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DIE NÄCHSTEN SCHRITTE: DEN GEIST AUF OBJEKTEN RUHEN LASSEN

Lenke dein Bewusstsein und Augen-
merk einsgerichtet auf irgendein kla-
res, vor dir befindliches, visuelles Ob-
jekt ... Verweile darauf, ohne woan-
dershin abzuschweifen.

 

Karmapa Wangtschug Dordsche:
Mahamudra – Ozean des wahren Sinnes

 

 

Als ich mit dem formalen Meditieren begann, fand ich das Meditieren ohne Objekt zunächst zu schwer, weil es zu leicht ist. Das einfache Gewahrsein, das die Essenz des Geistes in seinem natürlichen Zustand ist, ist uns zu nahe, um es zu erkennen. Es ist da, wenn wir morgens erwachen, bei allen unseren Unternehmungen des Tages, wenn wir essen und wenn wir uns zu Bett begeben. Es ist ganz einfach Gewahrsein. Es ist, was es ist. Aber weil es immer zugegen ist, erkennen wir nicht, wie kostbar es ist. Zudem verfangen wir uns nur allzu leicht in all den Gedanken, Gefühlen und Empfindungen, die die natürlichen Nebenprodukte des Geistes in seinem natürlichen Zustand sind.

Sollten Sie es mit diesem Problem zu tun bekommen, stehen Sie nicht alleine damit da.

Zum Glück waren mein Vater und meine anderen Lehrer mit der Schwierigkeit, den Geist auf direkte Weise zur Ruhe zu bringen und friedlich ruhen zu lassen, vertraut und konnten uns andere Techniken beibringen, die sich einer allmählicheren Annäherung bedienen. Die einfachsten Methoden beinhalten, dass wir die Sinne unmittelbar als Mittel zur Befriedung und Entspannung des Geistes nutzen.

 

 

 

DIE TORE DER WAHRNEHMUNG

 

Diese ganze Welt ist die Welt des
Geistes, ist das Produkt des Geistes.

 

Chögyam Trungpa Rinpoche:
Das Herz des Buddha

 

 

Wie die Wissenschaftler kennen auch die Buddhisten fünf Sinne, das Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten. In der Sprache des Buddhismus sind diese fünf Sinneskräfte als die Sinnestore oder Tore der Wahrnehmung bekannt, ein Bild, das sich auf die Vorstellung von den Öffnungen eines Hauses gründet. Die meisten unserer Gefühle und Wahrnehmungen gelangen durch eines oder mehrere dieser Tore in unser Erleben. Aber da diese fünf Sinneskräfte – oder Formen des Sinnesbewusstseins, wie sie in den meisten buddhistischen Texten genannt werden – nur Sinneswahrnehmungen registrieren können, fügte ihnen die buddhistische Wissenschaft noch einen sechsten Sinn hinzu, das Geistbewusstsein oder das Denken. An diesem sechsten Bewusstsein ist nichts Rätselhaftes oder Okkultes, es hat nichts mit außersinnlicher Wahrnehmung zu tun oder mit der Fähigkeit, sich mit Geistern unterhalten zu können. Es meint einfach die Fähigkeit des Geistes, das beurteilen und einschätzen zu können, was wir sehen, riechen, hören, schmecken oder berühren.

Die herkömmliche Metapher für diese sechs Bewusstseinsformen ist ein Haus mit fünf Öffnungen: eine in jeder der vier Himmelsrichtungen und eine im Dach. Sie stehen für die fünf Formen des Sinnesbewusstseins. Nehmen wir nun einmal an, dass jemand in diesem Haus einen Affen von der Leine lässt. Dieser steht für das Geistbewusstsein. Plötzlich in einem großen Haus freigelassen, dreht der Affe natürlich völlig durch und hüpft von Fenster zu Fenster, um alles zu erkunden und etwas Neues zu entdecken, etwas anderes, etwas Interessantes. Je nach dem, was er findet, entscheidet er dann darüber, ob ein Objekt angenehm oder schmerzhaft, gut oder schlecht oder in manchen Fällen einfach nur langweilig ist. Wer am Haus vorbeikommt und an jedem Fenster einen Affen erblickt, könnte meinen, dass fünf Affen im Haus herumspringen. In Wirklichkeit ist es aber nur einer: das ruhelose, ungeschulte Geistbewusstsein.

Aber wie alle fühlenden Wesen will auch dieser verrückte Affe eigentlich nur glücklich sein und keinen Schmerz erleiden. Und daher können wir diesem verrückten Affen in uns beibringen sich zu beruhigen, indem er seine Aufmerksamkeit bewusst auf den einen oder anderen Sinn fokussiert hält.

 

 

 

MEDITATION MIT EINEM OBJEKT

 

Um unserer Neigung, uns ständig in
Gedanken zu verlieren, entgegenzu-
wirken, lehrte uns der Buddha, uns
einer Stütze zu bedienen. Und durch
die Gewöhnung an diese Stütze stabi-
lisiert sich unsere Aufmerksamkeit.

 

Tulku Urgyen Rinpoche: As It Is, Bd. 1

 

 

Beim normalen, alltäglichen Erleben und Wahrnehmen bilden die Informationen, die wir über unsere Sinne erhalten, fast unvermeidlich eine Quelle der Ablenkung, da der Geist dazu neigt, sich auf Sinnesdaten zu fixieren. Und wollten wir nun versuchen, uns ganz und gar von unseren Sinnen abzukoppeln oder die Informationen abzublocken, dann würde uns unweigerlich das Gefühl von Vergeblichkeit überkommen. Die weitaus praktischere Methode besteht darin, dass wir mit unseren Sinnen Freundschaft schließen und die über unsere Sinnesorgane erhaltenen Informationen als Mittel zur Geistesberuhigung einsetzen.

