Diese Zerstörung, welche die Innenstadt und eine Reihe der Vorstädte fast ausgelöscht … hatte, bedeutete die schwerste Katastrophe in der Geschichte dieser Stadt, aber sie bedeutete nicht das Ende Dresdens … So stehen wir heute am Beginn einer weiteren Epoche Dresdens, von der wir hoffen, daß sie ruhmvoll ihre ganz neuen Aufgaben lösen und damit die große Tradition fortführen wird. Fritz Löffler 1
Wie dem auch sei, man ist auch heute noch immer erschüttert, welches Ausmaß an Vernichtung menschlichen Lebens und der Kulturstätten die ungezähmte Bombenfracht in Dresden nach wenigen Stunden hinterließ. Wie ergriffen war der Dichter Gerhart Hauptmann, der in Dresden-Oberloschwitz (Sanatorium Dr. Weidner) den Untergang der Stadt miterlebte. In den berühmten Zeilen2, die er hierzu schrieb, heißt es zu Beginn: „Wer das Weinen verlernt hat, der lernt es wieder beim Untergang Dresdens.“ Kann sich der Außenstehende vorstellen, was unzählige Luftkriegsopfer für eine völlig ruinierte Stadt bedeuten? Hat man sich doch stets vor Augen zu führen, dass es mehrere zehntausend Einzelschicksale waren, abrupt und sinnlos durch eine immer noch wütende, alles zermalmende Kriegsmaschinerie zu Tode gekommen.
Auch Viktor Klemperer, von den damaligen Machthabern 1935 als Professor (Romanist) an der Technischen Hochschule entlassen – er hatte mit seiner Frau die Kriegsjahre in „Judenhäusern“ verbringen müssen – wurde in der Zeughausstraße 1 am 14. Februar 1945 ausgebombt. Das Ehepaar überlebte die Bombardements und verbarg sich bis Kriegsende an verschiedenen Orten. Der letzte Band seiner Tagebücher3 kündet von den Grauen erregenden Erlebnissen und Strapazen der letzten Kriegsmonate. Und jeder Dresdner, der die Bombenflut überstand, weiß, es war bei weitem nicht nur seine Stadt, die der nicht enden wollenden Vergeltung, dem Wahn des längst ad absurdum geführten Eroberungskrieges zum Opfer fiel. Doch Dresdens Untergang ist als Kulminationspunkt in die Geschichte des europäischen Luftkrieges eingekerbt.
Und hätten sich die militärischen Auseinandersetzungen noch länger hingezogen, so wäre unter Umständen der Entschluss, die erste Atombombe auf Dresden zu werfen, entsetzlicher Abschluss der Bombenwürfe in Europa gewesen. Auch dies ist zu bedenken, wenn man darüber nachsinnt, weshalb Dresdens Feuersturm als dringliche Mahnung an die Lebenden verstanden werden muss. Doch in der Rückschau auf mehr als acht Jahrzehnte, in denen man direkter Zeuge fortwährend turbulenter Weltereignisse gewesen ist, mag man gehalten sein, manches mit ruhiger Beherrschtheit hinzunehmen.
Zuweilen will es aber scheinen, als ob zu den von Thomas Mann4 vor sechs Jahrzehnten, wenige Wochen vor seinem Tode, im Versuch über Schiller zu Gehör gebrachten eindringlichen Worten noch keine Entwarnung gegeben werden kann, um im Bild des Luftkriegs zu bleiben. „Es ist Schillers Stimme. Ohne Gehör für seinen Aufruf zum stillen Bau besserer Begriffe, reineren Grundsätzen, edleren Sitten… taumelt eine von Verdummung trunkene, verwahrloste Menschheit, unterm Ausschreien technischer und sportlicher Sensationsrekorde, ihrem schon gar nicht mehr ungewollten Untergange entgegen.“
Zu unserem Leidwesen hinterließen die letzten sechs Dezennien den nicht weichen wollenden Eindruck, der Menschheit fällt es immer noch schwer, Kriege und Terror als Mittel der politischen Auseinandersetzung zu meiden, Expansionsgelüste machtbesessener Diktatoren und Potentaten zu zähmen und die bedrohlich zunehmende Kapazität der auf Massenvernichtung getrimmten Waffen zu zügeln. Es sind nicht die vermeintlichen Götter auf dem Olymp, wie die Griechen einst glaubten, die lenkend die Krieger anstacheln, die Gegner mit dem Schwert zu töten. Dies alles offenbare, wie manche meinen, die Macht des Schicksals. Es waren jedoch vernunftbegabte Menschen, die sich aus unterschiedlichen Gründen hasserfüllt gegenüberstanden oder von den Herrschenden in die jeweilige Schlacht getrieben wurden.
