Neben dem Gedanken, dass Staatseingriffe automatisch im Ergebnis zu Sozialismus führen, sollten Sie unbedingt folgende Überlegung aus diesem Buch mitnehmen. Sie beruht auf reiner Logik und erklärt, was wirklich vorgeht auf dieser Welt:
Wer den Kommunismus durchsetzen will, muss das weltweit tun. Wird nur ein Land sozialistisch, verschlechtern sich dort sofort die Lebensverhältnisse. Die Leistungsträger verlassen das Land und es kann nicht als Vorbild für andere dienen. Umgekehrt gilt: Einem Libertären kann es egal sein, ob im Rest der Welt die Marktwirtschaft eingeführt wird. Lebt er in der marktwirtschaftlichen Region, blüht diese auf. Die Leistungsträger strömen ins Land und die Wirtschaft floriert – unabhängig davon, was in den anderen Regionen passiert. Diese werden sich höchstens die florierende Region zum Vorbild nehmen. Daher trachten alle Sozialisten danach, ihr Einflussgebiet so weit wie möglich auszudehnen.
Der russische Dissident Wladimir Bukowski hat es ähnlich ausgedrückt:578
In der Tat, würde man versuchen, Sozialismus nur in einem einzelnen Land einzuführen, wäre man mit einer sehr unangenehmen Wahl konfrontiert. Wenn man dabei bleibt, den Sozialismus aufzubauen, verliert man Wettbewerbsfähigkeit. Wenn man sich um Wettbewerbsfähigkeit kümmert, hat man keinen Sozialismus. Man kann diese beiden Dinge nicht kombinieren, selbst eine bewaffnete Absperrkette entlang der Grenzen oder andere Spielarten des eisernen Vorhangs helfen nichts. Die einzige Lösung ist, den Wettbewerbern ebenfalls Sozialismus aufzuzwingen.
Genau das ist den Kommunisten an der Spitze natürlich bewusst. Da die Menschen natürlich am liebsten in ihrem kulturellen Umfeld bleiben, kann man also versuchen, diejenigen, die auf einem Kontinent leben, alle unter sozialistische Kontrolle zu bekommen. Wenn gleichzeitig die USA so zersetzt sind, dass sie ebenfalls bereit für den Sozialismus sind, können sie dann zu einer Weltregierung inklusive Asien mit der inzwischen tonangebenden chinesischen Supermacht verschmelzen. China steht ja sogar offiziell noch unter Kontrolle der Kommunistischen Partei.
Die französischen Sozialisten haben das sehr schnell verstanden. Sie benutzen die Europäische Union schon lange, um Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit zu schwächen. Sie übten Druck auf Deutschland aus, auch hier die 35-Stunden-Woche einzuführen und höhere Sozialleistungen – sprich: Abgaben auf Arbeit – zu implementieren. »EU-Vater« Jean Monnet war es, der schon in den Fünfzigerjahren immer wieder auf eine »Harmonisierung« der Arbeitskosten mithilfe des Arbeitsrechtes und der Arbeitszeit drängte. »Harmonisierung« ist klassisches Neusprech für Sozialismus, Ausschaltung von Wettbewerb, Planwirtschaft. Es ging nie um den Arbeiter, sondern um das Ausschalten der Konkurrenz, mit der logischen Folge, dass ganz Europa im Vergleich mit dem Rest der Welt immer weiter zurückfällt.579
Denselben Plan in noch größerem Maßstab verfolgte bereits Lenin. Seine Verwirklichung wurde aber durch Stalin unterbrochen und erst nach dessen Tod wiederaufgenommen. Folgende Zitate belegen das.
Zunächst was Lenin selbst sagte:580
Das Ziel des Sozialismus ist nicht nur Aufhebung der Kleinstaaterei und jeder Absonderung von Nationen, nicht nur Annäherung der Nationen, sondern auch ihre Verschmelzung.
