3.1 120 Broadway, New York – die geheime Schaltzentrale der Revolution

Wollte man die eigentliche Zentrale der bolschewistischen Revolution auf einen Ort reduzieren, so wäre es wohl das 38-stöckige Bürogebäude mit der Adresse 120 Broadway in New York City.662 Es gehörte der Equitable Office Building und war der Sitz der Equitable Life Insurance Company.663 Ein gewisser William Schacht arbeitete übrigens 30 Jahre lang in Berlin für Equitable. In Berlin besaß er ein Haus, das als die »Equitable Villa« bekannt war. William ist kein geringerer als der Vater von Hitlers Banker Hjalmar Schacht. Als Hjalmar Schacht ab 1915 als Direktor der Nationalbank für Deutschland fungierte, war Emil Wittenberg sein Co-Direktor. Der wiederum war später Direktor der ersten internationalen Bank in Sowjetrussland, der Russischen Handelsbank (Ruskombank), zusammen mit Max May, dem vormaligen Direktor der Guaranty Trust Company von New York.664

Letztere hatten ihren Sitz genau neben dem Equitable Building, nämlich 140 Broadway, die Wertpapiertochter Guaranty Securities residierte direkt 120 Broadway. Sowohl die Equitable als auch die Guaranty Trust wurden von J. P. Morgan kontrolliert, der auch Hauptanteilseigner war.665 Im Equitable Building war außerdem der Sitz der New Yorker Fed, der American International Company, der Guggenheims, des Managements von General Electric und des Ingenieurbüros Weinberg & Posner. Im obersten Stockwerk befand sich der »Bankers Club«, wo sich bei Austern und Champagner trefflich über die Befreiung des Proletariats diskutieren ließ. All die genannten Firmen spielten eine herausragende Rolle bei der bolschewistischen Revolution. Hier nur im Telegrammstil, ausführlicher mit allen Dokumenten bei Sutton:

Der Vizepräsident von Weinberg & Posner war der deutsche Ingenieur Ludwig Martens. Laut einem Brief von J. Edgar Hoover an den US-Senat von 1919 gehörte Martens zu den aktivsten Verbreitern bolschewistischer Propaganda in den USA.666 Vor einem Senatsausschuss werden ihm 1919 prosowjetische Aktivitäten vorgeworfen. Er lügt einige Tage, reklamiert für sich diplomatischen Status und weigert sich, »offizielle« Dokumente auszuhändigen, gibt aber schließlich »revolutionäre Aktivitäten« zu mit dem Ziel, das »kapitalistische System umstürzen« zu wollen. In der New York Times vom 17. November 1919 brüstete er sich damit, dass seine Bestrebungen, die Sowjetregierung anzuerkennen, von den »meisten der Big Business-Companys« in Amerika unterstützt würden.667 Das Lusk-Komitee zur Untersuchung kommunistischer, aufrührerischer Tätigkeiten in den USA stellt 1919 eine Liste von Firmen zusammen, die mit dem Sowjetregime Geschäfte machen wollten und Martens Angaben bestätigten.668 Am 1. Februar 1920 berichtet die New York Times, dass Martens verhaftet wurde und nach Russland deportiert werden sollte. Nur kurze Zeit später kehrte er schon wieder zurück – als erster Botschafter der Sowjetunion in den USA.669

Als das Lusk-Komitee am 12. Juni 1919 die Büros der Sowjets in New York durchsuchte, kam eine Liste von fast 1000 Firmen zum Vorschein, die mit den Sowjets im Kontakt waren. Basierend auf diesen Listen kommt Scotland Yard in einem Bericht vom 14. Juli 1919 zu dem Schluss, dass zu den Firmen, die das sowjetische Büro finanzierten, auch die Guaranty Trust Company gehört.670

J. P. Morgan kaufte 1909 die Anteile des Eisenbahnmagnaten Edward Henry Harriman. Mit den Anteilen des Bankers Trust kontrollierte J. P. Morgan & Co. (Morgan selbst war 1913 gestorben) am Ende des Ersten Weltkrieges die beiden größten Investmentgesellschaften der USA. Mit diesen beiden Firmen verbundene Banker und Anwälte (Sullivan & Cromwell) organisierten bereits 1903 die Revolte in Panama, um den Kanal unter amerikanische Kontrolle zu bringen, und die chinesische Revolution von General Sun Yat-Sen 1911/12.671

Um die Finanzierung der bolschewistischen Revolution zu verschleiern, bedienten sich J. P. Morgans Guaranty Trust und Rockefellers National City Bank des schwedischen Bankers Olof Aschberg, wie unter anderem aus einem Telegramm des amerikanischen Botschafters in Petrograd hervorgeht.672 Aschberg bezeichnete sich selbst als »Bankier der Bolschewisten«, war schon zur Zarenzeit Morgans Agent in Russland und handelte dort US-Kredite für das Land aus.673 In der deutschen Presse wurde Aschberg »Bankier der Weltrevolution« genannt.674

Aschberg war Präsident und Inhaber der Nya Banken, in deren Board prominente schwedische Sozialisten saßen.675 In London vertrat die British Bank of North Commerce die Interessen der Nya Banken, deren Vorsitzender, Earl Grey, ein Geschäftspartner von Cecil Rhodes war. Der britische Unternehmer und Politiker Cecil Rhodes war zusammen mit dem Banker Lord Alfred Milner Begründer der Round-Table-Gruppen, denen bis heute ein großer Einfluss nachgesagt wird und die sozialistische Ideen unter verschiedensten Bezeichnungen ausbrüten und verbreiten. Die »Round Table Groups« wären ein eigenes Buch wert. Für Prof. Quigley bilden die Gruppen eine einflussreiche Geheimgesellschaft, die er die »Milner Group« nennt.676 Zitat Lord Milner:677

Marx’ großartiges Buch »Das Kapital« ist zur gleichen Zeit ein Monument des logischen Denkens (reasoning) und ein Lagerhaus an Fakten.

