das weniger schädliche Wasserstoffperoxid ersetzen.

Um Holzzellstoffpapier herzustellen, muß der gesamte Holzfaserstoff chemisch aufgeschlossen werden. Hanf enthält nur 4 bis 10 Prozent Lignin, Baumholz dagegen 18 bis 30 Prozent. Somit liefert Hanf viermal mehr Zellstoff bei gleichzeitiger Verminderung der Umweltverschmutzung um das Vier- bis Siebenfache.

Würde man das 1916 entwickelte Verfahren zur Herstellung von Papier aus Hanfzellstoff heute anwenden, so könnte man damit 40 bis 70 Prozent des gesamten Holzzellstoffs, der bei der Herstellung von Produkten wie Karton, Computerpapier und Papiertüten verbraucht wird, ersetzen.

Wie wir bereits gesehen haben, war die wirtschaftliche Herstellung von Zellstoffpapier erst mit der Erfindung und dem Einsatz neuer Hanf-Schälmaschinen möglich, mit denen die Faser auf rationelle Weise vom Halm getrennt werden konnte. Mit dieser Technik konnte man auch die Verwendung von Holz als Baumaterial verringern, die Kosten für den Wohnungsbau senken und gleichzeitig dazu beitragen, die Sauerstoffversorgung unseres Planeten zu sichern.2

Ein Beispiel: Wenn das 1916 entwickelte Verfahren zur Herstellung von Hanfpapier aus Zellmasse heute legal wäre und zum Einsatz käme, so könnte man 40 bis 70 Prozent des gesamten Holzzellstoffs, der bei der Herstellung von Produkten wie Karton, Computerpapier und Papiertüten verbraucht wird, ersetzen.

Zellstoffpapier, das zu 60 bis 100 Prozent aus Hanfwerg gefertigt wird, ist wesentlich reißfester und elastischer als Papier aus Holzzellstoff. Die Herstellung von Holzzellstoffpapier zerstört unsere Umwelt, die Papierherstellung aus Hanf hingegen nicht.3

Konservierung und Ursachenbekämpfung

Die Bekämpfung der Ursachen des Schadstoffausstoßes, der meist mit Herstellungsverfahren einhergeht, bei denen Petrochemikalien oder deren Derivate verwendet werden, ist ein kostendämpfender Weg der Abfallkontrolle, der von Umweltschützern immer wieder gefordert wird.

Ob es sich um FCKW (Fluorchlorkohlenwasserstoff) aus Spraydosen, Computern und Kühlschränken handelt, um für militärische Zwecke produziertes Tritium und Plutonium oder um in der Papierherstellung verwendete Schwefelsäure, Ziel muß es stets sein, die Ursachen der Umweltverschmutzung und des Schadstoffausstoßes zu bekämpfen.

Die ökologischen Vorteile der Hanfnutzung – nämlich die Erhaltung unserer Wälder! – machen die Papiererzeugung aus Hanfwerg unentbehrlich für die Bekämpfung der Ursachen des Schadstoffausstoßes.

Wenn man im Supermarkt zwischen einer Plastiktüte und einer Papiertüte wählen soll, steht man vor der Frage: Papier von abgeholzten Bäumen oder Plastik aus fossilen Brennstoffen und Chemikalien. Gäbe es eine dritte Alternative, nämlich Hanfwergpapier, so könnte man sich für biologisch abbaubares und zugleich haltbares Papier entscheiden, das sich aus einem immer wieder nachwachsenden Rohstoff, dem Hanf, gewinnen läßt.

Die ökologischen Vorteile einer jährlichen Hanfernte – nämlich die Erhaltung unserer Wälder! – machen die Papiererzeugung aus Hanfwerg unentbehrlich für die Bekämpfung der Ursachen des Schadstoffausstoßes, zu denen auch die Nutzung fossiler Brennstoffe als Energiequelle zählt, die man durch Hanf ersetzen könnte.

Ein Komplott zugunsten der Kunststoffhersteller

Als Mitte der dreißiger Jahre mechanische Hanfschälmaschinen und Maschinen zur Konservierung der zellulosereichen Hanfzellmasse in technisch ausgereifter Form und zu erschwinglichen Preisen verfügbar wurden, drohten Unternehmen wie Hearst Paper Manufacturing Division, Kimberley Clark (USA), St. Regis und nahezu allen anderen großen Holz-, Papier- und Zeitungsunternehmen milliardenschwere Verluste, wenn nicht sogar der Bankrott.