In den buddhistischen Texten spricht man in diesem Zusammenhang vom »Eigen-Gegenmittel« und meint damit, dass man die Ablenkungsquelle selbst als Mittel nutzt, um Freiheit von Ablenkung zu erlangen. Die Metapher leitet sich aus der in alten Zeiten üblichen Praxis ab, zur Bearbeitung eines bestimmten Materials das gleiche Material einzusetzen. Wollte man zum Beispiel Glas schneiden, musste man dafür Glas benutzen; wollte man Eisen bearbeiten, brauchte man ein Werkzeug aus Eisen dazu. Und ebenso kann man sich seiner Sinne bedienen, um die Ablenkungen durch die Sinne »abzuschneiden«.

Bei der Meditationspraxis mit einem Objekt benutzen wir unsere Sinne als Instrument zur Stabilisierung des Geistes. Den Gesichtssinn können wir für das Meditieren über Form und Farbe nutzen; den Hörsinn für das Meditieren über Töne und Geräusche; den Geruchssinn für das Meditieren über Gerüche; den Geschmackssinn für das Meditieren über Geschmackserfahrungen; und den Tastsinn für das Meditieren über körperliche Empfindungen. Damit können sich die über unsere Sinne übermittelten Informationen, statt der Ablenkung zu dienen, als sehr nützlich für unsere Praxis erweisen.

Nachdem ich erst einmal gelernt hatte, meine Sinneswahrnehmungen in ruhiger meditativer Weise zu beobachten, wurde das Üben sehr viel einfacher. Ich stellte fest, dass ich mich weitaus weniger emotional in meine Wahrnehmungen verwickelte. Statt zu denken: Oh, dieser Kerl schreit mich an, konnte ich mir nun sagen: Hmm, die Stimme von diesem Typen ist ziemlich laut, sein Ton ist ein bisschen scharf und die Laute, die er von sich gibt, sollen wahrscheinlich beleidigend oder verletzend sein.

Mit anderen Worten, er konnte mich nicht verletzen, weil ich gelernt hatte, meine Aufmerksamkeit ganz locker auf den durch die Sinne erhaltenen Informationen ruhen zu lassen und mich vom emotionalen oder intellektuellen Inhalt abzukoppeln, der normalerweise mit den Lauten, die er von sich gab, verbunden gewesen wäre. Und da ich imstande war, ihm ohne Abwehrhaltung zuzuhören, war ich auch offen genug, ihm auf eine Weise antworten zu können, die, ohne meine eigene Integrität zu mindern, seine augenscheinliche Wut zerstreute.

 

Das Meditieren über Sinneswahrnehmungen

Eine der leichtesten Methoden, mit der objektgebundenen Shiné- Praxis zu beginnen, besteht darin, dass Sie Ihre Aufmerksamkeit ganz sacht auf simplen Körperempfindungen ruhen lassen. Halten Sie Ihre Aufmerksamkeit einfach auf einen bestimmten Körperbereich gerichtet – zum Beispiel auf Ihre Stirn.

Richten Sie als Erstes Ihr Rückgrat gerade auf und entspannen Sie den Körper. Wenn Sie formal praktizieren wollen, können Sie die schon beschriebene Sieben-Punkte-Haltung einnehmen. Sollten Sie sich irgendwo aufhalten, wo das Einnehmen dieser Haltung nicht gut möglich ist, belassen Sie es dabei, dass Sie das Rückgrat gerade aufrichten und den Körper bequem entspannen. Es spielt keine Rolle, ob Sie die Augen offen oder geschlossen halten. Tatsache ist, dass hier manche Leute das Schließen der Augen als hilfreicher empfinden. (Natürlich würde ich Ihnen doch stark empfehlen, sie offen zu lassen, wenn Sie gerade hinterm Steuer sitzen oder eine Straße entlanggehen!)

 

Lassen Sie Ihren Geist einen Augenblick ruhen, so wie er ist …

 

Richten Sie nun langsam das Gewahrsein auf Ihre Stirn …

 

Vielleicht spüren Sie dort eine Art Kitzeln oder ein Wärmegefühl. Vielleicht verspüren Sie auch ein Jucken oder einen Druck. Was Sie auch spüren, bleiben Sie sich dessen ein oder zwei Minuten lang gewahr …

 

Nehmen Sie es einfach nur zur Kenntnis …

 

Lassen Sie Ihre Aufmerksamkeit einfach sacht auf der Empfindung ruhen …

 

Dann wenden Sie sich von dieser Aufmerksamkeit ab und lassen den Geist ruhen, so wie er ist. Falls Sie die Augen geschlossen hatten, können Sie sie jetzt wieder aufmachen.

 

Wie war das?

 

Nachdem Sie Ihr Gewahrsein ein Weilchen auf den Empfindungen in einem bestimmten Körperbereich haben ruhen lassen, können Sie die Technik nun ausdehnen und mit Ihrer Aufmerksamkeit den ganzen Körper langsam durchwandern. Manchmal bezeichne ich diesen erweiterten Ansatz als »Scan-Praxis«, weil sie mich an das Liegen in einer dieser Maschinen erinnert, mit denen man den ganzen Körper scannen kann. Auch hier gilt: Wenn Sie in formeller Weise üben, nehmen Sie zunächst die schon beschriebene Sieben-Punkte-Haltung ein. Üben Sie weniger formell, dann richten Sie nur das Rückgrat gerade auf und belassen ansonsten den Körper in einer bequemen, entspannten Haltung. In beiden Fällen können Sie je nach Belieben die Augen offen lassen oder schließen.

Lassen Sie den Geist erst einmal ein paar Augenblicke in objektloser Shiné-Meditation ruhen. Richten Sie dann Ihr Gewahrsein sacht auf die Empfindungen, die Sie in der Stirnregion wahrnehmen. Erlauben Sie Ihrem Geist, diese Empfindungen einfach nur zu beobachten, einfach nur gewahr zu sein, nichts weiter. Dirigieren Sie den Fokus Ihres Gewahrseins nun allmählich etwas weiter nach unten, beobachten Sie Ihre Empfindungen im Gesichtsbereich, im Hals, in den Schultern, Armen und so weiter. Nur beobachten. Es besteht keine Notwendigkeit, alles andere vor Ihrem geistigen Bewusstsein abzublocken oder das Beobachtete zu verändern. Lassen Sie einfach nur Geist und Körper entspannt und still, während Sie die entstehenden Empfindungen zur Kenntnis nehmen. Lassen Sie den Geist nach ein paar Minuten einfach ruhen. Nehmen Sie dann die Beobachtung Ihrer Empfindungen wieder auf; wechseln Sie für die Dauer Ihrer Übungssitzung zwischen Beobachten und friedlichem geistigem Ruhen ab.

