Der Osten

 

Vorbemerkung:

An der Ostfront führte der Generalstab des Heeres, der Hitler als Oberbefehlshaber des Heeres genau so unmittelbar unterstand wie der Chef OKW dem Führer als Oberbefehlshaber der Wehrmacht. Da GFM Keitel sich um die operativen Fragen nicht kümmerte, vielmehr die Funktion eines Kriegsministers wahrnahm, war der operative Berater Hitlers von Seiten des OKW Generaloberst Jodl. Praktisch ergab sich dadurch ein dauernder Antagonismus zwischen WFSt (Jodl) und Gen.St.d.H. Generaloberst Guderian ab Mitte 1944, General Krebs ab März 1945.

 

Eine von dessen Auswirkung war, dass der WFSt zwar über die Lage im Osten täglich genau informiert wurde, aber keine laufende Aufklärung im einzelnen über die Beurteilung der Lage, die getroffenen Maßnahmen, die weiteren Absichten erhielten. In allen diesen Fragen wurde er nur im Großen orientiert. Er erhielt daher auch nicht Abschriften der ergangenen Befehle, der eingegangenen Meldungen, der Lagebeurteilungen usw.

 

Das Kriegstagebuch des WFSt mußte sich deshalb damit begnügen, Im Lagebuch den täglichen Wechsel festzuhalten. Akten lagen ihm nur insofern vor, als Maßnehmen, die den Osten angingen, auch die Belange des OKW berührten.

 

Unter diesen Umständen wiederhole ich im folgenden wörtlich, was ich in mein Lagebuch eintrug. Denn ohne, zum mindesten, die ergangenen Weisungen und Hauptbefehle sowie die Lagebeurteilungen lässt sich das im Lagebuch vereinigte Rohmaterial nicht zu einer Ausarbeitung verdichten. Möglich wäre das allenfalls für einen Angehörigen des GenStdH., dem bei den einzelnen Aktionen die dabei maßgeblich gewesenen Erwägungen wieder ins Gedächnis kommen.

 

Voraus stelle ich die den Osten betreffenden Abschnitte aus drei mündlichen und im Anschluss daran von mir diktierten Informationen, die mir der 1. Generalstabsoffizier des WFSt am 4.1, 29.1. und 9.2. gab. Da der stellv. Chef anschließend solche Informationen nicht mehr aufzeichnet zu sehen wünschte, kam es zu keiner weiteren mehr.

 

Überblicke

 

Informationen vom 4.1.45

 

Südlich des Plattensees hat sich die Lage gefestigt. Zwischen dem Plattensee und Budapest ist nicht nur der Feindvorstoß aufgehalten, sondern auch durch das IV. SS-Korps ein Gegenstoß eingeleitet worden. Es besteht nun gewisse Hoffnung zum Freikämpfen von Budapest. Allerdings stehen sie auf schwachen Füssen. Nördlich der Donau bleibt die Lage entlang der slowakischen Grenze bis in den Raum nördlich Miskolc gespannt.

 

Die dritte kurländische Schlacht hat wiederum einen klaren Abwehrerfolg der H.Gruppe Nord gezeitigt.

 

Informationen vom 29.1.45

 

Bei der H.Gruppe Süd ist die Lage durch den erfolgreichen Vorstoß der eigenen Truppen aus dem Raum nordöstlich des Plattensees gekennzeichnet. Gestern (28.1.) hat die Offensive gegen die Südfront begonnen. Möglich ist die Zusammenballung feindlicher Kräfte nördlich der Dnau in Richtung Pressburg. In den ungarischen Raum werden zugeführt die beiden Panzer-Korps aus dem Westen und die zum Teil schon eingetroffenen 356. Infanterie-Division aus dem Südwesten. Es besteht die Absicht, mit diesen Kräften die Kräfte des russischen Südflügels zu zerschlagen, die eigenen Kräfte in Budapest freizumachen und auf diese Weise etwa ein Dutzend Divisionen für den Kampf an der Ostfront freizumachen.