Zufällig hatte Du Pont im Jahre 1937 sowohl Verfahren zur Herstellung von Plastik aus Öl und Kohle als auch neue Sulfat-/Sulfitverfahren zur Papierherstellung aus Holzzellmasse patentieren lassen, die, den unternehmenseigenen Archiven wie auch den Erkenntnissen von Historikern zufolge,4 über 80 Prozent seiner gesamten Produktion in den nächsten 50 Jahren ausmachen sollten.

Wäre der Hanfanbau in den USA nicht verboten worden, hätte Du Pont 80 Prozent seiner Geschäfte nicht gemacht; weiterhin hätte es den größten Teil der Schadstoffemissionen, die die Flüsse im Nordwesten und im Südosten des Landes belasten, nicht gegeben.

Unter den Bedingungen eines offenen Marktes hätte Hanf das Gros der bäuerlichen Familienbetriebe in den USA nicht nur retten können, sondern deren Zahl hätte sich trotz der Depression der dreißiger Jahre vermutlich sogar erhöht.

Die Konkurrenz des umweltfreundlichen Hanfpapiers und eines aus Naturstoffen hergestellten Plastikmaterials hätte die lukrativen Geschäfte von Hearst, Du Pont und dessen wichtigstem Geldgeber, Andrew Mellon von der Mellon Bank of Pittsburgh, gefährdet.

»Gesellschaftliche Reorganisation«

Zahlreiche geheime Treffen wurden abgehalten.

1931 ernannte Mellon in seiner Funktion als Hoovers Finanzminister den zukünftigen Mann seiner Nichte, Harry J. Anslinger, zum Leiter der gerade umorganisierten staatlichen Rauschgift- und Drogenbehörde FBNDD (Federal Bureau of Narcotics and Dangerous Drugs). Anslinger saß 31 Jahre lang auf diesem Posten.

Die Industriemagnaten und ihre Kapitalgeber wußten, daß Maschinen zum Mähen, Bündeln, Schälen (der Trennung der Faser vom zellulosereichen Werg) und zur Verarbeitung von Hanf zu Papier und Plastik Mitte der dreißiger Jahre verfügbar sein würden. Cannabishanf mußte also verschwinden.

Der Du Pont-Jahresbericht 1937 für die Aktionäre betonte die Dringlichkeit weiterer Investitionen in die neuen, aber noch nicht allgemein akzeptierten, synthetischen Erdölprodukte. Du Pont erwartete »radikale Einschnitte (...) bei der Steuergesetzgebung der Regierung. Sie könne in ein Instrument verwandelt werden, die Akzeptanz neuer Ideen des industriellen und sozialen Wiederaufbaus zu beschleunigen«5.

In The Marijuana Conviction (University of Virginia Press, 1974) haben Richard Bonnie und Charles Whitebread diesen Vorgang eingehend erläutert:

»Im Herbst 1936 hatte Herman Oliphant (der Chefberater des Finanzministeriums) beschlossen, die Besteuerungsbefugnisse (der Bundesregierung) einzusetzen, allerdings in Form eines Gesetzes, das am nationalen Schußwaffengesetz (National Firearms Act) orientiert war und in keinerlei Zusammenhang mit dem Harrison-(Narkotika)-Gesetz von 1914 stand. Oliphant selbst war für die Vorbereitung des Gesetzentwurfs verantwortlich. Anslinger wies seine Armee an, ihre Kampagne gegen Washington zu richten.

Der Hauptunterschied zwischen dem Marihuanasteuergesetz und dem Harrison-Gesetz besteht in der Idee einer prohibitiven Steuer. Unter dem Harrison-Gesetz waren Kauf und Besitz von Narkotika für nichtmedizinische Zwecke auf legalem Weg unmöglich.