Nun ist es nichts Neues, dass die Kommunisten eine Weltrevolution anstrebten. Schon in der von Karl Marx verfassten Gründungserklärung der Internationalen Arbeiterassoziation – der ersten Internationale – von 1864 heißt es:581
Die Emanzipation der Arbeiterklasse (ist) weder eine lokale noch eine nationale, sondern eine soziale Aufgabe, welche alle Länder umfasst, in denen die moderne Gesellschaft besteht, und deren Lösung vom praktischen und theoretischen Zusammenwirken der fortgeschrittensten Länder abhängt.
Unter Lenin wurde die Weltrevolution dann zum Leitmotiv. Für den Zweiten Kongress der Kommunistischen Internationale schrieb er 1920:582
Aus den dargelegten Grundsätzen folgt, dass die gegenseitige Annäherung der Proletarier und werktätigen Massen aller Nationen und Länder zum gemeinsamen revolutionären Kampf für den Sturz der Gutsbesitzer und der Bourgeoisie zum Eckstein der gesamten Politik der Komintern in der nationalen und kolonialen Frage gemacht werden muss.
Doch nach Lenin kam Stalin an die Macht und nicht Trotzki, dem ebenfalls klar war, dass man den Kommunismus weltweit durchsetzen müsse. Trotzki schrieb in Die permanente Revolution:583
»Glauben Sie etwa«, erwiderten mir in den Jahren 1905 bis 1917 Dutzende Male die Stalins, Rykows und alle sonstigen Molotows, »dass Rußland für die sozialistische Revolution reif ist?« Darauf habe ich stets geantwortet: Nein, das glaube ich nicht. Aber die Weltwirtschaft als Ganzes und vor allem die europäische Wirtschaft ist für die sozialistische Revolution völlig reif.
Doch dann kam Stalin:584
Früher hielt man den Sieg der Revolution in einem Lande für unmöglich, da man annahm, dass zum Siege über die Bourgeoisie eine gemeinsame Aktion der Proletarier aller fortgeschrittenen Länder oder jedenfalls der Mehrzahl dieser Länder erforderlich sei. Jetzt entspricht dieser Standpunkt nicht mehr der Wirklichkeit. Jetzt muss man von der Möglichkeit eines solchen Sieges ausgehen.
Stalin irrte sich. Er konnte seine Herrschaft nur mit brutaler Gewalt aufrechterhalten. Überall sonst auf der Welt – außer in Afrika – scheiterten kommunistische Revolutionen/Parteien. Die Kommunisten blieben aber bei ihren Zielen und änderten nur die Strategie. Hier kommt der teuflische Dreh, der weder auf den ersten, zweiten, vielleicht noch nicht einmal auf den dritten Blick erkennbar ist, aber mit unserem Wissen absolut Sinn ergibt.
Da das kapitalistische System haushoch überlegen ist, war es nun an den USA, die Welt zu erobern, und zwar um die »Demokratie« weltweit zu verbreiten. Das hatte zwei Vorteile: Erstens verfügten die USA aufgrund ihres marktwirtschaftlicheren Systems über mehr finanzielle Mittel zum Aufbau eines überlegenen Militärs. Zweitens besitzt die Demokratie – bis heute – überall im Westen ein gutes Image. In Wirklichkeit ist die Demokratie aber ebenfalls ein kollektivistisches System, das in den Sozialismus mündet. Zudem sind Demokratien, wie wir gesehen haben, durch die Bankierssozialisten alias Lobbyisten leicht steuerbar. Der Rest ist eine Timing-Frage.
