EVOLUTION – INVOLUTION

Älles Innere soll man an dem Äusseren erkennen.

Paracelsus

Den ewigen Kreislauf, den fließenden Wechsel und Wandel in der Natur sahen die Naturvölker wie die australischen Aborigines als den webenden Traum der totemischen Ahnenwesen, der Götter. Auch bei den alten Hochkulturen stand der Gedanke einer Entwicklung, einer Evolution in der Natur, wie wir es heute sehen, weniger im Vordergrund. Man richtete das Augenmerk auf die ewigen Urbilder, auf die Kreisläufe ihrer Manifestationen und weniger auf die unbeständigen weltlichen Dinge. Nach den Überlieferungen der alten Kulturen ist die Welt die Schöpfung der Götter, die zuerst den Makrokosmos als androgynes Urwesen (Adam Kadmon, Ymir, Purusha oder Gayomard) hervorbrachten, dieses dann opferten und aus seinen Teilen die Erde schufen: Seine Knochen wurden Fels und Stein, seine Adern Flüsse, sein graues Hirn die Wolken, seine Haare die Bäume und Sträucher, seine Flöhe die Tiere. Nach einer anderen Vision teilt sich das zwittrige kosmische Urwesen in eine dynamische Polarität – Vater Himmel und Mutter Erde, Yin und Yang, Purusha und Prakriti, Gaia und Uranos, Kosmos und Chaos, Geist und Materie. Jene Ureltern aller Geschöpfe bringen dann auch den Menschen, den kleinen zweigeschlechtlichen Mikrokosmos hervor, indem sie ihn ausschwitzen oder ihren Odem in einen Erdklumpen oder in angeschwemmte Baumstämme blasen. Bilder dieser Art gibt es so viele, wie es Kulturen gibt; eines jedoch ist allen gemeinsam: Die Schöpfung ist göttlich, ist heilig!

In der westlichen Welt verblassten solche Imaginationen zunehmend. Die christliche Schöpfungsmythe erstarrte allmählich zu einer Karikatur, an die im 19. Jahrhundert niemand mehr so recht glauben konnte. Dies war der Zeitpunkt, da die »vernünftige« materialistische Wissenschaft die Materie, den unbelebten, unbeseelten Stoff, als Grundlage und Ursprung hinstellte. Wie Hohepriester eines neuen Glaubens stellten Darwin, Haeckel und Huxley das Dogma einer Evolution auf, in der sich das Leben allmählich aus der leblosen Materie entwickelt. Sie lehrten, dass sich auch Seele und Bewusstsein aus der molekularen Komplexität der Materie entwickelt haben, wie eine Art Schaum oder Abgas, als Epiphänomen.

Auch wenn die Physik inzwischen viel weiter ist, hat das einseitige materialistische Denken für die meisten bis heute seine Gültigkeit bewahrt, es war – und ist – den wirtschaftlichen Zielen der Gesellschaft angemessen, denn es erlaubt die rücksichtslose Ausbeutung der lebenden Welt – Massentierhaltung, Mechanisierung, genetische Manipulation, Giftanwendung, Versalzung des lebenden Bodens. Es handelt sich ja im Grunde genommen nur um leblose chemo-physikalische Vorgänge. Diese entfremdende Sichtweise geht auch den Gärtner und Bauern etwas an. Allen Handlungen, Taten und Eingriffen liegt ein sinngebender Gedanke, eine Weltsicht zugrunde. Aus diesem Grunde wollen wir einen Blick auf den Ursprung und die Entwicklung der Naturreiche werfen.

Theosophische Esoteriker wie Madame Blavatsky oder Rudolf Steiner haben zur Zeit Darwins den Versuch unternommen, den Evolutionsgedanken auf den Kopf zu stellen (Roszak 1975). Sie wollten zeigen, dass die Materie ein Endprodukt des Lebens und dieses wiederum als Schöpfung des Geistes zu verstehen ist. Sie stellten sich eine vierstufige, absteigende Entwicklung vor, von den geistigen Archetypen über die Weltenseele in die Lebenskräfte und schließlich in die sichtbar manifestierte Materie. Diese Entwicklung vollzieht sich in einer Serie von Impulsationen, zwischen denen Ruhepausen liegen. Es sind dies die Tage und Nächte Brahmas.

Steiner nennt die erste der vier Impulsationen den »alten Saturn«, das Bewusstsein gleicht hier dem kataleptischen Tiefschlaf der Steine. Den zweiten Anstoß, in dem das Bewusstsein dem Schlaf der Pflanzenwelt entspricht, nennt er »alte Sonne«. Den dritten nennt er den »alten Mond«, das Bewusstsein ähnelt auf dieser Stufe dem Träumen der Tiere. Als vierter Impuls folgt unser Erdenstadium, in dem sich das wache, selbstbewusste Denken entwickelt hat. Dem kann man entnehmen, dass das Gestein immer noch im »alten Saturn« verweilt, die Pflanzenwelt auf der Stufe der »alten Sonne« lebt, die Tiere im Mondstadium verweilen und dass nur der Mensch bis jetzt zum Erdenbewusstsein gekommen ist. Die Engel jedoch sind über diese Stufe schon hinaus. Diese Evolution ist noch nicht zu Ende, weitere Stadien der Bewusstseinsentfaltung stehen bevor. Die ersten drei Stufen finden in der übersinnlichen Welt statt und lassen sich nur mit dem geistigen Blick beobachten. Allein in der vierten Stufe, in der Erdenstufe, hat man es mit einer physischen Manifestation zu tun, die der mit den fünf Sinnen und dem Verstand arbeitenden Naturwissenschaft zugänglich ist. Hier kommen die Geologen und Paläontologen mit ihren Ausgrabungen, Steinen und Knochen zurecht. Den Sinn ihrer Entdeckungen kann aber nur eine seriöse Geisteswissenschaft erfassen.

Wenn wir versuchen, die Forschungsresultate der Naturwissenschaft mit den alten Mythen und der esoterischen Geisteswissenschaft in Einklang zu bringen, ergeben sich interessante Perspektiven. Man ahnt einen großartigen alchemistischen Vorgang, indem der Geist die Urmaterie erfasst und stufenweise durchdringt. Man sieht, wie am Anfang dieser Erdentwicklung, im Präkambrium, die Urmaterie von den Lebenskräften erfasst und durchdrungen wird. Man sieht, wie dann vom Paläozoikum bis zum Mesozoikum die makrokosmischen Seelenkräfte, die Anima Mundi, die frische Lebenssubstanz erfassen und durchseelen, wobei es zu einer Vielfalt von tierischen Erscheinungen kommt. Im Zänozoikum erleben wir, wie der um sich selbst wissende Geist (Welten-Ich) durch die physische, ätherische und seelische Hülle hindurchstösst, um sich in einem Primaten in der äußeren Welt als Mikrokosmos zu manifestieren. Betrachtet man dies, so erkennt man in der Evolution einen Involutionsprozess, in dem sich der Makrokosmos durch vier Hauptstufen hindurch in unzählige Mikrokosmen verwandelt. Der Meganthropus streut seinen Samen aus und vervielfältigt sich. Auch Steine, Pflanzen und Tiere sind auf verschiedenen Stufen weilende zukünftige Mikrokosmen.