Den Gegnern des Gesetzentwurfs, der vom Obersten Gerichtshof befürwortet wurde, erschien dies als ein klarer Hinweis darauf, daß die Entscheidungen des Kongresses eher davon getragen waren, ein bestimmtes Verhalten zu verbieten, als die Steuern zu erhöhen. So ›erlaubte‹ der Kongreß mit dem Schußwaffengesetz, welches darauf zielte, den Handel mit Schnellfeuerwaffen zu verbieten, jedermann, eine Maschinenpistole zu kaufen, verpflichtete ihn jedoch gleichzeitig dazu, Erwerbssteuern6 von 200 Dollar zu zahlen und den Kauf mit einem Bestellformular zu tätigen.

Das im Juni 1934 verabschiedete Schußwaffengesetz war das erste Gesetz, mit dem der Kongreß seine wahren Motive hinter einer ›prohibitiven Steuer‹ verbarg. Am 29. März 1937 bestätigte der Oberste Gerichtshof einstimmig dieses sogenannte Antischnellfeuerwaffengesetz. Zweifellos hatte Oliphant eine derartige Entscheidung des Gerichts erwartet, und das Finanzministerium brachte zwei Wochen später, am 14. April 1937, seinen Entwurf für das Marihuanasteuergesetz ein.«

Vor diesem Hintergrund ist Du Ponts Entscheidung zu verstehen, auf der Grundlage einer »Erzwingung der Akzeptanz unerwarteter neuer Vorstellungen von industrieller und gesellschaftlicher Reorganisation« in neue Technologien zu investieren.

Eine Frage des Motivs

Auf den wahren Zweck des Marihuanasteuergesetzes spielte Matt Rens von der Rens Hemp Company anläßlich der Senatsanhörungen des Jahres 1937 an:

Mr. Rens: Eine solche Steuer würde alle Kleinbetriebe aus dem Hanfanbaugeschäft werfen, und der Anteil der Kleinbetriebe ist beträchtlich (...). Der wahre Zweck dieses Gesetzentwurfs ist doch nicht der, Geld aufzubringen, oder?

Senator Brown: Also, wir bleiben bei der Aussage, daß er es ist ...

Mr. Rens: Aber er wird eine Million kosten.

Senator Brown: Danke (Zeuge wird entlassen).

Hearst, sein Haß und seine hysterischen Lügen

Die Sorge um die Folgen des Hanfrauchens veranlaßte zwei großangelegte staatliche Studien. Der britische Vizekönig von Indien veröffentlichte den »Bericht der indischen Hanfdrogen-Kommission 1893-1894« über das Bhangrauchen auf dem Subkontinent.

Und 1930 finanzierte die US-Regierung die Studie der Siler-Kommission über die Folgen des Marihuanarauchens amerikanischer Militärangehöriger in Panama. Beide Berichte kamen zu dem Schluß, daß Marihuana unproblematisch sei, und schlugen vor, dessen Konsum nicht unter Strafe zu stellen.

Zu Beginn des Jahres 1937 teilte der stellvertretende Leiter der amerikanischen Gesundheitsbehörde Walter Treadway dem Cannabis-Unterausschuß des Völkerbundes mit, daß »es über einen relativ langen Zeitraum hinweg genommen werden kann, ohne soziale oder emotionale Zerrüttungen herbeizuführen. Marihuana ist gewohnheitsbildend (...) genau wie (...) Zucker oder Kaffee«.

Aber da waren noch andere Kräfte am Werk. Die Kriegshetze, die 1898 in den Spanisch-Amerikanischen Krieg mündete, wurde von William Rudolph Hearst entfacht und mittels seiner landesweit operierenden Zeitungskette geschürt. Sie ist der Beginn des Sensationsjournalismus, des »yellow journalism«7, als einer treibenden Kraft amerikanischer Politik.

In den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts führte Hearsts Zeitungskette eine gezielte Kampagne der Sensationspresse für das Verbot von Hanf an. Zwischen 1916 und 1937 machten beispielsweise Geschichten über Autounfälle, bei denen im Wagen des Unfallverursachers Marihuanazigaretten gefunden worden waren, oft wochenlang Schlagzeilen. Andererseits waren Unfälle, bei denen Alkoholgenuß eine Rolle spielte (welche zu den wegen Marihuana verursachten Unfällen im Verhältnis von 1000 zu 1 standen), allenfalls eine Meldung auf den letzten Seiten wert.