Sutton schreibt:678

Lord Milner war die Kraft hinter den Kulissen und, wie das Zitat … zeigt, dem Sozialismus und Karl Marx zugeneigt.

Das soll an dieser Stelle genügen.

Weitere Geschäftspartner von Aschberg waren Carl Fürstenberg, der als erster westlicher Bankier umfangreiche Kreditgeschäfte mit der Sowjetrepublik tätigte, und der bereits erwähnte Max May. Aschberg bildet sogar ein Foto seines hochgeschätzten Geschäftspartners May in seiner Autobiografie ab. May wurde später Direktor der ersten internationalen Bank in Russland, der Ruskombank. Aschberg wurde Vorsitzender.679 Über Aschbergs Nya Bank wurden auch Gelder der deutschen Regierung an kommunistische Revolutionäre transferiert.680 Die deutsche Regierung unterstützte nach allgemeiner Auffassung der Historiker die Revolutionäre inklusive Trotzki und Lenin, um Russland zu schwächen.

Ironischerweise argumentierten die amerikanischen Banker genau umgekehrt. Robert Owen, Vorsitzender des Senatskomitees für Banking und Währung und natürlich selbst mit der Bankenindustrie (Mitbegründer der First National Bank von Muskogee) verflochten, schreibt am 12. Dezember 1917 an Präsident Woodrow Wilson, die USA solle die bolschewistische Regierung anerkennen, um Deutschlands Einfluss zurückzudrängen.681 Den Bankierssozialisten ist offensichtlich jedes Argument recht.

Guaranty Trust war aber nicht nur in die Finanzierung der Bolschewisten involviert, sondern auch federführend bei der Sammlung von Geldern für deutsche Spionage-Aktivitäten in den USA, wie 1919 das Overman-Komitee des US-Senats aufgrund eines Berichts des Militärgeheimdienstes feststellte. Das Geld kam unter anderem von Morgans Chase National Bank und Kuhn, Loeb & Co. (über Max Warburg). Auf die Frage, wieso man zu Kuhn, Loeb & Co. ging, antwortete Karl Heynen, dessen Aufgabe es war, die Gelder für verdeckte Operationen einzusammeln:682

Kuhn, Loeb & Co. wurden als die natürlichen Banker der deutschen Regierung und der deutschen Reichsbank betrachtet.

Einige Gelder konnten auf den deutschen Spion Felix Sommerfeld683 zurückgeführt werden. Sommerfeld arbeitete später mit Hjalmar Schacht zusammen.684 Ebenfalls involviert in die Finanzierung des Spionage- und Sabotageprogramms war die Amsinck & Co., eine Tochter der American International Corporation (AIC), die ebenfalls ihren Sitz in 120 Broadway hatte.

An der AIC waren die Morgans und die Rockefellers und diverse weitere Banker beteiligt. Mit ihr sollte das schöne Modell des Monopol-Kapitalismus auf andere Länder übertragen werden, da der heimische Markt nach ihrer Ansicht in Bezug auf bestimmte Güter wie Eisenbahnlinien oder Schifffahrt nichts mehr hergab. Die Morgans und Rockefellers hatten mithilfe des Staates viele Märkte, darunter Stahl, Schifffahrt und Elektrizität (J. P. Morgans General Electric), bereits unter sich aufgeteilt.685

Direktoren waren neben zahlreichen Bankern unter anderem (1917):

Neben den üblichen Vertretern der Morgan- und Rockefeller-Interessen waren also gleich mehrere Direktoren der gerade einmal vier Jahre zuvor in Betrieb gegangenen Federal Reserve an Bo(a)rd. AIC-Geschäftsführer William Franklin Sands schreibt am 16. Januar 1916 von 120 Broadway einen Brief an den Verteidigungsminister, in dem er die bolschewistische Revolution preist und mit der amerikanischen Revolution (parallels our own revolution) vergleicht! Er bitte um die volle Unterstützung des Kongresses und der öffentlichen Meinung in den USA.687

Sands selber arbeitete abwechselnd für die Wall Street und das Außenministerium. Letzteres sicher nicht wegen des Geldes, von dem er offensichtlich genug hatte. Er spendete persönlich eine Million Dollar für die Revolution. In einer seiner Memoranden preist er Lenin und Trotzki als »attraktiv für die Massen« (appealing to the masses).688 Sands agierte offensichtlich auch für die Regierung, wenn er keine offizielle Position innehatte. Außenminister Robert Lansing fragt in einem Memorandum an die schwedische Gesandschaft nach, ob sie die »wichtigen offiziellen Papiere« von Sands erhalten hätte. Sands handelte geheime Verträge mit den Russen aus, wie aus der Antwort der Stockholmer Gesandschaft hervorgeht.689

Sands setzte sich beim Außenministerium auch für den kommunistischen Journalisten John Reed ein, als der in Verdacht geriet, ein bolschewistischer Spion zu sein. Reed schrieb für J. P. Morgans Metropolitan Magazine. In seinen Büchern und Artikeln kritisierte Reed die »Raubbarone« Morgan und Rockefeller, während er gleichzeitig von Morgan über Metropolitan mit Schecks versorgt wurde. Nach seinem Tod 1920 erhielt Reed ein Ehrenbegräbnis an der Kremlmauer. Das Vorwort für sein damals viel beachtetes Buch Ten Days that Shook the World verfasste kein geringerer als Lenin.690