An den meisten Empfindungen ist irgendeine Art physischer Grundlage beteiligt. Unser Körper kommt mit etwas in Kontakt: der Stuhl, auf dem wir sitzen, der Boden, ein Stift, unsere Kleidung, ein Tier oder eine Person. Und dieser Kontakt erzeugt eine ganz bestimmte körperliche Empfindung. Im Buddhismus spricht man von den »groben körperlichen Sinneswahrnehmungen«, wenn es um die Art von Empfindungen geht, die durch direkten physischen Kontakt hervorgerufen werden. Wenn sich die auf unsere Gefühle und Empfindungen gerichtete Aufmerksamkeit jedoch auf eine tiefere oder feinere Ebene verlagert, nehmen wir allmählich Gefühle und Eindrücke wahr, die nicht unbedingt auf einen taktilen Kontakt bezogen sind. Diese werden im Buddhismus als »subtile körperliche Sinneswahrnehmungen« bezeichnet.

Als ich mich zum ersten Mal in dieser Art von Shiné-Technik zu üben begann, entdeckte ich, dass immer dann, wenn ich eine bestimmte Empfindung zu vermeiden versuchte, sie sich verstärkte. Als ich aber lernte, sie mir einfach nur anzuschauen, wurde das von mir verspürte Unbehagen erträglicher. Und da ich ein neugieriges Kind war, wollte ich natürlich unbedingt wissen, warum diese Veränderung eintrat. Ich musste diesen Vorgang einige Zeit lang beobachten, bis ich zur Erkenntnis gelangte, dass ich, wenn ich mir eine Empfindung einfach nur wahrzunehmen erlaubte, am Geschehen des gegenwärtigen Augenblickes aktiv teilnahm. Ich sah, wie sich ein Teil meines Geistes gegen eine schmerzhafte Empfindung wehrte und ein anderer Teil mich drängte, sie mir einfach nur objektiv anzusehen. Und wenn ich die beiden widersprüchlichen Impulse zugleich betrachtete, konnte ich sehen, wie mein ganzer Geist mit diesem Prozess von Abwehr und Akzeptanz befasst war, und das Beobachten der Arbeitsmechanismen meines Geistes wurde interessanter als dieses Abwehren oder Akzeptieren. Meinem Geist einfach nur beim Arbeiten zuzuschauen war schon faszinierend genug. Und das ist meiner Ansicht nach die praktikabelste Definition von Klarheit, die ich anzubieten habe: die Fähigkeit, den Geist simultan auf vielen Ebenen arbeiten zu sehen.

 

Das Meditieren über schmerzliche Empfindungen

Wenn mir heiß oder kalt ist, wenn ich hungrig oder satt oder müde bin, wenn mir schwindlig ist, wenn ich Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, eine verstopfte Nase, Halsschmerzen, Knieschmerzen oder Rückenschmerzen habe, sind alle diese Empfindungen dem Gewahrsein ziemlich unmittelbar präsent, wenn auch nicht immer auf angenehme Art. Weil Schmerzen oder Beschwerden so direkte Empfindungen sind, bieten sie sich in Hinblick auf die meditative Konzentration als ausgesprochen effektive Objekte an. Die meisten von uns betrachten den Schmerz als Bedrohung für unser körperliches Wohlbefinden. Wenn wir uns aber darum Sorgen machen oder uns von dieser Bedrohung zu sehr in Beschlag nehmen lassen, nimmt der Schmerz fast immer noch zu. Nehmen wir jedoch den Schmerz oder die Beschwerden als unser Meditationsobjekt, können wir diese Empfindungen zur Steigerung unserer Fähigkeit zur Klarheit nutzen, indem wir dem Geist einfach dabei zusehen, wie er sich mit verschiedenen Lösungen befasst.

Bekomme ich zum Beispiel bei der strengen Meditationssitzhaltung oder auch einfach beim Sitzen im Auto oder Flugzeug Schmerzen in den Beinen oder im unteren Rückenbereich, dann habe ich nun gelernt, mir die mentale Erfahrung von Schmerz anzusehen, statt mich zu strecken und zu dehnen, aufzustehen oder herumzulaufen. Schließlich ist es ja das mentale Bewusstsein, das die Empfindungen konkret erkennt und registriert. Wenn ich meine Aufmerksamkeit, statt auf den speziellen schmerzenden Bereich, auf den Geist richte, der den Schmerz registriert, bedeutet das nicht unbedingt, dass der Schmerz verschwindet. Doch er wird jetzt zum Ausgangspunkt einer aktiven Beschäftigung mit dem, was ich im Hier und Jetzt erlebe, statt zu etwas, das ich zu vermeiden suche.

Das gleiche Prinzip gilt auch für die angenehmen Empfindungen: Statt zu versuchen, sie mir zu bewahren, beobachte ich sie einfach nur als Manifestationen von Erfahrung. Tatsächlich bekam ich schon in meinen ersten Schulungsjahren gezeigt, wie ich mich der Empfindungen bedienen kann, um das grenzenlose Potenzial des Geistes zu erkennen und zu ergründen, statt von den Empfindungen benutzt und durch sie zum verstärkten Gefühl gebracht zu werden, dass mir durch physische Einschränkungen Grenzen gesetzt sind.

Wenn Sie allerdings chronische oder sehr starke Schmerzen haben, sollten Sie selbstverständlich einen Arzt aufsuchen, da diese Symptome Hinweis auf ein ernstes körperliches Problem sein könnten. Ich habe jedoch auch von einigen Leuten gehört, dass ihre Schmerzen nachließen, nachdem ihr Arzt irgendwelche ernsthaften medizinischen Probleme ausgeschlossen hatte. Es scheint, dass die Angst vor dem Schmerz die Schmerzempfindung verschärft und am betreffenden Ort fixiert: Das könnte ein sich selbst aufrechterhaltendes »höchstes« Alarmsignal sein, das vom Thalamus an den Mandelkern und andere Hirnregionen ausgesendet wird. Hat Ihr Arzt jedoch ein gravierendes medizinisches Problem entdeckt, müssen Sie seinen Empfehlungen für eine Behandlung unter allen Umständen Folge leisten. Zwar kann Ihnen die Meditation beim Umgang mit den Schmerzen oder Beschwerden helfen, ein Ersatz für deren Behandlung ist sie aber nicht.

