Krieg ist nach heutiger Erwartung eine Veranstaltung aus der Luft. … Massentötung durch Fliegerbomben kennen allein zwei Gesellschaften als nachhaltige Erfahrungstatsache, die Japaner sechs Monate, die Deutschen fünf Jahre lang. Sie ist im geschichtlichen Gedächtnis verzeichnet als Vollstreckung der gerechten Sache.
Friedrich, J. 1
Der Untergang Dresdens im Februar 1945 ist nun fast sieben Jahrzehnte her. Soll dennoch ein weiterer Band erscheinen, der von jenen Tagen des Infernos handelt? Ist nicht genug über die damalige Bombenhölle geschrieben worden? Gewiss, mit den Jahren mehrten sich Bücher und Broschüren zu dieser Thematik in den Regalen, aber nur wenige sind darunter, deren Autoren Zeitzeugen waren und jene Bombardements miterlebt und überlebt hatten.
Weitaus zahlreicher sind die Schriften und Beiträge, deren Verfasser der Nachkriegsgeneration zuzurechnen sind, die den Untergang der Stadt nur aus dem Schrifttum sowie durch Mitteilungen von Angehörigen, Dresdner Bürgern oder in der Stadt weilenden Flüchtlingen kennen und sich auf diese Weise ein Bild vom Hergang des Geschehens machen können. Und dann wirkte da sechs Jahrzehnte nach Kriegsende eine Historikerkommission, die vom damaligen Oberbürgermeister der Stadt 2004 berufen wurde, da er der Meinung war, die Zahl der Bombenopfer müsse von Grund auf wegen der vielen Widersprüche neu ermittelt werden. Diese Kommission gab ein Buch zu den Ergebnissen ihrer Tätigkeit heraus und äußerte sich im Internet. Ist somit nicht genug über das Inferno mitgeteilt worden?
Nun, als einer, der damals ein Alter von 14 1/2 Jahren hatte und während sieben von acht Luftangriffen, die seit Herbst 1944 auf die Stadt niedergingen, in Dresden weilte, der zeitlebens von den Erlebnissen der Ausbombung und den sich daraus herleitenden Folgen geprägt war, bin ich der Ansicht, es gibt zu wenig aussagekräftige Berichte, in denen sich Zeitzeugen mit den Ereignissen dieser bombenreichen Nächte und Tage befassten.
Dresdens Untergang, als Kulminationspunkt des Bombenterrors in die Geschichte des II. Weltkriegs in Europa eingegangen, sollte den jungen Generationen aber auch künftig vor Augen geführt werden, um auf die tiefen Abscheu erregenden Seiten des Luftkriegs nachdrücklich hinzuweisen.
Zudem mehrten sich in den letzten Dezennien gewichtige Stimmen, die das Flächenbombardement deutscher Städte… als „naheliegende Ziele moralischer Missbilligung“2 heftig kritisierten und sie als unsittliche Akte, als Kriegsverbrechen werteten. „Sie fanden statt, als der Krieg faktisch vorbei war, und…können für sich den Anspruch erheben, einzigartige Kriegsereignisse zu sein. Dresden wegen des schrecklichen Blutzolls, den der Angriff unter der Bevölkerung forderte,“ … der „in so krassem Gegensatz zu der großen Schönheit und kulturellen Bedeutung ihrer Heimatstadt“ stand. So sind das Buch des Briten Anthony C. Grayling (2007) sowie des Deutschen Lothar Fritze (2007) jeweils eminent wichtige Beiträge zu dem notwendigen Diskussionsprozess, „um den Zweiten Weltkrieg in die angemessene Perspektive zu rücken“.
„Ich erwarte nicht, dass dies irgendetwas an der Frage der Nazikriegsverbrechen und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit ändern wird, für die die Beweislast so erdrückend ist…“3 „Wer über diesen Krieg, das größte staatlich organisierte Massenschlachten der Geschichte, nachdenkt, wird dessen Ende und Ergebnisse bedenken. Er wird sich fragen, ob nicht viele der unsäglichen Leiden überflüssig oder vermeidbar waren.“4
Von diesen und anderen Autoren wird zum Ausdruck gebracht, „wir schulden es unserer Zukunft, uns Klarheit über die Vergangenheit zu schaffen…“5 Doch solch kriegerische Ereignisse sind selbst heute kein überwundenes Geschehen, und auch für die Zukunft deuten sich solche Auseinandersetzungen an. Denn unberechtigte Machtansprüche und der Rüstungswahn sind trotz aller Appelle an die Friedensbemühungen der Staaten nicht genügend eingedämmt worden.