 

H.Gruppe Mitte: Die Armeegruppe Heinrici ist bei der Zurücknahme in die Slowakei. Am gestrigen Tage ist das Industriegebiet verloren gegangen. Von den über die Oder gebildeten Brückenköpfen ist der bei Steinau und Köben der gefährlichste. Heute ist es gelungen ihn einzuengen und es ist jetzt die Frage  ob es gelingen wird ihn durch Eindrehen der Gruppe von Saucken ganz zu vernichten, die jetzt mit ihrer Spitze die Oder erreicht hat. Der Gegner hat offensichtlich die Absicht, durch einen Stoß über Glogau den Raum von Berlin zu erreichen. Mit schwächeren Teilen führt er gleichzeitig über Kreuz und Landsberg vor. Es hält noch der Tirschtiegel-Riegel.

An der Weichsel ist die Lage gespannt. Heute is es gelungen durch Stoß der 7. Panzer-Division von Elbing aus wieder eine Verbindung nach Ostpreußen herzustellen.

In Ostpreußen ist die Lage durch die Zurücknahme an allen Fronten gekennzeichnet. Nicht ersichtlich ist bisher, weshalb der starke Senkenriegel bei Lötzen so schnell aufgegeben worden ist. Im Norden ist die Deime-Stellung durchbrochen. Memel ist geräumt.

Aus Kurland sollen vier Divisionen abtransportiert werden. Der Heeresgruppe ist es gelungen durch gute Abwehr den Versuch des Feindes, nach Libau durchzubrechen, zu vereiteln.

Ausser den bei der H.Gruppe Süd angeführten Zuführungen (die beiden Panzer-Korps aus dem Westen und die 356. Infanterie-Division aus dem Südwesten) werden der Ostfront noch zugeführt: aus dem Westen die 25. Panzer-Grenadier-Division, die 21. Panzer-Division, die Führer-Begleit-Brigade und die Führer-Grenadier-Brigade, die in den Raum Frankfurt a.d. Oder und Kottbus kommen, ferner aus Norwegen die 163. Infanterie-Division, die jetzt auf dem Marsch sich befindet und schließlich die 199. Infanterie-Division, deren Abtransport jetzt befohlen worden ist.

Den Befehl über die H.Gruppe Süd übernahm vor einiger Zeit der bisherige OB der 8. Armee, General Wöhler. Bei der Führung der H.Gruppe Nord wurde der Generaloberst Reinhardt durch den Generaloberst Rendulic abgelöst, der bisher die H.Gruppe Nord (Kurland) führte. Für diese ist noch kein neuer OB bestimmt worden. Die H.Gruppe Mitte wird durch den Generaloberst Schörner geführt.

 

Information vom 9.2.45: Bis Oberschlesien ist nichts Besonderes zu vermerken. Deutlich tritt die Absicht heraus, Breslau zangenförmig zu umfassen. Es fragt sich, ob damit eine Plattform für den Vorstoß nach Westen gewonnen werden soll. Im Mittelabschnitt hat der Feind noch einige Brückenköpfe bilden können. Der eigene Widerstand hat sich versteift, aber es ist doch nicht gelunegn, diesen Brückenkopf völlig zu beseitigen.

Bei Arnswalde hat sich die Lage verschärft, jedoch treffen jetzt in diesem Raum eigene Verbände ein. An der Weichselfront ist die Lage gleich geblieben. In Elbing und Posen scheint der eigene Widerstand zu Ende zu gehen. In Schneidemühl sieht es besser aus. Der von der H.Gruppe Nord gehaltene Raum schmilzt mehr und mehr zu dem erweiterten Gebiet der Festung Königsberg mit Teilen des Samlandes zusammen. Diesem Raum wird nun aus Kurland die 93. Infanterie-Division zugeführt. Kurland selbst soll trotz der Abgabe von Verbänden weiter gehalten werden.