Der eigentliche Klassenkampf findet statt zwischen den Staatsbediensteten und jenen, die vom Staat profitieren, auf der einen Seite und jenen, die vom Staat und seinen Profiteuren ausgebeutet werden, auf der anderen Seite. Stefan Blankertz betont in seinem Buch Das libertäre Manifest, wie wichtig es ist, zu begreifen, welche Gründe es für die Entstehung der Klassen gibt, warum die wirklich Benachteiligten ihre Ausbeutung nicht erkennen und wer der wahre Feind ist:57
Niemandem ist es wirklich unbekannt, in welch beklagenswertem Zustand sich die Menschheit gegenwärtig befindet. Jeder könnte sehen, dass die Mehrheit der Menschen von Krieg, Hunger, Elend und Verfolgung bedroht ist. Jeder könnte wissen, dass die wohlhabende Minderheit der Menschen in psychischer Stumpfheit zu versinken droht. Aber man schaut weg von dieser Tatsache, weil es so scheint, als gäbe es keinen Ausweg. Das Festhalten am Bestehenden ist das Ritual aller Politik geworden, sei sie rechts oder links, konservativ, liberal oder sozialistisch.
Weil Politiker die Probleme, vor denen die Menschheit steht, nicht lösen können, es noch nie gekonnt haben und es nie können werden, wenden sie sich gegen einen gemeinsamen Feind, der die Gefahr mit sich bringt, dass er den Menschen die Augen öffnet – die libertäre Bewegung. Politiker fürchten, die Menschen könnten erkennen, dass sie die Probleme nicht lösen können, sondern das Problem darstellen. Noch mehr aber fürchten Politiker die libertäre Bewegung, weil sie in der Lage ist, eine lebenswerte Alternative aufzuzeigen, die theoretisch fundiert ist und empirisch überprüft werden kann.
Als der venezolanische Staatspräsident 1999 den libertären Ökonomen José Luis Cordeiro einlud, um ihn über das schwerwiegende Problem der Ursache von Inflation zu informieren, brachten er und seine Kollegen ihm kein tonnenschweres Gutachten mit, sondern einen Taschenspiegel: »Schauen Sie hinein«, sagten sie, »und Sie sehen die Ursache der Inflation.«
Doch in unserer Welt ist es genau umgekehrt. Für alles Übel dieser Welt wird der Kapitalismus verantwortlich gemacht. Das ist aber kein Zufall:58
Der Abscheu vor den Kapitalisten hat seine Ursache nicht in irgendeinem unerklärlichen psychologischen Defekt. Er ist das Ergebnis eines kalkulierten ökonomischen Interesses: Wenn nämlich die Produktiven als Volksschädlinge hingestellt werden können, erscheint es als gerecht, ihnen so viel wie möglich von ihrem Produkt, das sie in Form von Geld besitzen, abzunehmen … Nur wenn wir aufdecken, welche ökonomischen Interessen hinter den etatistischen Argumentationen stehen, lässt sich begreifen, warum so hartnäckig an der sachlich längst widerlegten Behauptung festgehalten wird, der Staat sei eine soziale Notwendigkeit oder soziale Errungenschaft.
Die unterschiedlichen ökonomischen Interessen entstehen, weil der Staat die Menschen in zwei Klassen einteilt: Die herrschende, unproduktive Klasse der Enteigner und die unterdrückte, produktive Klasse der Kapitalisten und deren Arbeitnehmer. Die herrschende Klasse braucht Helfer, um die ausgebeutete Klasse zu überwachen und eventuellen Widerstand zu brechen: die Polizei. Es entsteht eine neue Vollstreckerklasse. Diese neue Klasse steht hierarchisch unter der Herrschenden, hängt aber finanziell von ihr ab und verteidigt sie deshalb.
Damit es nicht auffällt, dass sich die Vollstreckerklasse gegen die produktive Bevölkerung richtet, wird ihr erzählt, dass die Polizei zum Schutz der Ausgebeuteten und nicht zur Verteidigung der Herrscher da ist. Damit das funktioniert, muss der Staat, wie wir von Hoppe schon wissen, Konflikte erzeugen. Blankertz erklärt:
Da die äußere Bedrohung den Widerspruch zwischen den produktiven und unproduktiven Klassen reduziert, ist es für den Staat rational, äußere Bedrohungssituationen herbeizuführen. Es geht dem Staat nicht um die effektive Minimierung von Streitigkeiten mit Nachbarstaaten oder um die effektive Verhinderung von Kriminalität, sondern um deren Zuspitzung. Kriminalität und kriegerische Bedrohung erhöhen die Akzeptanz des Staates im eigenen Land. Frieden und Wohlstand dagegen vermindern die Bereitschaft der produktiven Bevölkerung, ihren erwirtschafteten Überschuss an die herrschende Kriegerklasse abzugeben. Auf diese Weise beginnt die »Kunst der Politik«: Es müssen genügend Anlässe geschaffen werden, um die Existenz des Staates der eigenen unterdrückten produktiven Klasse gegenüber zu rechtfertigen, aber sie müssen so begrenzt werden, dass dabei der Staat nicht beschädigt wird.
Wie das konkret aussieht, habe ich bereits in meinem Buch Das Kapitalismus-Komplott erklärt: Terror, Krieg, vermeintliche Gefahr von links, rechts, dem Islam, Ausländern, menschengemachtem CO2 sind keine Zufälle, sondern Mittel, um die Bevölkerung von ihrer eigenen Ausbeutung abzulenken und den Staat massiv auszubauen. Die Geldwäschegesetze wurden zum Beispiel mit Terrorgefahr begründet. Seit ihrer Einführung im Jahr 2005 ist die Zahl der von der Maßnahme betroffenen Konten um mehrere Hundert Prozent gestiegen. Inzwischen werden jährlich mehr als 70.000 Konten abgefragt.59 Nur ein winziger Bruchteil der Abfragen bezieht sich selbstredend auf Terrorismus. Während ich diese Zeilen schreibe, wird publik, dass der amerikanische Geheimdienst National Security Agency (NSA) inzwischen weltweit alle Internetnutzer im Rahmen des geheimen PRISM-Programms überwacht.60 Und Obama hat die Dreistigkeit, zu sagen: Man kann nicht 100 Prozent Sicherheit und 100 Prozent Privatsphäre und null Unannehmlichkeiten haben.61
Um die immer weiter steigenden Staatsausgaben zu rechtfertigen, schafft der Staat schließlich die Sozialverwaltungsklasse. Sie erfüllt eine erwünschte Funktion und gehört damit zu einer produktiven Klasse, obwohl das Geld mit Zwang eingetrieben wird. Dass die Einnahmen gar nicht wirklich den Bedürftigen zugutekommen, fällt nicht auf, weil alle Gelder in einen Topf geworfen werden.
Schließlich entsteht eine einflussreiche Staatskapitalistenklasse. Sie ist produktiv, aber nutzt ihre wirtschaftliche Kraft zunehmend, um sich Privilegien zu sichern und selber zum Ausbeuter zu werden. Sie ist irgendwann die eigentliche Macht im Staate. Die Bevölkerung erkennt das, verwechselt aber dieses korporatistische System mit Kapitalismus. Als Folge fordert sie noch mehr Staatseingriffe, die zu ihrer eigenen Ausbeutung beitragen.
Blankertz hat die Klassen und die Mechanismen, die zur Beibehaltung des Systems beitragen, am Ende seines Manifests in knapper Form zusammengefasst.62 Diese Übersicht, die ich hier wiedergebe, ist praktisch selbsterklärend, aber es empfiehlt sich trotzdem, das ganze Buch zu lesen:
Die Entstehung des Staates erklärt Blankertz aus einem kriegerischen Konflikt; die Überlegenen müssen ein Gewaltmonopol installieren, um über die Unterlegenen herrschen zu können. Innerhalb eines Stammes gäbe es eine automatische Stabilisierung, die ohne Gewaltmonopol auskommt. Konflikte würden durch anerkannte Schlichter gelöst. Da jeder mit jedem irgendwie verwandt ist, würde sich ein Gleichgewicht der Kräfte einstellen, das besonders ungerechten Maßnahmen entgegenstünde. Diese grobe Skizze soll an dieser Stelle genügen; detaillierte Erklärungen würden hier zu weit führen und können in Blankertz’ Buch nachgelesen werden.