Es kann auch passieren, dass Sie trotz der Einnahme von ärztlich verschriebenen oder selbst verordneten Medikamenten noch Schmerzen haben. In diesem Fall können Sie versuchen, mit der Empfindung von körperlichem Schmerz als Stütze für die Meditation zu arbeiten. Doch ganz gleich, ob die Beschwerden nun das Symptom eines gravierenden gesundheitlichen Problems sind oder nicht, wenn Sie mit dem Schmerz als Stütze für die Meditation arbeiten, konzentrieren Sie sich möglichst nicht auf das Ergebnis Ihrer Übung. Besteht Ihre eigentliche Motivation darin, dass Sie die Schmerzen loswerden möchten, verstärken Sie nur die mit der Angst vor dem Schmerz verbundenen neuronalen Muster. Am besten schwächen Sie diese Muster, indem Sie sich einfach um ein objektives Beobachten des Schmerzes bemühen und die Resultate sich selber überlassen.

Am eindrücklichsten wurde mir diese Lektion von meinem Vater vorgeführt, als dieser sich einmal während eines Aufenthalts in Deutschland einer kleineren Operation unterziehen musste. Offensichtlich war die Person, die ihn lokal anästhesieren sollte, von anderen Pflichten in Anspruch genommen und vergaß ihn völlig. Als der Arzt dann den ersten Schnitt machte, bemerkte er, dass die Muskeln in diesem Bereich zu zucken begannen  – was sie natürlich nicht getan hätten, wenn ordnungsgemäß anästhesiert worden wäre. Der Arzt war auf die Anästhesistin unglaublich wütend, aber mein Vater bat ihn, nichts gegen sie zu unternehmen, da er gar keinen Schmerz verspürte. Die Empfindung von einem Schnitt in einem sehr sensiblen Körperbereich hatte ihm die Gelegenheit geboten, sein Gewahrsein in einen erhöhten Zustand von Klarheit und innerem Frieden zu verlagern.

Einfach ausgedrückt, hatte mein Vater durch seine Praxis ein Netzwerk neuronaler Verbindungen entwickelt, die in Aktion traten, um die Schmerzerfahrung zu einer objektiven Beobachtung des Geistes zu erheben, der die Erfahrung von Schmerz macht. Zwar bestand der Arzt darauf, dass der Bereich anästhesiert wurde, bevor er mit seiner Operation weitermachte, aber auf Bitten meines Vaters nahm er Abstand davon, eine formelle Beschwerde gegen die Anästhesistin einzureichen.

Am nächsten Tag trat diese an das Bett meines Vaters und verbarg etwas hinter ihrem Rücken. Lächelnd bedankte sie sich dafür, dass er ihr die Schwierigkeiten vom Hals gehalten hatte, und zog dann einen Korb voller Köstlichkeiten hervor, die er ganz vorzüglich fand.

Die Praxis des Beobachtens der – »groben« oder »subtilen« – körperlichen Empfindungen ist so einfach, dass Sie sie entweder in formalen Meditationssitzungen oder auch jederzeit untertags durchführen können, wenn Sie mal zwischen Konferenzen, Terminen oder anderen Verpflichtungen ein paar Sekunden Zeit haben. Tatsächlich fand ich diese Praxis gerade untertags besonders nützlich, weil sie sofort das Gefühl von Leichtigkeit und Offenheit hervorruft. Einige Leute haben mir erzählt, dass sie sie ausgesprochen hilfreich finden, wenn sie bei der Arbeit stundenlang langweilige Präsentationen über sich ergehen lassen müssen.

 

Das Meditieren über Form

Wenn wir den Gesichtssinn nutzen, um den Geist zum ruhigen Verweilen zu bringen, dann bezeichnen wir das als »Formmeditation«. Aber lassen Sie sich von diesem Begriff nicht einschüchtern. Die Meditation über eine Form ist im Grunde ganz einfach. Tatsächlich praktizieren wir sie täglich, wenn wir etwa auf den Bildschirm unseres Computers oder auf eine Ampel starren. Wenn wir diesen unbewussten Vorgang auf die Ebene aktiven Gewahrseins heben und unsere Aufmerksamkeit bewusst auf einem speziellen Objekt ruhen lassen, wird der Geist sehr friedlich, offen und entspannt.

Ich wurde gelehrt, mit einem sehr kleinen Gegenstand anzufangen, nahe genug, um ihn ohne Anstrengung sehen zu können. Das konnte ein farbiger Fleck auf dem Boden, eine Kerzenflamme, ein Foto oder der Hinterkopf einer Person sein, die beim Unterricht vor mir saß. Gut ist auch, auf ein Objekt von spirituellerer Bedeutung zu blicken – in diesem Fall spricht man oft von einer »reinen Form«. Wenn Sie Buddhist sind, kann das Objekt eine Abbildung oder eine Statue von Buddha sein; sind Sie Christ, könnten Sie sich auf ein Kreuz oder das Bild eines Heiligen konzentrieren; gehören Sie einer anderen religiösen Tradition an, wählen Sie ein Objekt, das für Sie eine besondere Bedeutung hat. Sobald Sie mit dieser Praxis vertrauter geworden sind, können Sie sich auch auf geistig vorgestellte Formen konzentrieren  – Objekte, die man einfach vor dem geistigen Auge erstehen lässt.