Das Thema der durch Marihuanagenuß verursachten Autounfälle wurde den Amerikanerinnen und Amerikanern regelrecht ins Bewußtsein gehämmert, indem zwischen 1936 und 1938 in Filmen wie »Reefer Madness« und »Marijuana – Assassin of Youth« immer wieder Schlagzeilen eingeblendet wurden, die diesen Zusammenhang hervorhoben.

Bigotterie und Apartheid

Schon mit Ausbruch des Spanisch-Amerikanischen Krieges im Jahre 1898 hatte die Hearst-Presse eine Hetzkampagne gegen Spanier, Mexikaner und Lateinamerikaner begonnen.

Die Beschimpfungen wurden immer krasser, nachdem die »Marihuana rauchende« Armee von Pancho Villa8 2 000 Hektar von Hearsts bestem mexikanischen Forstland beschlagnahmt hatte.

Während der nächsten drei Dekaden malte Hearst unermüdlich das Bild der faulen, potrauchenden Mexikaner und Mexikanerinnen an die Wand und setzte damit eines der übelsten Vorurteile in die Welt, das bis heute in unseren [US-amerikanischen, d.Ü.] Köpfen spukt. Eine ähnlich rassistische Schmutzkampagne brach er gegen die »gelbe Gefahr« (Yellow Peril) der Chinesen vom Zaun.

Zwischen 1910 und 1920 vermeldeten Hearsts Zeitungen, daß die meisten Schwarzen, die weiße Frauen vergewaltigten, unter dem Einfluß von Kokain stünden. Diese Theorie ließ Hearst zehn Jahre lang verbreiten, bis er zu dem Schluß kam, daß es nicht Kokain, sondern der Marihuanarausch sei, der die Schwarzen dazu treibe, weiße Frauen zu vergewaltigen.

Hearsts Sensationspresse und andere Boulevardblätter veröffentlichten Berichte, aufgemacht mit fanatisierenden Schlagzeilen, in denen Schwarze und Mexikaner als wahnsinnige Bestien dargestellt wurden, die unter dem Einfluß von Marihuana ihre gegen die Weißen gerichtete »satanische Voodoomusik« (Jazz) spielten und für den überwiegend weißen Leserkreis dieser Blätter durch ihre Respektlosigkeit und »Brutalität« bedrohlich seien. Zu dieser Flut ausgedachter »Jim-Crow«-(Apartheid)-Vergehen gehörten so fürchterliche Straftaten wie: auf den Schatten eines Weißen zu treten, einem Weißen drei Sekunden oder länger direkt in die Augen zu sehen, eine weiße Frau zweimal anzusehen, eine weiße Person auszulachen usw.

Hearst hämmerte das obskure mexikanische Slangwort »Marijuana« in das Bewußtsein der englischsprechenden Amerikanerinnen und Amerikaner und führte es in die englische Sprache ein.

Wegen solcher »Verbrechen« verbrachten Hunderttausende Mexikaner und Schwarze aufgrund von Rassentrennungsgesetzen, die in den gesamten USA bis in die fünfziger und sechziger Jahre dieses Jahrhunderts hinein in Kraft waren, zusammengenommen Millionen von Jahren in Gefängnissen und Strafkolonien. Permanent hämmerte Hearst das obskure mexikanische Slangwort »Marijuana« in das Bewußtsein der englischsprechenden Amerikanerinnen und Amerikaner. Das Wort »Hanf« wurde ausrangiert, »Cannabis«, der wissenschaftliche Fachausdruck, ignoriert.

Das spanische Wort für Hanf ist »Cánamo«. Aber die Verwendung des mexikanischen Slangwortes – »Marijuana«, oft zu »Marihuana« amerikanisiert – ermöglichte es, daß das wichtigste Naturheilmittel und der bedeutendste Industrierohstoff der Welt unbemerkt ausmanövriert, verboten und aus der Sprache verdrängt werden konnte.

Die prohibitive Marihuanasteuer

Zwischen 1935 und 1937 wurden in geheimen Sitzungen des Finanzministeriums prohibitive Steuergesetze entworfen und Strategien geplant. »Marihuana« wurde nicht grundsätzlich verboten; das Gesetz legte eine »Gewerbesteuer für Händler und eine Erwerbssteuer für den Kauf von Marihuana« fest.

