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Aktueller Stand von Anbau, |
Osteuropa
In Osteuropa haben sich Anbau, Nutzung und Erforschung der Hanfpflanze bis heute auf relativ hohem Niveau halten können; in den letzten Jahren kam es hier zu einer – vermutlich nur vorübergehenden – Destabilisierung der Hanfwirtschaft.
Wichtigste Hanfanbauländer sind Rumänien, das Gebiet der ehemaligen UdSSR, Ungarn und Polen. Auch in der Hanfforschung liegen diese Länder vorne. Rumänische Wissenschaftler konzentrieren sich vor allem auf die Züchtung faser- und ölertragsreicher Pflanzen. Sie experimentieren mit verschiedenen Sorten, Pflanzabständen und Düngemitteln (Gauca 1987). In Rußland sind neue Erntemaschinen in der Entwicklung; man versucht, tetraploide Sorten zu züchten und mit gentechnischen Eingriffen und anderen Techniken höhere Erträge zu erreichen (Sidorenko 1987, Golovii 1990, Galygin 1990, Shcherban' 1992). Die Forschungen in Ungarn konzentrieren sich auf Probleme der Papierherstellung aus Hanf (Nemeth 1992, Kovacs 1992; vgl. auch Abschnitt 3.a).
In Polen kommt man insbesondere aus Gründen des Wasserschutzes wieder auf den Hanf zurück. Gesucht werden Nutzpflanzen, bei deren Anbau auf Pestizide verzichtet werden kann, um die Schadstoffbelastung von Flüssen und Grundwasser zu verringern. Die deutsche Firma Oregon, die Wasseraufbereitungsprojekte in Polen betreut, hält dazu Hanf für besonders gut geeignet und empfiehlt, den Hanfanbau in Polen wieder auszudehnen (Lingen 1993).
Ungarn
In den letzten Jahren ist der ungarische Hanfanbau stark zurückgegangen. Zum einen kam es zu einer ähnlichen Entwicklung wie im Westen – Hanftextilien und -seile wurden zunehmend von synthetischen Produkten verdrängt – zum anderen hatte der politische und wirtschaftliche Zusammenbruch der Sowjetunion auch Folgen für die ungarische Hanfindustrie. Von der Sowjetarmee, ehemals Hauptabnehmer von Hanftextilien, kamen immer weniger Aufträge. In der sowjetischen Armee spielten Hanfprodukte eine große Rolle. Hanftextilien wurden beispielsweise in Gebieten extremer Kälte verwendet, wo synthetische Fasern untauglich sind, da sie schnell spröde werden und brechen.
Die Anbaufläche schrumpfte 1991 auf 6500 Hektar, 1993 waren es sogar nur noch 300 Hektar. Die Arbeitslosigkeit im ländlichen Bereich liegt heute bei 40 Prozent.
Aber in der ungarischen Hanfwirtschaft herrscht wieder Aufbruchstimmung. Man hat im Westen neue Absatzmärkte ausfindig gemacht und finanzstarke Partner gefunden, die die Verarbeitungstechnologien modernisieren und auf ein umweltfreundliches Niveau heben wollen. Zu nennen ist hier vor allem die englische Firma Green Machine, die umfangreiche Investitionen in die ungarische Hanftextilindustrie tätigt. Bereits 1994 wird es eine komplette Hanftextilkollektion geben, vom leichten Sommerstoff bis zum unverwüstlichen »heavy-duty«-Stoff für Liegestühle, Hängematten, Sitzbezüge und vieles mehr. Wichtigstes Produkt sollen die weltweit vertriebenen Hanfjeanshosen und -jacken werden. In Deutschland sind die Stoffe und Textilien über das HanfHaus (siehe Adressenteil am Ende des Buches) zu beziehen.