Der Weg vom Makrokosmos zum Mikrokosmos

Die Naturwissenschaft geht von der These aus, dass sich im Urmeer des Archäozoikums, vor über drei Milliarden Jahren, unter Einwirkung kosmischer Strahlung und von Blitzen komplizierte hochpolymere Moleküle bildeten, aus denen schließlich die ersten reproduktionsfähigen Urorganismen hervorgingen. Das inzwischen klassische Experiment von S. L. Miller (1953), der im Labor eine Methan-Helium-Wasserstoff-Uratmosphäre nachbildete und diese dann mit elektrischen Entladungen durchzuckte, wobei sich tatsächlich Aminosäuren bildeten, gaben der Hypothese der »Ursuppe«, des mit organischen Substanzen angereicherten Ozeans, eine bedeutende Stütze. Neuere Forschungen bezweifeln, dass es diese »Ursuppe« gab, da sich aufgrund der Fähigkeit zur Bildung energiereicher Phosphatbindungen schon sehr früh die Mechanismen zur CO2-Assimilation entwickeln konnten. In anderen Worten, die Urlebewesen brauchten keine »Suppe«, um sich zu ernähren, sondern konnten schon mit Hilfe der vom Himmel einströmenden Photonen »die überall vorhandenen Kohledioxid- und Wassermoleküle zu Glukosepäckchen verschweißen« (Popp 1999: 55). Als »Abfall« erzeugten sie – wie die Pflanzen noch heute – Sauerstoff. Nun erst brauchte es die heterotrophen Organismen – die Vorfahren der Tiere und Pilze –, die den Sauerstoff und die überschüssig erzeugte Biomasse verwerten konnten. Damit wurde der noch heute existierende CO2/O2-Kreislauf in Gang gesetzt (Kandler 1987: 104). Der Sauerstoff ist – nach Rudolf Steiner – Träger der ätherischen Lebensenergien. In anderen Worten, wir sehen, wie der Weltenäther in diesem Stadium die Urmaterie ergreift und belebt.

In den Fossilien des Kambriums – vor nahezu 600 Millionen Jahren – sind schon die Pflanzen (Algen und Planktone) und alle wirbellosen Tierstämme bis auf einen vorhanden. In diesem Zeitraum greift die Astralität, das kosmisch Seelenhafte, in das physisch-ätherische Geschehen ein. Die »Beseelung« beginnt, indem die runden, hohlen Kugeln der ersten Zellkolonien wie von unsichtbaren Geisterfingern eingestülpt und durchstoßen werden. Mit der tieferen Einstülpung formen sich Innenflächen im Gegensatz zu Außenflächen. Der Ansatz eines vom Makrokosmos abgewandten Mikrokosmos ist dadurch gegeben. Es entstehen Zellen, die den makrokosmischen Bildekräften nicht mehr unmittelbar ausgesetzt sind. In den Embryos der Säugetiere wiederholt sich diese Einstülpung, wenn die aus dem befruchteten Ei hervorgehende Zellenkugel (Blastula) zum Becherkeim (Gastrula) wird. Diese Einstülpung ist ein Schritt, den die Pflanzen nie vollbringen. Als rein ätherische Wesen bleiben sie dem Makrokosmos unmittelbar zugewandt.

Der Weg vom Makrokosmos zum Mikrokosmos.

Wie das Ei und der Samen des Menschen ihr makrokosmisches Ebenbild in den Urtierchen haben, so hat der Becherkeim des Embryos sein makrokosmisches Ebenbild in den Polypen, Quallen, Korallentierchen und Schwämmen. Wie alle niederen Organismen sind diese Tiere noch völlig unspezialisiert. Es fehlen die besonderen Organe für Stoffwechsel, Vermehrung, Blutführung, Ausscheidung und so weiter. Man kann sie sogar durch ein Sieb pressen: sie finden sich wieder zur Zellgemeinschaft zusammen. Ihre Organe sind noch im Makrokosmos: das salzige Meereswasser ist das Blut, das die Zellen bespült und mit Nährstoffen versorgt; ihr Herzschlag ist der Rhythmus der Wellen, und die Vermehrung geschieht asexuell durch Zellteilung, Jungfernzeugung (Parthenogenese) oder hermaphroditisch. Die Astralität, die bekanntlich stark mit der Sexualität zusammenhängt, ist noch schwach manifestiert.

Wenn wir den Spuren der Entelechie16 weiter folgen bis zu den Muscheln, Gliederfüßlern, Stachelhäutern (Echinodermata), Weichtieren (Mollusca) und Würmern, dann finden wir zunehmend klarer entwickelte, spezialisierte Organe. Die Astralität greift immer entscheidender in die Lebensvorgänge ein. Mit der Entwicklung der geschlechtlichen Vermehrung wird der Tod viel eher zur Wirklichkeit, als es bei der einfachen, asexuellen Zelltellung der Fall ist. Die strahlige oder radialsymmetrische Körperform wird von einer zweiseitig-symmetrischen abgelöst und ermöglicht dadurch eine Orientierung im Raum (hinten – vorne, oben – unten). Man sieht, wie sich diese Tiere der »irdischen« Dimension von Raum und Zeit nähern. Auch entwickeln sich in diesem Stadium die ersten harten Schalen, äußere Kalkpanzer, die ihnen Schutz gewähren: Sie verbinden sich fester mit der Stofflichkeit, obwohl ihre Larven den freischwimmenden, weichleibigen Modus der früheren Stadien der Evolution noch immer durchgehen.

In silurischen Zeiten – vor etwa 460 Millionen Jahren – kriechen die ersten Gliederfüßler, die Vorfahren der heutigen Skorpione und Tausendfüßler, aus dem Meeresschoß an die Luft und in das Licht des Strandes. Während eine Vervielfältigung der wirbellosen Meerestiere und die Entfaltung der Algenwelt stattfindet, konzentriert sich die schöpferische Entelechie auf die Wirbeltiere. Aus den primitiven Fischen, die zuerst noch wie die Wirbellosen mit äußeren Schutzplatten versehen sind, entwickeln sich Tiere mit biegsamem innerem Gerüst und beweglichem Kiefer. Im Devon findet man die fossilen Zeugnisse von Fischen, die nun die Flüsse und Frischwassergebiete besiedeln. Da ihre Körperflüssigkeit noch salzig wie das Meerwasser ist, müssen sie sich durch Nieren und einen Blutkreislauf, der durch ein zweikammeriges Herz fließt, der neuen Umwelt anpassen. Unter diesen Frischwasserfischen sind Quastenflossler und Lungenfische, denen es möglich ist, zeitweilig die feuchte Umwelt zu verlassen, nach Luft zu schnappen, auf ihren Flossen durch den Schlamm zu kriechen und so eine vorübergehende Austrocknung des Baches oder Tümpels zu überleben.

Im Steinkohlezeitalter (Karbon) kriechen die aus den Fischen hervorgegangenen Urlurche (Amphibien) an den Ufern und durch die Niederungen. In ihrer sumpfigen Umwelt treffen sie auf blütenlose Farne, Riesenmoose und Bärlappgewächse. Kerbtiere und Schnecken sind auch schon da. Diese Urlurche sind schon recht weit auf dem langen Weg zum Mikrokosmos, denn sie atmen mit Lungen, haben ein dreikammeriges Herz, das ihnen einen inneren Rhythmus schlägt, bewegen sich frei auf vier Beinen und geben die ersten mikrokosmischen Töne in den Makrokosmos zurück, wenn sie vor Lust quaken. Um aber an diesen Punkt zu gelangen, müssen sie immer wieder zurück an den Ursprung. Sie müssen ins Wasser zum Laichen, wobei das Männchen sich an den Rücken des Weibchens klammert, um gleichzeitig den befruchtenden Samen zu spenden. Das befruchtete Ei muss den langen Entwicklungsweg wiederholen: von der Gallertmasse zum Blasenkeim, zum Becherkeim, zum Würmchen und kiemenatmenden »Fisch«, bis der erwachsene Lurch das Wasser dann auf vier Beinen wieder verlässt. Dass diese Tiere noch stark mit dem Makrokosmos verbunden sind, sieht man, wenn man heutzutage Frösche und Molche beobachtet, deren Lebensrhythmen noch ganz von Sonnen- und Mondzyklen bestimmt werden. Wie stark das Ätherische bei diesen Wesen noch hereinwirkt, erkennt man an ihrer oft grünlichen, pflanzenähnlichen Färbung, ihrer großen Vermehrungskraft und daran, dass sie wie die Fische mitunter zeitlebens wachsen.