Importeure, Erzeuger, Verkäufer und Händler mußten sich beim Finanzamt registrieren lassen und Gewerbesteuer zahlen. Der Handel mit Marihuana wurde mit 1 Dollar pro Unze besteuert; mit 100 Dollar pro Unze, wenn der Händler nicht registriert war. Verkäufe an nicht gemeldete Steuerzahler wurden mit einer prohibitiven Steuer belegt. Eine Unze der »Rohdroge« Cannabis kostete damals einen Dollar.9 Man schrieb das Jahr 1937, der Staat New York beschäftigte zu dieser Zeit nur einen einzigen Beamten für Rauschgiftangelegenheiten.10

Nachdem der Oberste Gerichtshof am 29. März 1937 das Verbot des Verkaufs von Schnellfeuerwaffen mittels Besteuerung bestätigt hatte, war Herman Oliphant am Zuge.

Am 14. April 1937 brachte Oliphant den Marihuanagesetzentwurf direkt im Haushaltsausschuß ein – anstatt in anderen zuständigen Ausschüssen wie denen für Nahrung und Rauschgift, Landwirtschaft, Textil oder Handel.

Der Grund dafür könnte gewesen sein, daß der Haushaltsausschuß der einzige Ausschuß ist, der Gesetzentwürfe direkt ans Plenum weitergibt, ohne daß diese zuvor in anderen Ausschüssen debattiert werden müßten.

Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Robert L. Doughton11 ein wichtiger Verbündeter Du Ponts, segnete den Geheimentwurf für das Besteuerungsgesetz ab und legte ihn, nachdem er ihn mit fliegenden Fahnen durch den Kongreß gebracht hatte, unverzüglich dem Präsidenten vor.

»Hat eigentlich jemand den Amerikanischen Ärzteverband (AMA) gefragt?«

Selbst in den von ihm geleiteten Ausschußanhörungen sprachen sich viele der geladenen Sachverständigen gegen die Verabschiedung dieser ungewöhnlichen Steuergesetze aus.

Der Arzt und Rechtsanwalt Dr. William C. Woodward beispielsweise erklärte stellvertretend für den Amerikanischen Ärzteverband (AMA), das ganze Anhörungsverfahren sei für ihn eine Farce und Sensationshascherei. Im Zusammenhang mit der Vorlage des Gesetzes sei nicht ein einziges fundiertes Sachverständigenurteil eingeholt worden. Mit diesem Gesetz enthalte der Gesetzgeber, möglicherweise aus Unwissenheit, der Welt ein potentielles Heilmittel vor, und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da die Medizin im Begriff sei, herauszufinden, welche Wirkstoffe Cannabis enthalte.

Er erklärte dem Ausschuß, die Ärzte der AMA hätten sich nur deshalb nicht schon früher gegen die Marihuanasteuer ausgesprochen, weil es in der Presse zwanzig Jahre lang als das »tödliche Kraut aus Mexiko« verschrien worden sei.

Erst »zwei Tage vor Beginn« der Anhörungen im Frühling dieses Jahres (1937) hätten sie erkannt, daß die Pflanze, die der Kongreß zu verbieten beabsichtigte, in der Medizin als Cannabis bekannt sei – eine heilende Substanz, die in Amerika seit 100 Jahren erfolgreich gegen unzählige Krankheiten eingesetzt werde.

»Wir verstehen noch nicht recht, Herr Vorsitzender, warum dieser Gesetzentwurf zwei Jahre lang beraten wurde«, protestierte Woodward, »ohne daß der medizinische Berufsstand auch nur andeutungsweise davon in Kenntnis gesetzt wurde.«

Woodward und die AMA12 wurden von Anslinger und dem gesamten Kongreßausschuß heftig angefeindet und ihre Kritik kurzerhand abgetan.13

Als der Entwurf für das Marihuanasteuergesetz dem Plenum des Kongresses zur mündlichen Beratung und Abstimmung vorgelegt wurde, kam aus dem Publikum nur eine einzige relevante Frage: »Hat irgend jemand die AMA konsultiert und zu ihrer Meinung befragt?«

Darauf antwortete der Abgeordnete Vinson für den Haushaltsausschuß: »Ja, das haben wir. Ein gewisser Dr. Wharton (fehlerhafte Aussprache für Woodward) und die AMA stimmen vollkommen mit uns überein!«