Green Machine legt generell großen Wert auf ökologische Aspekte – vom Anbau über die Fasergewinnung und -verarbeitung bis zum Endprodukt. Hanfkleidung kann und soll als die ökologische Textilie schlechthin präsentiert werden; damit, so hofft man, wird sich ein Zugang zu den Märkten Westeuropas und der USA erschließen lassen, wo das hohe Umweltbewußtsein zur Wiederentdeckung des Hanfs beitragen wird. Neben Textilien soll 1994 auch die Produktion von Hanfpapier, die Gewinnung von Hanföl und die Herstellung hochdämmender, leichter Spanplatten aus Hanfschäben aufgenommen werden.
Ungarn hat gute Chancen, weltweit zum Vorreiter einer neuen, umweltverträglichen Hanfindustrie zu werden. (High Times 3/1994, Bröckers 1994)
Rumänien
Rumänien ist nach wie vor das Land mit den größten Hanfanbauflächen in Europa.
In den Jahren 1980 bis 1989 wurden hier jährlich zwischen 35000 und 47000 Hektar Faserhanf angebaut und hauptsächlich für Textilien genutzt. Danach kam es – aufgrund der zusammenbrechenden osteuropäischen und GUS-Märkte, der neuen Bodenverteilung und Auflösung der LPG – zu einer drastischen Abnahme der Hanfanbauflächen: 1990 wurden nur noch 16600 und 1991 nur 14000 Hektar angebaut (Fabritius 1994).
Aber die Nachfrage aus Westeuropa führte bereits 1994 wieder zu einer Zunahme der Anbauflächen. Für Sommer 1994 wird schon mit Lieferengpässen gerechnet. Englische, deutsche, amerikanische und auch ungarische Firmen kaufen, was sie bekommen können und sichern sich bereits die Ernte 1995.
Eine besondere Rolle beim Wiederaufbau der rumänischen Hanfindustrie wird der Know-how-Transfer zwischen Ost und West spielen. Die rumänische Hanfwirtschaft und -forschung kann den westeuropäischen Ländern ihr umfangreiches Wissen über Zucht und Anbau liefern, während der Westen mit Technik und Kapital dafür sorgen kann, daß moderne, umweltfreundliche Technologien bei Anbau und Verarbeitung zum Zuge kommen.
Statt auch in Rumänien Hanf durch synthetische Produkte zu ersetzen, sollte es angesichts der einheimischen Tradition doch gelingen, eine fortschrittliche ökologische Hanfwirtschaft zu entwickeln. Das Katalyse-Institut arbeitet derzeit entsprechende Projekte aus.
Westeuropa
In Spanien, Frankreich und England wird man 1994 Faserhanf kommerziell anbauen. In diesen Ländern ist ein zunehmendes Interesse an der Nutzung der Hanfpflanze zu beobachten, das sich in konkreten Forschungsvorhaben, in der Ausweitung der Hanfanbauflächen und der Entwicklung neuer Produktlinien zeigt. In Ländern wie den Niederlanden, Belgien, Irland und der Schweiz wird erwogen, 1994 oder 1995 den Hanfanbau wieder aufzunehmen.
In der EU dürfen Hanfsorten mit einem THC-Gehalt unter 0,3 Prozent im oberen Blattdrittel angebaut werden (EG 1984/86). Während sich die meisten Mitgliedstaaten mit ihren nationalen Vorschriften an diesen EU-Verordnungen orientieren, ist in Deutschland kommerzieller Hanfanbau immer noch generell untersagt.
Die EU unterstützt den Anbau von Faserhanf mit 339,42 ECU/ha, den Anbau zu Saatgutgewinnung mit 245,90 ECU/t (Kommission der EG 1993).
Spanien
In Spanien betreibt die Firma Celesa in der Nähe von Barcelona den Anbau einer Reihe von verschiedenen nachwachsenden Rohstoffen, darunter auch Hanf. Seine Fasern werden im bislang einzigen größeren Zellstoffwerk für Hanf in Europa verarbeitet. Dieser Zellstoff findet in Spezialpapieren für Banknoten, Teebeuteln oder technischen Filtern Verwendung, also in Bereichen, in denen Hanf dem Holz qualitativ überlegen ist.
