Auch wenn der immense Hype, der in den letzten Jahren um Low-Carb Diäten gemacht wurde, diese Botschaft mittlerweile in vielen Köpfen verankert hat, so bedeutet das noch lange nicht, dass sie auch richtig wäre. Wie so oft ist es eben auch bei den Kohlenhydraten nicht alles schwarz und weiß, sondern es lohnt sich, eine etwas differenziertere Betrachtung zu wagen.
Zunächst ist es von Vorteil zu wissen, was Kohlenhydrate beziehungsweise ‚Saccharide‘ eigentlich sind und welche unterschiedlichen Arten sich hinter diesem Überbegriff verbergen. Wahrscheinlich haben Sie schon häufiger den Rat gehört oder gelesen, dass ‚komplexe‘ Kohlenhydrate besser sind als ‚einfache‘. Diese Aussage ist für eine gesunde Ernährung schon deutlich sinnvoller, als eine generelle Verdammung aller Kohlenhydrate von Ihrem Speiseplan. Aber was bedeutet denn einfach und komplex? Diese Bezeichnung zielt auf die chemische Struktur ab und gibt an, aus wie vielen verketteten Zuckermolekülen ein Kohlenhydrat besteht. Man unterscheidet zwischen Mono-, Di- und Polysacchariden oder auf Gutdeutsch Einfach-, Zweifach und Mehrfachzuckern. Bei den ersten Beiden handelt es sich um jene Stoffe, die wir auch im normalen Sprachgebrauch als Zucker kennen und die den einfachen Kohlenhydraten zugerechnet werden. Als komplexe Kohlenhydrate werden die Polysaccharide oder Mehrfachzucker bezeichnet, zu denen beispielsweise die Stärke zählt. Übrigens fallen auch die meisten Ballaststoffe in diese Gruppe. Allerdings werden sie in Nährwerttabellen aufgrund ihrer Unverdaulichkeit für den Menschen nicht als Kohlenhydrate aufgeführt, sondern häufig gesondert ausgewiesen.
Diese kurze Einführung hilft uns ungemein beim Verständnis, warum manche Kohlenhydrate als ‚gut‘ und andere als ‚schlecht‘ bezeichnet werden. Denn das hängt im Wesentlichen davon ab, wie leicht diese verdaut werden und welche Wirkungen sie im Organismus entfalten. Unser Körper benötigt Kohlenhydrate in Form des Einfachzuckers Glukose, der vielen auch unter den Namen Traubenzucker oder Dextrose bekannt sein dürfte. Zweifach und Mehrfachzucker können vom Dünndarm gar nicht erst aufgenommen werden und müssen zunächst zu Einfachzuckern aufgespalten werden. Gerade bei den komplexen Kohlenhydraten dauert dieser Prozess eine Weile, was sowohl die Verdauung, als auch den Anstieg des Blutzuckerspiegels verlangsamt. Durch die gleichzeitige Aufnahme von Ballaststoffen kann dieser Effekt noch verstärkt werden. Wenn Sie also zum Beispiel ein Stück Kuchen essen, wird ihr Blutzuckerspiegel bedeutend stärker ansteigen als nach der gleichen Menge Kohlenhydraten in einem Müsli oder Vollkornbrot.