Hinzu kommt noch, dass eine Revolution der Kriegstechnik vor sich geht, die von den Fortschritten der Computertechnologie sowie den Auswüchsen der Hightech-Waffensysteme (z. B. Einsätze bewaffneter Drohnen, Roboter u. Ä.) profitiert. Ein neues Wettrüsten ist zu befürchten, an denen viele Staaten beteiligt sein würden, wenn es nicht gelingt, diesem widersinnigen Treiben weltweit Einhalt zu gebieten.
Ganz davon abgesehen, dass bei rasch wachsendem Umfang der menschlichen Population die Gefahr des Mangels an Trinkwasser und Nahrungsmitteln Anlass zu kriegerischen Ereignissen sein könnte, zumal Auswirkungen des Klimawandels nicht auszuschließen sind. Das Erheben der Kriegsfackel ist somit für die Zukunft durchaus nicht gebannt. Und wenn weitere Staaten ihr Bestreben, in den Besitz von Atomwaffen zu gelangen, nicht nachdrücklich zügeln, lässt sich kaum ermessen, welche Folgen sich daraus ergeben würden.
Die Generation von Zeitzeugen des Dresdner Infernos ist nun in die Jahre gekommen, und sie schmilzt allmählich dahin. Es gilt jedoch, das damals Erlebte den Nachgeborenen in seinem ganzen erschreckenden Ausmaß zu vermitteln. Dies um zu erreichen, dass aus diesem grausigen Geschehen künftig Schlussfolgerungen gezogen werden, die dem Bemühen dienen, auf jeden Fall den Frieden zu bewahren. Die Jüngeren nehmen oft das heutige friedvolle Geschehen Mitteleuropas, von materiellem Überfluss auf vielen Gebieten geprägt, als selbstverständlich hin, ohne sich zu vergegenwärtigen, aus welchem umfassenden, schwierigen volkswirtschaftlichen Bemühen sich der Wiederaufbau seit den Schrecknissen des II. Weltkrieges ergab.
Es gilt somit, auch in Zukunft nicht zu vergessen, was sich damals, vor fast siebzig Jahren, in dieser einst für ihre Anlage und Kultur in aller Welt gepriesenen Stadt für ein Inferno zutrug, das Zehntausenden das Leben kostete und die historisch so bedeutsame Metropole völlig verwüstete. Aus diesen Gründen hatte ich 2004 einen Erinnerungsband verfasst. Ich übergab dem Stadtmuseum Dresden zu jener Zeit ein Exemplar, und es wurde in die Bibliothek des Museums aufgenommen.
In den letzten zehn Jahren sind jedoch gewichtige Ereignisse der Stadtgeschichte hinzugekommen, die sich zumeist aus den Folgen des Infernos 1945 ergaben, sodass ich meinen Band überarbeitete.
Wem es vergönnt war, in jungen Jahren sein Zuhause im noch nicht zerstörten Dresden zu haben und viele Facetten der kulturellen Atmosphäre dieser Stadt, einzigartig wie sie war, kennen zu lernen, weiß sehr wohl, welch inneren Schatz er seit jenen Tagen mit sich trägt.
Vor zweihundert Jahren bezeichnete Johann Gottfried von Herder6 Dresden als Deutsches Florenz, worauf dann bald der Name Elb-Florenz entstand. Und das war zu Recht ein gerühmter Ort, dank seiner mit Weitsicht geförderten Stadtanlage an der Elbe, eingebettet in eine liebliche, von der Natur trefflich bedachte Umgebung. Doch August der Starke, der in den ersten drei Dezennien des 18. Jahrhunderts dieser barocken Stadt durch das Schaffen hochangesehener Architekten, Baumeister und Künstler Wesentliches vom bleibenden Gepräge gab, hätte sich vermutlich der wohlbegründeten Ansicht seines Biographen Georg Piltz7 angeschlossen:„Elbvenedig wäre ein besserer Beiname für Dresden als … Elbflorenz“. War es doch vor allem Venezia, das ihn zeitlebens beeindruckte. Und Piltz fährt fort: „Ob Elbe oder Canale di San Marco – die Stadt wendet ihr Antlitz dem Wasser zu. Ob Frauenkirche oder Santa Maria della Salute – eine aufstrebende Kuppel fasst das prächtige Bild nachdrücklich zusammen.“
Konnte man die von Geschichte und Kunst geadelten Bauten vor 1945 des längeren auf sich wirken lassen, mag man sich glücklich schätzen. Und hat man das besondere Flair Dresdens bewusst erlebt, empfand man diese Stadt wie schon der große Weimaraner, Johann Wolfgang von Goethe8, der in einem Brief an Carl Ludwig Knebel am 1. Januar 1791 über die damalige Residenz schrieb: „…Dresden hat mir große Freude gemacht und meine Lust an Kunst zu dencken wieder belebt. Es ist ein unglaublicher Schatz aller Art an diesem schönen Orte …“.Er hatte diese Stadt schon 1768 als junger Mensch aufgesucht.
Was mich betrifft, so haben es die Lebensumstände seit dem Ende des II. Weltkrieges zwingend mit sich gebracht, die Jahre der Ausbildung, der beruflichen Tätigkeit und des bisherigen Ruhestandes in anderen Regionen Deutschlands ansässig zu sein. Doch Dresden blieb als Erinnerung eine mächtige seelische Stütze.
In weiten Bereichen der durch die Luftangriffe in Geröll und Asche verwandelten Elbmetropole galt es, die riesige Trümmerwüste abzutragen. Es forderte lange Jahre unsäglicher Anspannung sehr begrenzter Kräfte, das Stadtinnere wieder wohnlich zu machen. Bisweilen ist das jüngeren Menschen, die Dresden in letzter Zeit aufsuchten, nicht immer gegenwärtig. Es hat auch mitunter den Anschein, als ob manch zu Wohlstand gelangter Zeitgenosse, der die Stadt erst spät entdeckte, die unendliche Mühsal der direkten Nachkriegsjahrzehnte nicht gebührend zu würdigen weiß.
Verschiedene Relikte des wilden Infernos, das durch den alles verzehrenden Feuersturm und die geballte Vernichtungskraft einer Unmenge von Spreng- und Brandbomben entstand, mahnen uns auch heute noch im Stadtbild an die Wirren jener Tage. Sie wurden teils als Gedenkstätte belassen, teils wegen fehlender Mittel noch nicht rekonstruiert, oder sie verbleiben aus anderen Gründen in der Fassung, in die sie die Feuerhölle formte. Doch drängt sich nicht erst heute manch kritischer Gedanke auf, wenn man die an die Stelle der Trümmer getretene Bausubstanz betrachtet.
Bis zur Wendezeit war das Stadtbild, abgesehen vom höchst anerkennenswerten Bemühen, bedeutende Zeugnisse der Baukultur wiederherzustellen und bei der Gestaltung neuer Bauelemente auch Einklang mit der Vergangenheit dieser Stadt zu finden, schließlich aus wirtschaftlichen Gründen und wegen dringend bereitzustellender Wohnungen allzu sehr durch vereinheitlichten, monotonen Plattenbau und verschiedene kaum an die reiche Tradition anknüpfende Großbauten geprägt worden. Sie sollten das künftige Bild der modernen Elbmetropole ausmachen. Manches musste aufgeschoben werden, da es bei der Vielzahl der Vorhaben an Geld und Ressourcen mangelte.
In den neunziger Jahren zeigte sich dann, dass auch unter den neuen Bedingungen die Kräfte der verarmten Stadt nicht immer ausreichen, das „Gesamtkunstwerk Dresden“, wie es Dankwart Guratzsch9 nannte, zu bewahren. Und mit Blick auf die Erhaltung der einmaligen städtebaulichen und landschaftlichen Strukturen äußerte er dann seine große Besorgnis mit Worten, deren Eindringlichkeit auch heute noch für sich spricht:„Eine Schwemme architektonischer Abfallprodukte flutet heran … Die neuen Bauherren – ob sie aus München, Stuttgart oder Heidelberg kommen – bringen meist nur die Eitelkeit, selten die Bildung und schon gar nicht den Geschmack mit, die das königliche Dresden einst bis in den haarfeinen Verästelungen der Balkongitter und Gartenzäune in den Vorstädten geformt haben.“
Werden die für die weitere Stadtentwicklung Verantwortlichen aus solchen sehr ernsten, sachkundigen Bedenken die notwendigen Lehren ziehen? In den letzten Jahren hatte es den Anschein, man will aus solchen Fehlern lernen, wie die Bauten, die am Neuen Markt, in der Umgebung der Frauenkirche, entstanden, aufzeigen.