Im Perm – vor etwa 250 Millionen Jahren – schreitet die Involution des Makrokosmos mit dem Aufkommen der Echsen (Reptilien) weiter. Sie befreien sich schon weiter vom Makrokosmos als die Amphibien, denn sie sind zur Fortpflanzung nicht mehr auf Tümpel oder Wasserbecken angewiesen. Männchen und Weibchen haben schon ineinander passende Genitalien; die Weibchen legen Eier mit harten Schalen, die einen Miniaturtümpel darstellen, in dessen Nährflüssigkeit sich die Larven entwickeln können. Die Reptilien können sich daher weit entfernt von Sumpf, See oder Fluss in das trockene Land wagen, um sich in den Wäldern der Nacktsamer, der Nadelhölzer und Ginkgos des Mesozoikums auszubreiten. Ihre Haut ist durch einen Schuppenpanzer vor Trockenheit geschützt.

Obwohl sich diese Kriechtiere im Mesozoikum in die vielfältigsten Arten verzweigen – zu riesigen Pflanzen fressenden Brontosauriern und Fleisch fressenden Tyrannosauriern, zu Ichthyosauriern, die die Meere, und zu Pteridosauriern, die die Luft besiedeln –, lässt sie der göttliche Plan der Entelechie beiseite und stößt in die Richtung der Warmblütler vor. Die makrokosmische Wärme, die Sonne, hält Einzug in den Mikrokosmos und baut sich im Vogel und Säugetier ein vierkammeriges Herz. Mit dem Herzen keimt auch die mikrokosmische Liebe in Form der Paarbindung und Brutpflege. Bei den Vögeln wird nicht einfach begattet, und die Eier werden von der Sonne im warmen Sand ausgebrütet, sondern die Eltern helfen einander beim Nestbau, Brüten und Füttern. Zusammen mit Blütenpflanzen und Schmetterlingen tritt diese edle Inkarnation der Astralität am Ende der Kreidezeit und gegen Anfang des Tertiärs auf.

Organisch und physiologisch ist die Involution der Weltenseele bei den höheren Säugern fertig. Die von Sonne, Mond und den Planeten stammenden Lebensimpulse und -rhythmen werden nicht mehr von unbestimmten Zellenmassen vermittelt, sondern finden ihren Brennpunkt in fertigen, spezialisierten Organen. Die Mondrhythmen, die die Reifung der Eier und die Paarung der primitiven Tiere bestimmen, werden bei den Säugetieren zu inneren Brunst-, Östral- und Menstruationsrhythmen. Die äußere Sonne, die die großen klimatischen Kreisläufe, Wind- und Wasserzirkulation in Gang hält, gibt den Amphibien und Reptilien ihre Wärme. Bei den Säugetieren hingegen ist es die »innere Sonne«, die das Blut zirkulieren lässt und die Temperatur konstant bei 37 °C hält, einer Temperatur, bei der Wasser chemisch am reaktionsfähigsten ist. Theodor Schwenk konnte im Buch »Das sensible Chaos« zeigen, wie die archetypischen Wirbelbewegungen der Luft und des Wassers in den tierischen Organen, in Herz, Gedärmen und Innenohr, nachgebildet werden und zu fester Form gerinnen. Die Rhythmen von Ebbe und Flut finden ihr mikrokosmisches Ebenbild im Atemrhythmus. Das saline Blut trägt in sich verschiedene Blutkörperchen, wie einst der Urozean die Protozoen. Wie die Planeten um die Sonne kreisen, so sind die Organe mit dem Herz durch den Blutkreislauf verbunden. Der in Gewässern gelöste Kalk ist über die äußeren Schalen nach innen gewandert und schließlich im Mikrokosmos zum Knochengerüst geworden.

Bei den fortgeschrittenen Säugetieren wird das Verhalten immer mehr von den Impulsen des Nervensystems, von dem im Gehirn zentralisierten Bewusstsein bestimmt. Nirgends ist das Bewusstseinsorgan besser ausgebildet als bei den Primaten, den Affen und Menschenaffen, die vor rund 60 Millionen Jahren auftauchten. Es kommt zu einer sprunghaften Entwicklung des Großhirns. Immer mehr sind es innere Impulse, die das Leben bestimmen, im Gegensatz zu den durch Notochorde, Ganglien, Cilla und Antennen vermittelten makrokosmischen Impulsen. Mit der Konzentration auf das Hirn als Substrat bereitet die Entelechie die nächste Metamorphose der Entwicklung vor, die Involution des Geistes (Chardin 1948).

Sehr spät in der Erdneuzeit, im Laufe der Eiszeiten, kommt der neue Einschlag zum Ausdruck. Nachdem sich in den Urzeiten des Erdaltertums die ätherischen Kräfte der Prima materia bemächtigten und dann im Erdmittelalter die Weltenseele sich vom Fisch bis zum Säugetier inkarnierte, nimmt sich der Weltengeist einer Gruppe von afrikanischen Menschenaffen an. Es ist, als schlüpfe er in sie hinein und veranlasse sie, das Terrain der sicheren Instinkte zu verlassen. Die Herstellung von primitiven Faustkeilen und Klingen in der Altsteinzeit ist ein Indiz für die allmähliche Inkarnation eines innewohnenden Geistes. In der Mitte des Pleistozäns beherrscht der Homo erectus das Feuer: ein äußeres Zeichen des innewohnenden Lichtes, das bis zur Zeit der kunstvollen Wandgemälde in den Höhlen der Pyrenäen immer heller leuchtet. In diesen Höhlengemälden sehen wir eine innere Landschaft aufleuchten; die herrliche Schöpfung lebt als innere Welt in diesen Frühmenschen. Der Menschengeist verlässt aber zur selben Zeit das Atlantis des Makrokosmos. Die makrokosmischen Götter zürnen, dass Prometheus den Menschen das Feuer und die Künste gegeben hat!

Jeder sich inkarnierende Mensch macht alle Stufen dieser langen Evolution noch einmal durch, vom Embryo im Meer des mütterlichen Schoßes, zum Säugling, Kind und Jugendlichen. Dann ist der Mensch physisch erwachsen. Die ätherischen Kräfte, die dies ermöglicht haben, ihn aufrichteten, ihn wachsen und sich bewegen ließen, sind nun freigesetzt, um bewusst dem Geist zu dienen. Dieser Geist drückt sich in Wort und Gesang aus. Es ist ein weiter Weg von den stillen Fischen im rauschenden Meer, von den Kröten und Heuschrecken, die mit Beinen und Schallblasen quakende und zirpende Laute von sich geben, zu den singenden Vögeln. Aber all das ist noch ein Ausdruck der Astralität. Erst im Menschen haben die Laute mehr als Signalbedeutung. Erst im Menschen werden sie zu Wort und Sprache, mit denen gesegnet und geflucht und Inhalte zum Ausdruck gebracht werden können, die es in der manifestierten Welt sonst gar nicht gibt. Wir Menschen können durch das Wort unser Verhältnis zur Welt, zum Makrokosmos, objektivieren; wir können Abstand nehmen, aber uns auch dabei verwirren. Wir können einer höheren Bestimmung dienen als nur essen, schlafen, zeugen und uns erhalten. Wir können zum größten Teil unsere weitere Entwicklung und die Zukunft der Erde von nun an selbst bestimmen. Das können wir trotz unserer Schwächen: Eine blinde und taube Helene Keller konnte, dank des ihr innewohnenden Geistes, Tausenden von Behinderten zum Vorbild und zur Trösterin werden; Beethoven konnte die Neunte Symphonie den Göttern abringen, obwohl er völlig taub war. Im Gegensatz dazu ist ein blindes, stummes oder krankes Tier ein armes Wesen, weil ihm das Licht noch nicht von innen leuchtet. Deshalb verlässt es den Leib, um in die Arme des Makrokosmos zurückzukehren, wo sein Geist übersinnlich lebt.