Seit 1993 wird spanischer Hanfzellstoff nach Deutschland exportiert, wo man daraus Buch- und Schreibpapiere herstellt. Die bisherige Anbaufläche von 650 Hektar (Gsell 1993) soll aufgrund der deutschen Nachfrage erweitert werden; es wird eine Jahresproduktion von 4000 Tonnen Hanfzellstoff anvisiert. Die Bleiche dieses Zellstoffs wird 1994 vollständig auf Wasserstoffperoxid umgestellt.
Der spanische Hanfzellstoff kostet (1994) um 4000 DM pro Tonne, das ist etwa das 5fache wie Holzzellstoff. Der hohe Preis resultiert, abgesehen von der vergleichsweise geringen Produktionsmenge, aus der Monopolstellung von Celesa am westeuropäischen Markt.
Die Anbaumethoden, die praktiziert werden, sind ein Beispiel dafür, wie Hanfanbau nicht betrieben werden soll: als Monokultur und mit starker Düngung – mit entsprechenden Folgen für Boden und Grundwasser (Lingen 1994).
Italien
»Die italienische Administration erteilt Anbaubewilligungen. Die Schwierigkeiten, eine solche Erlaubnis zu erhalten, scheinen aber zahlreich zu sein. Das Land mit der einst zweitgrößten Anbaufläche der Welt (Anfangs des 20. Jahrhunderts) produziert nur noch unbedeutende Mengen« (Gsell 1993). Uns ist nicht bekannt, ob die früheren Höchst-qualitätsorten in irgendwelchen Nischen noch angebaut werden oder ob sie bereits endgültig verlorengegangen sind.
Österreich
Die Firma Fritz, Herstellerin von Naturkosmetika, stellt 1994 eine komplette Serie zur Körperpflege auf Basis von Hanföl vor: Seife, Shampoo, Haarbalsam sowie eine Schaum- und eine Duschbadlotion. Die Produkte werden auch in Deutschland vertrieben.
Schweiz
In der Schweiz sind Abklärungen im Gange, ob Hanf als nachwachsender Rohstoff zugelassen werden soll. BLW-Vizepräsident Josef Achermann ist »zuversichtlich, daß der Anbau in den nächsten Jahren möglich wird«. 1993 wurden wissenschaftliche Anbauversuche im Hinblick auf ökologische Verträglichkeit, Ertrag und psychotrope Bestandteile durchgeführt (Schädeli 1993, Gsell 1993). Auch die Industrie hat bereits ihr Interesse bekundet, um neue, umweltfreundliche Hanfproduktlinien zu entwickeln (Grether 1993).
Laut Thomson (1994) wird in der Schweiz bereits im Jahr 1994 erstmals wieder Hanf angebaut, der für Herstellung technischer Textilien Verwendung finden soll.
Frankreich
In Frankreich ist der Hanfanbau nie ganz eingestellt worden. Insbesondere in der Gegend um Le Mans haben sich Hanfanbau und -nutzung als traditionelle Erwerbszweige gehalten. Die Fasern finden für die Herstellung von Textilien (Oberbekleidung, Stoffschuhe, Taschen) und vor allem Spezialpapieren (z. B. Zigarettenpapier) Verwendung. Der Zellstoff für das Hanfpapier wird in kleineren Fabriken hergestellt, die ausschließlich französische Spezialpapierhersteller beliefern, nicht den übrigen europäischen Markt. In den letzten Jahren wurden aber auch neue erfolgreiche Produktlinien entwickelt, wie die Nutzung der Hanfschäben als vielseitiges Baumaterial (»Isochanvre«, vgl. Kapitel 3.d).
Le Mans ist auch der Sitz des französischen Hanfinstituts, dem Comité Du Chanvre, 72003 Le Mans CEDEX. Das Institut betreibt Anbauversuche, entwickelt neue Verfahren zum Faseraufschluß (mit Dampf und enzymatisch), führt Spinnversuche mit Hanf- und Mischgarnen (Hanf, Flachs usw.) durch und untersucht den technischen Einsatz von Hanffasern in Brems- und Kupplungsbelägen. Im November 1992 nahm das Hanfinstitut ein mit EG-Mitteln finanziertes, dreijähriges Projekt in Angriff.