Was für ein Objekt Sie auch wählen mögen, Sie werden wahrscheinlich bemerken, dass es zwei Merkmale aufweist: Form (oder Gestalt) und Farbe. Konzentrieren Sie sich auf den Aspekt, den Sie vorziehen. Sie könnten sich etwas Weißes, Schwarzes, Rosafarbenes oder Rundes, Viereckiges oder Vielgestaltiges aussuchen. Das Objekt selbst spielt keine Rolle. Es geht darum, dass Sie die Aufmerksamkeit entweder auf seiner Farbe oder seiner Form ruhen lassen und dabei die geistige Fähigkeit nur so weit einsetzen, dass Sie das Objekt gerade erkennen, nicht mehr. Das Gewahrsein setzt ein, sobald Sie die Aufmerksamkeit auf das Objekt richten.

Sie müssen sich nicht darum bemühen, es so klar zu sehen, dass Sie jedes kleine Detail erkennen. Wenn Sie das versuchen, werden Sie sich verspannen. Doch bei dieser Übung geht es ja darum, dass Sie zur geistigen Ruhe gelangen. Bleiben Sie locker und entspannt in einem gerade so aufmerksam fokussierten Zustand, dass Sie das auf das Objekt gerichtete bloße Gewahrsein beibehalten können. Versuchen Sie nicht durch Zutun etwas geschehen zu lassen oder Ihren Geist »gewaltsam« zur Entspannung zu bringen. Denken Sie einfach: Okay, was passiert, passiert . Das ist Meditation. Das ist es, was ich mache. Mehr braucht es nicht zu sein.

Natürlich kann man mit offenen Augen ein Objekt anstarren, ohne es wirklich zu sehen. Ihr Bewusstsein könnte von irgendetwas, das Sie in der Ferne hören, völlig gefangen genommen sein, und Sie sehen ein paar Sekunden oder sogar auch Minuten lang gar nichts. Wie ich es hasste, wenn mein Geist in dieser Weise abdriftete! Aber meinem Vater zufolge ist ein solches Abdriften völlig normal. Und wenn Sie erkennen, dass Ihr Geist vom Gegenstand Ihrer Konzentration fortgewandert ist, dann richten Sie Ihre Aufmerksamkeit einfach wieder auf diesen Gegenstand.

Und jetzt möchte ich Sie zum Üben auffordern.

Nehmen Sie die für Sie bequemste Körperhaltung ein, und lassen Sie Ihren Geist ein paar Augenblicke lang in einem sehr entspannten, lockeren Zustand ruhen. Wählen Sie dann etwas aus, auf das Sie den Blick richten wollen. Lassen Sie den Blick nun auf diesem Gegenstand ruhen und nehmen Sie seine Form oder seine Farbe wahr. Sie brauchen das Objekt nicht intensiv anzustarren – wenn Sie zwinkern müssen, dann zwinkern Sie. Tatsache ist, wenn Sie es nicht tun, werden Ihre Augen vermutlich sehr trocken und gereizt werden. Nach einigen Momenten des Schauens lassen Sie den Geist ganz einfach wieder entspannt ruhen. Fokussieren Sie sich dann wieder ein paar Minuten auf das Objekt, lassen Sie den Geist anschließend wieder entspannt ruhen.

Wenn ich mit einem visuellen Objekt als Stütze für die Meditation übe, muss ich immer an etwas denken, das Longchenpa sagte, einer der großen buddhistischen Gelehrten und Meditationsmeister des 14. Jahrhunderts. In einem seiner Bücher weist er darauf hin, dass es von großem Nutzen ist, wenn man zwischen der auf ein Objekt gegründeten Meditation und der schon besprochenen Meditation ohne Objekt hin und her wechselt. Wenn wir den Geist auf einem Objekt ruhen lassen, so erklärt er, dann sehen wir es als etwas an, das von uns getrennt und von uns verschieden ist. Aber wenn wir loslassen und den Geist einfach im bloßen Gewahrsein ruhen lassen, löst sich diese Unterscheidung auf. Und wenn wir nun zwischen der Fokussierung auf ein Objekt und dem geistigen Ruhen im bloßen Gewahrsein hin und her wechseln, erkennen wir schließlich die grundlegende Wahrheit, die uns die Neurowissenschaft aufgezeigt hat: dass alles, was wir wahrnehmen, eine im Geist erschaffene Rekonstruktion ist. Mit anderen Worten, dass es keinen Unterschied gibt zwischen dem Gesehenen und dem Geist, der es sieht.

Zu einer solchen Erkenntnis kommt man natürlich nicht einfach so über Nacht, sie braucht schon ein bisschen Praxis. Tatsachlich hat der Buddha, wie wir später sehen werden, bestimmte Methoden vermittelt, mit deren Hilfe man die Unterscheidung zwischen dem Geist und den Wahrnehmungen des Geistes zur Auflösung bringt. Aber ich eile mir selbst voraus – was immer passiert, wenn ich über etwas in Begeisterung gerate. Kehren wir jetzt zurück zu den elementaren Methoden, mit denen wir über die Sinne erlangte Informationen umwandeln in ein Mittel, um den Geist in einen ruhigen, friedlichen Zustand zu versetzen.

 

Das Meditieren über hörbare Wahrnehmungen

Das Meditieren über auditive Wahrnehmungen – Töne, Klänge, Laute, Geräusche – ist der Formmeditation sehr ähnlich, nur dass Sie jetzt das Hörvermögen einsetzen. Lassen Sie zunächst den Geist ein paar Augenblicke im entspannten Zustand ruhen, und werden Sie dann nach und nach der Dinge gewahr, die Sie in allernächster Hörweite vernehmen, zum Beispiel Ihres Herzschlags oder Atems oder auch natürlicher Geräusche in Ihrem unmittelbaren Umfeld. Manchen Leuten ist es eine Hilfe, wenn sie Aufnahmen von Lauten und Klängen aus der Natur oder ein angenehmes Musikstück abspielen. Sie brauchen diese auditiven Wahrnehmungen nicht unbedingt zu identifizieren und müssen sich auch nicht auf einen speziellen Ton oder Laut konzentrieren. Tatsächlich ist es leichter, wenn Sie Ihr Gewahrsein auf allen Dingen ruhen lassen, die Sie hören. Wichtig ist hier, dass Sie ein einfaches bloßes Gewahrsein von den Lauten, so wie sie Ihr Ohr erreichen, kultivieren.