Unabhängig von der jeweils konkreten Entstehung eines Staates gibt es eine Gemeinsamkeit: Mechanismen, die dazu beitragen, dass der Staat als Institution erhalten bleibt. Diese erklärt sich aus den jeweiligen ökonomischen Interessen der Klassen. Da die ausgebeutete Klasse zahlenmäßig in der Mehrheit ist, muss die ausbeutende Klasse die Gesetze der Massenpsychologie beherrschen. Um die geht es im nächsten Kapitel.
Dennoch sind so noch nicht alle Vorgänge auf dieser Welt erklärbar. Deshalb werde ich ein weiteres Element einführen, das in der ökonomischen und sozialwissenschaftlichen Forschung bisher kaum eine Rolle spielt: die Wissenschaft des Bösen. Der Faktor X ist dabei der Psychopath. Ohne ihn wären viele Herrschaftsmethoden nicht durchführbar.
Im praktischen Teil dieses Buches wird es hauptsächlich um die Enteignerklasse und die staatskapitalistische Klasse gehen. In den oberen Rängen dieser Klassen sind besonders viele Psychopathen anzutreffen. Gesamtgesellschaftlich gefährlich werden sie aber erst über das Gewaltmonopol.
Die Lösung dieses Problems – und da sind wir wieder bei Marx – besteht darin, dass sich die ausgebeutete Klasse ihrer selbst bewusst wird. Hans-Hermann Hoppe ruft folgerichtig zum Klassenkampf der Produzenten gegen die Parasiten auf:63
Zu einer grundlegenden Änderung kann es nur kommen, wenn sich stattdessen die korrekte Einsicht durchsetzt, dass der einzige antagonistische Interessengegensatz derjenige zwischen Steuer-Zahlern als Ausgebeuteten und Steuer-Konsumenten als Ausbeutern ist: zwischen der Klasse der Personen, die ihr Einkommen und Vermögen dadurch verdienen, dass sie etwas herstellen, was von anderen Personen freiwillig gekauft und entsprechend wertgeschätzt wird, und der Klasse derjenigen, die nichts als wertvoll Erachtetes herstellen und verkaufen, sondern die stattdessen von dem Einkommen und Vermögen leben und sich an ihm bereichern, das man anderen, produktiven Personen zuvor zwangsweise – per Steuer – entzogen hat: also allen Staatsbediensteten sowie allen Empfängern staatlicher »Wohlfahrtsunterstützung«, Subventionen und monopolistischer Privilegien.
Nur wenn die Klasse der Produzenten dies klar erkennt und öffentlich ausspricht, wenn sie sich endlich selbstbewusst aufs hohe moralische Ross setzt und sich die dummdreisten Belehrungen seitens der Politikerklasse als eine moralische und wirtschaftliche Unverschämtheit verbittet und sie offensiv als die Schmarotzerbande bloßstellt und anklagt, die sie tatsächlich ist, kann es gelingen, das Parasitentum zurückzurollen und letztendlich zu beseitigen …
Hoffnung auf Abdankung und Entschädigung besteht nur dann, wenn die Opfer (aber auch eine zunehmende Zahl unschuldig-harmloser Staats-Mitläufer) den Staat als die Räuberbande erkennen, die er tatsächlich ist, und ihm bzw. seinen Repräsentanten eine dementsprechende Behandlung zukommen lassen. Ein Räuber, der als solcher erkannt und behandelt wird, kann sich nicht lange halten.