Die hier wiedergegebenen Erinnerungen an das unmittelbare Vorfeld und die Ereignisse der Luftangriffe auf Dresden sind vornehmlich Darlegungen eigenen Erlebens. Zusammen mit meiner Mutter sowie Schwester und Bruder überstand ich den Doppelangriff britischer Bomber in der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945. Das Haus, Löscherstraße 610, es gehörte zur ehemaligen Blasewitzer Flur, in dem sich die Wohnung des Hauswirts, die unserer Familie und drei weiterer befanden, wurde beim ersten Angriff durch mehrere in unmittelbarer Nähe detonierende Sprengbomben schwer beschädigt. Der massierte Abwurf von Brandbomben im Verlauf des zweiten Luftangriffs erzeugte in den stark in Mitleidenschaft gezogenen Wohnungen unvermittelt ein nicht zu erstickendes, alles erfassendes Flammenmeer. In wenigen Stunden verkam das Haus zur qualmenden Ruine.
Mit einem kleinen Handwagen, der einen geretteten Handkoffer aufnahm, in dem sich einige Utensilien befanden, entkamen wir schließlich dem auch in unserem Wohnviertel nach dem allmählichen Abklingen des Motorengedröhns sehr bedrohlich und ungestüm anwachsenden Feuersturm. Die zwei folgenden Tagesangriffe der amerikanischen Luftflotte (14. und 15. Februar) erlebten wir noch in Dresden. Als mein Bruder und ich am 2. März 1945 wieder in der zerstörten Stadt weilten, gerieten wir am Vormittag in die nächste Bomberattacke amerikanischer Flugzeuge.
Wenn auch erst fast 60 Jahre nach den bewegten Tagen textlich gefasst, nach zehn weiteren Jahren dann aus aktuellem Anlass (neue, kritikwürdige Beiträge anderer Autoren) überarbeitet, so kommen die Geschehnisse zur Sprache, wie sie sich vor den eigenen Sinnen ereigneten und unauslöschlich einprägten. Im 15. Lebensjahr bleiben solch markante Eindrücke in Fülle haften. Wertungen politischer und militärischer Hintergründe sind in meinen Darlegungen auf das Unerlässliche beschränkt, das für das Verständnis der Zeitumstände erforderlich ist.
Umfassende Recherchen und Analysen machen das Forschungsfeld versierter Historiker aus. Hier und da hatte ich aber keine andere Wahl, als manches kritisch anzumerken, denn nicht zu allen bewusst aufgenommenen Geschehnissen möchte ich meinen Unmut über falsche oder beträchtlich abweichende Auslegungen verdrängen, den ich schon Jahrzehnte mit mir schleppe. Bei Gedankengängen, die über die persönlichen Erfahrungen des Bombenkrieges hinausgehen, sind Informationen zu den damaligen Abläufen und Zeitumständen einschlägigen Quellen entnommen worden. Unter diesen verdienen die wenigen Schriften, deren Verfasser Dresdens Untergang miterlebt haben, besondere Beachtung.
Doch auch von jenen jüngeren Autoren, die das atemberaubende Geschehen objektiv analysierten und dabei, obwohl sie zum Teil den Nachkriegsgenerationen angehören, bisweilen erstaunlich präzise Angaben machten, überzeugende Schlussfolgerungen zogen und sich einfühlsam in die Psyche der dem Bombenhagel ausgelieferten Menschen versetzen konnten, sind manche Hinweise für den vorliegenden Bericht entnommen worden.