Aber auch in anderen Regionen Frankreichs findet der Hanf Interesse. Im Elsaß werden, wie die Süddeutsche Zeitung (28.2.94) berichtet, jährlich mehrere Tonnen Hanf produziert, die unter anderem zu Dämmaterial und Katzenstreu verarbeitet werden.
1993 betrug die gesamte französische Anbaufläche für Hanf 5850 Hektar (Gsell 1993). Seit etwa fünf Jahren steigt sie kontinuierlich. Der durchschnittliche THC-Ge-halt der in Frankreich kultivierten Pflanzen liegt zwischen 0,1 und 0,2 Prozent (Gsell 1993).
Niederlande
In den Niederlanden laufen seit 1982 Untersuchungen zur Einführung der Hanfpflanze in die holländische Agrarwirtschaft.
Die Hanfforschung begann damals mit einer Studie, die unter den für den Standort Niederlande am besten geeigneten neuen Nutzpflanzen die Hanfpflanze zur Papierherstellung favorisierte (Themagroep Regionale Ontwikkeling 1982).
Daran schloß sich ein vierjähriges Projekt an, das mit etwa 10 bis 12 Millionen Gulden vom niederländischen Staat finanziert wurde und Ende 1993 auslief. Durchgeführt wurde das Projekt am Instituut voor Agrotechnologisch Onderzoek (ATO-DLO, 6700 AA Wageningen). Knapp vier Jahre wurde untersucht, ob es technologisch und ökonomisch sinnvoll ist, aus in den Niederlanden angebautem Hanf Papier herzustellen. Dabei geht es um Anbau, Aufschlußverfahren, mögliche Produzenten und Abnehmer. Die Chancen für eine großtechnische, holländische Hanfpapierproduktion stehen indes nicht gut, da sich Papierproduzenten und Abnehmer auf eingefahrenen Bahnen bewegen und ein neuer Papierrohstoff so nur sehr schwer auf dem Markt Zutritt erlangen wird (van der Veen 1993).
Auf der Basis des Abschlußberichtes soll 1994 entschieden werden, ob der Hanfanbau zur Papierproduktion weiterverfolgt werden soll. Unabhängig davon wollen einige holländische Landwirte 1994 oder 1995 mit dem kommerziellen Faserhanfanbau wieder beginnen.
Großbritannien
In England wurde 1993 zum erstenmal seit 30 Jahren wieder legal Hanf angebaut. Die Firma Hemcore Ltd. hat 32 Bauern unter Vertrag, die mit Genehmigung des Innenministeriums auf einer Fläche von 600 Hektar Hanf anbauten (Farmers Weekly vom 17.9.1993). Aufgrund der guten Erfahrungen mit Anbau und Absatz soll die Anbaufläche 1994 auf über tausend Hektar erweitert werden. Hemcore betreibt die einzige Faseraufbereitungsanlage in England, eine Fabrik in Felsted (Essex). Ian Lowe, Marketingdirektor der Firma, sagt zu den anvisierten Produkten: »Wir sind dabei, neue Endprodukte wie Textilien oder Faserplatten zu entwickeln, aber das braucht Zeit« (Farmers Weekly vom 17.9.1993).
1993 wurde in Großbritannien – nach Jahrzehnten –erstmalig wieder Hanfpapier hergestellt. Die traditionsreiche Papierfabrik James Rivers bezog die Hanfzellulose aus Spanien, da in Großbritannien noch kein entsprechender Zellstoff hergestellt werden kann. Das feine, mit Wasserzeichen versehene Briefpapier besteht aus 70 Prozent Stroh und 30 Prozent Hanf – ein höherer Hanfanteil ist unter qualitativen Gesichtspunkten nicht erforderlich und wäre technisch zur Zeit noch problematisch. Das »baumfreie« Briefpapier kostet derzeit in Deutschland 39 Mark pro 500 Blatt.