Kommunisten sind Meister im Beherrschen der Hegel’schen Dialektik von These, Antithese und Synthese. Marx bezog sich in seinen Werken oft auf Hegel.585 Kurz zugespitzt, wird Hegel von der Machtelite so interpretiert: Krisen erschaffen Geschichte. Zwei gegensätzliche Thesen prallen aufeinander und aus einer krisenhaften Zuspitzung ergibt sich dann die Synthese. Weiß man, welche Synthese man erreichen will, kann man rückwärts These und Antithese konstruieren und die entsprechenden Maßnahmen ergreifen – so zumindest der Handlungsplan. Rockefellers Trilaterale Kommission spricht in ihren Dokumenten deshalb häufig von gelenkten Konflikten (managed conflicts).586
Wie wir sahen, befinden sich unter den »Neokonservativen« Trotzkisten. Diese mussten den Konservativen (Republikanern) aber eine überzeugende Begründung liefern, die ganze Welt zu überfallen. Man erzählte ihnen, dass man Rohstoffvorkommen sichern müsse. Das ist natürlich Unsinn, denn egal, wer in einem Land regiert, es liefert die Rohstoffe – vor allem Erdöl – gerne aus Eigeninteresse. Aber so bekam man die einflussreiche Ölindustrie und natürlich die Waffenindustrie an Bord, unter denen sich ohnehin Mao-Bewunderer wie Rockefeller befanden. Der Rest dachte einfach an den Profit. Es ist zwar für den Normalbürger egal, wer das Öl liefert, aber natürlich nicht für die Konzerne. Gleichzeitig wurde die Parole ausgegeben, weltweit den islamischen Terror zu bekämpfen. Was die USA aber nicht daran hindert, selbst auf Islamisten zurückzugreifen, wenn sie gerade ein abtrünniges Regime wie in Libyen oder Syrien stürzen wollen. Die radikalislamistischen Gruppen werden wiederum gleichzeitig von den Kommunisten gesteuert. Natürlich ist alles nicht so eins zu eins planbar. Aber das meiste davon entwickelt sich zum Selbstläufer, wenn der Prozess einmal angestoßen ist.
In Sachen Öl lautet der Dreisatz:
These (Problem): Ölvorräte müssen gesichert werden. Antithese (Reaktion): Ölländer angreifen. Synthese: US-Verfassung wird missachtet, Bürgerrechte eliminiert, Land ruiniert, Propagandalügen nötig, Feinde in der ganzen Welt – reif für den Kommunismus.
In Sachen Islamismus lautet der Dreisatz:
These (Problem): Islamischer Terror. Antithese (Reaktion): Angst bei der Bevölkerung. Synthese (Lösung): Bevölkerung verlangt nach Polizeistaat und Einmarsch in »Schurkenstaaten«, die angeblich Terroristen beherbergen.
Das Meisterstück Hegel’scher Dialektik gelang aber in Europa mit dem inszenierten Zusammenbruch der Sowjetunion:
These (Problem): Der kapitalistische Westen. Antithese (Reaktion): Der sozialistische Osten. Synthese (Lösung): Aus dem Zusammenstoß von »Kapitalismus« (natürlich nicht der echte) und Sozialismus entsteht ein »dritter Weg«, die »sozialdemokratische Union«. Das ist genau das, was viele Politiker wirklich denken: dass es einen Mittelweg gäbe zwischen Kapitalismus und Sozialismus, da ja beide angeblich Probleme verursachen. In Wirklichkeit haben wir aber gar keinen Kapitalismus. Sobald also eine europäische Zentralregierung voll installiert ist, mündet dieser »dritte Weg« wieder im Sozialismus. Der Überwachungsstaat ist dann voll intakt. Devisenkontrollen werden im Rahmen der Eurokrise schon bald kommen. Es bleibt nur noch die physische Flucht. Aber wohin? Amerika ist schon fast ein vollwertiger Polizeistaat und seine Wirtschaft bereits zerstört. Die aufstrebenden Länder (Emerging Markets) sind noch nicht weit genug, um sich dort als verwöhnter Westler wirklich wohlzufühlen. Diese Länder entwickeln sich, weil ein wenig Marktwirtschaft zugelassen wurde, aber von echtem Kapitalismus sind sie weit entfernt und werden alle von korrupten Eliten geführt. Die Zeit ist also reif für die Weltrevolution.
Ein Vorteil daran, wenn man die Hegel’sche Dialektik versteht, ist, dass man erkennt, wer in Marxismus-Leninismus ausgebildet ist.
Ein Musterbeispiel liefert Sahra Wagenknecht Ende Juli 2013 in einem Interview mit der Zeit unter der Überschrift »Der neue Sozialismus muss ein anderer sein«:587
Ich halte es für ausgeschlossen, dass der Kapitalismus das Ende der Geschichte ist. Wir erleben zurzeit in Europa besonders drastisch, wie die aktuelle Krise den Wohlstand verringert, selbst in Deutschland erwartet kaum noch einer, dass es seinen Kindern und Enkeln einmal besser gehen wird. Das ist doch ein Beleg für das Versagen der aktuellen Wirtschaftsordnung.
Natürlich weiß sie, dass das aktuelle System kein Kapitalismus ist. Dann unterfüttert sie mit real zu beobachtenden Problemen, die Folge der Staatseingriffe sind:
Wenn wir uns die demütigenden Lebensverhältnisse von Menschen in Werkverträgen, Leiharbeitern, Minijobbern, unzähligen kleinen Selbstständigen und Hartz-IV-Beziehenden ansehen, müsste es eigentlich längst massive Gegenwehr geben.
Ihre Lösung: »kreativer Sozialismus«:
Nicht die Märkte sind das Problem, sondern das private Eigentum an großen Unternehmen, das gesellschaftliche Macht und die leistungslose Aneignung der Arbeitsergebnisse anderer ermöglicht. Die Märkte müssen allerdings begrenzt werden auf die Bereiche, in denen sie funktionieren können.
Natürlich entscheidet der Staat, wo die Märkte nicht funktionieren. Und jetzt halten Sie sich fest:
Märkte sind in vielen Bereichen sinnvoll, aber wir müssen begreifen, wann sie funktionieren. Ein negatives Beispiel ist die Energiewirtschaft. Dass es eine verrückte Idee war, die Energiewende marktkonform zu organisieren, zeigt sich jetzt. Hier wäre eine organisierte Gestaltung dringend notwendig, wenn die aktuelle Abzocke der Haushalte gestoppt werden soll. Auch im Gesundheitsbereich: Dass Krankenhäuser privatisiert werden und am Ende 20 Prozent Rendite generieren sollen, ist einfach absurd und gegen jeden humanen Anspruch. Kranke sind doch keine »Kunden«, die man danach bewerten kann, ob sie viel oder wenig Geld mitbringen und ob ihre Behandlung sich rentiert. Das Gleiche gilt für Schüler, deshalb ist Privatisierung auch in der Bildung völlig fehl am Platz. Und an die segensreiche Wirkung von Finanzmärkten glaubt hoffentlich heute kaum noch einer.
Sie sucht sich also exakt die Märkte heraus, die am meisten reguliert sind und deshalb nicht funktionieren.
Den Hegel’schen Dreisatz können Sie vermutlich selber schon aufstellen:
These: Kapitalismus (scheinbar). Antithese: Sozialismus (real). Synthese: »Kreativer Sozialismus«. Die Markteingriffe führen wieder zu realem Sozialismus.
Sahra Wagenknecht hat übrigens in ihrer Magisterarbeit Marx’ Kritik an Hegel kritisiert.588 In welcher Weise Marx von Hegel beeinflusst wurde, darüber scheiden sich die Geister. Meine Interpretation ist, dass Hegel eine Geschichtstheorie, also eine Beschreibung der Wirklichkeit, aufstellte, aber die Machtelite die Hegel’sche Dialektik heute als Handlungsanweisung versteht. Die Synthese ist demnach das Ziel, das man erreichen will. Man führt die These gezielt herbei, kennt die Antithese und erhält so die Synthese als Ergebnis.
Jakob Augstein, der anerkannte Sohn von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein, setzt in seinem Buch mit dem verräterischen Titel Sabotage – Warum wir uns zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen noch einen drauf. Zunächst ein Lob für die Schwester im Geiste:589
Heute schreibt die Links-Politikerin Sahra Wagenknecht ihre vielleicht klügsten Texte gegen das System in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung«, die man früher konservativ nannte oder bürgerlich.
Dann ganz offen:
Plötzlich erinnern sich alle, dass schon Marx gelehrt hat, die Geschichte des Kapitalismus sei die Geschichte seiner Krisen.
Ob er weiß, dass die Krisen durch das sozialistische Geldsystem ausgelöst werden, ist nicht bekannt. Theoretisch müsste er es wissen, weil ich ihn schon mehrfach deshalb angeschrieben habe und – wie viele andere – auf seiner Facebook-Seite etwas dazu gepostet habe. Ob er es gelesen hat, wissen wir nicht. Zwischen Dummheit, Ignoranz und Bösartigkeit kann man ganz schwer unterscheiden.
Dann zitiert er seinen Meister Marx:
»Die widerspruchsvolle Bewegung der kapitalistischen Gesellschaft macht sich dem praktischen Bourgeois am schlagendsten fühlbar in den Wechselfällen des periodischen Zyklus, den die moderne Industrie durchläuft, und deren Gipfelpunkt – die allgemeine Krise.« Steht so im »Kapital«.
Jetzt wird es sogar verschwörerisch:
Der englische Politologe Colin Crouch hat für unsere Gegenwart den sehr wirksamen Begriff der Postdemokratie geprägt: »Der Begriff bezeichnet ein Gemeinwesen, in dem zwar nach wie vor Wahlen abgehalten werden, Wahlen, die sogar dazu führen, dass Regierungen ihren Abschied nehmen müssen, in dem allerdings konkurrierende Teams professioneller PR-Experten die öffentliche Debatte während der Wahlkämpfe so stark kontrollieren, dass sie zu einem reinen Spektakel verkommt, bei dem man nur über eine Reihe von Problemen diskutiert, die die Experten zuvor ausgewählt haben. Die Mehrheit der Bürger spielt dabei eine passive, schweigende, ja sogar apathische Rolle, sie reagieren nur auf die Signale, die man ihnen gibt. Im Schatten dieser politischen Inszenierung wird die reale Politik hinter verschlossenen Türen gemacht: von gewählten Regierungen und Eliten, die vor allem die Interessen der Wirtschaft vertreten.« In der Eurokrise wurde diese These verifiziert.
Dieselbe Taktik wie bei Wagenknecht: Völlig korrekte Beobachtung, aber das ist genau kein Kapitalismus, sondern Korporatismus, die logische, erste Folge einer Demokratie. Aber jetzt wird’s richtig gruselig:
Das Tabu der Gewalt ist eines der wenigen, das hält. Da sind sich alle einig. Wer würde öffentlich zur Gewalt aufrufen? Er würde sich strafbar machen, nach Gesetz und nach öffentlicher Meinung. Paragraph 111 des Strafgesetzbuches stellt fest, wie auf die »Öffentliche Aufforderung zu Straftaten« zu reagieren ist: »Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat auffordert, wird wie ein Anstifter bestraft.« Und der Anstifter wird, wie es in der einschlägigen Vorschrift heißt, »gleich einem Täter bestraft«. Das sollte man sich merken: Es kommt das ernst gemeinte und das ernst genommene Wort der Tat gleich. Aber wer die Gewalt verdammt, sollte sich auch darüber klar werden, was er damit aufgibt, wo eigentlich die Gewalt beginnt, wer sie ausübt und wer ihr Opfer wird.
Augstein ruft kaum verhohlen zum gewaltsamen Umsturz auf! Natürlich nicht, ohne vorher zu erklären, warum er nicht noch deutlicher werden kann. Also lautet unter Einbeziehung des Titels der Dreisatz:
These: Kapitalismus (scheinbar). Antithese: Demokratie. Synthese: Gewaltsamer Umsturz – Sozialismus.
Er nimmt sogar korrekt an, dass sich Kapitalismus und Demokratie als eine Form des Kollektivismus nicht vertragen, aber er verkennt – absichtlich oder unabsichtlich –, dass wir kein kapitalistisches System haben, weshalb nur der Sozialismus – deshalb zitiert er Marx – die Lösung sein kann. Augstein geht also sogar weiter als Wagenknecht – und der Mann ist Chefredakteur des Freitag! Nicht dass den noch jemand lesen würde, aber sein ererbter Name verleiht seiner Stimme durchaus Gewicht. Ich habe mir das ganze Buch nicht angetan, weshalb ich nicht weiß, welche Umschreibung von Sozialismus er uns liefert, aber es muss irgendeine Spielart des Kollektivismus sein, denn den Kapitalismus lehnt er ja ab. Diese Spielart führt dann zum Sozialismus.
Das wahrscheinliche zeitgenössische Vorbild der beiden, Michail Gorbatschow, der diesen Prozess selbst eingeleitet hat, schreibt in seinem Buch Umgestaltung und neues Denken für unser Land und für die ganze Welt:590
Das Wesen der Perestroika liegt ja gerade darin, dass in ihr Sozialismus und Demokratie zu einer Einheit verschmelzen, dass sie die Lenin’sche Konzeption zum Aufbau des Sozialismus in Theorie und Praxis wieder voll zum Tragen bringt.
Das wurde zur Losung eines »demokratischen Sozialismus«, den heute viele Sozialisten benutzen. Zur Oktoberrevolution von 1917 schreibt er:591
Die Oktoberrevolution war in der Tat eine Sternstunde der Menschheit, war deren Morgenröte. Bei der Oktoberrevolution handelte es sich um eine Revolution des Volkes und für das Volk, für den Menschen, für dessen Befreiung und Entwicklung.
Selbstverständlich weiß er, dass es kein Aufstand des Volkes, sondern ein Coup der Banker war, die die »Revolution« finanzierten.592 Über die Kollektivierung, die Enteignung der Bauern unter Stalin, der Millionen Menschen zum Opfer fielen:593
Die Kollektivierung war eine bedeutende historische Leistung, war der größte gesellschaftliche Umbruch seit 1917.
Und er schreibt auch ganz offen, welchem Zweck seine Perestroika dient:594
Die Perestroika ist ein revolutionärer Prozess, denn es handelt sich um einen Sprung nach vorn in der Entwicklung des Sozialismus, bei der Durchsetzung seiner Wesensmerkmale … Vom Erfolg der Perestroika hängt das Schicksal des Sozialismus, hängt das Schicksal der Welt ab.
Das Buch erschien 1987 auf Deutsch! Da »Gorbi« damals der Volksheld war, können wir getrost davon ausgehen, dass es die meisten politischen Journalisten gelesen haben. Warum wohl hat man Ihnen diese Zitate vorenthalten?
Im selben Jahr gibt Gorbatschow anlässlich des 70. Jahrestages der Oktoberrevolution ein Versprechen ab, das Ihnen hoffentlich als Drohung in den Ohren klingt:595
Im Oktober 1917 brachen wir aus der alten Welt aus, lehnten wir sie endgültig ab. Wir gehen einer neuen Welt entgegen, der Welt des Kommunismus. Von diesem Weg werden wir nie abweichen.
Dass die Perestroika auf Lenins Konzept zurückgeht, belegt folgende Aussage, die er bei derselben Gelegenheit machte:596
Wir wenden uns immer häufiger den letzten Schriften Lenins, seinen Ideen von der Neuen Ökonomischen Politik zu und sind bemüht, aus diesen Erfahrungen alles zu übernehmen, was für uns heute wertvoll und notwendig ist.