Einige andere über Dresdens Untergang verfasste Bücher offenbaren, dass deren Autoren weder frühe Bindungen an die Stadt hatten noch das Inferno am eigenen Leibe erfuhren. Und so gibt es manche Tatbestände und Zusammenhänge, die von verschiedenen Seiten unterschiedlich wiedergegeben und interpretiert wurden. In einigen Fällen wird auf solche widersprüchlichen Mitteilungen eingegangen.
Das Schrifttum über Dresdens Untergang kündet, so ist seit langem mein Eindruck, in vielen Fällen wesentlich mehr von der Vorbereitung und dem militärischen Vollzug der Luftangriffe – Einzelheiten dazu sind Legion – als vom niederschmetternden Ausmaß und den Folgen der unbeschreiblichen Leiden, die der betroffenen Bevölkerung ohne jegliche Bedenken zugemutet wurden. Nur in sehr wenigen Abhandlungen sind die Dresdner Tage aus Sicht der schwer heimgesuchten Bewohner in der ihnen geziemenden Weise wiedergegeben worden. Auch fehlte es in den letzten beiden Jahrzehnten nicht an einigen medienwirksamen Stimmen, die darauf bestanden, die Zahl von annähernd 35.000 Opfern sei anzuzweifeln, denn man habe damals, nach den erhalten gebliebenen oder wieder aufgefundenen Unterlagen, nur 25.000 registriert.11
Über die Tätigkeit der vom Oberbürgermeister 2004 (2007) zur Klärung dieser Fragen berufenen Historikerkommission wird im Kapitel Spätes Totengeläut berichtet. Ohne auf die hierzu heftig geführten Kontroversen später in allen Details eingehen zu wollen, ist derjenige, der Tausende von Leichen, zum Teil unsäglich verunstaltet, auf Straßen und Plätzen, in Ruinen, im Großen Garten und sonst wo hat liegen sehen, zu Worten des Gedenkens verpflichtet. Man erschauert auch heute noch, sich des dramatischen Geschehens erinnernd. Und ergriffen verweilt man vor dem Mahnmal auf dem Heidefriedhof, im Nordwesten Dresdens, wo die meisten der Opfer ihre letzte Ruhe fanden.
Es bleibt, sich einzugestehen, es hätte uns das gleiche Schicksal treffen können, wären die Sprengbomben nur wenige Meter von ihrem Einschlag abgewichen. Für die jeweiligen Bombenschützen machte das beim Betätigen des Abwurfgerätes nur Bruchteile einer Sekunde aus. Immerhin zeigten die am Morgen nach der Nacht des Feuersturms von uns „inspizierten“ Bombenkrater, wie dicht ein Volltreffer gelegen hatte, der das Leben im Wohngebäude an der Prinzenstraße/Ecke Teutoburgstraße auslöschte, war doch die Distanz zu unserem Haus sehr gering. Auch der sehr wuchtige Einschlag einer gewichtigen Sprengbombe mitten auf der Kreuzung Löscherstraße/Ecke Teutoburgstraße geschah in unmittelbarer Nähe, nicht ein Viertel von dem entfernt, was man einen Steinwurf nennt.
Als Leonardo da Vinci12 vor einem halben Jahrtausend, nach langjährigen Beobachtungen und Studien des Vogelflugs, den Kodex über den Flug der Vögel vom 14. März bis zum 15. April 1506 niedergeschrieben hatte, war er beseelt von dem Wunsch, einen Apparat zu konstruieren, der dem Menschen das Fliegen ermöglicht. Es sind Zeichnungen seiner Entwürfe überliefert, doch konnte er sein Anliegen damals nicht in die Tat umsetzen, denn er war mit solchen Ideen seiner Zeit weit voraus. Wir wissen nicht, ob ihm dabei schon eine militärische Nutzung dieser Geräte vorschwebte, wie bei vielen von ihm entworfenen Instrumenten und Apparaten.
Auch bleibt dahingestellt, was Otto Lilienthal sowie die Brüder Orville und Wilbur Wright vor mehr als einem Jahrhundert für Visionen über die spätere Nutzung von Flugzeugen hatten, als sie mit ihren weltweit bewunderten Leistungen als Pioniere des Flugwesens in die Geschichte eingingen.