Franz Liszt5 schrieb 1870, nach Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges, in einem Brief: „…Was ich seit einigen Wochen lese, macht mich stumm. Welch ein Unheil! …Jetzt müssen sich Franzosen und Deutsche gegenseitig hinmetzeln, weil ihre Regierungen danach streben, die Grenzen zu verrücken, und jede auf Kosten der anderen beansprucht, ein schwereres Gewicht in die europäische Waagschale zu werfen…“ Wie wäre wohl Liszts Urteil ausgefallen, hätte er von der Vernichtung Dresdens in einem tausendfach mörderischeren Krieg erfahren, weilte er doch als gefeierter Pianist ein Jahrhundert zuvor mehrmals dort, um Konzerte zu geben, die mit dazu beitrugen, das Ansehen der Elbmetropole als Ort der Künste zu mehren.
Was von den durch das Flächenbombardement zerstörten Städten verblieb, erinnert an die Vergangenheit, und oft sind es die Kopien der ehemaligen Bauten, die man jetzt erblickt. Das organisch Gewachsene ist zerrissen und kann durch den zum Teil trostlos egalisierenden Neubau, der unsere hektische Zeit prägt, nicht im Entferntesten ersetzt werden. Der Untergang Dresdens und anderer Städte war ein gewaltsamer Bruch mit dem Überlieferten, denn sie verbanden die Geschichte mit der Gegenwart. Diese Erkenntnisse werden, so ist zu hoffen, auch spätere Generationen zu der Einsicht bringen, dass ein enorm hoher Preis für die Kriegsgelüste bezahlt wurde.
Ein Jahrhundert zuvor war im Mai 1842 ein Großbrand in Hamburg entstanden. Auch das Haus von Heinrich Heines Mutter brannte aus. An seinen Onkel Henry schrieb der Dichter aus Paris am 16. Mai jenes Jahres:6 „Ich hoffe, daß die Schrecknisse des entsetzlichen Unglücks, welches Hamburg betraf, Sie nicht krank gemacht haben. Wie groß die Gemüthserschütterung seyn mußte, kann ich mir leicht vorstellen, da ich sie sogar in der Ferne verspürte… Hier in Paris hat das Unglück große Sensazion gemacht.Also… trotz der vortrefflichen Löschanstalten, womit Ihr immer gepralt, seid Ihr zur Hälfte abgebrannt!..“
Dieser Großbrand war für die damalige Zeit ein Feuersturm ungeheuren Ausmaßes, aber nicht die Folge einer kriegerischen Handlung.
Nun, in den sieben Jahrzehnten nach Kriegsende wurde versucht, mit den begrenzten Mitteln ein neues wohnliches Dresden zu gestalten, und zur Freude der Deutschen und aller dieser Stadt verbundenen Menschen ist der bisherige Wiederaufbau so fortgeschritten, dass Guratzsch7, Haedecke8 und andere das Prädikat „Gesamtkunstwerk“ auf diese Stadt anwandten, nicht ohne die Schwächen, die bei heutiger Baukunst und Gestaltung der Stadtteile entstanden, zu verschweigen. Unmut, den vorschnelle, ungenügend komplex durchdachte Beschlüsse, die zur Aberkennung der UNESCO –Ehrung führten, haben aufkommen lassen, sollte künftig dazu führen, die historisch-kulturelle Bedeutung dieser Großstadt im internationalen Geschehen ausreichend zu berücksichtigen.
So bleibt, was Gret Palucca9 als Mahnung an die Jüngeren hinterließ:
„Nie in meinem Leben kann ich die Erlebnisse jener Zeit vergessen. Sie sollten immer als Menetekel vor den Augen aller Menschen stehen, damit dieses von barbarischen Menschenhirnen erdachte und von grausamer Menschenhand ausgeführte Verbrechen sich nicht mehr wiederhole.“
Als Fazit der mit Dresdens Untergang verbundenen wirren Erlebnisse möge die alles überlagernde Einsicht gelten, die schon Silius Italicus10 vor fast 2000 Jahren in seinem umfassenden Werk über den zweiten Punischen Krieg niederschrieb:
Pax optima rerum (Die beste aller Sachen ist der Frieden).
Prüfe jeder, ob er diesem bedeutendsten aller Grundsätze menschlichen Daseins mit seinem Tun bislang entsprochen hat.