Die Evolution ist die Geschichte der Herausgestaltung des Mikrokosmos aus dem Makrokosmos. Unsere Tierbrüder haben uns bis zu einem Punkt begleitet, bleiben aber dem Himmelsvater und der Erdenmutter treu. Wenn sie zu Haustieren werden, wird der Mensch ihnen zu Vater und Mutter. Dieser Perspektiven müssen wir, die wir mit den Naturreichen arbeiten, uns bewusst sein, um ihnen gerecht zu werden.

Pflanzenevolution

Die Pflanzenwelt hat sich aus den unbestimmten Einzellern, den Bakterien und Algen des Urmeeres, heraus entwickelt. Sie brachte aus den undifferenzierten Sporen- und Gefäßpflanzen, die sich in den feuchten Nischen des Devons aus dem Wasser wagten, die Riesenfarne und Schachtelhalme der Steinkohlewälder des Karbons hervor, dann windbestäubte Nacktsamer, die das trockene Land im Zeitalter der Saurier allmählich kolonialisierten, und schließlich die blühenden Bedecktsamer und Gräser des Tertiärs. Gleich zu Anfang dieser Entwicklung ergriff die Sonne diese Lebewesen, brachte sie zum Ergrünen, gab ihnen die Möglichkeit, das Sonnenlicht direkt aufzunehmen. Das Sonnenlicht wirkte formend und gestaltend an ihren Leibern. Man sieht die Beziehung zwischen Sonnenlicht und Gestaltung klar, wenn man Kartoffeln im dunklen Keller betrachtet, deren Triebe gestaltlos wachsen, bis sie, vom Licht ergriffen, geordnete arttypische Form annehmen. Auch das formlose Wurzelgeflecht der Pilze in der dunklen Erde zeigt das. Überhaupt kann man das Wachstum und die Lebensrhythmen der Pflanzen nicht begreifen, wenn man sie nicht in Bezug zur Sonne sieht.

Die Pflanzen sind getreuer Ausdruck der auf sie einwirkenden ätherischen Kräfte: ewig wachsend, unaufhörlich ein Segment an das andere gliedernd, lautlos, symmetrisch und harmonisch. Geräusch und willkürliche Bewegung gehören schon zur astralen Welt. Die ursprünglichen Pflanzen wuchsen noch ziemlich gestaltlos im Wasser (Tang und Algen) oder klebten an schattigen, feuchten Orten, hoben sich aber immer mehr aus dem wässrigen, irdischen Element der Luft und dem Licht entgegen, wobei sie immer differenziertere Ausgestaltungen annahmen. Moose haben schon Leitgefäße und richten sich in die Senkrechte auf; Farne und Schachtelhalme sind bereits in Wurzel, Stengel und Blatt gegliedert; Nacktsamer und Gräser haben bereits Blüten, aber ihre Blätter sind einfach und parallelnervig, ein Zeichen dafür, dass sie die ätherischen Sonnenenergien direkt in den Kosmos zurückstrahlen. Die zweikeimblättrigen Bedecktsamer, die bunt blühenden Pflanzen, haben bogen-, fieder- oder netznervige Blätter, ein Zeichen dafür, dass die Ätherkräftelinien in sich kreisen und nicht direkt nach außen gestrahlt werden.

Der Einfluss des Sonnenlichts auf die Gestalt der Pflanze.

Trotz dieser Differenzierung der Teile kommt es nirgendwo zu einer richtigen Hohlorganbildung, wie es im Tierreich geschieht. Nie überschreitet die Pflanze die Flächen- oder Kugelform. Goethe hat das schon mit seiner Urpflanze erkannt: »Vorwärts und rückwärts ist die Pflanze immer nur Blatt« (Goethe, Italienische Reise III). Nie kommt es zur Einstülpung (Gastrikulation), zur Becherkeimbildung. Wir erkennen daran, dass die Pflanze die Astralität nicht in sich aufnimmt, wie es das Tier tut. Sie bleibt stumm, festgewurzelt, dem Makrokosmos zugewandt. Das Seelische (die Astralität) berührt sie nur von außen an der Oberfläche, etwa wenn das Insekt die Blüte umschwirrt, der Wind durch das Laub fegt, ein Tier kotet oder der Engerling an der Wurzel nagt.

Manchmal lastet das Astralische schwer auf der Pflanze, wenn zum Beispiel eine Wespe (Cynipiden) in ein Eichenblatt sticht und dort ihre Eier hineinlegt, wodurch sich die rötlich verfärbten, runden, organähnlichen Markgallen bilden, in denen sich die Wespenlarven entwickeln. Ähnlich animalisch-astralisch wirken die von Gallmücken (Cecidomyiden) hervorgerufenen Beutelgallen an Buchen, Erlen und Weiden. Die Filzgallen (Erieen vom griech. erion = Wolle) werden von Gallmilben verursacht. Diese rötlichen, hohlen Geschwülste sind ebenso wie Haare, Wolle und Pelz ein Merkmal des Astralischen, wie es im Tier hervortritt. Hier ist es aber der Pflanze aufoktroyiert und gehört nur bedingt diesem Ätherwesen an. Die befallene Pflanze wehrt sich gegen diese Astralität, indem sie viel Gerbstoff erzeugt.17

Gallen als Ausdruck der Astralität.

In den Blumenkelchen, Hülsen, Schoten und Kapseln macht die Pflanze einen schönen, aber schwachen Versuch, echte Organe zu bilden, die dem Äußeren ein Inneres entgegensetzen. Sie nehmen dabei auch herrliche Färbung an. Diese Färbung, die an und für sich ein Zeichen der Astralität oder Beseelung ist, wirkt daher auch auf Seele und Gemüt des Menschen. Mit Blumen und Früchten (Liebesäpfel) verleiht der Mensch seinen seelischen Regungen Ausdruck. Kaum ist jedoch dieser Anfang gemacht, kommt das Pflanzenwesen schon an seine Grenze. Die Astralität zehrt nämlich von den ätherischen Kräften, wie die Flamme vom Kerzenwachs.18 Die Blüte zerstäubt, verduftet, vertut sich in Aroma und Pollen und vergeudet sich in der Frucht. Die Blütenblätter haben nicht die vegetative Lebenskraft der Stengel, Wurzelstöcke oder grünen Blätter, sie verwelken, und das Pflanzenwesen zieht sich in den winzigen Samen zurück, um wieder in das Meer der ätherisch-vegetativen Kräfte einzutauchen und von neuem zu beginnen. Nur Giftpflanzen und »Fleisch fressende« Pflanzen tragen das Siegel der Astralität und wirken dadurch etwas unheimlich, etwas animalisch.

Giftpflanzen

Wir wollen die Beziehung der Pflanze zur Astralität etwas genauer betrachten. Rudolf Hauschka hebt hervor, dass die organische Chemie der Pflanzen hauptsächlich eine Chemie des Kohlenstoffs, Sauerstoffs und Wasserstoffs ist, die in Kohlehydraten, Zucker, Stärke, Zellulose und Lignin zum Ausdruck kommt. Im Gegensatz dazu ist die Biochemie der Tiergewebe und Tierprodukte eine Chemie, in der der Stickstoff neben dem C, O und H eine größere Rolle spielt. So wie Sauerstoff als Lebensträger und Kohlenstoff als Gerüstbildner der Pflanze wirkt, ist demnach der Stickstoff der stoffliche Träger des Astralischen, das sich in Bewegung, Empfindung, Gefühl und Trieb kundtut und in bunten Farben, starken Düften und verschiedenen Lauten und Tönen seine Signatur hat. Dass Tiere sich frei bewegen, fühlen, sich freuen und leiden und dem durch Geräusche Ausdruck verleihen können, verdanken sie dem Stickstoff (Hauschka 1965: 194). Schießpulver ist eine zusammengeballte Stickstoffverbindung, die sich mit gewaltigem Schall und massiver Bewegung entlädt. Stickstoffsalze wirken ebenfalls treibend auf Pflanzen und ziehen Astralwesen (Insekten) an, die als Schädlinge den Stickstoffüberschuss absaugen oder wegfressen.

Normalerweise wirkt der Stickstoff, der 79 Prozent der atmosphärischen Luft ausmacht, von außen auf die Pflanze ein. Wie wir schon gesehen haben, wird er von außen durch die Bodenlebewesen, Knollenbakterien und Tiermiste an die Pflanzen herangetragen. Aber auch in der Pflanze gibt es Stickstoff. In jeder Zelle (Nukleinsäuren) wirkt er und wird von den Wurzeln als Nitrit oder Nitrat aufgenommen und zu Pflanzenproteinen in den Samen und Blüten verwandelt. Der Stickstoff geht jedoch auf schnellstem Weg durch die Pflanze hindurch und ist hauptsächlich in den schnell wachsenden Sprossen und Spitzen, wie im jungen Gras, zu suchen. Die Aminosäuren sind wasserlöslich, was ihren Transport beschleunigt. Diese Bewegung endet in den Blüten, deren Geruch und Farben durch Proteinabwandlungen entstehen, und in den abgekapselten, eiweißreichen Samen, die das Ende der vegetativen Phase der Pflanze darstellen und schon in den Bereich der Insekten hineinragen.

Was passiert nun, wenn eine Pflanzenart den ihr zur Verfügung stehenden Stickstoff nicht völlig in pflanzliches Eiweiß umwandelt, sondern dieser weiter im Säftestrom zirkuliert oder sich in bestimmten Geweben anreichert? Was passiert, wenn – wie es die Anthroposophen formulieren – das Pflanzenwesen auf Stickstoff gierig wird, wenn es das Tierstadium der Evolution »vorwegnehmen« will? Oft entwickelt das Gewächs tierähnliche Merkmale, oft wird es giftig, wobei es Abbauprodukte des Eiweißes wie Harnstoffe und Blausäure akkumliert. Da Pflanzen keine Ausscheidungsorgane wie Nieren, Blasen und Harnleiter haben, verlassen diese Gifte die Gewebe nie und werden gespeichert. Alkaloide machen den größten Teil der unvollständig abgebauten, angereicherten Proteine aus. Dass die Alkaloide etwas mit der Astralität, mit dem Seelischen zu tun haben, zeigt sich in ihrem Einfluss auf das Nervensystem, die Gefühle und seelischen Regungen in Mensch und Tier. Sie können Sinnestäuschungen, Visionen, Betäubung, Rausch, Schmerzlinderung oder Nervenlähmung hervorrufen.

Dem Psychonauten ist das Alkaloid Morphium vom Schlafmohn, Kokain vom Cocablatt, Meskalin von einem Kaktus, Ephedrin vom Meerträubel oder Nikotin vom Tabak wohlbekannt. In den Samen der großblühenden weißen und blauen Winden befinden sich dreizehn verschiedene Alkaloide nebst einem beträchtlichen Anteil Lysergsäurediäthylamid (LSD). Die aztekischen Priester im alten Mexiko nannten die Droge Ololiuqui und benutzten sie, um mit der Federschlange, dem Quetzalcoatl, in Verbindung zu kommen. In den Sechzigerjahren ließ die amerikanische Regierung die Samen dieser Windensorten, die im Handel zu kaufen waren, verbieten oder mit Brechmitteln beizen, denn es hatte sich herausgestellt, dass Hippies die Samen aufkauften, um sich damit intensive übersinnliche Erlebnisse zu verschaffen. Allzu oft konnte das Erlebnis jedoch nicht wiederholt werden, da eines der Alkaloide das hochgiftige, sich im Körper speichernde Strychnin ist.

Die bürgerliche Gesellschaft hat Nikotin (Tabak), Koffein (Kaffee) und Theobromin (Schwarztee) als akzeptierte Drogen institutionalisiert. Im Mittelalter wurden Hexensalben aus den alkaloidreichen Pflanzen Bilsenkraut, Tollkirsche und anderen Nachtschattengewächsen gebraut (Müller-Ebeling et al. 1998: 165). Sieben Kräuter benutzte man, vermischte sie mit Schmalz und schmierte es sich an die Schläfen, Genitalien oder in die Achselhöhlen, um dann in der niederen, astralen Welt umherzuschwirren. Der Stechapfel, den Carlos Castanedas Zauberer Don Juan benutzt, kam erst nach der Entdeckung der Neuen Welt zu den Hexenkräutern. Zuweilen wurden Bauern vom Antoniusfeuer ergriffen, tanzten herum, redeten und sahen wirres Zeug, weil sie aus Versehen das alkaloid- und LSD-haltige Mutterkorn (Claviceps purpurea), das auf der Roggenähre wächst, mit in das Brot gebacken hatten.19 Der heilige Antonius, der Bezwinger aller Dämonen, wurde um Schutz angefleht. Coniin ist das Alkaloid, das dem Sokrates auf Verordnung des Staates den Tod brachte. Es ist im Saft des Schierlings enthalten, eines Doldenblütlers mit violett-purpur gefleckten Stengeln und einer nach Mäuseharn riechenden Ausdünstung.

Die Giftpflanzen haben fast alle eine starke tierische Signatur, die uns erkennen lässt, dass hier Vorsicht am Platze ist. Sie haben entweder ungewöhnlich grell scharlachrote oder tief purpurschwarze Beeren (Tollkirsche, Aaronstab, Zaunrübe, Seidelbast usw.), oder sie haben einen stinkenden, unangenehmen Geruch (Schierling, Hundspetersilie, Stechapfel). Da sie keine inneren Organhüllen bilden können, ziehen sie sich am liebsten vor den photochemischen Sonnenkräften in den Schoß der Erde zurück, wie viele Pilze, die nur zum Fruchten oberirdisch erscheinen. Die Herbstzeitlose (Colchicum autumnale), die Alraunwurzel (Mandragora officinarum) und der Death Camus (Zigadenus venenosus) halten sich fast das ganze Jahr hindurch versteckt.

An zwei Beispielen wollen wir zeigen, welche extremen Wirkungen diese astralisierten Pflanzen beim Menschen hervorrufen. Der Fliegenpilz (Amanita muscaria) hat weniger mit dem Insekt zu tun als mit dem Fliegen in der astralen Welt. Die Schamanen der ganzen zirkumpolaren Region in der Alten und Neuen Welt benutzten ihn dafür. So kostbar ist das Alkaloid Muskarin, dass man in Sibirien den Urin des vom Fliegenpilz berauschten Schamanen trinkt, um das darin gelöste Gift nochmals weiter zu verwerten. Die furchtlosen Krieger der nordischen Stämme, die Berserker, machten ihre initiatorischen Erfahrungen mit dem weißbetupften, rothütigen Pilz. Sie weihten ihn dem Schamanengott Odin. Berserker heißt »Bärenhäuter« und bezeichnet den Mann, der seine wilde »Bärennatur«, seine animalische Astralität – auch mit Hilfe des Psychedelikums – kennen gelernt hat und weiß, wie man damit umgehen kann. Die Alraune (altdt. alb runen = Elfengeflüster), auch Mandragora oder Galgenmännlein genannt, ist mit ihrer inkorporierten Astralität so weit fortgeschritten, dass die menschenähnlichen Wurzeln angeblich schreien, wenn man sie aus der Erde zieht. Die Wurzel wurde im Mittelalter dort, wo man Diebe gehenkt hatte, ausgegraben, da man glaubte, sie entspringe dem im Todeskrampf vergossenen Samen des Gehenkten. Da derjenige, der sie ausgräbt, stirbt, band man die Wurzel mit einem Faden an den Schwanz eines Hundes, den man dann rief. Paracelsus gibt den Rat, dass man dabei vorsichtshalber einen magischen Kreis ziehen, sich salben und nach Westen schauen soll. Die so gewonnene Wurzel wird gebadet, gekleidet und in ein schmuckes Kästchen gelegt. Sie erfüllt die niederen astralen Wünsche und Begierden nach sinnlicher Liebe, Macht und Reichtum.

Insekten fangende und Fleisch fressende Pflanzen stellen eine weitere Gruppe dar, die ein eigenartiges Verhältnis zum Stickstoff entwickelt hat und die Signatur der Astralität aufzeigt. Der Sonnentau (Drosera rotundiflora) lockt Insekten mit Leimtropfen, die wie Tau aussehen. Die Fangarme sind so feinfühlig, dass sie ein Insekt von einem Krümel Gelatine unterscheiden können. Sie bewegen sich bis acht Millimeter pro Minute, um dann den daran festklebenden »Gast« zu verdauen. Viel schneller hingegen ist die Venus-Fliegenfalle (Diocea muscipula), die ihre Klappen in 0,01 bis 0,02 Sekunden zuschlagen kann. Die kalifornische Schlauchpflanze (Darlingtonia) hat ein völlig tierartiges Aussehen: Ein krebsroter, kobraähnlicher Kopf mit fischschwanzähnlichen Lappen stülpt sich über den Verdauungssäfte enthaltenden Schlund, in den das Insekt, vom Duft des falschen Nektars angezogen, hineinfällt. Durch solche Fang- und Lockmechanismen befriedigen diese Insektivoren ihre Stickstoffsucht.

Auch die oft giftigen Schmetterlingsblütler verraten eine besondere Beziehung zum Stickstoff. Schon die Blüten erinnern entfernt an einen sitzenden Tagfalter. Die Pflanze formt immer neue Blüten, während unten am Stengel die Hülsenfrüchte schon reifen. Im Gegensatz zu »normalen« Pflanzen – wie dem Gänseblümchen – ist keine klare Trennung zwischen dem Vegetativ- und dem Blütenstadium vorhanden. Die Astralität »rutscht« tief den Stengel hinab, sogar bis in die Wurzeln, wo die Knöllchenbakterien Stickstoff binden. Einige Schmetterlingsblütler, wie Lupine, Goldregen und Besenginster, sind sogar alkaloidhaltig. Wegen ihrer Wirkung im seelischen Bereich hat Pythagoras seinen Schülern abgeraten, Leguminosen (Bohnen, Erbsen) zu essen, da diese Nahrung die Seele an die irdischen Leidenschaften binde und nicht zu den höheren Formen des Bewusstseins führe. Auch die Erle hat, ähnlich den Schmetterlingsblütlern, Knollenbakterien an den Wurzeln, die Stickstoff sammeln. Erlen haben eine starke astralische Ausstrahlung – Hellsichtige nehmen unter ihnen Geister und Kobolde wahr, und Hexen tanzen gerne im Erlenbruch.

Wenn Stickstoff der Träger des Astralischen ist, welche Wirkung hat dann die starke Stickstoffdüngung in unseren Nahrungspflanzen? Diese Frage werden wir noch beantworten.

Pflanzen als Ekstatiker

Obschon man sagen kann, dass sich die Pflanzenwelt hochdifferenziert entwickelt, muss man doch eingestehen, dass dies fast ausschließlich innerhalb des Makrokosmos geschehen ist. Nirgends findet man ein auf sich selbst zurückführendes Innenleben, innere Organe, Sinne oder Gefühle, die auf eine Reflexion, auf einen – und sei es noch so trüben oder schwachen – Bewusstseinsmittelpunkt schließen lassen. Pflanzen sind nach außen gerichtet. Sie sind Ekstatiker (griech. ek-stasis = aus sich heraustreten), wie Max Scheler sie nennt: »Ich spreche bei der Pflanze daher von »ekstatischem« Gefühlsdrang, um dieses totale Fehlen einer dem tierischen Leben eigenen Rückmeldung von Organzuständen an ein Zentrum, dieses völlige Fehlen einer Rückwendung des Lebens in sich selbst, einer noch so primitiven re-flexio eines noch so schwach ›bewussten‹ Innenzustandes zu bezeichnen« (Scheler 1935: 21).

Dieses von Max Scheler nicht gefundene Bewusstseinszentrum liegt außerhalb der Pflanze: Es befindet sich im Makrokosmos. Sonne, Mond und Planeten sind die Organe der Pflanzen, nicht innere Organe wie Herz, Niere, Gehirn, Leber oder Milz. Wir können diesen nach außen gestülpten Zustand der Pflanzen vielleicht besser verstehen, wenn wir einen schlafenden Menschen betrachten. Er liegt da auf seinem Bett als lebendiges physisches Wesen, sein Geist und seine Seele aber sind nicht »da«, sondern weilen »außerhalb«, im Makrokosmos. Erst wenn er aufwacht, kommt der Mensch wieder im Leib zu sich.

Unmittelbar tritt die Astralität in der stickstoffhaltigen Luft, im Gewitterregen und in der Tierwelt an den Pflanzenleib heran. In der grandiosen Entwicklung seit dem Archäozoikum wird die Pflanzenwelt Schritt für Schritt von ihren tierischen Doppelgängern begleitet: Bakterien und Protozoen; die Algen der Urmeere und die wirbellosen Tiere; die Lurche (Amphibien) und die Riesenschachtelhalme, Bärlappgewächse und Farne des Karbon; die Ginkgos und Koniferen und die mächtigen Echsen (Reptilien) des Erdmittelalters; schließlich die Blütenpflanzen und die Säugetiere, Vögel und Schmetterlinge der Erdneuzeit. Diese innige Beziehung zwischen Pflanze und Tier ist überall aufzuspüren – es ist die Beziehung des inkarnierten Weltenäthers zur inkarnierten Weltenseele. Es gibt keine Landschaft ohne ihre tierischen Komponenten. Die reichen Prärieböden wären ohne die Büffelherden nicht entstanden; der mitteleuropäische Wald braucht Hirsche und Wildsäue, um gesund zu bleiben. Daher ist auch eine tierlose Landwirtschaft, wie es sich einige fanatische Vegetarier vorstellen, eine Absurdität.

Auch im Garten, vorausgesetzt man geht nicht mit Giften drauflos, erlebt man die innige Verbindung spezifischer Pflanzen zu einzelnen Tiergattungen, besonders Insektenarten. Die grün-schwarz-weiße Raupe des Schwalbenschwanzes findet man nur auf den Doldengewächsen, den Kohlweißling auf dem Kohl, den Wolfsmilchschwärmer auf den Wolfsmilchgewächsen; der Admiral und das Tagpfauenauge sind mit der Brennnessel verbunden, der Koloradokäfer mit den Nachtschattengewächsen. Doldenblütler, die unangenehm nach fauligen Stoffen riechen, werden von Fliegen bestäubt, Taubnesseln und Rotklee können nur von Hummeln bestäubt werden. Die Beziehungen der Pflanzen zum Tier sind oft lebenswichtige Symbiosen: Nur die Yuccamotte kann die Yuccaagave bestäuben, und nur die Feigenwespe die Feigen. Nachtfalter bestäuben die farblosen, duftenden Blüten, die sich nur nachts öffnen. Duftlose, grellbunte Blumen werden vom Kolibri besucht, und es gibt sogar dunkle Blüten mit einem mausähnlichen Duft, die von Fledermäusen bestäubt werden (Jensen 1972). Obwohl die Insekten von den Pflanzen fressen, enthalten ihre Ausscheidungen verschiedene Wuchsstoffe, Enzyme und Fermente, die regulierend und auch stimulierend auf die Pflanze zurückwirken wie ein nach außen verlegtes Hormonsystem. Das Gleiche trifft auch für die Wirkungen des Mistes der höheren Tiere zu.

In den Tieren und im Menschen befinden sich die Verdauungsorgane im Innern des Organismus. Die Nahrung wird durch die Zähne zerkleinert und zermahlen, eingespeichelt und von Enzymen und Säuren im Verdauungstrakt bearbeitet; zuletzt werden die Nahrungskräfte von den haarähnlichen Zotten des Dünndarms aufgesogen. Wo findet ein ähnlicher Prozess in der Pflanze statt? Um die Antwort zu finden, muss man wiederum außerhalb der Pflanze suchen: Die organische Substanz wird von Insekten zerkaut und zerkleinert, dann von Kleinlebewesen weiterverarbeitet, bis sie schließlich als Humussubstanz von den zottenähnlichen Wurzelhärchen der Pflanzenwurzeln aufgesogen werden kann. Der Humusboden bildet den Speisebrei der Pflanzen. Die Wurzelhärchen sind das makrokosmische Gegenbild der Darmzotten. Die meisten Probleme der Kulturpflanzen haben mit der Bodengesundheit zu tun, nicht mit den Pflanzen selbst. Daher ist es wohl angebracht, die Arzneien, die man zur Regulierung der Magen- und Darmtätigkeit bei Tier und Menschen anwendet, auch in geeigneter Dosierung und Zubereitung dem Boden zu geben. Es eignen sich dazu Kamillentee, Knoblauchsaft, Baldrianwein, die Präparate von Löwenzahn, Eiche und Schafgarbe sowie die Jauchen von Kapuzinerkresse, Brennnessel, Beinwell und Hirtentäschel. Die Natur macht es uns vor: Im Herbst, wenn Regen und Tau durch das abgeworfene Laub in den Boden rieseln, macht der Wald seinen eigenen »Heiltee«. Die winterliche Mulchdecke im Garten wirkt ähnlich. Für biologische Gärtner gibt es da noch vieles zu erforschen. Auch die Zwischenpflanzung von Arzneikräutern hat durch die Wurzelausscheidungen ihre Wirkung auf den »Speisebrei« des Pflanzenreiches.

Wo finden wir bei den Pflanzen das rhythmische System des Herzschlags, der Blutzirkulation und der Lungen? Auch hier müssen wir in den Makrokosmos schauen. Die täglichen Assimilationsrhythmen, die den Säftekreislauf in der Pflanze bestimmen, und der jährliche Sonnenzyklus, der das Wetter, die Niederschläge und damit den größeren Kreislauf der Verdunstung und Flüssigkeitszirkulation durch die Pflanze und Atmosphäre bestimmt, sind Herzschlag, Kreislauf und Atemzug der Pflanzenwelt. Die Sonne ist das Herz der Pflanze und zugleich ihre Wärmequelle. Diese Beziehung wurde von den Azteken und anderen Indianerstämmen kultisch dargestellt, indem die Priester in den Sonnentempeln Menschen opferten und die noch zuckenden Herzen und das Blut der Sonnengottheit darreichten, damit diese sich ihrerseits in das Pflanzenwachstum ergieße und für reichliche Ernten sorge. Die Chlorophyllkörperchen im grünen »Blut« der Pflanze haben ihr genaues Spiegelbild in den roten Blutkörperchen (Hämoglobin) des Menschenblutes. Dies geht bis in die chemische Formel hinein; nur befindet sich in der Mitte des heterozyklischen Porphingerüsts ein Eisenatom im Hämoglobin, während im Chlorophyllmolekül ein Magnesiumatom an dieser Stelle zu finden ist. Es kann sich jedoch kein Chlorophyll formen, ohne dass Eisen als Katalysator zugegen ist, genauso wie zur Blutbildung Magnesium vorhanden sein muss. Auch die Farben Rot und Grün, mit denen wir es hier zu tun haben, sind einander Spiegelbilder, denn starrt man lange genug in das Rot hinein, so erzeugt die Netzhaut die Gegenfarbe Grün und umgekehrt. Auch zwischen der Atmung der Tiere und der Photosynthese der Pflanze zeigen sich Parallelen. Die Pflanze assimiliert Kohlenstoff und gibt Sauerstoff von sich, das Tier atmet Sauerstoff ein und gibt Kohlenstoff ab.

Wo finden wir das kalkhaltige Knochengerüst der Pflanze? Wir finden es nach außen gelagert in den Dolomitenfelsen, Kalkgesteinen und Mergelschichten. Wo ist die Stimme, das Lied oder der Schrei der Pflanze? Wir finden sie im Rauschen des Windes, im Donner, im Gesang der Vögel und im Gezirpe und Summen der Insekten. Wer hat nicht schon dem Lied einer blühenden Linde gelauscht? Die Bestäubung und Befruchtung der Pflanze verrät noch so wenig innige Leidenschaft, dass schon Goethe sich nicht mit dem Gedanken der Sexualität der Blumen zufrieden geben konnte. Man findet den Zeugungsakt der Vegetation eher im Einströmen der kosmischen Bildekräfte in den Schoß der Erde im Winter, aus dem sich dann die grünende Welt neu gebiert.20

Arbor Inversus

Die Pflanze ist ein makrokosmisches Bild des Menschseins. Wo der Mensch sich als Mittelpunkt des Universums empfindet, empfindet die Pflanze die Peripherie des Universums als ihr Wesen. Unser Ich strahlt aus der Mitte unseres Seins; das Ich der Pflanze dagegen strahlt vom äußeren Universum auf sie ein.

Dieses entgegengesetzte Verhältnis zwischen Mensch und Pflanze fasste Platon in das Bild des Menschen als umgekehrter Baum, dessen Wurzeln in den Himmel und dessen Blätterkrone in die Erde wachsen. Auch Aristoteles erkannte, dass Pflanzen mit dem »Kopf« im Boden verankert sind und ihre Glieder und Fortpflanzungsorgane in die Luft strecken – eine Formulierung, die schon sein Schüler Theophrast nicht mehr verstand und ablehnte. Im Otz Chiim, dem Lebensbaum der Hebräer, und in den blutbetupften Zauberbäumen, die von den australischen Ureinwohnern umgekehrt eingepflanzt werden, kommt dieser Gedanke ebenfalls zum Ausdruck; auch in der Bhagavadgita (15. Gesang) liest man:

»Die Rishis wissen um den Baum Asvattha

Im Himmel wurzelnd, Stamm nach unten wachsend.

Jedes Blatt bringt die Vedas hervor.

Wer dieses weiß, weiß alles.«

Man kann diese Imagination in der folgenden Weise erklären: Der Mensch hat sein Verhältnis zum Kosmos umgekehrt. Er hat sich von dem absoluten Eingebundensein in die makrokosmischen Gesetzmäßigkeiten emanzipiert. Im Vergleich zur Pflanze hat er damit für sich einen großzügigen Freiraum zum Handeln erworben, auch wenn dieser oft gefährliche Irrwege in sich birgt. Ihm mangelt das Geborgensein in der unmittelbaren kosmischen Weisheit.21 Das Tier steht in dieser Entwicklung zwischen dem Menschen und der Pflanze. Das lässt sich schon an der relativen Ausrichtung im Raum ablesen: Die Pflanze wächst von Knoten zu Knoten in die Höhe; der Mensch wächst eigentlich als Kind vom Kopf aus in die Länge nach unten; das Tier bleibt in der Waagrechten.

Die Pflanze eingebunden in den Makrokosmos.

Die Pflanze ist an den Makrokosmos gebunden: Die Wurzeln – der saugende, aufnehmende Salzpol – sind in der Erde verankert; Blatt und Stengel – der ausgleichende Merkur – sind an Luft und Licht gebunden; Blüte und Frucht – der verstrahlende, verstäubende, zentrifugale Sulphurpol – sind in kosmische Wärmeprozesse eingebunden. Im Menschen ist der Salzprozess im Kopf, im Nerven- und Sinnessystem konzentriert; der Merkurprozess befindet sich in der Mitte, in Lunge und Herz; der Sulphurprozess offenbart sich in den Gerüchen, Ausscheidungen und Ausflüssen der Sexual- und Verdauungsvorgänge. Von dieser Erkenntnis ausgehend, verwendet die anthroposophische Medizin Wurzeln für den Kopf (z. B. Meerrettich für Migräne), Blattgrün für Herz, Lunge und Blutkreislauf (z. B. Brennnessel, Spinat für Blutarmut) und Blüten für die Verdauung (z.B. Kamille für den Magen).

Aus der Darstellung dieser Zusammenhänge erkennen wir, dass die Pflanze kein individualisiertes Einzelwesen ist wie der Mensch oder wie ein höheres Tier, sondern ein höchst komplizierter Aspekt des größeren, makrokosmischen Geschehens. Die Pflanzenwelt ist das Lichtsinnesorgan des Erdorganismus (Grohmann 1962). Die hauchdünne Schicht des grünen Protoplasmas, die die Pflanzendecke der Erde ausmacht, kann mit der lichtempfindlichen Netzhaut der Tieraugen verglichen werden. Diese Chlorophyllschicht ist das Auge der Erde, das in den Kosmos hinausschaut. Das empfangene kosmische Licht wird von den Pflanzen zu Zucker verwandelt und allen Lebewesen bis hin zu den lichtscheuen Pilzen und Kleinorganismen der Erde weitervermittelt.

Die Pflanzenwelt ist auch als das »rhythmische System« (Steiner) des Erdorganismus zu verstehen, denn die Erde atmet die Pflanzenwelt in ihrer vielfältigen Ausgestaltung im Frühling aus dem Boden aus; im Herbst wird sie wieder in die Erde eingeatmet, in Samen und Wurzel zurückgezogen. Dieser Vorgang wurde von den Griechen in der schönen Sage der Persephone zum Bild gestaltet. Persephone, die Pflanzenseele, Tochter des Himmelsgottes Zeus und der Erdenmutter Demeter, wird vom dunklen Herrscher der Unterwelt, Pluto, gefangen, in die Unterwelt entführt und gezwungen, sich mit dem schwarzen Gebieter zu vermählen. Sie wird zwar von Hermes (Merkur), dem göttlichen Schamanen, befreit, weil sie aber vom samenreichen Granatapfel gegessen hatte, muss sie jeden Winter wieder in die Unterwelt zurückkehren, wo die Toten wohnen. Die Mythe deutet an, dass die Pflanzenseele durch den Samen an die Erde gebunden ist. Bei den nordischen Völkern hieß die Pflanzenseele Nana. Sie ist die geliebte Ehegattin des Sonnengottes Baldur, die im Herbst dem tödlich verwundeten Gatten in die Totenwelt der Hel folgt (Meyer 1976: 103).

Involution.

Nana oder Persephone, die zwischen der Lichtwelt und der dunklen Unterwelt pendeln, die als Pflanze ihre Wurzeln zu Nadir in die Tiefen strecken und ihre Blüten und Blätter zum Zenit emporheben, deuten auf die »merkuriale« Funktion der Vegetation im Erdorganismus hin, die zwischen dem beseelten Tierreich und dem physisch-mineralischen Bereich vermittelt. Diese Vermittlungsfähigkeit zwischen dem Astralischen und dem Physischen, zwischen dem Leib und den seelischen Impulsen, macht die Pflanze auch zur geeigneten Quelle der Arznei. Gegen jedes Übel ist ein Kraut gewachsen!

Wir können zusammenfassen: Der Mensch ist ein Mikrokosmos, der die physische Substanz der Mineralwelt, die ätherische Kraft der Pflanzenwelt, die tierischen Triebe und Leidenschaften und das Licht des Geistes in sich zusammenfasst. Die Pflanze hingegen, die nur als physischer und ätherischer Leib auf Erden manifestiert ist und von außen ihre Seele und ihren Geist auf sich wirken lässt, ist im Wesentlichen ein makrokosmisches Geschöpf. In der anthroposophischen Kosmogonie wird sich die Pflanze erst in der nächsten Inkarnation des Erdorganismus, im »Jupiterstadium«, als tierähnliches, beseeltes Wesen manifestieren; erst in einer noch späteren Inkarnation der Erde, im »Venusstadium«, erleben sich die Pflanzen als »Menschen«, als Mikrokosmen. Die esoterische Aufgabe des Gärtners ist es, wie es Arthur Hermes versteht, die Keime der »Venusmenschen« zu hüten.

16 Entelechie (griech. en telei echein = in Verwirklichung sein), ein von Aristoteles geprägter Begriff, beschreibt die zielstrebige Kraft, vorhandene Anlagen zu entfalten und zu verwirklichen.

17 Die Galläpfel mit ihrem hohen Gehalt (35%) an Gerbsäuren eignen sich zur Herstellung von Tinte sowie von adstringierenden, entwässernden, wundheilenden Mitteln.

18 Im Herbst bemächtigt sich die makrokosmische Astralität der gesamten Vegetation – mit Ausnahme der Koniferen –, so dass sich ganze Landschaften bunt verfärben. Nach dem Laubfall zieht sich die Vegetation im Winter in ihre geistigen Urbilder zurück. Im Frühling kommt es erneut zu einer Ätherisierung.

19 Pilze wie das Mutterkorn oder der Fliegenpilz sind eigentlich keine Pflanzen, sondern bilden ein eigenes Naturreich. Pilze sind stark astralisiert; sie schmarotzen ätherische Kraft von anderen Lebewesen.

20 Aristoteles erkannte das: »Den Winter hindurch häufen die Pflanzen den Bildungsstoff auf und sind gleichsam schwanger, und so bringen sie im Frühjahr ihre Triebe hervor.«

21 In diesem Zusammenhang ist das Schiller-Zitat zu verstehen: »Suchst du das Höchste, das Größte? Die Pflanze kann es dich lehren. Was sie willenlos ist, sei du wollend! Das ist’s.«