Haben sich Leonardo und seine Nachfolger vorstellen können, was der militärische Einsatz von Flugzeugen eines Tages auch für Zivilisten bedeuten würde? Nutzen und Schaden, vielfach auch schmählicher Missbrauch, sind hier als Ergebnisse menschlichen Tuns und Treibens dicht beisammen. Kaum einer, der dabei war, als Dresden in wenigen Minuten zur geschundenen Stadt wurde, kann jemals solche widersprüchlichen Gedanken abwehren.
Und nicht nur diese Probleme drängen sich auf. Angesichts der sehr nachteiligen Folgen für die Wetterphänomene aller Kontinente, die durch sich merklich ändernde Bahnen der polaren und subtropischen Jetstreams entstehen, muss kritisch gefragt werden: ist bei fortschreitendem Klimawandel eine weitere Zunahme des Flugverkehrs, wie von vielen Staaten vorgesehen, überhaupt vertretbar? Zu sehr ernsthaften Bedenken geben dabei die von Flugzeugen in Höhen über 10.000 m in die untere Stratosphäre ausgestoßenen Abgase Anlass, die außerordentlich hohe Belastungen für die oberen Luftschichten darstellen.
Schon bald nach den schweren Luftangriffen auf Hamburg (24. Juli bis 2. August 1943) hatte der für die Herstellung der Waffen zuständige Reichsminister, Albert Speer, Hitler dargelegt, solch heftige Bomberattacken auf weitere sechs deutsche Großstädte würden die Rüstungsproduktion zum Erliegen bringen.13Wären sie tatsächlich bald darauf in die Tat umgesetzt worden, hätten sich Speers Bedenken vermutlich bewahrheitet. Die Angriffe blieben fürs erste jedoch aus, und so gelang es Speer, die Fertigung von Rüstungsgütern zu steigern, wofür unzählige Zwangsarbeiter aus den besetzten Gebieten sowie KZ-Häftlinge herangezogen wurden. Die Bevölkerung war erbarmungslos dem sich bald darauf verschärfenden Bombenkrieg ausgesetzt. Bereits zu diesem Zeitpunkt, und dann immer nachdrücklicher, erwies sich die Abwehr solch mächtiger angloamerikanischer Luftflotten angesichts rasch schwindender Ressourcen als Selbstbetrug der politischen und militärischen Führung.
Im industrialisierten Krieg war auch der Zivilist als Produzent des an der Front benötigten Kriegsgerätes in das Fadenkreuz der Royal Air Force geraten. Und in Dresden hatte man den Luftschutz in den sich mehrenden Kriegsjahren unglaublich vernachlässigt. Auch soll nicht der Eindruck entstehen, die Erinnerung gebühre Dresden allein, andere Städte hätte es im Frühjahr 1945 und zuvor weniger getroffen.
Hier muss man Olaf Groehler14 voll zustimmen: „In gewisser Weise war das Verhängnis, das Dresden … ereilte, ein Gleichnis für das Schicksal, das vielen deutschen Städten – von Pforzheim bis Plauen, von Würzburg bis Potsdam, von Hildesheim bis Nordhausen, von Dessau bis Mainz – in jenen Frühjahrsmonaten zuteil wurde. Wenn von ihrem Schicksal weitaus weniger die Rede ist, dann nicht wegen der nicht ganz ähnlichen fürchterlichen Betroffenheit, als vielmehr wegen des Ausmaßes und der Dimension des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, die Dresden in dieser Februarnacht heimsuchten und die Stadt in der europäischen Geschichte damit fast zu einem Synonym für das fernöstliche Hiroshima und Nagasaki machten.“
„Heute haben wir die letzte Gelegenheit, mit Menschen, die dabei waren, über diese Themen zu reden. … Die Generation, die in jungen Jahren die Schrecken des Krieges erlebt hat, versucht gegen Ende ihres Lebens ihre Erinnerungen und Alpträume zur Sprache zu bringen, um ihre Erfahrungen weiterzugeben.“ Dieter Fortes15 Worte machen nachdenklich. In der Tat, im Schrifttum über Dresdens Untergang überwiegen die umfassenden Dokumentationen oder von anderer Seite gegebenen Beschreibungen des Infernos. Umfängliche Berichte von Überlebenden sind rar geblieben.