Wie schon bei der Meditation über Form und Farbe werden Sie wahrscheinlich auch hier feststellen, dass Sie sich jeweils immer nur ein paar Sekunden auf die Geräusche und Klänge in Ihrem Umfeld konzentrieren können, bevor Ihr Geist abdriftet. Das ist okay. Wenn Sie merken, dass Ihr Geist auf Wanderschaft ist, bringen Sie sich einfach wieder in einen entspannten Geisteszustand und lenken dann Ihr Gewahrsein erneut auf die Töne und Geräusche. Wechseln Sie zwischen beiden Zuständen hin und her: Die Aufmerksamkeit ruht eine Weile auf den auditiven Wahrnehmungen, und dann ruht der Geist wieder im entspannten Zustand offener Meditation.

Einer der großen Vorzüge der Meditation über auditive Wahrnehmungen besteht darin, dass sie Sie allmählich lehrt, den verschiedenen von Ihnen wahrgenommenen Lauten, Tönen, Klängen und Geräuschen keinen Sinngehalt mehr zuzuweisen. Sie lernen zu hören, was Sie hören, ohne unbedingt auf den Inhalt emotional zu reagieren. Wenn Sie sich allmählich daran gewöhnen, einem Ton oder Laut einfach als Ton oder Laut reine Aufmerksamkeit entgegenzubringen, werden Sie feststellen, dass Sie sich Kritik anhören können, ohne wütend zu werden oder sich zu verteidigen; oder Lob zu hören, ohne deswegen stolz oder freudig erregt zu sein. Sie können sich sehr viel entspannter und ausgeglichener, und ohne dass sie von emotionalen Reaktionen überwältigt werden, anhören, was andere Menschen sagen.

Ich hörte einmal eine wunderbare Geschichte über einen berühmten Sitarspieler in Indien, der lernte, die Klänge seines Instruments als Stütze für seine Meditationspraxis zu nutzen. Falls Sie mit den indischen Musikinstrumenten nicht vertraut sein sollten: Die Sitar ist ein Zupfinstrument mit sehr langem Hals, das gewöhnlich insgesamt 17 Saiten aufweist, wie eine Gitarre angeschlagen wird und eine wundervolle Vielfalt von Tönen hervorbringt. Dieser Sitarspieler war so talentiert, dass er stets gefragt war und fast unentwegt in Indien umherreiste, ganz ähnlich wie heutzutage moderne Rockbands auf Tour und viel von zu Hause weg sind.

Einmal kam er nach einer besonders langen Tour wieder heim und musste entdecken, dass seine Frau eine Affäre mit einem anderen Mann hatte. Er verhielt sich angesichts dieser Situation außerordentlich vernünftig. Vielleicht hatte die Konzentrationsfähigkeit, die er sich in den Jahren ständiger Praxis und Darbietung angeeignet hatte, zusammen mit den Klängen dieses wundervollen Instruments zu einem ruhigen und fokussierten Geist geführt. Jedenfalls ging er nicht wütend auf seine Frau los, stritt sich auch nicht mit ihr herum, sondern setzte sich hin und führte mit ihr ein langes Gespräch. Im Verlauf dieser Unterhaltung wurde ihm klar, dass sowohl die Affäre seiner Frau wie auch sein Stolz darauf, überall im Land gefragt zu sein, symptomatisch für das Anhaften waren.

Anhaftung gehört zu den drei Geistesgiften, die uns wie eine Sucht an den Kreislauf von Samsara gebunden halten. Zwischen seinem Anhaften am Ruhm und dem Anhaften seiner Frau an einem anderen Mann bestand kaum ein Unterschied. Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Blitz, und ihm wurde bewusst, dass er, wenn er sich von seiner Sucht befreien wollte, das Anhaften am Ruhm aufgeben musste. Die einzige Möglichkeit, dies zu tun, bestand für ihn darin, sich einen Meditationsmeister zu suchen und zu lernen, wie er sein Anhaften schlicht als eine Manifestation seiner mentalen Gewohnheiten erkennen konnte.

Am Ende ihrer Unterhaltung überließ er seiner Frau seine ganze Habe mit Ausnahme seiner Sitar, an der er nach wie vor so stark hing, dass kein noch so großes Maß an rationaler Analyse diese Anhaftung auflösen konnte. Dann machte er sich auf die Suche nach einem Lehrer. Schließlich kam er bei einem Leichenacker an, in alten Zeiten das Äquivalent eines Friedhofs, wo die Leichen mehr oder weniger abgeladen wurden, ohne begraben oder verbrannt zu werden. Leichenäcker waren schreckenerregende Orte, übersät von menschlichen Leibern und Gebeinen, die sich teils noch im Stadium der Verwesung befanden, teils schon Skelette waren. Aber hier war die Wahrscheinlichkeit am größten, einen großen Meister anzutreffen, der die Angst vor dem Tod und vor der Vergänglichkeit bereits überwunden hatte. Dies sind zwei der massivsten Formen von Angst, die die meisten Menschen im Samsara-Zustand der Anhaftung an dem, was ist, und der Ablehnung dessen, was sich ereignen könnte, hängen bleiben lassen.

Der Sitarspieler fand an diesem Ort einen Mahasiddha – so nennt man im Sanskrit eine Person, die durch außerordentliche Prüfungen gegangen ist und tiefe Einsicht erlangt hat. Der Mahasiddha lebte in einer verfallenen Hütte, die ihm kaum Schutz gegen Wind und Wetter bot. So wie manche von uns das Gefühl einer starken Verbindung mit Menschen haben, denen wir im normalen Verlauf unseres Lebens begegnen, so fühlte der Sitarspieler eine tiefe Verbindung mit diesem Mahasiddha und fragte ihn, ob er ihn als Schüler annehmen würde. Der Mahasiddha willigte ein, und der Sitarspieler baute sich nahebei aus Zweigen und Lehm seine eigene Hütte, wo er üben und den elementaren Anweisungen zur Shiné-Meditation folgen konnte, die ihm der Mahasiddha gegeben hatte.

Wie so viele Leute, die mit dem Meditieren anfangen, fand es auch der Sitarspieler äußerst schwierig, den Anweisungen seines Lehrers Folge zu leisten. Wenn er sich auch nur ein paar Minuten daran hielt, kam es ihm schon wie eine Ewigkeit vor; jedes Mal, wenn er sich zum Meditieren niederließ, fühlte er sich zu seiner alten Gewohnheit hingezogen, seine Sitar zu spielen, und er ließ die Übung sein und spielte sein Instrument. So begann er sich schrecklich schuldig zu fühlen, weil er seine Meditationspraxis zugunsten des Sitarspiels vernachlässigte. Schließlich ging er zur Hütte seines Lehrers und gestand ihm, dass er einfach nicht meditieren konnte.

»Was ist das Problem?«, fragte der ihn.

»Ich hänge zu sehr an meiner Sitar. Ich will sie lieber spielen als meditieren«, erwiderte der Sitarspieler.

»Das ist kein großes Problem«, sagte der Mahasiddha. »Ich kann dir eine Übung für die Sitar-Meditation geben.«

Der Sitarspieler, der – wie die meisten von uns – darauf gefasst war, von seinem Lehrer kritisiert zu werden, war sehr überrascht.

»Geh in deine Hütte zurück«, fuhr der Mahasiddha fort, »spiel deine Sitar und höre einfach mit bloßem Gewahrsein auf den Klang deines Instruments. Versuche nicht, perfekt zu spielen. Verschwende keinen Gedanken darauf. Hör einfach nur auf die Klänge.«

Der Sitarspieler kehrte erleichtert in seine Hütte zurück und fing an zu spielen, hörte einfach nur auf die Töne und Klänge, ohne zu versuchen, perfekt zu sein, ohne sich auf die Ergebnisse seines Spiels oder die Resultate seiner Praxis zu konzentrieren. Und nachdem er gelernt hatte, einfach nur zu üben, ohne sich um die Ergebnisse zu bekümmern, wurde er nach ein paar Jahren selbst ein Mahasiddha.

Da nicht viele meiner Schülerinnen und Schüler Sitarspieler sind, liegt die eigentliche Lektion dieser Geschichte darin, zu lernen, wie man die eigene Erfahrung als Stütze für die Praxis nutzt, ohne auf die Resultate zu schielen. So bieten zum Beispiel im Westen die Geräusche, Anblicke und Gerüche des Stoßverkehrs, die einen so ungeheuer in Anspruch nehmen können, eine großartige Gelegenheit zur Meditationspraxis. Statt sich auf das Ziel zu konzentrieren, endlich durch den Stau zu kommen, übt man sich darin, die Sinneswahrnehmungen einfach nur zu beobachten. Wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit von Ihrem Zielort ab, lassen Sie sie stattdessen auf Ihren Sinneswahrnehmungen ruhen, dann könnte es gut sein, dass aus Ihnen schließlich noch ein Verkehrs-Mahasiddha wird.

 

Das Meditieren über Gerüche

Im Grunde können wir jede Sinneswahrnehmung, die uns im gegebenen Moment am meisten anzieht, als Objekt für die Meditation wählen. So kann es zum Beispiel besonders hilfreich sein, wenn Sie während des formalen Übens oder auch bei Ihren Alltagsbeschäftigungen den Geruch als Meditationsobjekt nutzen. Beim formalen Üben können Sie sich auf die Gerüche rings um Sie herum konzentrieren – vielleicht auf den Duft des Räucherstäbchens, wenn Sie das mögen, oder auf die ganz natürlichen Gerüche in Ihrem unmittelbaren Umfeld.

Ganz besonders nützlich ist diese spezielle Übungspraxis, wenn Sie mit täglichen Aktivitäten wie dem Kochen oder Essen beschäftigt sind. Wenn Sie sich die Zeit nehmen und Ihre Aufmerksamkeit auf die Essensgerüche konzentrieren, können Sie langweilige tägliche Routineangelegenheiten – wie Kochen, Essen oder das Laufen durchs Bürogebäude – in Übungen zur Beruhigung und Stärkung des Geistes umwandeln.

 

Das Meditieren über Geschmacksempfindungen

Ich brauchte eine ganze Weile, bis mir klar wurde, dass ich beim Essen oder Trinken von meinem Tun kaum Notiz nahm. Im Allgemeinen war ich währenddessen in Gespräche mit anderen Leuten vertieft oder durch meine eigenen Probleme, Konflikte oder Tagträume abgelenkt. Als Folge davon war ich nicht wirklich bei der Sache und verpasste die Gelegenheit, den gegenwärtigen Moment in seiner ganzen Fülle wahrzunehmen und zu erleben. Die Konzentration auf Geschmacksempfindungen ist eine überaus praktikable Technik, um sich tagsüber immer mal wieder ein paar Augenblicke der Meditation zu widmen.

Als ich gelehrt wurde, den Geschmack als Objekt der Meditation zu nutzen, sagte man mir, ich solle zunächst wie üblich den Geist ein paar Momente lang im natürlichen Zustand ruhen lassen und meine Aufmerksamkeit dann ganz leicht auf die von mir wahrgenommenen Geschmacksempfindungen gerichtet halten. Ich brauchte keine speziellen Geschmacksrichtungen wie bitter, süß oder sauer zu analysieren. Ich musste nur immer abwechselnd meine Aufmerksamkeit sacht und stetig auf alle von mir wahrgenommenen Geschmacksempfindungen richten und dann wieder meinen Geist friedlich ruhen lassen.

 

 

 

ANDERE HILFREICHE STÜTZEN

 

Um Schülern eine gute Anleitung zu
geben, habe ich verschiedene Metho-
den gelehrt.

 

Lankavatarasutra

 

 

Neben dem Arbeiten mit Sinnesobjekten hat der Buddha auch noch ein paar andere Techniken gelehrt, derer man sich leicht jederzeit und überall bedienen kann. Eine davon beinhaltet, dass man den Atem als Meditationsobjekt nutzt. Sollten Sie gerade am Leben sein, dann bestehen auch gute Chancen, dass Sie atmen; und die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit auf das Kommen und Gehen des Atems zu richten, ist immer gegeben. Die zweite Stütze ist eine alte Freundin von mir, für die ich ganz besonders dankbar bin, weil sie mich als Kind vor dem Verrücktwerden bewahrte. Mit ihr machte ich aus reinem Zufall beim Sitzen in der Höhle Bekanntschaft, und sie gründet sich auf die Wiederholung eines Mantras.