Eine Kennzahl dafür, wie leicht oder schwer verdaulich bestimmte kohlenhydrathaltige Lebensmittel sind, ist der glykämische Index, beziehungsweise die glykämische Last. Je höher dieser Wert, desto schneller und höher ist der auf den Verzehr folgende Anstieg des Blutzuckerspiegels und als Reaktion darauf die Ausschüttung von Insulin. Im Rahmen von Diäten, die dem gesundheitlich durchaus sinnvollen Ansatz folgen, Blutzucker und Insulin einigermaßen konstant zu halten, wird daher meist dazu geraten, Zucker vollständig zu vermeiden und stärkehaltige Lebensmittel wie Reis, Nudeln oder Brot idealerweise gleich in deren Vollkornvarianten zu wählen. Nun weiß ich aber, dass das Thema Vollkorn von einigen Menschen höchst kontrovers diskutiert wird. Während es von vielen Ernährungsberatern als besonders gesund angepriesen wird, gibt es auch immer wieder kritische Stimmen, die Vollkornprodukte als höchst schädlich bezeichnen. Letztere Ansicht wird aber zumindest in wissenschaftlichen Kreisen bisher nur sehr vereinzelt geteilt. Die größte Gefahr, die viele Kritiker aufzeigen, sind bestimmte, in Hülsenfrüchten und Vollkornprodukten vorkommende, Proteine, die sogenannten Lektine. Diese können in höherer Konzentration dazu führen, dass die roten Blutkörperchen verklumpen, was zu Kopfschmerzen und Magen-Darm-Beschwerden führen kann. Es werden noch deutlich weitergehende gesundheitliche Schädigungen angeführt, die ich persönlich aber für unseriös halte, da sie entweder nie nachgewiesen wurden oder immense Verzehrmengen voraussetzen würden. Hinzu kommt, dass die meisten Lektine nicht hitzebeständig sind, so dass beispielsweise Roggenbrot oder gekochte Bohnen völlig bedenkenlos verzehrt werden können. Eine Ausnahme stellt das Weizenlektin dar, das diese Hitzeempfindlichkeit leider nicht aufweist. Wer also auf Nummer sicher gehen möchte, könnte explizit diese Sorte Vollkorn meiden. Eine recht gute allgemeine Einschätzung zu diesem Thema gibt es übrigens auf der Webseite des ‚Verband für Unabhängige Ernährungsberatung e.V.‘[54] Ansonsten bietet auch der Verzehr von frischem Obst oder von Kartoffeln, Nudeln und Reis eine hervorragende Möglichkeit, sich auf gesunde und definitiv unbedenkliche Weise mit Kohlenhydraten zu versorgen. Um auch ohne Vollkorn für ausreichend gesunde Ballaststoffe zu sorgen, sollten Sie auf den regelmäßigen Verzehr von (gegarten) Hülsenfrüchten oder Gemüse setzen. Für mich persönlich habe ich den Mittelweg gewählt: Weder vermeide ich Vollkorn, noch gebe ich mir besondere Mühe, nur diese Art von kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln zu mir zu nehmen. Stattdessen halte ich meine Zuckeraufnahme moderat und wähle jene stärkehaltigen Speisen, die mir schmecken und bei denen ich das Gefühl habe, dass sie mir gut bekommen.
Apropos Zuckeraufnahme: Leider ändert auch das Kurzzeitfasten nichts daran, dass Industriezucker zwar sehr lecker, aber weit weniger gesund und sättigend ist, als komplexe Kohlenhydrate, die Sie idealerweise in Kombination mit Ballaststoffen zu sich nehmen. Zwar sind zuckerhaltige Lebensmittel bei diesem Konzept im Gegensatz zu vielen Diäten keineswegs verboten, aber Sie tun natürlich trotzdem gut daran, wenn diese nicht in Massen, sondern in vertretbaren Maßen auf Ihren Speiseplan kommen. Nicht umsonst spricht man in diesem Zusammenhang oft von ‚leeren Kalorien‘. Denn abgesehen vom reinen Brennwert, liefern diese keinerlei zusätzlichen Mehrwert in Form von Vitaminen, Mineralien oder sekundären Pflanzenstoffen. Außerdem lässt sich an dieser Stelle doch noch eine sinnvolle Brücke zu den Anhängern der Paleo-Diäten schlagen. Denn so streitbar gewisse Kernthesen dieser Ernährungsform, auch sein mögen, auf eine durchschnittliche Aufnahme von 35 kg reinem Zucker pro Jahr, was etwa 33 Zuckerwürfeln am Tag entspricht, ist unser Körper historisch gesehen definitiv nicht ausgelegt.[55]
Auf den Punkt gebracht: