NACHWORT

Für Jäger- und Sammlervölker ist die ganze Welt ein »Garten«, der, wie kulturanthropologische Studien zu Genüge zeigen, nicht nur Nahrung, sondern alles bietet, was der Mensch zum Dasein braucht. Abgesehen von kleinen Gehegen, in denen Sakralpflanzen – Tabak bei den Indianern, Pituri bei den Aborigines – gehegt und gepflegt wurden, wurde der heilige Erdboden nicht bearbeitet. Dennoch ist der Gartenbau so alt, dass sich viele Ursprungsmythen des Menschen um den Garten ranken. Immer wieder regt sich die Sehnsucht nach dem Paradies, was im Altpersischen nichts anderes als »Prachtgarten« bedeutet. Auch in den Utopien der Landkommunenbewegung und Alternativkultur spielt dieses Urbild unbewusst eine Rolle. Wenn die Welt garstig wird, wenn es sich wegen Wirtschaftskrisen oder Kriegen schwer leben lässt, drängt es den Menschen wieder in den Garten wie das erschreckte Kind an den Busen der Mutter. Man denke an die Gemüseflecken in den Bombentrichtern mitten in der Stadt, an die Gärten der Arbeitslosen oder die amerikanischen »Inflationsgärten« in Zeiten der Teuerung. Alte Leute und Rentner, ausgelaugt von langen Dienstjahren in Büros und Fabrikhallen, finden an ihrem Lebensabend Freude und Trost in ihren liebevoll gepflegten Gärtchen. In der düstersten Zeit der Industrialisierung erhielten sich die Ärmsten in England mit ihren »Armengärten« am Leben, und im Laufe der Proletarisierung konnten Arbeiter Erholung, frisches Gemüse und etwas Obst in ihrem Stückchen Paradies finden. Rings um die rußigen Industriestädte und an den Bahngleisen blühte mit den Schrebergartenvereinen eine regelrechte Volkskultur auf. Der Rückzug des kleinen Mannes in den Schrebergarten spielte in den Ostblockstaaten eine so bedeutende Rolle, dass Soziologen von dem Phänomen des »Datschaismus« (russ. Datscha, kleines Landhäuschen im Grünen) sprechen.

Man belächelt gerne diese spießigen, biederen Beispiele, und doch wird es wieder der Garten sein, in dem man sich den Seelenbalsam suchen wird, wenn das Experiment der Reorganisierung der Welt nach dem Fabrikmodell gescheitert ist, wenn der Nahrungsmitteltransport nicht mehr rentabel ist, die Energiekosten ins Unermessliche steigen und das soziale Gefüge unter dem Druck wieder einmal zu zerbrechen droht. Nirgends ist der Leistungsgrad pro Hektar und Energieaufwand höher als auf diesen kleinen, liebevoll gepflegten, intensiv bearbeiteten Flächen.

Ein kleiner Familiengarten kann in Zeiten steigender Lebensmittelpreise nicht nur die ästhetischen Bedürfnisse befriedigen, sondern auch beim Einkommen viel sparen. Mit einem 500 Quadratmeter großen Garten und weniger als 250 Arbeitsstunden kann eine vierköpfige Familie ihren Jahresbedarf an Gemüse, Salat und Kartoffeln decken. Mit einem 3000 Quadratmeter großen Garten kann sich diese Familie sogar mit Eiern, Fleisch und Honig eindecken, wenn sie Hasen, Hühner und Bienen in die Gartenbiozönose einschaltet (Schönauer 1979: 33). Auf einem größeren Grundstück kann man schon ein paar Milchschafe, Ziegen oder ein Schwein halten – »Jedes Schwein eine Düngerfabrik!« (Mao Tse-tung). Mit mehr als einem Hektar kommen schon eine Kuh und ein Karpfenteich in Frage.

Der Familiengarten kann auf die teuren Geräte und den spektakulären Klimbim, den die Werbung anpreist, ganz verzichten. Gartenbau ist so urtümlich, dass die meisten Geräte und Techniken (griech. techne = Handfertigkeit) schon viele Jahrtausende vor dem Industriefabrikat perfektioniert worden sind. Auch die Völkerkundler berichten, dass die Technologie der Pflanzenvölker äußerst einfach ist, aber die Techniken sind höchst entwickelt und außerordentlich angepasst. Wenn man Tiefbeetkulur mit Humuspflege (Kompostierung) verbindet, braucht man auch keinen Gartentraktor, denn der Boden bleibt locker. Die Ruhe, die ein Garten geben kann, will man auch nicht stören, denn sie ermöglicht das Öffnen der Chakras, das andächtige Eindringen in die Welt hinter den Erscheinungen; sie ermöglicht das selten gewordene Denken im Gegensatz zum modernen, computerhaften Kombinieren.

Aus den Gärten wird eine sanftere Technologie aus Sonne, Wind und Wasser geboren werden können. Hier wird die der Unterwelt entsprungene Supertechnologie ebenso wenig Platz haben wie entfremdende, unmenschliche Arbeitsgänge. Man wird wieder Unabhängigkeit und das Vertrauen zu sich selbst finden und zur selben Zeit die Verbindung zum Nachbarn wiederherstellen, mit dem man den Überfluss der Produkte, Saatgut, Werkzeuge und Ideen tauscht. In jedem Garten kann der Lebensbrunnen sprudeln und der Lebensbaum Früchte tragen. Und zuletzt begegnet man, wie einst Maria Magdalena, dem Seelengärtnermeister, der den schweren Stein des toten Materialismus wegrollt, nachdem man geglaubt hatte, es sei nun doch alles verloren gegangen.