Mit dieser denkwürdigen Lüge wurde der Entwurf verabschiedet und erhielt im September 1937 Gesetzeskraft. Man richtete eine Spezialeinheit der Bundespolizei ein, die für Millionen im Gefängnis verlorener Jahre und sogar für den Tod einzelner Amerikaner und Amerikanerinnen verantwortlich ist, bloß um eine giftproduzierende und umweltfeindliche Industrie am Leben zu erhalten und den fanatischen Rassenhaß einiger weißer Politiker noch weiter zu schüren.14

Auch andere Stimmen meldeten sich zu Wort

Das National Oil Seed Institute, Repräsentant der Hersteller hochwertiger Schmieröle und Farben, sprach sich ebenfalls massiv gegen das Steuergesetz aus. 1937 gab deren Syndikus, Ralph Loziers, vor dem Haushaltsausschuß mit beredten Worten folgende Erklärung über das Hanföl ab, das man zu verbieten beabsichtigte:

»Anerkannte Fachleute bestätigen, daß im Orient mindestens 200 Millionen Menschen diese Droge konsumieren. Und wir sollten nicht vergessen, daß dies schon seit Hunderten, ja Tausenden von Jahren so ist. Es ist erstaunlich, daß in Asien und im übrigen Orient, in Gebieten also, in denen sehr große Armut herrscht und man auf alle Pflanzen zurückgreift, welche die Natur in ihrer Fülle hervorbringt – es ist erstaunlich, daß, von den Anfängen der Zivilisation an, nicht einer dieser 200 Millionen Menschen jemals den Samen dieser Pflanze oder das Öl als Rauschmittel verwendet hat.

Wenn also der Samen oder das Öl irgendwelche schädlichen Substanzen enthielten, sollte man vernünftigerweise wohl annehmen, daß diese Orientalen, die in ihrer Armut nach allem greifen, was ihren quälenden Hunger stillt, diese Substanzen entdeckt hätten (...).

Verehrter Ausschuß, der Hanfsamen oder der Samen von Cannabis sativa L. wird in allen orientalischen Ländern und auch in Teilen Rußlands als Nahrungsmittel verwendet. Seit Generationen wird er dort auf den Feldern angebaut und als Mehl genutzt, besonders in Zeiten der Hungersnot (...).

Dieses Gesetz ist viel zu umfassend. Dieses Gesetz hat weltweite Konsequenzen. Dieses Gesetz wird Aktivitäten auslösen – die Knebelung eines bedeutenden Industriezweiges durch eine staatliche Behörde –, die der Vernichtung der gesamten Branche gleichkommen könnten.«

Worauf ich hinauswill: (...) Dieses Gesetz ist viel zu umfassend. Dieses Gesetz hat weltweite Konsequenzen. Dieses Gesetz wird Aktivitäten auslösen – die Knebelung eines bedeutenden Industriezweiges durch eine staatliche Behörde –, die der Vernichtung dieser Branche gleichkommen könnten. Im vergangenen Jahr importierten die USA 62 813 000 Pfund Hanfsamen, 1935 waren es 116 Millionen Pfund.«

Schutz von Sonderinteressen

Bei den Aussagen, die 1937 vor dem Kongreß zugunsten des Hanfverbots gemacht wurden, handelte es sich in der Mehrzahl um reißerische und rassistische Artikel aus den Boulevardblättern Hearsts und anderer Zeitungsverleger, die den Kongreßabgeordneten von Harry J. Anslinger,15 dem Leiter des FBN (Federal Bureau of Narcotics, aus dem später die DEA, Drug Enforcement Agency, hervorging) vorgelesen wurden.

Vor 1931 war Anslinger stellvertretender Prohibitionsbeauftragter gewesen. Der Onkel seiner Frau, Finanzminister Andrew Mellon, hatte ihm, wie bereits erwähnt, zu seinem Posten als Leiter der Rauschgiftbchörde verholfen. Eben dieser Andrew Mellon war auch der Besitzer und Mehrheitsaktionär der sechstgrößten Bank (1937) der Vereinigten Staaten, der Mellon-Bank in Pittsburgh, einer von nur zwei Banken, deren Dienste Du Pont von 1928 bis in die Gegenwart in Anspruch genommen hat.16

1937 gab Anslinger vor dem Kongreß folgende Erklärung ab: »Marihuana ist die gewalterzeugendste Droge in der Geschichte der Menschheit.«

Solche Aussagen, gepaart mit Anslingers empörend rassistischen Äußerungen und Ansichten, wurden vor einem von Südstaatlern dominierten Kongreß gemacht und können den Leser von heute nur peinlich berühren.