 

Einatmen, Ausatmen

Ich lernte eine ganze Anzahl von Methoden, wie man den Atem als Meditationsobjekt nutzen kann, doch ich will Sie nicht mit allen langweilen. Vielmehr werde ich mich auf zwei der einfachsten Methoden konzentrieren, die sich auch am problemlosesten bei einer Konferenz, in einem gedrängt vollen Raum, im Flugzeug oder im Zug praktizieren lassen, ohne dass man Aufmerksamkeit erregt. Sie brauchen Ihre Aufmerksamkeit nur ganz leicht auf den simplen Akt des Einatmens und Ausatmens gerichtet zu halten. Dabei können Sie das Gewahrsein auf die Empfindung lenken, wie die Luft durch die Nasenlöcher streicht oder wie sie die Lungen füllt und wieder aus ihnen entweicht. Wenn Sie sich in dieser Weise auf den Atem konzentrieren, ähnelt das sehr der Fokussierung auf die Körperempfindungen, nur dass Sie in diesem Fall Ihr Gewahrsein von den Empfindungen auf die einfache Erfahrung des Einatmens und Ausatmens beschränken. Da zwischen dem Einatmen und Ausatmen ganz natürlich für einen Sekundenbruchteil eine Lücke entsteht, können Sie sich auch auf den dreiteiligen Vorgang von Einatmen, Ausatmen und Lücke konzentrieren.

Die Fokussierung auf den Atem ist besonders nützlich, wenn Sie sich überfordert fühlen oder zerstreut sind. Der simple Akt, dass Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Atem lenken, erzeugt im Innern einen Zustand von Ruhe und Gewahrsein; das lässt Sie einen Schritt von den Problemen zurücktreten, vor die Sie sich gerade gestellt sehen mögen, und führt zu einem gelasseneren und objektiveren Reagieren. Sind Sie total gestresst, dann lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das Atmen. Niemand wird merken, dass Sie meditieren. Wahrscheinlich achtet auch keiner darauf, ob Sie überhaupt atmen.

Die strenge Form der Meditation über den Atem sieht ein bisschen anders aus. Eine der Methoden, die ich gelehrt wurde, bestand einfach darin, zur umfassenderen Konzentration der Aufmerksamkeit meine Atemzüge zu zählen. Beginnen Sie mit dem ersten Atemzug – Einatmen und Ausatmen – bei »eins«, dann folgt der nächste Atemzug, »zwei«, und so fort, bis Sie bei »sieben« angelangt sind. Dann fangen Sie wieder bei »eins« an. Nach und nach können Sie länger zählen und mehr Atemzüge ansammeln. Aber für den Anfang ist es wie immer das Beste, wenn Sie das Ziel nicht zu hoch stecken und sich auf kurze Übungsphasen beschränken, die Sie viele Male wiederholen können.

 

Mein alter Freund, das Mantra

Die Mantra-Meditation ist einer sehr wirkungsvolle Technik, die nicht nur zur Kultivierung des klaren Gewahrseins beiträgt. Die Kraft der Silben, die seit Tausenden von Jahren von erleuchteten Meistern und Meisterinnen rezitiert wurden, bereinigt Schichten von geistigen Trübungen und Verdunkelungen und steigert unsere Fähigkeit, uns selbst und anderen von Nutzen zu sein. Dieser Zusammenhang lässt sich möglicherweise zunächst nur schwer akzeptieren; es klingt zu sehr nach Magie. Vielleicht fällt es Ihnen leichter, sich die mantrischen Silben als Klangwellen vorzustellen, deren Schwingungen sich über Tausende, ja vielleicht Millionen Jahre hinweg in den Raum hinein fortsetzen.

Bei der Mantra-Meditation ist der Fokus Ihrer Aufmerksamkeit auf die mentale Rezitation einer bestimmten Folge von Silben gerichtet, die sich ganz direkt beruhigend und klärend auf den Geist auszuwirken scheinen. Für die Übung hier werden wir uns einer ganz einfachen Folge von drei Silben bedienen, die zusammengenommen das fundamentalste aller Mantren bilden: Om Ah Hung. Om steht für den klaren, charakteristischen Wahrnehmungsaspekt von Erfahrung; Ah steht für deren leeren oder inhärent offenen Aspekt; und Hung steht für die Einheit von charakteristischer, mit Merkmalen versehener Erscheinung und deren inhärent leere Natur.

Sie können das Mantra zunächst laut rezitieren und dann allmählich in eine innerlichere Form von mentaler Rezitation hineingleiten. Wichtig ist, dass Sie das Mantra etwa drei Minuten lang auf mentaler Ebene rezitieren, dann den Geist ruhen lassen. Wechseln Sie so lange, wie Sie können, zwischen Rezitation und Ruhen hin und her. Gleich, ob Sie die Auswirkungen sofort spüren oder nicht, Sie haben etwas in Gang gesetzt. Und dieses »Etwas« ist die Freiheit Ihres Geistes.

Aber die Freiheit kommt nur selten in der Form daher, die sie unserer Ansicht nach annehmen sollte. Tatsache ist, dass sie sich für die meisten von uns nicht nur unvertraut, sondern auch ganz entschieden unangenehm anfühlt. Das kommt daher, dass wir an unsere Ketten gewöhnt sind. Sie mögen uns wund scheuern, sie mögen dazu führen, dass wir bluten, aber sie sind uns wenigstens vertraut.

Vertrautheit ist aber nur eine begriffliche Vorstellung oder manchmal ein Gefühl. Und um uns dabei zu helfen, dass wir den schwierigen Übergang zwischen Vertrautheit und Freiheit vollziehen können, hat uns der Buddha Methoden für das direkte Arbeiten mit Gedanken und Gefühlen übermittelt.