Nun könnte man einwenden, die Aussagen stammten von 1987 und Gorbatschow wollte damit die kommunistischen Genossen beruhigen. Wer die Lenin’sche Strategie kennt, weiß, dass das Unsinn ist, aber auch Zitate aus der Zeit nach der Wende belegen, dass Gorbatschow seine Ansichten nicht geändert hat. So erklärte er am 10. April 1990 auf dem Konsomol-Kongress, dass der gegenwärtige Zeitabschnitt vielleicht die wichtigste Wasserscheide der Weltrevolution, ja der Weltgeschichte sei, diese Zeit verspreche ungeahnte Möglichkeiten.597
Etwas kryptischer, aber immer noch deutlich drückt er sich noch 2011 bei der Verleihung des Franz Josef Strauß-Preises (FJS rotiert seitdem im Grab wie ein Ufo auf Crack) durch die Hanns-Seidel-Stiftung aus:598
Schließlich ging es nicht einzig um die deutsche Einheit, sondern um die Überwindung der Spaltung Europas, mehr noch – der Spaltung der ganzen Welt.
Was das aus dem Äsopischen übersetzt heißt, können Sie sich denken, aber er wird noch deutlicher. Zunächst aber die Ablehnung der verhassten Marktwirtschaft:
Einer der schwerwiegenden Mängel des Wirtschaftssystems, in dem die westliche Welt heute existiert und dessen Urheberschaft in vielerlei Hinsicht Washington gehört, ist mit dem zu radikalen Charakter der Marktphilosophie verbunden. Es hat sich herausgestellt, dass dieser Weg nicht produktiv sein kann! Was haben wir im Endeffekt erhalten? »Blasen«! Und diese »Blasen« platzen nun eine nach der anderen.
Wieder der Lenin’sche Trick, die Blasen, die auf das schon im Kommunistischen Manifest geforderte Zentralbankmonopol zurückzuführen sind, auf den Kapitalismus zu schieben.
Nach meiner Meinung soll die Wirtschaft vor allem ein normales Leben der Menschen sichern. Wenn sie dazu nicht fähig ist, dann ist sie krank und muss mit den radikalsten Methoden saniert werden. Das war meine Haltung, das war mein praktischer Ansatz. Ich halte auch heute an dieser Meinung fest.
Kommentar überflüssig.
Wir sollen ein System aufbauen, das globale Entscheidungen in unserer globalen Welt möglich macht. Wir brauchen dafür neue Mechanismen, neue Modelle.
Äsopisch für Weltregierung.
Sie haben eine Initiative für die Schaffung des Eurolands ergriffen, und falls die Besteuerungsmechanismen tatsächlich zu greifen beginnen, wird dieses System genau das sein, was Europa und die ganze Welt brauchen.
Hier wird also klar, dass die EU das Vorbild für die Neue Weltordnung ist, also das Ziel in einer gemeinsamen Regierung, sprich einer Weltregierung besteht. Schließlich die für Kenner entlarvendste Passage:
Ich habe den Eindruck, dass wir uns gewiss noch nicht aus der alten Krise herausgearbeitet haben, indes zeichnen sich Merkmale einer neuen Krise am Horizont ab. Lenin tröstete zu seiner Zeit seine Kampfgefährten mit den Worten: Ja, es stimme, dass man ein Chaos habe, aber aus dem Chaos entstehen neue Lebensformen. Das Chaos ist ein Problem, die Krise ist auch ein Problem, das ist alles nicht so einfach, aber dabei sind immer auch Möglichkeiten vorhanden, die es gilt auszunutzen.
Er zitiert Lenin, aber auch das Konzept der Hegel’schen Dialektik, dass durch Krisen der »Fortschritt« entstehe, was dem uralten freimaurerischen Motto »Ordnung aus dem Chaos«, »Ordo ab chao«, entspricht.599
Dann droht er noch mal eben mit Krieg, falls die von ihm gewünschte Weltordnung nicht zustande kommt. Das Publikum lacht, klatscht und besäuft sich vermutlich anschließend am Buffet.600