Erwähnt sei an dieser Stelle auch Anslingers sogenannte »Blutakte«. Diese Akte war fast ausschließlich aus Zeitungsartikeln angelegt, die der Hearst-Presse und anderen Boulevardblättern entnommen waren – Geschichten wie die von einem Beilmörder zum Beispiel, der den Recherchen zufolge vier Tage vor der Bluttat einen Joint geraucht hatte. Als belegte Tatsache tischte Anslinger dem Kongreß die Behauptung auf, daß rund 50 Prozent aller Schwerverbrechen von Spaniern, Mexikanern, Lateinamerikaner, Filipinos, Schwarzen und Griechen verübt wurden und daß diese Taten unmittelbar auf den Konsum von Marihuana zurückzuführen seien.17

Keiner der Berichte aus Anslingers »Blutakten« der dreißiger Jahre wird von Wissenschaftlern, die die Fakten sorgfältig geprüft haben, für echt gehalten.18

Notorische Lügen

Die Statistiken des FBI, die Anslinger hätte einsehen können, zeigten, daß mindestens 65 bis 75 Prozent aller Morde in den Vereinigten Staaten unter dem Einfluß von Alkohol verübt wurden. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

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»Mörder der Jugend«: »Sachbuch« zur Hanf-Prohibition, 1943

Anslingers rassistische Tiraden gipfelten beispielsweise darin, daß er dem Kongreß, ohne bei diesem Widerspruch hervorzurufen, Geschichten über »Neger mit Wulstlippen« vorlas, die die weißen Frauen mit Jazzmusik und Marihuana verführten.

Er präsentierte einen Artikel über zwei schwarze Studenten der Universität von Minnesota, die nach diesem Strickmuster eine weiße Kommilitonin verführt hätten, »mit dem Ergebnis, daß diese schwanger wurde«. Die Ungeheuerlichkeit, daß diese Droge weiße Frauen offenbar so enthemmte, daß sie bereit waren, einen »Neger« anzufassen oder auch bloß anzusehen, verschlug den Kongreßabgeordneten den Atem.

In den USA wußte außer einer Handvoll reicher Industrieller und ihrer gedungenen Polizisten so gut wie niemand, worum es wirklich ging, daß nämlich der potentielle Hauptkonkurrent ihrer Geschäfte – Hanf – als »Marihuana« verboten werden sollte.

Genauso ist es. Marihuana war höchstwahrscheinlich nur ein Vorwand für die eigentlich gemeinte Hanfprohibition und die wirtschaftliche Unterdrückung dieses Produkts.

Und durch die Verwechslung von Marihuana mit Stechapfel wurde die Sache noch verworrener. Die Presse stellte diesen Irrtum niemals richtig, sondern fuhr bis in die sechziger Jahre damit fort, Fehlinformationen zu drucken.

Gegen Ende der achtziger Jahre zogen die absurdesten und lächerlichsten Attacken gegen die Hanfpflanze landesweit die Aufmerksamkeit der Medien auf sich; so veröffentlichten 1989 zahlreiche Gesundheitsmagazine eine Studie, in der behauptet wurde, Marihuanaraucher nähmen pro Tag ein halbes Pfund zu. Heute hüllen sich die Redaktionen in dieser Angelegenheit lieber in Schweigen.19

Ernsthafte Diskussionen über den gesundheitlichen Nutzen, das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder ökonomische Aspekte in Zusammenhang mit der Hanffrage werden immer wieder mit der Bemerkung abgetan, daß sie nichts weiter als »ein Vorwand für das Potrauchen« seien, – als ob Menschen einen »Vorwand« brauchten, um über Tatsachen zu reden.

Man muß zugeben, daß die Taktik, die Öffentlichkeit über die wahre Natur von Hanf und dessen Bezug zum »Marihuana« durch Lügen im unklaren zu halten, sehr erfolgreich gewesen ist.