Dies alles bewog mich, aus Anlass des nun herannahenden 70. Jahrestages des Dresdner Infernos die Ereignisse zu schildern, die ich als Zeuge des überaus unrühmlichen Geschehens bis heute nicht vergessen und trotz aller festen Vorsätze nur schwer verwinden konnte. Und im übertragenen Sinne möchte ich nun mit Heinrich Heine16 sagen,
… ich schrieb dies Poem,
Und ich befinde mich besser seitdem.
Man vermag aber mit Worten kaum wiederzugeben, was damals in der Stadt geschah. Doch ist es ein Versuch, einen Beitrag zur Erinnerung an die damaligen Vorgänge zu leisten. Dies in der Hoffnung, jüngeren Generationen mögen solche Traumata, die auf uns seit jenen Tagen gelastet haben, in ihrem Leben erspart bleiben. Denn Dresden ist ein mahnendes Beispiel der verheerenden Folgen eines im blinden Wahn begonnenen Krieges, die Welt beherrschen zu wollen.
Und eine Bemerkung sei noch hinzugefügt: die Ausgebombten, zum Teil jahrelang städteweit der Angst von nervenzerreißenden Bombennächten ausgesetzt und dann durch Bombenhagel und Feuersturm um Hab und Gut gebracht, erhielten nach dem Krieg keinerlei oder so gut wie keine Unterstützung, Lastenausgleich oder andere begehrenswerte Starthilfen. Sie sind in den langen Jahren des Wiederbeginns zivilisierten Lebens meist benachteiligt gewesen. Dies im Gegensatz zu vielen Vertriebenen, die in den alten Bundesländern ihre neue Heimat fanden (im Osten wurde erst nach der Wende eine weitaus geringere finanzielle Anerkennung gewährt) und besonders jenen, die ihr Eigentum, vor allem Immobilien und Grundstücke, in die neue Zeit hinüberretten konnten (was nicht wenigen gelang). Millionen vom Bombenkrieg geschädigter Menschen waren gezwungen, aus dem Nichts einen Neuanfang zu wagen. Ihnen ging es wie unzähligen aus der Gefangenschaft heimkehrenden Soldaten. Viele haben die unendlichen Mühen jener Zeit nur unter größten Anstrengungen überwunden, manche sind sogar an den Schwierigkeiten gescheitert. Dies alles nicht aus dem Gedächtnis der Generationen zu verlieren, ist mir in diesem Zusammenhang des Erwähnens wert, da jüngere Menschen heute das normale Dasein für selbstverständlich halten.
Und es bleiben Worte des Dankes. Für die sachkundige und freundliche Unterstützung meines Vorhabens sowie die Überlassung belangvollen dokumentierenden Materials geht der Dank an meine Schwester, Dr. Johanne-Dorothea Thäle, Halle/S., meinen Bruder, Dipl.-Ing. Friedrich Rudolph, Halle/S., an unsere verstorbene Mutter, Johanne Rudolph, die zeitlebens die Bombardements nicht voll überwunden hatte. Sie ergänzten den Fonds an Erinnerungen, waren bei der Beschaffung von Quellen behilflich und unterstützten mich anderweitig.
Zudem möchte ich Mrs. Marylouise Cowan sowie ihrem Mitarbeiter, Mr. Michael Barker, Southport, Maine (USA), Herrn Götz Bergander (Journalist, Publizist), Berlin, Herrn Prof. Dr. Reinhard Lehmann, Göllin, Herrn Dipl.-Ing. Ludwig Heine, Rostock, Herrn Gert Bürgel, Dresden, vielmals für ihre unterstützenden Hinweise sowie kritischen Bemerkungen herzlich danken. Aus dem Kreis der Verwandten gebührt Herrn Dieter und Frau Irene Damm, Nossen, und Herrn Dipl.-Ing. Christian Kwas herzlicher Dank für Hinweise auf Erlebnisse, Februar 1945, sowie für die Hilfe bei Dresdner Stadtbesuchen.
Meiner Frau, die als junges Mädchen, auf der Flucht aus Breslau, am 13. Februar 1945, zusammen mit ihrer Mutter und den beiden Geschwistern auf dem Hauptbahnhof in Dresden eintraf, sich aber durch eine glückliche Fügung am Abend in einem von den Luftangriffen nicht betroffenen Ort aufhielt, jedoch später während ihrer Ausbildung in der zerstörten Stadt weilte, danke ich herzlich für die geleistete Hilfe.