»In Irland hat die Behörde für Agrarentwicklung den Anbau von Hanf befürwortet, um eine größere Vielfalt der landwirtschaftlichen Erzeugung zu erreichen. Man wolle für eine Forschungsplantage in Carlow die Genehmigung der Justizbehörden erwirken, teilte ein Sprecher mit.« (Süddeutsche Zeitung, 20.4.94)
Deutschland
In Sachen Hanf unterscheidet sich die Situation in Deutschland grundsätzlich von derjenigen in anderen EU-Ländern. Einerseits gibt es wohl in keinem anderen westeuropäischen Land ein derart großes Interesse der Industrie, Hanf wieder in den Wirtschaftskreislauf einzuführen, und eine so lebhafte Verbrauchernachfrage. Andererseits sorgt eine unverständlich restriktive Gesetzgebung dafür, daß in Deutschland im Gegensatz zu allen anderen Ländern der Europäischen Union (Dambroth 1993) jeglicher kommerzieller Hanfanbau – unabhängig vom THC-Gehalt der Pflanzen – untersagt ist. Es ist schwer zu verstehen, warum man sich in Deutschland so schwer damit tut, den Anbau THC-armer Hanfsorten zuzulassen. Alle anderen EU-Länder orientieren sich in dieser Hinsicht an den EU-Verordnungen, die den Hanfanbau mit weniger als 0,3 Prozent THC zulassen und sogar finanziell fördern.
BGA gegen Hanfanbau
Das Bundesgesundheitsamt (BGA) – in Deutschland für die Genehmigung des Hanfanbaus gemäß Betäubungsmittelgesetz zuständig – sieht ein »hohes Risiko einer Gefährdung der Öffentlichkeit, die nach wie vor durch den Anbau von Cannabis gegeben ist, da nach allen uns vorliegenden Gutachten auch als THC-arm oder THC-frei deklarierte Pflanzensorten THC-Gehalte von 0,1 bis 0,2 Prozent aufweisen, die eine mißbräuchliche Verwendung zulassen. (...) Dies bedeutet, daß Anträge von Landwirten zum Anbau von Cannabis zu kommerziellen Zwecken grundsätzlich abschlägig beschieden werden müssen« (Schinkel 1993).
Das BGA steht mit dieser Einschätzung in Europa allein. In einem wissenschaftlichen Gutachten, das in den anstehenden gerichtlichen Auseinandersetzungen eine wichtige Rolle spielen wird, heißt es: »Faserhanf mit einem THC-Gehalt von unter 0,3 Prozent ist – aus pharmakologischen Gründen – nicht dazu geeignet, die vom Marihuanakonsumenten erwünschten Rauschzustände zu erzielen. Dies gilt selbst dann, wenn der Konsument seine Konsumgewohnheiten in Hinblick auf THC-armen Hanf vollkommen umstellt und ungewöhnlich große Mengen zu sich nimmt« (Katalyse 1994).
Derzeit liegen etliche Genehmigungsanträge auf Hanfanbau beim BGA vor. Die ersten Anträge für eine Gesamtfläche von 110 Hektar haben eine Agrargenossenschaft aus Brandenburg und ein einzelner Landwirt aus Berlin gestellt. Mit anderen Landwirtschaftsunternehmen, Agrarwissen-schaftlern der Humboldt-Universität, Berlin, und Umweltschützern haben sie sich zur Gesellschaft für Arbeit, innovativen Landbau und Ausbildung (GAIA) zusammengeschlossen (Schillo 1994). Die Brandenburger Landwirte streben die universelle Nutzung der Hanfpflanze für Papier, Textilien, Öl, Bau- und Dämmstoffe sowie Arzneimittel an (Schillo 1993). Ihr Antrag wurde abgelehnt, wogegen GAIA bereits Widerspruch eingelegt hat. Sobald auch dieser Widerspruch abschlägig beschieden wird, beabsichtigt GAIA vor das Berliner Verwaltungsgericht zu ziehen.
Für die Agrarwirtschaft kann das – möglicherweise noch jahrelang dauernde – juristische Tauziehen bis zur Erteilung von Anbaugenehmigungen unangenehme Folgen haben. So schreibt der Hessenbauer (Nr. 7/1994): »Bis dann verrinnt jedoch wertvolle Zeit für die Forschung und das Gewinnen von Anbaupraxis. Die deutschen Landwirte drohen wieder einmal durch Bürokratie und überzogene Gesetzgebung abgehängt zu werden. (...) Damit Chancen nicht vertan und Entwicklungen nicht verpaßt werden – man denke nur daran, daß die EU-Kommission eines Tages Quoten für den Hanfanbau vergibt und Deutschland hat für eine bestimmte Referenzzeit null Hektar nachzuweisen –, ist die Initiative des Deutschen Bauernverbandes zu begrüßen.«
Initiativen für den deutschen Hanfanbau
Der Deutsche Bauernverband setzt sich seit Ende 1993 für eine »Freistellung bestimmter Hanfsorten mit geringem Rauschmittelgehalt von den Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes« ein und regt ein »Verbundprojekt zwischen Züchtern, Vermarktern, Verarbeitern, Verwendern und Verbrauchern durch die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe« an (Bertram 1993).
Eine Vielzahl von Initiativen setzt sich derzeit für Freigabe des Anbaus THC-armer Sorten ein. Die Naturschutzjugend verfaßte Anfang 1994 ein Schreiben, das Anbaubefürworter an das BGA und BMFT schicken können, in dem es heißt: »Ich fordere Sie aus diesen Gründen auf, den Anbau von Hanf wieder zu genehmigen und die Innovationskraft nachwachsender Rohstoffe durch neue Prioritäten in der Forschungspolitik nutzbar zu machen. Aus ökologischen und arbeitsmarktpolitischen Gründen können wir es uns nicht erlauben, diese Zukunftsbranche zu ignorieren. Eine massive staatliche Förderung von Forschungsprojekten im Bereich nachwachsender Rohstoffe und speziell die Aufhebung des Anbauverbotes für Hanf ist aufgrund des öffentlichen Interesses (...) dringend erforderlich.«
Ebenso setzt sich eine Vielzahl von Wissenschaftlern für die Freigabe des Anbaus ein, beispielsweise die Professoren Plarre (FU Berlin), Metz (Humboldt-Universität Berlin), Franke (Universität Bonn) und Dambroth (FAL Braunschweig). Dambroth forderte auf einer Pressekonferenz am 10.2.1994 »eine Novellierung des Betäubungsmittelgesetzes, um den Hanfanbau gemäß dem von der EU vorgegebenen Spielraum zu ermöglichen« (Agra-Europe 7/94).
Landwirte, Agrargenossenschaften und vor allem Unternehmen, die in der Herstellung und Vermarktung von Hanfprodukten ein Marktpotential sehen, haben Anfang 1994 in Berlin die Hanfgesellschaft gegründet. Ziel des Vereins ist »die Wiedereingliederung der Nutzpflanze Hanf (Cannabis sativa) in den landwirtschaftlichen Anbau und die industrielle Verarbeitung« (aus der Pressemitteilung vom 28.2.1994).
Auch die Bevölkerung scheint dem Hanfanbau gegenüber positiv eingestellt zu sein: »Unlängst wurde von SAT1 die ›Frage des Tages‹ gestellt: ›Sollen wir in Deutschland wieder Hanf anbauen?‹ (...) Gegen den Hanfanbau sprach sich ein Kripo-Beamter aus, der sich sorgte: Zwischen den THC-armen Sorten könnten Hascher zum Horror der Hasch-Häscher THC-reiche Sorten anbauen. Als Protagonist für den Hanfanbau kam Jürgen Schlegelmilch vor die Kamera, vorgestellt als ›knallharter Manager‹ und Geschäftsführer des größten deutschen Papiergroßhändlers. Er erklärte, wie nützlich der Hanf für Umwelt und Papiergeschäft gleichermaßen sei. SAT1 schritt zur Reality-Demokratie, der TED-Umfrage. Ergebnis: 90 Prozent der Anrufer waren pro Hanf. Schlegelmilch sah seine Absatzprognosen bestätigt« (Merkheft, Frankfurt: Zweitausendeins, März-April 1994).
Industrie
Auch wenn 1994 vermutlich noch kein Hanf in Deutschland angebaut werden darf, wächst das Interesse der Industrie, neue Hanfproduktlinien zu entwickeln und zu realisieren. Der bundesdeutsche Bedarf wird zunächst aus Spanien, Frankreich, England und vor allem aus Osteuropa gedeckt werden müssen.
Den größten Umsatz werden Hanfprodukte 1994 im Bereich Zellstoff und Papier erzielen. Im Oktober 1994 wird die erste deutsche und, neben der spanischen Celesa, einzige westeuropäische Zellstoffabrik in Ortrand (30 km nördlich von Dresden) in Betrieb gehen, in der Hanf, Flachs und Öllein weiterverarbeitet werden. Die Chemische Bleicherei Eugen Jetter Nachfolger GmbH besitzt eine Jahreskapazität für 6000 Tonnen Zellstoff und kann leicht auf 7500 Tonnen erweitert werden (Hofmann 1994). 6000 Tonnen Hanfzellstoff haben derzeit einen Marktwert von 18 bis 24 Millionen Mark. Abnehmer für seinen Hanfzellstoff hat der Inhaber Hofmann bereits gefunden: die Firma Schneidersöhne Papier, das größte Papierhaus Deutschlands, und Hersteller technischer Filterpapiere. Schneidersöhne wird auf Hanfbasis (50 Prozent Hanf, 50 Prozent deinktes Altpapier) Basispapier für Bücher sowie vier verschiedene Sorten graphische Papiere unter den Namen Sativaprint (Brief/Schreibpapier) und Luxosativa (Kunstdruckpapier) auf den Markt bringen (Schlegelmilch 1994). Der geplante Umsatz von 500 Tonnen, die einem Warenwert von 4 bis 5,5 Millionen DM entsprechen, dürfte eine untere Absatzgrenze markieren.
Besonderes Interesse an Hanfzellstoff haben die Hersteller technischer Filterpapiere. Bei Holzzellulose können bestimmte Reißfestigkeiten unter Nässe nur mit Kunstharzbeimischungen realisiert werden. Anders bei Hanfzellstoff, der sich gerade durch hohe Reißfestigkeit auch bei Nässe auszeichnet. Mit Hanfzellulose können im Bereich technischer Filterpapiere umweltfreundlichere Produktlinien entwickelt werden, wie sie mit Holzzellulose nicht möglich sind (Bettelhäuser 1994).
Andere Firmen untersuchen derzeit in ihren Entwicklungsabteilungen den Einsatz von Hanfprodukten im Bereich Baustoffe, Bekleidungstextilien, Geotextilien, Teppiche und Formpreßteile etc.
In Deutschland entsteht ferner eine Vertriebskette für Hanfprodukte. Das erste HanfHaus wird in Berlin im April 1994 eröffnet. An Firmen und Endverbraucher werden Hanfstoffe aus Ungarn, Textilien (z. B. Jeans) und Taschen aus Ungarn, Hanf/Stroh-Papier aus England, Zigarettenpapier aus Hanf, Hanfölkosmetika und vieles mehr vertrieben. Das Berliner HanfHaus erwartet 1994 einen Umsatz von mindestens einer halben Million Mark (Schenkclberg 1994). 1994 und 1995 sollen in vielen deutschen Großstädten HanfHäuser eröffnet werden.
Katalyse prognostiziert für 1994 in Deutschland im Bereich neuer Hanfprodukte einen Umsatz von mindestens 20 bis 40 Millionen DM.
Hanfforschung in Deutschland
In Deutschland gab es nach 1960 und erst recht nach der Änderung des Betäubungsmittelgesetzes zum 1.1.1982 keine Hanfforschung im eigentlichen Sinne mehr. Nur vereinzelt haben sich Wissenschaftler mehr oder weniger sporadisch mit Hanf zu beschäftigen begonnen, brachen die Arbeiten aber meist wieder ab, als sie merkten, welche Hürden das Bundesgesundheitsamt vor jeder Anbaugenehmigung aufbaut (vgl. z. B. Prof. Megnet, Kapitel 2.b).
1993 wurde in Deutschland lediglich an der FAL in Braunschweig und im Katalyse-Institut Hanfforschung betrieben. Angeregt durch das vorliegende, bei Zweitausendeins erschienene Buch über Hanf, die darin enthaltene Studie des Katalyse-Instituts sowie durch die Aktivitäten der FAL begannen Ende 1993 eine Reihe weiterer Institutionen mit der Hanfforschung. Seminar- und Diplomarbeiten zum Thema Hanf – von Anbau bis Marketing – sind vergeben worden, erste Ergebnisse liegen vor. Praktische Anbauversuche möchte das Institut für agroindustrielle Forschung in Großbeeren bei Berlin 1994 starten; man hofft, nach entsprechenden Schutzvorkehrungen auf dem institutseigenen Gelände eine Anbaugenehmigung vom BGA zu erhalten. Einen ähnlichen Antrag stellte auch die Humboldt-Universität, Berlin, die zu Forschungszwecken auf 10 Hektar diverse Hanfsorten mit dem Ziel anbauen will, THC-arme Sorten für die Landwirtschaft bereitzustellen (Schillo 1994).
Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft Braunschweig-Völkenrode (FAL), Institut für Pflanzenbau
Die FAL war 1993 bundesweit das einzige Institut, das Hanfforschung (unter Leitung von Professor Dambroth) betrieb und auch dies erst seit kurzer Zeit (Höppner 1993). In erster Linie werden folgende Fragekomplexe bearbeitet:
– genetische Variabilität des THC-Gehaltes bei Hanf;
– Entwicklung des THC-Gehaltes bei Hanf während der Vegetationszeit;
– Einfluß von Stickstoffdüngung und Bestandsdichte auf Faserqualität, Zelluloseanteile, Faser- und auch Samenertrag.
1992 und 1993 wurde in Braunschweig Hanf angebaut. Die Auswertung der Versuche ist noch nicht abgeschlossen. Die mit Spannung erwarteten Ergebnisse sollen im Frühsommer 1994 der Öffentlichkeit vorgelegt werden. Einige Vorabinformationen finden sich in Kapitel 2.b.
Katalyse – Institut für angewandte Umweltforschung, Köln
Das Katalyse-Institut erforscht eine Vielzahl von Problemen entlang der gesamten Wertschöpfungskette, vom Saatgut, Anbau über Verarbeitung bis zum Endprodukt. Dazu gehören Marktanalysen für Hanfzwischen- und Endprodukte, die Entwicklung neuer Produktideen und -linien sowie das Zusammenführen der verschiedenen potentiellen Akteure aus Agrarwirtschaft, Technologieentwicklung, verarbeitender Industrie und Marketing. Im Mittelpunkt steht dabei die Entwicklung ökologischer Produktlinien; Untersuchungen haben gezeigt, daß die Umweltverträglichkeit ein entscheidender Faktor für die Wiedereingliederung nachwachsender Rohstoffe in den Wirtschaftskreislauf ist.
Was Forschung im engeren Sinn betrifft, sind Anträge auf nationaler und europäischer Ebene zur Untersuchung des Markt- und Agrarpotentials der Hanfpflanze in Deutschland und Europa gestellt worden. Gibt es relevante Märkte für Hanf im Zellstoff-, Textil- oder Ölbereich? Wovon hängt es ab, ob die Märkte erschlossen werden können? Eignet sich Hanf für eine nachhaltige, ökologische Landwirtschaft? Welche Gebiete innerhalb der EU eignen sich für den Hanfanbau?
In Zusammenarbeit mit der Produktmarketingfirma TriTec plant Katalyse für Frühjahr 1995 eine Hanfproduktmesse mit begleitendem Fachsymposium. Absicht ist, die relevanten Akteure aus Agrarwirtschaft und verarbeitender Industrie miteinander ins Gespräch zu bringen und syner-getische Effekte zur Wiedereingliederung von Hanf in den Wirtschaftskreislauf auszulösen.